Ersetzung der verweigerten Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung von "Datenerfassern" - Keine Geltung des Gehaltstarifvertrags vom für die kaufmännischen und technischen Angestellten und Meister des privaten Transport- und Verkehrsgewerbes in Hessen auf der Basis eines "Konzern-Anerkennungstarifvertrags" - Fehlende Tarifgebundenheit
Gesetze: § 99 Abs 1 BetrVG, § 3 Abs 1 TVG, § 2 Abs 1 TVG
Instanzenzug: Az: 9 BV 5/14 Beschlussvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 4 TaBV 148/14 Beschluss
Gründe
1I. Die Beteiligten streiten noch über die Ersetzung der verweigerten Zustimmung des Beteiligten zu 3. (Betriebsrat) zu der Eingruppierung der Mitarbeiterinnen V B, C K, I P, M Kö, P S und des Arbeitnehmers V D in die Gehaltsgruppe K 2 der Anlage 1 zum Gehaltstarifvertrag vom für die kaufmännischen und technischen Angestellten und Meister des privaten Transport- und Verkehrsgewerbes in Hessen (Gehaltstarifvertrag).
2Die Beteiligten zu 1. und zu 2. (Arbeitgeberinnen) sind Gesellschaften des als Ru-Logistikgruppe bezeichneten Konzerns. Sie unterhalten einen gemeinsamen Betrieb in K, in dem die Arbeitnehmer beschäftigt sind.
3Die Arbeitnehmer B, D, K und P stehen in einem Arbeitsverhältnis mit der Beteiligten zu 1., die Arbeitnehmerinnen Kö und S in einem Arbeitsverhältnis mit der Beteiligten zu 2. Ihre Tätigkeit richtet sich vorwiegend auf die Annahme von Lieferungen und die damit verbundenen Erfassungs-, Buchungs- und Kontrollaufgaben. Auch das Anlernen von Auszubildenden gehört zu ihrem Aufgabenkreis.
4Am schloss die Muttergesellschaft der Beteiligten zu 1. und zu 2., die R Logistik Gruppe GmbH & Co. KG, mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) einen Anerkennungstarifvertrag (Anerkennungstarifvertrag Nr. 1), der auszugsweise wie folgt lautet:
5Mit Schreiben vom übermittelte die R Holding GmbH dem Betriebsrat die Anträge der Beteiligten zu 1. auf Zustimmung zur Eingruppierung gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG in die Gehaltsgruppe K 2 nach dem Gehaltstarifvertrag für die bei dieser angestellten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer B, D, K und P und der Beteiligten zu 2. für die bei dieser angestellten Arbeitnehmerinnen S und Kö.
6Mit Schreiben vom , adressiert an die Geschäftsleitung der Beteiligten zu 1. und zugegangen am selben Tag, widersprach der Betriebsrat den beabsichtigten Eingruppierungen mit der Begründung, die vorgesehene Eingruppierung verstoße gegen den gültigen Tarifvertrag, die Beschäftigten seien als WE/WA-Datenerfassungsangestellte mit einer Zweckausbildung in die Gehaltsgruppe K 3 des Gehaltstarifvertrags einzugruppieren.
7Die Arbeitgeberinnen sind der Ansicht, die betreffenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien in die Gehaltsgruppe K 2 gemäß Anlage 1 zum Gehaltstarifvertrag eingruppiert. In der Gehaltsgruppe K 2 Nr. 1 würden Angestellte, die in der Datenerfassung nach Vorlage arbeiteten, ausdrücklich genannt. Die tariflichen Merkmale der Gehaltsgruppe K 3 seien nicht erfüllt, da es an einer entsprechenden Zweckausbildung fehle. Für die Datenerfassung des Warenein- und -ausgangs seien keinerlei Vorkenntnisse erforderlich. Eine Ausbildung sei nicht notwendig, sondern lediglich von Vorteil. Es genüge vielmehr eine kurze Schulung zum Maskenaufbau. Nach der Schulung könne die Tätigkeit nach einer kurzen Anlernphase von maximal fünf Tagen vollständig und selbständig ausgeführt werden. Hauptaufgabe sei die Erfassung der Wareneingänge. Damit seien die Mitarbeiter in der Datenerfassung zu 85 % ihrer Arbeitszeit ausgelastet.
8Die Arbeitgeberinnen haben, soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung, zuletzt beantragt,
9Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Er ist der Ansicht, die Mitarbeiter in der Datenerfassung seien in die Gehaltsgruppe K 3 einzugruppieren. Zur Ausübung der Datenerfassungstätigkeiten bedürfe es einer innerbetrieblichen Zweckausbildung im Sinne dieses Tätigkeitsmerkmals von mindestens drei Monaten. Unzutreffend sei es, dass die Mitarbeiter in der Datenerfassung zu 85 % mit der schematischen Erfassung von Wareneingängen befasst seien, vielmehr gehöre zu ihrem Aufgabenbereich auch die Erfassung der angelieferten Ware über SAP zu Inventurzwecken, die Bearbeitung von Transportaufträgen, die Kommissionierung angelegter Transportaufträge mit SAP, das Anlegen von internen Umlagerungen zur Lageroptimierung, das Anstoßen von Schnellaufträgen, die Prüfung von Nachschub und Volumen des Warenausgangs, das Monitoring offener Einlagerungen, die Bearbeitung von Reklamationen/Anfragen von Kunden und Lieferanten etc. sowie die telefonische und schriftliche Kontaktaufnahme in diesem Zusammenhang. Im Wareneingang/Import gehöre zu den Aufgaben der Datenerfasser das Zusammenstellen bestellter Lieferungen in Container sowie die Koordinierung der Verpackung.
