Körperverletzung mit Todesfolge: Anforderungen an eine mittäterschaftliche Begehungsweise durch die Kindeseltern; Garantenstellung; Zurechnung von Misshandlungen gegenüber dem untätigen Elternteil
Gesetze: § 13 StGB, § 18 StGB, § 25 Abs 2 StGB, § 223 StGB, § 227 StGB
Instanzenzug: Az: 25 Js 5083/11 - 2 Ks
Gründe
1Das Landgericht hat beide Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von jeweils fünf Jahren verurteilt und wegen Verfahrensverzögerung jeweils neun Monate als vollstreckt erklärt. Ihre mit der Sachrüge geführten Revisionen führen zur Aufhebung des Urteils.
I.
2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Die Angeklagte F. war Mutter des am geborenen R. . Sie führte ab Herbst 2009 eine Beziehung mit dem Angeklagten B. . Ab diesem Zeitpunkt lebten die Angeklagten in einem gemeinsamen Hausstand zusammen mit R. , für den der Angeklagte B. im Einvernehmen mit der Angeklagten F. die Vaterrolle übernahm. Bei Ungehorsam von R. sprachen beide die zu treffenden Erziehungsmaßregeln ab. Sie pflegten gegenüber R. einen harschen, auf strengen Gehorsam gerichteten Erziehungsstil. Die Angeklagte F. versetzte ihrem Sohn Ohrfeigen und Klapse auf den Po. Der Angeklagte B. war zumindest teilweise anwesend und billigte diese Züchtigungen.
4Nach der Geburt der gemeinsamen Tochter Ende Dezember 2010 waren die Angeklagten durch die mit dem Baby verbundene Mehrarbeit überfordert. Dies spitzte sich ab dem noch zu, als sich die Mutter der Angeklagten F. im Urlaub befand und ihre Tochter nicht wie üblich, insbesondere bei der Versorgung von R. , unterstützen konnte.
5In der Folge war R. nun auch Opfer massiver Gewalt. So wurde er mindestens dreimal in den drei Wochen vor dem schwer misshandelt. Unter anderem erhielt er Schläge in das Gesicht, so dass er sichtbare Hämatome aufwies. Aber auch am Körper zeigten sich deutliche Hämatome als Folge von Schlägen. Zweimal versetzte man ihm massive Schläge auf den Schädel, so dass die Kopfschwarte verletzt wurde. Welcher der beiden Angeklagten dem Kind welche Verletzung zugefügt hatte, hat das Landgericht nicht feststellen können. Es hat sich jedoch eine Überzeugung dahingehend gebildet, dass beide Angeklagte um die Verletzungen durch den jeweils anderen wussten und sie diese Dritten gegenüber zu verschleiern suchten.
6Am waren beide Angeklagte mit R. in ihrer Wohnung. Zwischen 16.58 Uhr und 17.06 Uhr schlug einer der beiden Angeklagten mit der Faust massiv auf den Kopf des Jungen oder hielt ihn an den Füßen hoch und ließ ihn aus nicht geringer Höhe fallen. Es konnte nicht festgestellt werden, welcher der beiden Angeklagten dem Kind diese Verletzung beigebracht hat. Die Verletzung führte unmittelbar zur Bewusstlosigkeit des Kindes, worauf es innerhalb weniger Minuten zu einem Herzstillstand kam und noch am selben Tag der Hirntod eintrat. Als R. schon leblos auf dem Boden lag, rief die Angeklagte F. den Notarzt. Gegenüber den behandelnden Ärzten gaben beide Angeklagte bewusst unwahr an, Ursache für R. s Zustand seien Stürze und eine Diabetes-Erkrankung.
7Das Landgericht sieht die Tatbestände der Körperverletzung mit Todesfolge und Misshandlung Schutzbefohlener durch beide Angeklagte als Mittäter verwirklicht. Diese rechtliche Bewertung stützt es darauf, dass auch demjenigen der Angeklagten, der die Gewalthandlung am nicht ausführte, die gesteigerten, immer intensiveren Gewaltausübungen gegen R. bekannt waren. Durch den eigenen Erziehungsstil und das Unterlassen von Maßnahmen zum Schutz von R. im Vorfeld des Geschehens am billigten sie diese und bestärkten den jeweils Handelnden in seinem Tun, wodurch Mittäterschaft begründet worden sei. Beide Angeklagte hätten den Eintritt weiterer körperlicher Misshandlungen beabsichtigt; tödliche Verletzungen seien aufgrund der vorangegangenen massiven Misshandlungen vorhersehbar gewesen. Dies hätten sie jeweils durch Information Dritter über die vorangegangenen Gewalttätigkeiten vermeiden können.
II.
