BFH Beschluss v. - V B 110/01 BFHE S. 55 Nr. 199

Leitsatz

Es ist ernstlich zweifelhaft,

  • ob sich Vorsteuerrückforderungsansprüche nach § 17 UStG unabhängig von ihrem Begründungs- und Entstehungszeitpunkt gegen den (ehemaligen) Organträger richten, dem der Vorsteuerabzug zustand oder

  • ob nicht entscheidend auf den Zeitpunkt des die Rückforderung auslösenden Ereignisses (hier: die Uneinbringlichkeit der von der ehemaligen Organgesellschaft geschuldeten Entgelte) abzustellen ist.

Gesetze: FGO § 69UStG 1999 § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1

Instanzenzug:

Gründe

I.

In der Hauptsache ist streitig, ob sich der Anspruch des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) aus einer Vorsteuerberichtigung nach § 17 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) gegen den Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) als früheren Organträger richtet.

Der Antragsteller war ursprünglich an der E-GmbH beteiligt, die wiederum an der B-GmbH beteiligt war.

Mit notariellem Vertrag vom verkaufte der Antragsteller seinen Geschäftsanteil an der E-GmbH. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass dadurch deren bis dahin bestehende Eingliederung in das Unternehmen des Antragstellers ebenso wegfiel wie die —mittelbar über die E-GmbH bestehende— Eingliederung der B-GmbH. Diese stellte am beim Amtsgericht einen Antrag auf Durchführung des Insolvenzverfahrens, der zwischenzeitlich mangels Masse abgelehnt wurde.

Wegen einer etwaigen Vorsteuerberichtigung fand beim Antragsteller für die Voranmeldungszeiträume 12/1999 und 2/2000 eine Umsatzsteuersonderprüfung statt. Dabei wurden offene Verbindlichkeiten der B-GmbH in Höhe von 3 902 968,41 DM mit darin enthaltener Vorsteuer in Höhe von 538 340,47 DM festgestellt. Abzüglich der Vorsteuerbeträge für den Zeitraum bis ergab sich ein Korrekturbetrag in Höhe von 469 438,87 DM, den das FA —nach Verrechnung mit einem vorangemeldeten Vorsteuerbetrag von 444,50 DM— mit Bescheid vom über die Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung für Februar 2000 gegenüber dem Antragsteller als Organträger geltend machte.

Der Antragsteller legte gegen den Vorauszahlungsbescheid Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Bescheids.

Nachdem das FA den Antrag auf AdV abgelehnt hatte, beantragte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) die AdV des Bescheides.

Das FG lehnte den bei ihm gestellten AdV-Antrag ebenfalls ab, weil keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestünden. Die vorsteuerbelasteten Leistungen seien umsatzsteuerrechtlich vom Antragsteller als Organträger bezogen worden. Deshalb sei der Antragsteller auch Schuldner des korrespondierenden Anspruchs auf Vorsteuerberichtigung. Dies gelte unabhängig davon, ob die Organschaft erst mit Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder —wie hier— etwa 1 1/2 Monate früher durch Verkauf der Organgesellschaft an einen Dritten beendet worden sei. Der Zeitpunkt der Entstehung des Rückzahlungsanspruchs sei ohne Bedeutung für die Frage, gegen wen er sich richte.

Umstände für die Annahme einer unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotenen Härte seien im Streitfall weder vorgetragen noch sonst erkennbar.

Mit der —vom FG zugelassenen— Beschwerde macht der Antragsteller weiterhin ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides geltend. Steuerschuldner des Rückzahlungsanspruchs sei nach Beendigung der Organschaft wegen des Gesamtrechtsnachfolgegedankens die frühere Organgesellschaft. Denn grundsätzlich gingen potentielle Verpflichtungen, die das Vermögen der ehemaligen Organgesellschaft beträfen, auf diese über. Anders sei dies nur für bereits ”voll entwickelte” Umsatzsteuerschulden bzw. Vorsteuerrückforderungsansprüche, die in der Person des Organträgers entstanden seien.

Der Streitfall weise die Besonderheit auf, dass die Zeitpunkte der Beendigung der Organschaft und die Zahlungsunfähigkeit der B-GmbH auseinander gefallen seien. Der Rückforderungsanspruch sei also noch nicht voll entwickelt gewesen. Denn erst am habe der Hauptschuldner der B-GmbH die Zahlung verweigert, was auch deren Zahlungsunfähigkeit nach sich gezogen habe. Diese Entwicklung sei aber im Dezember 1999 noch nicht absehbar gewesen. Noch am habe dieser Hauptschuldner 800 000 DM an die B-GmbH bezahlt. Auch im Januar 2000 sei noch umfangreich zusammengearbeitet worden; insbesondere sei eine weitere —bereits verspätete— Zahlung in Höhe von 800 000 DM für den zugesagt worden. Die Vorsteuerabzugsberechtigung habe also über die Beendigung der Organschaft hinaus fortbestanden.