10Die Vorinstanzen haben die Anträge der Arbeitgeberinnen zurückgewiesen. Mit den vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerden verfolgen sie ihr Ziel der Zustimmungsersetzung weiter.
11II. Die Rechtsbeschwerden der Beteiligten zu 1. und zu 2. sind unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat deren Beschwerden gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Ihre Anträge, die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung der genannten Beschäftigten in die Gehaltsgruppe K 2 der Anlage 1 zum Gehaltstarifvertrag zu ersetzen, waren zurückzuweisen, da die beabsichtige betriebsverfassungsrechtliche Eingruppierung in das Gehaltsgruppenverzeichnis der Anlage 1 zum Gehaltstarifvertrag schon deshalb nicht erfolgen kann, weil dieses tarifliche Entgeltschema für den (Gemeinschafts-)Betrieb der beiden Arbeitgeberinnen betriebsverfassungsrechtlich nicht maßgebend ist.
121. Eine Eingruppierung iSv. § 99 Abs. 1 BetrVG ist die erstmalige Einreihung eines Arbeitnehmers in eine im Betrieb geltende Vergütungsordnung. Sie besteht in der Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer bestimmten Gruppe und/oder Stufe der Vergütungsordnung nach Maßgabe der dafür geltenden Kriterien ( - Rn. 15, BAGE 154, 235). Voraussetzung für eine solche Ein- oder Umgruppierung ist, dass es sich bei der anzuwendenden Vergütungsordnung um das maßgebende betriebliche Entgeltschema handelt. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, auf welchem Rechtsgrund die Verbindlichkeit des betrieblichen Entgeltschemas beruht. Es kann seine Stütze in einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung, einer allgemein eingegangenen vertraglichen Verpflichtung oder einseitiger verpflichtender Praxis des Arbeitgebers haben ( - Rn. 16, BAGE 136, 359). Entscheidend ist, dass das Entgeltschema „im Betrieb gilt“ und der Arbeitgeber deshalb betriebsverfassungsrechtlich an dieses gebunden ist (vgl. ausf. - Rn. 22). Eine vom Arbeitgeber beabsichtigte Einreihung in ein für den Betrieb nicht verbindliches Entgeltschema ist hingegen kein mitbestimmungspflichtiger Vorgang nach § 99 Abs. 1 BetrVG.
132. Das von den Arbeitgeberinnen für die beabsichtigten Eingruppierungen zugrunde gelegte tarifliche Gehaltsgruppenverzeichnis ist im Streitfall kein betriebsverfassungsrechtlich verbindliches betriebliches Entgeltschema. Hinsichtlich der herangezogenen tariflichen Entgeltordnung besteht keine Tarifgebundenheit der Arbeitgeberinnen. Ein anderer betriebsverfassungsrechtlicher Geltungsgrund für das tarifliche Entgeltschema ist vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt worden und auch sonst nicht ersichtlich.
14a) Das für einen Betrieb maßgebende Entgeltschema kann durch einen für den Arbeitgeber verbindlichen Tarifvertrag bestimmt werden. Ist der Arbeitgeber zB durch die Mitgliedschaft in einem Arbeitgeberverband an die von diesem abgeschlossenen Tarifverträge gebunden (§ 3 Abs. 1 TVG), ist ein in einem solchen Tarifvertrag enthaltenes Entgeltschema in der Regel auch betriebsverfassungsrechtlich verbindlich. Insoweit reicht bereits die einseitige Tarifgebundenheit des Arbeitgebers aus ( - Rn. 21, BAGE 139, 332; zur notwendigen Eingruppierung nach zwei Entgeltschemen bei doppelter Tarifgebundenheit des Arbeitgebers vgl. - Rn. 32, BAGE 151, 212).
15b) Das von den Arbeitgeberinnen herangezogene tarifliche Gehaltsgruppenverzeichnis des Gehaltstarifvertrags „gilt“ im Betrieb nicht.
16aa) Die Arbeitgeberinnen sind nicht an den Gehaltstarifvertrag, in dem das Entgeltschema enthalten ist, gebunden.
17(1) Eine Mitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband, der Vereinigung des Verkehrsgewerbes in Hessen e.V., besteht nicht.
18(2) Auch über den von den Beteiligten und dem Landesarbeitsgericht herangezogenen Haustarifvertrag, den Tarifvertrag Nr. 1 Anerkennungstarifvertrag, wird eine - mittelbare - Tarifgebundenheit der Beteiligten zu 1. und zu 2. an den (Verbands-)Gehaltstarifvertrag nicht begründet.
