Erwerb eines noch nicht fertiggestellten Hauses: Vorkosten oder AK/HK; Disagio als Vorkosten gemäß § 10e Abs. 6 EStG
Gesetze: EStG § 10e Abs. 6
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarben am ein Grundstück mit aufstehendem Einfamilienhaus, das laut Vertrag ”im Bau befindlich” war. Der Kaufpreis einschließlich der Nebenkosten belief sich auf 543 451,12 DM, von dem 178 233 DM (= 32,8 v.H.) auf das Gebäude entfielen. Nach dem Einzug versahen sie das Gebäude mit Außenputz und einer Wärmedämmung und ersetzten die einfach verglasten durch isolierverglaste Fenster.
Die Kosten für den Austausch der Fenster und das erstmalige Anbringen des Außenputzes in Höhe von insgesamt 30 721,84 DM ordneten sie den Anschaffungskosten zu. In der Steuererklärung für das Streitjahr 1994 machten die Kläger einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 19 800 DM sowie einen Abzugsbetrag nach § 7 des Fördergebietsgesetzes (FördG) in Höhe von 4 000 DM geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) antragsgemäß berücksichtigte. Als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG erkannte das FA lediglich die Finanzierungskosten, nicht jedoch die Erhaltungsaufwendungen vor Bezug in Höhe von 35 949,84 DM an. Es handle sich insoweit um anschaffungsnahe Herstellungsaufwendungen, da die insgesamt nach Erwerb des Gebäudes angefallenen Kosten ca. 107 000 DM und somit mehr als 20 v.H. der auf das Gebäude entfallenden Anschaffungskosten betragen hätten.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage führte nicht zum Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen aus:
Das FA habe zu Recht die geltend gemachten Erhaltungsaufwendungen nicht zum Abzug als Vorkosten zugelassen, da es sich um anschaffungsnahe Herstellungskosten handle. Für die Ermittlung, ob die Aufwendungen im Verhältnis zu den Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten hoch seien, sei im Streitfall von dem anteiligen Gebäudekaufpreis (178 233,13 DM) zuzüglich der Aufwendungen für den Außenputz (17 410,59 DM) und die Wärmedämmung (30 657,92 DM) —insgesamt 226 301,65 DM— auszugehen. Die Anbringung der Wärmedämmung und des Außenputzes habe die Herstellung des Gebäudes erst abgeschlossen. Diesen Aufwendungen seien die vor Bezug angefallenen Kosten (34 089 DM), die Aufwendungen für den Austausch der Fenster (14 277,25 DM) sowie die übrigen nach Bezug angefallenen Aufwendungen (9 089,86 DM) gegenüberzustellen. Für die Vergleichsberechnung sei unerheblich, dass ein Teil der Kosten nach § 7 FördG gefördert worden sei.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung von § 10e Abs. 6 EStG. Sie beantragen sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und unter Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids für 1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung 34 089 DM als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Zu Unrecht hat das FG den Abzug der streitigen Aufwendungen als Vorkosten (Erhaltungsaufwendungen) allein wegen ihrer Höhe und zeitlichen Nähe zur Anschaffung des Gebäudes versagt. Auf der Grundlage der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen vermag der Senat nicht zu entscheiden, ob die streitigen Aufwendungen als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG abziehbar sind.
1. Aufwendungen, die vor der erstmaligen Nutzung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken entstehen, sind nur dann nach § 10e Abs. 6 EStG als Vorkosten abziehbar, wenn sie nicht zu den Herstellungs- oder Anschaffungskosten der Wohnung oder zu den Anschaffungskosten des Grund und Bodens gehören. Welche Aufwendungen dies sind, bestimmt sich bei den Gewinn- und Überschusseinkünften nach § 255 des Handelsgesetzbuchs —HGB— (vgl. , BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, zu II. 3. b). § 10e Abs. 6 EStG enthält keine davon abweichende Definition. Vielmehr folgt aus der Bezugnahme zum Begriff der Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, dass die Begriffe Anschaffungskosten und Herstellungskosten in dem im Einkommensteuerrecht gebräuchlichen Sinn zu verstehen sind (Senatsbeschluss vom X B 5/91, BFH/NV 1992, 379).