8Eine zu Lasten des geschädigten Kindes am begangene todesursächliche Körperverletzung ist auch von der unverändert zugelassenen Anklageschrift vom erfasst. Zwar werden darin keine Verletzungshandlungen am geschildert, sondern solche, die „in den Tagen vor“ diesem Tag in der Wohnung der Angeklagten stattgefunden und am zur Bewusstlosigkeit, einer dadurch ausgelösten Mageninhaltsaspiration, einer Lungenentzündung und schließlich zum Tod des Jungen geführt haben sollen. Die Anklage lässt aber eindeutig erkennen, dass der geschichtliche Lebensvorgang im Sinne des § 264 StPO, einschließlich aller damit zusammenhängenden oder darauf bezogenen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände, die sich im unmittelbaren zeitlichen Vorfeld zum Tod des Jungen in der Wohnung der Angeklagten abgespielt haben und die geeignet sind, das Tun der Angeklagten unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen, der gerichtlichen Kognitionspflicht unterworfen werden sollte (vgl. zum prozessualen Tatbegriff nur , BGHSt 58, 72 mwN; Beschluss vom - 1 StR 256/15, NStZ 2016, 296; Urteil vom - 4 StR 127/17, NStZ-RR 2017, 352).
III.
9Die Verurteilung beider Angeklagter hat keinen Bestand.
101. Soweit die Strafkammer die Verletzungshandlung des handelnden Angeklagten dem jeweils anderen Angeklagten gemäß § 25 Abs. 2 StGB zurechnet, ist dies nicht tragfähig belegt.
11a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Mittäter, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den von seiner Vorstellung umfassten gesamten Umständen in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (, BGHSt 37, 289, 291; Beschlüsse vom - 4 StR 420/05, NStZ 2006, 94 und vom - 3 StR 129/16, StraFo 2016, 392; Urteil vom - 5 StR 255/16, NStZ-RR 2017, 5). Diese Voraussetzungen sind für das Geschehen am bei dem nicht handelnden Angeklagten nicht belegt.
12b) Zwar hat sich die Strafkammer aufgrund revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Erwägungen davon überzeugt, dass der Angeklagte B. bei dem Kind eine Vaterrolle einnahm und dass beide Angeklagte einverständlich einen harschen, unangemessenen und auch von körperlichen Züchtigungen - wie Ohrfeigen und Klapse auf den Po - geprägten Erziehungsstil ihm gegenüber verfolgten.
13c) Keine tragfähige Tatsachengrundlage hat das Urteil allerdings, soweit darin ein zumindest konkludentes Einvernehmen zwischen den Angeklagten im Hinblick auf die Ausübung massiver und roher Gewalt auch gegen den Schädel als Erziehungsmittel gegen R. zugrunde gelegt wird. Nach den Feststellungen veränderte sich erst in den letzten drei Wochen vor dem Tod des Jungen das Ausmaß der gegen ihn verübten Verletzungshandlungen entscheidend. Während zuvor Züchtigungen wie Ohrfeigen und Klapse auf den Po erfolgten, fanden nun hiermit nicht mehr vergleichbare und damit von der früheren Übereinkunft nicht gedeckte, körperliche Misshandlungen durch massiven Gewalteinsatz statt. Belastbare Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass auch diese Methoden vom gemeinsamen Erziehungsstil umfasst waren, sind nicht festgestellt.
14Das Landgericht stützt sich zwar insoweit auf die rechtsfehlerfrei festgestellte Untätigkeit trotz Erkennens der äußerlich sichtbaren Verletzungen im Gesicht sowie der Mitwirkung an deren Verschleierung. Dies ist allerdings nicht geeignet, das für eine mittäterschaftliche Begehung jedenfalls erforderliche enge Verhältnis desjenigen Angeklagten, der in die Tatverwirklichung nicht weiter eingebunden war, mit einem sich vom bisherigen Erziehungsstil deutlich abhebenden Übergriff zu begründen. So kann aus der Verdeckung einer früheren Misshandlung nicht ohne weitere Anhaltspunkte auf einen gemeinsamen Tatplan für einen folgenden Übergriff geschlossen werden. Denn das Untätigbleiben nach dem Erkennen einer solchen Misshandlung bzw. der Verschleierung der hieraus resultierenden Folgen ist auch mit Gleichgültigkeit, Selbstschutz oder einer ähnlichen Haltung zu erklären. Hierdurch kommt für sich genommen nicht zum Ausdruck, dass eine Fortsetzung der Misshandlung durch den anderen als eigene Tat gewollt ist, zu der durch die Untätigkeit bzw. die Verdeckung des bisher Geschehenen ein Tatbeitrag geleistet werden soll. Dies gilt umso mehr, als Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit des Opfers für den Angeklagten B. ausdrücklich festgestellt und das Handeln der Angeklagten F. als von Selbstschutzgedanken beherrscht sowie beide Angeklagte als von der Situation überfordert im Urteil dargestellt werden.
152. Für den Angeklagten, der dem Kind die Verletzungen nicht unmittelbar beibrachte, kann insoweit auf der Grundlage der Feststellungen auch keine Unterlassenstäterschaft angenommen werden.