19(a) Tarifgebunden sind nach § 3 Abs. 1 TVG die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrags ist.
20(b) Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor.
21(aa) Auf der Arbeitgeberseite wurde der Anerkennungstarifvertrag abgeschlossen von der „Rudolph Logistik Gruppe GmbH & Co. KG, vertreten durch die persönlich haftenden Gesellschafter der Rudolph Management GmbH und der Rudolph Administrations GmbH, diese vertreten durch den Geschäftsführer Dr. Torsten Rudolph und den Generalbevollmächtigten Peter Malkomeß, Harzweg 10, 34225 Baunatal“. Dies ist keine Vereinigung von Arbeitgebern iSv. § 2 Abs. 1 TVG, sondern ein einzelnes Unternehmen. Es handelt sich mithin um einen sog. Haustarifvertrag, der ausschließlich für Arbeitsverhältnisse des tarifschließenden Unternehmens verbindlich ist. Keine der beteiligten Arbeitgeberinnen ist jedoch identisch mit diesem Unternehmen. Keine der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind bei dem tarifschließenden Unternehmen angestellt.
22(bb) Insoweit ist es auch unerheblich, dass die Geltungsbereichsbestimmung des Anerkennungstarifvertrags sich auf „alle Unternehmen, Geschäftsfelder, Betriebe und Betriebsteile der R Logistik Gruppe GmbH & Co. KG in Hessen“ erstreckt. Die Voraussetzung einer eigenständigen Tarifgebundenheit des Arbeitgebers kann nicht durch die - ohnehin zusätzlich erforderliche - Erfassung durch die Geltungsbereichsbestimmung ersetzt werden. Nach der Senatsrechtsprechung begründet der Abschluss eines sog. Konzerntarifvertrags durch die „Konzernmuttergesellschaft“ eine Tarifgebundenheit ausschließlich für diese Gesellschaft selbst, aber - unbeschadet der Erstreckung in einer Geltungsbereichsbestimmung - nicht für die nicht selbst tarifschließende „Konzerntochtergesellschaft“ (vgl. ausf. - Rn. 26 ff., BAGE 124, 240; - 4 AZR 120/09 - Rn. 20 ff.; - 4 AZR 24/10 - Rn. 28). Zwar ist der Tarifvertragsabschluss für eine Tochtergesellschaft möglich, wenn diese dabei durch die Konzernmuttergesellschaft vertreten wird. Für eine Vollmachtserteilung des tarifschließenden Unternehmens durch die Beteiligten zu 1. und zu 2. gibt es vorliegend aber keine Anhaltspunkte. Allein aus der Konzernzugehörigkeit einer Tochtergesellschaft ergibt sich eine solche Vollmacht nicht ( - aaO).
23bb) Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich auch kein anderweitiger Geltungsgrund für das Gehaltsgruppenverzeichnis des Gehaltstarifvertrags als betrieblichem Entgeltschema. Dabei kann dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen eine Vergütungsordnung, die in einem für den Arbeitgeber normativ nicht verbindlichen Tarifvertrag enthalten ist, gleichwohl betriebsverfassungsrechtlich als betriebliches Entgeltschema angesehen werden kann. Vorliegend beruht die Heranziehung des Gehaltstarifvertrags allein auf der - irrigen - Annahme des Landesarbeitsgerichts und der Beteiligten, dieser gelte durch das Inkrafttreten des Tarifvertrags Nr. 1 Anerkennungstarifvertrag am normativ für die Arbeitgeberinnen. Schon in der Antragsbegründung hat sich die Beteiligte zu 1. darauf berufen, der Abschluss der Anerkennungstarifverträge habe „zur Folge, dass auch die entsprechenden Lohn- und Gehaltstarifverträge Anwendung finden, weshalb die Arbeitnehmer zum entsprechend in die Lohn- und Gehaltsgruppen einzugruppieren waren“. Diese Folge ist jedoch mangels Tarifgebundenheit der Arbeitgeberinnen nicht eingetreten. Auch auf einen richterlichen Hinweis des Senats hin haben die Beteiligten zu einer möglichen „Geltung“ des Gehaltsgruppenverzeichnisses des Gehaltstarifvertrags als betrieblichem Entgeltschema nichts vorgebracht.
24III. Da der Antrag der Arbeitgeberinnen bereits aus den vorstehend genannten Gründen zurückzuweisen war, kann dahinstehen, ob - was das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt hat - die Arbeitgeberinnen die gesetzliche Voraussetzung einer Beschäftigung von mehr als 20 Arbeitnehmern erfüllen (vgl. zur Zustimmungspflichtigkeit einer Versetzung in einem gemeinsamen Betrieb - zu B III 2 c der Gründe, BAGE 112, 100; krit. Reichold NZA 2005, 622), ob die Arbeitgeberinnen das Mitbestimmungsverfahren beim Betriebsrat überhaupt ordnungsgemäß eingeleitet haben, da die Anträge von der R Holding GmbH gestellt wurden, und welche konkrete Tätigkeit die im Antrag genannten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jeweils ausüben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:221117.B.4ABR54.15.0
Fundstelle(n):
FAAAG-81859