2. Anschaffungskosten gemäß § 255 Abs. 1 HGB sind die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand —also auch ein Wohngrundstück— zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, ferner die Nebenkosten und nachträglichen Anschaffungskosten. Nach § 255 Abs. 2 HGB sind Herstellungskosten Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Hierzu gelten im Einzelnen die folgenden Grundsätze.
a) Dem Steuerpflichtigen können für den Erwerb eines noch nicht fertiggestellten Gebäudes Anschaffungskosten und für deren Fertigstellung Herstellungskosten entstehen (vgl. Senatsurteil vom X R 97/91, BFH/NV 1995, 506, unter 1. a). Stets Herstellungskosten sind die Aufwendungen, die der erstmaligen Fertigstellung des Gebäudes dienen. Wird wie im Streitfall —so die Feststellung des FG— ein Gebäude, dessen ”Herstellung” noch ”nicht abgeschlossen” ist, vor der erstmaligen Nutzung zu eigenen Wohnzwecken oder zwecks Vermietung fertiggestellt, liegen grundsätzlich Herstellungskosten vor. Denn ”Herstellen” ist das Schaffen eines neuen Wirtschaftsguts. Ein Wirtschaftsgut ist fertiggestellt (§ 9a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung —EStDV—), wenn sein Zustand nach objektiven Merkmalen eine bestimmungsgemäße Verwendung ermöglicht; bei einem Gebäude ist dies der Zeitpunkt nach Abschluss der wesentlichen Bauarbeiten (, BFHE 150, 16, BStBl II 1987, 567; vom IX R 53/96, BFHE 188, 299, BStBl II 1999, 589). Erstmalige Aufwendungen etwa für einen Gasanschluss, für Dachflächen- und Kellerfenster, für ein Treppengeländer, Fußbodenbeläge, für die Heizungsanlage und die Elektroinstallation sind, sofern sie im Zuge einer Fertigstellung des Gebäudes angefallen sind, ihrer Art nach Herstellungskosten.
b) Werden Ausstattungsmerkmale eines noch nicht fertiggestellten Hauses ausgetauscht, ist dies im Regelfall noch Teil des Herstellungsvorgangs.
c) Hat der Steuerpflichtige ein fertiggestelltes Gebäude angeschafft, ist dieses betriebsbereit, wenn es entsprechend seiner Zweckbestimmung genutzt werden kann (vgl. BFH-Urteil in BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, zu II. 2. b; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., § 255 HGB Rdnr. 13). Zu den Anschaffungskosten gehören daher die Aufwendungen, die erforderlich sind, um das erworbene Wirtschaftsgut bestimmungsgemäß nutzen zu können.
d) Den Zweck, zu dem das angeschaffte Wirtschaftsgut genutzt werden soll, bestimmt der Erwerber. Soll das Gebäude zu —im Streitfall eigenen— Wohnzwecken genutzt werden, dann gehört zur Zweckbestimmung auch die Entscheidung, welchem Standard die Wohnungen entsprechen sollen (sehr einfach, mittel oder sehr anspruchsvoll). Baumaßnahmen vor der erstmaligen Nutzung eines Gebäudes, deren Schwerpunkt nicht die Reparatur und Ersetzung des Vorhandenen, sondern die funktionserweiternde Ergänzung wesentlicher Bereiche der Wohnungsausstattung (Heizung, Sanitär, Elektro und Fenster) zum Gegenstand haben, können den Standard eines Gebäudes erhöhen. Voraussetzung ist weiter, dass der Nutzungswert bei mindestens drei der genannten vier Kernbereiche der Wohnungsausstattung deutlich gesteigert worden ist. Ist das der Fall, sind die Kosten der Baumaßnahmen sowie die damit bautechnisch verbundenen Baumaßnahmen Anschaffungskosten i.S. des § 255 Abs. 1 HGB. Reparaturen oder auch das Ersetzen des Vorhandenen durch Gleichwertiges in zeitgemäßer Form steigern den Nutzungswert nicht (vgl. im Einzelnen , BFHE 198, 85, BFH/NV 2002, 966).
e) Aufwendungen für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen an einem fertiggestellten Gebäude, die für sich allein noch als Erhaltungsaufwendungen zu beurteilen wären, können in ihrer Gesamtheit zu einer wesentlichen Verbesserung i.S. des § 255 Abs. 2 HGB führen und deswegen Herstellungskosten sein, wenn dadurch der Gebrauchswert (das Nutzungspotenzial) des Gebäudes gegenüber dem ursprünglichen Zustand, d.h. dem Zustand im Zeitpunkt des Erwerbs, deutlich erhöht wird (, BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632, zu I. 2. c und 3. b, cc). Eine wesentliche Verbesserung ist danach immer dann gegeben, wenn der Gebrauchswert eines Gebäudes von einem sehr einfachen auf einen mittleren oder von einem mittleren auf einen sehr anspruchsvollen Standard gehoben wird (vgl. dazu im Einzelnen BFH in BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, zu II. 3.). Ob Baumaßnahmen an einem Wohngebäude zu einer wesentlichen Verbesserung i.S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB führen, ist mithin im Wesentlichen nach den gleichen Maßstäben zu entscheiden, nach denen auch die Herstellung der Betriebsbereitschaft nach § 255 Abs. 1 HGB zu beurteilen ist (, BFH/NV 2003, 35).
