Keine Bindung des Gerichts an die Antragstellung in der Berufungshauptverhandlung; Berufungsbeschränkung
Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 91 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 116 Abs 2 S 1 WDO 2002, § 121a S 2 WDO 2002, § 318 S 1 StPO, § 318 S 2 StPO
Instanzenzug: Az: 2 WD 2/17 Urteilvorgehend Truppendienstgericht Süd Az: S 4 VL 37/15 Urteil
Tatbestand
1Der frühere Soldat wendet sich mit seiner Anhörungsrüge vom gegen das ihm am zugestellte Urteil des Senats vom . Mit ihm wurde er aus dem Dienstverhältnis entfernt.
2Dem Urteil zugrunde liegt eine maßnahmebeschränkte Berufung, die die Wehrdisziplinaranwaltschaft zuungunsten des früheren Soldaten eingelegt hatte. Sie zielte auf die Aufhebung des truppendienstgerichtlichen Urteils ab, mit dem dieser zum Obergefreiten herabgesetzt worden war. In der Berufungshauptverhandlung vom hatte der Bundeswehrdisziplinaranwalt beantragt, den früheren Soldaten in den untersten Mannschaftsdienstgrad herabzusetzen. Der Senatsvorsitzende hatte in ihr darauf hingewiesen, dass bei einem Verhalten der angeschuldigten Art in schwereren Fällen in Betracht komme, die disziplinarische Höchstmaßnahme zu verhängen.
3Der frühere Soldat rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs. Nachdem der Bundeswehrdisziplinaranwalt in der Berufungshauptverhandlung seinen Antrag gestellt habe, hätte jener vom Gericht gefragt werden müssen, ob dies als weitere Beschränkung des Rechtsmittels zu werten sei. Der frühere Soldat hätte dem auch zugestimmt, wodurch es nicht mehr zum Ausspruch der Höchstmaßnahme gekommen wäre. Ferner hätte darauf hingewiesen werden müssen, dass der Antrag das Gericht nicht daran hindere, eine schwerere Disziplinarmaßnahme zu verhängen.
4Der Bundeswehrdisziplinaranwalt tritt der Anhörungsrüge entgegen.
5Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
Gründe
6Der zulässige, insbesondere gem. § 121a Satz 2 WDO fristgerecht erhobene Rechtsbehelf ist unbegründet. Das Berufungsverfahren ist nicht fortzusetzen, weil das angegriffene Urteil den früheren Soldaten nicht in entscheidungserheblicher Weise in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt; insbesondere stellt es keine Überraschungsentscheidung dar (vgl. 1 WB 33.17 <1 WB 36.16> - juris Rn. 8 m.w.N.).
7Art. 103 Abs. 1 GG verlangt grundsätzlich nicht, dass das Gericht vor seiner Entscheidung auf seine Rechtsauffassungen hinweist; ihm obliegt insoweit auch keine allgemeine Frage und Aufklärungspflicht. Deshalb ist es nicht gehalten, unter dem Blickwinkel der Gewährung rechtlichen Gehörs seine die Entscheidung tragende Rechtsauffassung schon vor der Urteilsberatung im Einzelnen festzulegen und den Beteiligten zur Erörterung bekanntzugeben. Ein rechtlicher Hinweis ist nur dann erforderlich, wenn ein Beteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welchen Vortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Diese Grundsätze gelten für prozessrechtliche Fragestellungen, wie sie vorliegend im Raum stehen, entsprechend. Ein rechtlicher Hinweis ist somit dann nicht geboten, wenn ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass ein rechtlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 33.17 <1 WB 36.16> - juris Rn. 8 m.w.N. und vom - 2 WD 6.17 <2 WD 16.16> - juris Rn. 18 m.w.N.).
8Hiernach greift die Rüge des früheren Soldaten, das Gericht hätte den Bundeswehrdisziplinaranwalt fragen müssen, ob er eine Berufungsbeschränkung vornehme, schon deshalb nicht, weil die Verfahrensordnung diese Form der Berufungsbeschränkung nicht vorsieht.