16Zwar kommt in Fällen, in denen nicht geklärt werden kann, wer von beiden Elternteilen die Misshandlung zum Nachteil des gemeinsamen Kindes vorgenommen hat, in Anwendung des Zweifelssatzes eine Strafbarkeit wegen Unterlassens in Betracht (, NStZ 2004, 94; Beschluss vom - 4 StR 266/15, StV 2016, 431). Dies gilt auch für den nicht leiblichen Elternteil, der eine Stellung als Beschützergarant tatsächlich übernommen hatte. Es kann aber hier keine Handlungspflicht des jeweils das Kind nicht aktiv verletzenden Angeklagten angenommen werden.
17Eine solche Pflicht, zum Schutz von R. tätig zu werden, ergibt sich weder aus dem konkreten Tatgeschehen, noch kann sie auf die jeweilige Kenntnis von früheren Misshandlungen gestützt werden. Denn eine solche Handlungspflicht existierte nur, falls die früheren Misshandlungen durch den jeweils anderen Angeklagten begangen worden wären. In diesem Fall hätte der nicht aktiv handelnde Angeklagte bereits im Vorfeld der neuerlichen Gewalttat geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, um weitere drohende Übergriffe von dem Kind abzuwenden (vgl. aaO; Beschluss vom - 4 StR 444/02, FamRZ 2003, 450; Urteil vom - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 117). Hätte dagegen der jeweilige Angeklagte selbst die früheren Misshandlungen vorgenommen, bestünde für ihn keine Verpflichtung, R. vor dem anderen Angeklagten zu schützen, da nach seinem Kenntnisstand von diesem keine Gefahren für das Kind ausgingen (; Beschluss vom - 4 StR 266/15 aaO; vgl. auch , JR 1999, 294). Von welchem Angeklagten die dem Tatgeschehen vorausgegangenen Übergriffe zum Nachteil von R. verübt worden waren, hat das Landgericht aber gerade nicht feststellen können. Vielmehr ist ausdrücklich ungeklärt geblieben, ob nicht die Verletzungen im Vorfeld von dem Angeklagten verursacht worden sind, der nicht die todesursächliche Tathandlung ausführte.
183. Da die Verurteilung ohnehin aufzuheben war, kam es nicht mehr darauf an, dass auch die Überzeugungsbildung der Strafkammer hinsichtlich des Geschehens am Nachmittag des durchgreifend bedenklich ist. Denn diese basiert letztlich allein auf den Angaben der Angeklagten F. , wonach der Angeklagte B. dem Kind am mit der Faust auf den Kopf geschlagen, es im Würgegriff frei hängend getragen und sodann mit dem Kopf auf den Boden fallen gelassen habe. Nach der eigenen Einschätzung der Strafkammer waren die wechselnden, möglicherweise selbstschützenden Einlassungen der in der Vergangenheit mehrfach massiver Lügen überführten Angeklagten F. allerdings nicht geeignet, Grundlage von Feststellungen zu sein, weswegen auch keine Täterschaft des Angeklagten B. angenommen worden ist. Wieso gleichwohl der von der Angeklagten geschilderte Umstand, dass das Kind am nochmals misshandelt wurde und auf welche Weise dies geschah, zugrunde gelegt worden ist, bleibt unerörtert. Vom rechtsmedizinischen Sachverständigen eingeführte Anknüpfungstatsachen, die eine Überzeugung von einem solchen Geschehensablauf zu stützen geeignet wären, sind nicht nachvollziehbar dargestellt. Danach ist nur tragfähig belegt, dass Stürze als Ursache wegen der Lage der Kopfverletzungen ausgeschlossen werden können, nicht aber, ob diese Verletzungen auf ein Geschehen am zurückzuführen sind.
IV.
19Das neu zuständige Tatgericht wird sich der Feststellung der Todesursache sorgfältiger als bisher zu widmen haben. Gegebenenfalls wird es die Verfassung des Jungen im unmittelbaren Vorfeld des als Folge der Schläge auf den Schädel zu prüfen haben. Denn auch die Vorschrift des § 225 StGB, insbesondere in der Variante des Quälens, kann ein taugliches Grunddelikt für § 227 StGB sein. Sollte es sich erneut - abweichend von der Anklage - davon überzeugen, dass eine todesursächliche Verletzungshandlung am stattfand, wird es die Tatsachengrundlage hierfür eingehender als bisher darzustellen haben. Sollte wiederum nicht zu klären sein, welcher der beiden Angeklagten dem Kind die todesursächliche Verletzung beibrachte und wer für die davor begangenen Verletzungen verantwortlich ist, wird es gegebenenfalls auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Tat des Handelnden in den Blick zu nehmen haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:101017U1STR496.16.0
Fundstelle(n):
FAAAG-85410