Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Revisionszulassungsgrund - Geltendmachung bei Mehrfachbegründungen im Urteilsspruch - Verfahrensfehler - Beweiswürdigung
Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 128 Abs 1 S 1 SGG
Instanzenzug: SG Würzburg Az: S 17 KR 460/12 Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 5 KR 170/15 Urteil
Gründe
1I. Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger beantragte eine kieferorthopädische Behandlung (erster Behandlungsplan Dr. W., ). Nach Einholung eines kieferorthopädischen Gutachtens (Dr. H., von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayern auf Veranlassung der Beklagten bestimmt) lehnte die Beklagte den Antrag ab. Während des Klageverfahrens reichte der Kläger einen zweiten, abweichenden Behandlungsplan ein, dem die Beklagte antragsgemäß entsprach. Auf die Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers hat das SG ein Sachverständigengutachten (Prof. Dr. Dr. F., Direktor der Universitätsklinik für Kieferorthopädie, Universität Halle-Wittenberg) eingeholt und auf dessen Grundlage festgestellt, dass die Ablehnung der nach dem ersten Behandlungsplan vorgesehenen kieferorthopädischen Behandlung rechtswidrig war. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Das Gutachten des Sachverständigen und dessen ergänzende Stellungnahme seien überzeugend. Die Beklagte hätte nur den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Begutachtung beauftragen dürfen, nicht aber Dr. H. Dies sei auch bei der richterlichen Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Im Übrigen sei die im Verwaltungsverfahren eingeholte gutachtliche Einschätzung von Dr. H. fehlerhaft und ihr schon allein deshalb nicht zu folgen. Nichts anderes ergebe sich aus dessen ergänzender Stellungnahme in der ersten Instanz (Urteil vom ).
2Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
3II. Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.
5Der Sache nach wendet sich die Beklagte mit dieser Rechtsfrage gegen die auf das Gutachten des Sachverständigen gestützte richterliche Überzeugungsbildung des LSG, dass der Kläger schon gemäß dem ersten Behandlungsplan einen Anspruch auf eine kieferorthopädische Behandlung gehabt habe. Ein Streit über verwaltungsverfahrensrechtliche und prozessuale Fragen (hier: gerichtliche Verwertbarkeit des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. H. und dessen erstinstanzlich erfolgter ergänzender Stellungnahme) kann grundsätzliche Bedeutung haben. Eine hierauf gestützte Grundsatzrüge wird durch die Möglichkeit der Verfahrensrüge nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht ausgeschlossen. Dies darf aber nicht zur Umgehung der nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG eingeschränkten Nachprüfbarkeit von Verfahrensmängeln führen (vgl - Juris RdNr 14). Ein Verfahrensmangel kann nicht auf § 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) gestützt werden. Ein Beschwerdeführer kann diese gesetzliche Beschränkung der Verfahrensrüge - soweit sie reicht - nicht dadurch erfolgreich umgehen, dass er die Rüge in eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung kleidet (allgemein zu der sich aus § 128 Abs 1 S 1 SGG ergebenden Beschränkung Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand August 2017, § 160 Anm 23 mwN; vgl auch - Juris RdNr 5 mwN). Die Beklagte zeigt nicht auf, dass es um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung geht, bei der die gesetzliche Beschränkung der Verfahrensrüge nicht greift. Weder legt sie dar, dass neben einem Beweiswürdigungsmangel aufgrund der Nichtberücksichtigung des Gutachtens von Dr. H. ein sonstiger eigenständiger Verfahrensfehler vorliegt (vgl zu einem Verstoß gegen § 118 Abs 1 SGG iVm § 407a Abs 2 S 1 ZPO, BSG SozR 4-1750 § 407a Nr 1), der Gegenstand einer Grundsatzrüge sein kann, noch trägt sie ausreichend dazu vor, dass sich aus der Nichtberücksichtigung eines im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens auch eine Rechtsfrage von grundsätzlicher verwaltungsverfahrensrechtlicher Bedeutung für die Rechtmäßigkeit des ergangenen Verwaltungsakts - und ggf für den Urteilstenor mit Blick auf § 131 Abs 5 SGG - ergeben kann. Insoweit behauptet sie lediglich, eine allgemeine Ermächtigungsgrundlage für die Einschaltung von Vertragsgutachtern ergebe sich aus § 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X.
6Selbst wenn man der Beschwerdebegründung ein ausreichendes Vorbringen zur grundsätzlichen verwaltungsverfahrensrechtlichen Bedeutung noch entnehmen könnte, geht sie nicht auf die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage ein. Dies wäre umso mehr geboten gewesen, als das LSG seine Entscheidung nicht allein darauf gestützt hat, dass es für seine Überzeugungsbildung nur das Gutachten des Sachverständigen und dessen ergänzende Stellungnahme heranziehen dürfe. Das LSG hat vielmehr im Anschluss an die Begründung, warum es dessen sachverständige Bewertung für überzeugend hält, ausgeführt: "Hingegen hat Dr. H. lediglich auf einer Seite kurz dargestellt, dass beim Kläger seinerzeit kein KIG Grad 3 oder höher vorliege. Er hat weder den Sachverhalt vollständig erfasst noch eine klinische Einstufung entsprechend den geltenden Leitlinien vorgenommen. Diesem Gutachten ist schon allein deshalb nicht zu folgen." Werden aber von einem Gericht in dieser Weise mehrere selbstständige Begründungen gegeben, die den auf der Beweiswürdigung beruhenden Urteilsausspruch schon jeweils für sich genommen tragen, und erschöpft sich eine alternative Begründung der Beweiswürdigung in einem - hier in der Beschwerdebegründung noch nicht einmal behaupteten - Beweiswürdigungsmangel, ohne ansonsten eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuwerfen, steht § 128 Abs 1 S 1 SGG einer Grundsatzrüge entgegen. Insoweit muss der Beschwerdeführer für jede Begründungsalternative aufzeigen, dass die gesetzliche Beschränkung der Verfahrensrüge nicht greift (vgl zu einem entsprechend gelagerten Problem - Juris RdNr 5 mwN). Daran fehlt es hier.
7Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die von der Beklagten aufgeworfene (verwaltungsverfahrensrechtliche) Rechtsfrage in Fällen, in denen sie entscheidungserheblich ist, klärungsbedürftig und von grundsätzlicher Bedeutung ist. Sieht ein LSG ein nach den Regelungen der Bundesmantelverträge eingeholtes Gutachten entscheidungstragend als unverwertbar an, weil nur der MDK gesetzlich ermächtigt sei, ein derartiges Gutachten für die KK zu erstellen, muss es zwingend die Revision zulassen (vgl § 160 Abs 2 Nr 1 SGG; zur Absenkung der Anforderungen an die Beschwerdebegründung bei objektiv willkürlicher Nichtzulassung der Revision vgl - Juris RdNr 4, für SozR 4-1500 § 160a Nr 37 vorgesehen, dort zur Divergenz).
82. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
93. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2018:280218BB1KR6517B0
Fundstelle(n):
JAAAG-79831