9Die Berufung kann im Wehrdisziplinarrecht wie in der Strafprozessordnung nur auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 318 Satz 1 StPO). Es muss sich um abtrennbare Punkte handeln, die nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil rechtlich und tatsächlich selbstständig beurteilt werden können (vgl. - BGHSt 29, 359 Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 318 Rn. 6 m.w.N.). Demnach kann die Berufung zwar - wie geschehen - gem. § 116 Abs. 2 Satz 1 WDO auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt werden (vgl. Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017 § 116 Rn. 14), nicht aber weitergehend auf eine Maßnahmeart oder eine bestimmte Disziplinarmaßnahme (vgl. 2 WD 20.73 - S. 6). Ob in einem konkreten Fall die Höchstmaßnahme oder eine mildere Maßnahme disziplinarisch angemessen ist, kann nämlich nicht losgelöst von der Gesamtabwägung aller erschwerenden und mildernden Umstände des Einzelfalls für das einheitliche Dienstvergehen nach § 18 Abs. 2 WDO entschieden werden. Dem Bundeswehrdisziplinaranwalt war dies ausweislich seines Schriftsatzes vom auch bekannt.
10Ebenso wenig greift die Rüge, der Senat hätte nach dem Antrag des Bundeswehrdisziplinaranwalts auf die Möglichkeit der Verhängung einer schwereren Disziplinarmaßnahme hinweisen müssen. Der Senatsvorsitzende hat die Verfahrensbeteiligten ausweislich der vom datierenden Niederschrift über die Berufungshauptverhandlung bereits vor ihren Schlussvorträgen darauf hingewiesen, dass in der vorliegenden Fallkonstellation auch die Höchstmaßnahme in Betracht komme. Dem Urteil fehlt es damit bereits am Überraschungsmoment. Selbst wenn jedoch dem Umstand Beachtung geschenkt wird, dass der Hinweis nicht nach der Antragstellung erfolgte, tritt hinzu, dass dem Bundeswehrdisziplinaranwalt als gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter die fehlende gerichtliche Bindung an seinen Antrag hätte bekannt sein müssen und sie ihm ausweislich der in seinem Schriftsatz vom zitierten Entscheidung des Senats vom - 2 WD 33.12 - juris Rn. 28 (vgl. auch 2 WD 20.73 - S. 6) auch bekannt war.
11Nichts anderes gilt auch für den früheren Soldaten selbst. Er war in der Berufungshauptverhandlung durch zwei Verteidiger vertreten, welche zudem in disziplinargerichtlichen Verfahren sachlich nahestehenden strafgerichtlichen Verfahren durch Fachkenntnisse ausgewiesen sind. Ihnen hätte bekannt sein müssen, dass im Schlussvortrag des Wehrdisziplinaranwalts ebenso wie im Schlussvortrag des Staatsanwalts grundsätzlich nur dessen Einschätzung der Sach- und Rechtslage enthalten ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 258 Rn. 12 ff.). Mit dem Plädoyer und dem abschließenden Antrag ist regelmäßig nur ein Vorschlag verbunden, wie das Gericht nach Auffassung des Wehrdisziplinaranwalts entscheiden sollte. Da die Wehrdisziplinaranwaltschaft bereits im Vorfeld ihre Berufung in rechtswirksamer und zulässiger Weise auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt hatte, gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Bundeswehrdisziplinaranwalt in der Verhandlung überhaupt den Rechtsbindungswillen hatte, eine darüber hinausgehende rechtlich unzulässige Beschränkung der Berufung auf eine konkrete Maßnahme herbeizuführen. Dies hätte - was die Verteidigung wissen konnte - im Übrigen nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 318 Satz 2 StPO einer eindeutigen Erklärung bedurft. Daher konnte sie auch nicht in schützenswerter Weise darauf vertrauen, dass die Verhängung der Höchstmaßnahme - entgegen dem zuvor erteilten Hinweis des Gerichts - nicht mehr im Raum stand.
12Zudem ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des früheren Soldaten durch den unterbliebenen Hinweis auch deshalb nicht dargetan, weil die Verteidigung gar nicht ausführt, was sie ergänzend vorgetragen hätte, wäre der von ihr vermisste Hinweis erteilt worden. Damit ist weder ersichtlich noch dargetan, dass dem früheren Soldaten durch den unterbliebenen weiteren Hinweis entscheidungserheblicher Vortrag abgeschnitten worden wäre.
13Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 WDO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2018:060218B2WD18.17.0
Fundstelle(n):
MAAAG-80730