3. Dies vorausgesetzt kann der Senat aufgrund der Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) nicht abschließend entscheiden, welche Aufwendungen als vor Erstbezug entstandene Vorkosten i.S. des § 10e Abs. 6 EStG abziehbar sind.
a) Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das FG die Aufwendungen für das erstmalige Anbringen des Außenputzes und der Wärmedämmung nicht als sofort abziehbare Aufwendungen angesehen und mit der Begründung den Herstellungskosten zugeordnet hat, diese Baumaßnahmen hätten ”die Herstellung des Gebäudes abgeschlossen”.
b) Aufgrund seiner rechtlichen Sicht zu Recht hat das FG keine Feststellungen zu den von den Klägern geltend gemachten Vorkosten (34 089 DM) getroffen.
Die betreffenden Aufwendungen können wie vorstehend dargelegt der —endgültigen— Fertigstellung des Gebäudes gedient haben; dies vor allem dann, wenn mit ihnen für ein Wohngebäude notwendige Bestandteile ein- bzw. hinzugefügt worden sind oder mit den entsprechenden Baumaßnahmen bautechnisch zusammenhingen.
Soweit die vor Bezug des Hauses durchgeführten Baumaßnahmen nicht die endgültige Fertigstellung betrafen, liegen nur dann Vorkosten i.S. von § 10e Abs. 6 EStG vor, wenn durch die vor und nach dem Beginn der Nutzung entstandenen (Gesamt-)Aufwendungen einschließlich der durch § 7 FördG begünstigten Baumaßnahmen der Wohnstandard des Gebäudes nicht gesteigert wurde (oben 2. d).
4. Die Kläger tragen die Feststellungslast hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen für den Abzug von Aufwendungen als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG. Sie haben somit die Kosten nachzuweisen und darzulegen, dass die Baumaßnahmen nicht mit der endgültigen Fertigstellung des Hauses in Zusammenhang standen. Die Feststellungslast hinsichtlich der Tatsachen, die eine wesentliche Verbesserung begründen und damit als Anschaffungskosten zu behandeln sind, trägt das FA (vgl. BFH-Urteil in BFHE 198, 74, BFH/NV 2002, 968, unter II. 4.). Da dieses in der Regel nicht in der Lage ist, den Zustand des Gebäudes im Zeitpunkt des Erwerbs festzustellen, trifft die Kläger insoweit eine erhöhte Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung —AO 1977—).
5. Soweit die weiteren Ermittlungen im zweiten Rechtsgang ergeben, dass —neben den Finanzierungskosten— weitere Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG abziehbar sind, wird das FG auch festzustellen haben, ob die nach § 7 FördG geförderten Baumaßnahmen an einem bereits fertiggestellten Gebäude durchgeführt wurden. § 7 Abs. 1 FördG erfasst schon nach seinem Wortlaut keine Aufwendungen für die der Fertigstellung eines Gebäudes dienenden Baumaßnahmen (Senatsurteil vom X R 50/99, BFHE 196, 524, BStBl II 2002, 14).
6. Falls nach den weiteren Feststellungen des FG Aufwendungen für die Baumaßnahmen als Vorkosten anzuerkennen sind, wird das Gericht ferner darüber zu befinden haben, ob das FA zu Recht die geltend gemachten Finanzierungskosten in voller Höhe zum Abzug wie Sonderausgaben nach § 10e Abs. 6 EStG zugelassen hat. Hierbei wird es insbesondere zu prüfen haben, inwieweit ein von den Klägern gezahltes Damnum auf die Zeit nach Bezug des Gebäudes entfällt, da ein Disagio nur insoweit als Vorkosten berücksichtigt werden kann, als es die Zeit vor Bezug des Gebäudes betrifft. Die im Jahr 1990 geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach ein Damnum in der Bankpraxis lediglich als Rechenfaktor für die Zinsbemessung während des Zinsfestschreibungszeitraums dient und es in der Regel als laufzeitabhängiger Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzinssatz und damit als Vorauszahlung eines Teils der Zinsen anzusehen ist (vgl. z.B. , Der Betrieb —DB— 1990, 1610; vom XI ZR 200/99, DB 2000, 1556), wirkt sich auch aus auf dessen einkommensteuerrechtliche Behandlung (vgl. im Einzelnen , BFHE 190, 185, BStBl II 2000, 259, und vom X R 29/00, BFHE 196, 527, BStBl II 2002, 380).
Allerdings ist nach dem (BStBl I 2000, 484) das Senatsurteil in BFHE 190, 185, BStBl II 2000, 259 aus Gründen des Vertrauensschutzes über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Situation wird verwiesen auf das (BFH/NV 2002, 914).
7. Der Antrag, die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO), ist im Revisionsverfahren unzulässig. Die Entscheidung nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört sachlich zum Kostenfestsetzungsverfahren; zuständig ist daher die Vorinstanz (, BFHE 176, 117, BStBl II 1995, 259).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2003 S. 760
BFH/NV 2003 S. 760 Nr. 6
VAAAA-69655