Dem Übergang der Schuldnerschaft auf die frühere Organgesellschaft stehe auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht entgegen: Denn sämtlichen einschlägigen Entscheidungen lägen Sachverhaltsgestaltungen zugrunde, die sich in erheblicher Weise vom Vorliegenden unterschieden. Die Beendigung der Organschaft sei dort immer durch die Eröffnung des Konkursverfahrens bewirkt worden.

Der Antragsteller beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die AdV des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids für Februar 2000 anzuordnen.

Das FA tritt der Beschwerde entgegen.

II.

Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur AdV des angefochtenen Verwaltungsakts.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das FG die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes u.a. dann aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärenden Fragen im summarischen Beschlussverfahren nicht abschließend zu entscheiden. Die AdV setzt auch nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (BFH-Beschlüsse vom I S 3/01, BFHE 194, 360, BFH/NV 2001, 957, und vom V B 187/00, BFH/NV 2001, 657, je m.w.N.).

2. Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel hinsichtlich der Frage, ob sich der Anspruch aus der Vorsteuerberichtigung nach § 17 UStG gegen den Antragsteller als früheren Organträger oder gegen die B-GmbH richtet.

Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG hat bei Änderung der Bemessungsgrundlage der Unternehmer, an den der Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür vorgesehenen Vorsteuerabzug entsprechend zu berichtigen. Diese Regelung gilt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt uneinbringlich geworden ist. Es ist gesetzlich nicht geregelt, ob dieser Rückforderungsanspruch im Falle der Beendigung einer Organschaft (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) gegen den (ehemaligen) Organträger oder die (nunmehr selbständige) Organgesellschaft besteht, wenn deren Leistungsbezüge während des Bestehens der Organschaft betroffen sind. Die Rechtslage ist insoweit nicht eindeutig.

Der BFH hat zwar bereits entschieden, dass sich der Vorsteuerrückforderungsanspruch auch dann gegen den Organträger richtet, wenn der Anspruch auf der Uneinbringlichkeit der Entgelte infolge einer Konkurseröffnung bei der Organgesellschaft beruht und damit erst nach Eröffnung des Konkurses entsteht (Urteil vom V R 126/87, BFH/NV 1992, 140, zu II. 4.; Beschlüsse vom V B 230/91, BFH/NV 1994, 277, und vom V B 34/98, BFH/NV 1999, 226). Im Unterschied zu den diesen Entscheidungen und der dem (zur Veröffentlichung in BFH/NV bestimmt) zugrunde liegenden Sachverhaltsgestaltungen ist die Uneinbringlichkeit der betreffenden Forderungen im Streitfall erst nach Beendigung der Organschaft eingetreten, worauf der Antragsteller zutreffend hinweist.

Weitergehend wird vertreten, dass sich Vorsteuerrückforderungsansprüche nach § 17 UStG unabhängig von ihrem Begründungs- und Entstehungszeitpunkt gegen den (ehemaligen) Organträger richten, dem der Vorsteuerabzug zustand (, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1993, 747; Birkenfeld, Umsatzsteuerhandbuch, § 37 Rn. 98; Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rn. 135; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rn. 726.1, § 17 Rn. 40.1, und S 7105-40-StO 355, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 1999, 462, zu 2.4).

Andererseits sollen sich Vorsteuerberichtigungsansprüche nach § 15a UStG für Wirtschaftsgüter der Organgesellschaft, die noch zu Zeiten der Organschaft angeschafft oder hergestellt wurden, auch dann gegen die Organgesellschaft richten, wenn der erstmalige Vorsteuerabzug nach § 15 UStG dem Organträger zugestanden hat (OFD Hannover in UR 1999, 462, zu 2.6); es erscheint aber zweifelhaft, ob eine derartige unterschiedliche Behandlung von Vorsteuerberichtigungsansprüchen nach § 17 UStG und § 15a UStG sachlich gerechtfertigt ist. Erhebliche Bedenken bestünden auch gegen die Ansicht, Vorsteuerberichtigungsansprüche nach § 17 UStG zugunsten des Unternehmers stünden dem Organträger und nicht der Organgesellschaft zu, wenn die vorsteuerbelasteten Leistungen von der Organgesellschaft zwar vor Beendigung der Organschaft bezogen wurden, das die Vorsteuerberichtigung nach § 17 UStG auslösende Ereignis aber erst nach Beendigung der Organschaft eintrat.

Es erscheint deshalb zweifelhaft, ob nicht auch beim Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 UStG entscheidend auf den Zeitpunkt des die Rückforderung auslösenden Ereignisses (hier: die Uneinbringlichkeit der von der B-GmbH geschuldeten Entgelte) abzustellen ist (so auch , EFG 1990, 543, und des , EFG 1996, 1061).

Fundstelle(n):
BB 2002 S. 1736 Nr. 34
BB 2002 S. 2218 Nr. 43
BFH/NV 2002 S. 1267 Nr. 9
BFHE S. 55 Nr. 199
DB 2002 S. 2201 Nr. 42
DStRE 2002 S. 1146 Nr. 18
INF 2002 S. 576 Nr. 18
KÖSDI 2002 S. 13420 Nr. 9
UR 2002 S. 431 Nr. 9
ZAAAA-69217