Betriebliche Altersversorgung - Auslegung von Versorgungsregelungen
Gesetze: § 16 BetrAVG, § 133 BGB, § 157 BGB
Instanzenzug: Az: 3 Ca 247/15 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 7 Sa 7/16 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, nach welchen Rechtsgrundlagen sich die Anpassung des Ruhegeldes des Klägers richtet.
2Der im Oktober 1948 geborene Kläger war seit dem bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, der H AG (im Folgenden H AG alt) als Arbeitnehmer tätig. Bei der H AG alt war die betriebliche Altersversorgung in der Betriebsvereinbarung Soziale Richtlinien (BV 75.14; im Folgenden BV Soziale Richtlinien) geregelt. Diese - für die Versorgung des Klägers maßgebliche - Betriebsvereinbarung bestimmt in der am geltenden Fassung auszugsweise:
3Im Jahr 2000 vereinbarten die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V., deren Mitglied die H AG alt war, einerseits und die IG Metall sowie die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (im Folgenden DAG) andererseits einen neuen Manteltarifvertrag (im Folgenden MTV H) für die H AG alt. In diesem ist unter II/D Nr. 5.3 geregelt:
4Die ursprüngliche Arbeitgeberin des Klägers - die H AG alt - gliederte nach Maßgabe eines Ausgliederungs- und Übernahmevertrages vom einen Teil ihres Vermögens und zwar das von ihr betriebene operative Geschäft mit allen zugehörigen Vermögensgegenständen und Schuldposten als Gesamtheit im Wege der Umwandlung durch Ausgliederung auf die Erste H AG aus. Die Erste H AG wurde mit Beschluss der Hauptversammlung vom in H Aktiengesellschaft (im Folgenden H AG neu) und mit Beschluss der Hauptversammlung vom , ins Handelsregister am eingetragen, in V H Aktiengesellschaft umfirmiert. Die V H Aktiengesellschaft hat nach Maßgabe des Abspaltungs- und Übernahmevertrages vom einen Teil ihres Vermögens (die Unternehmenseinheit „Verteilungsnetzbetreiber“) als Gesamtheit im Wege der Umwandlung durch Abspaltung auf die V GmbH als übernehmenden Rechtsträger übertragen. Die V GmbH wurde mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom in S GmbH umfirmiert. Sie ist die Versorgungsschuldnerin des Klägers und Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits.
5Wegen der bevorstehenden Ausgliederung von Teilen des Vermögens von der H AG alt auf die Erste H AG vereinbarten die Erste H AG und die IG Metall in einem Tarifvertrag vom die kollektivrechtliche Fortgeltung der zum Stichtag des Wirksamwerdens der Ausgliederung gültigen Tarifverträge der H AG alt bei der Erste H AG.
6Die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V. einerseits und die IG Metall andererseits änderten mit einem Tarifvertrag vom mit Wirkung ab dem den MTV H ua. wie folgt:
7Ebenfalls zum trat die Betriebsvereinbarung Nr. 2003.13 über die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses (55er-Regelung) (im Folgenden BV 2003.13) in Kraft, die die vorherige Betriebsvereinbarung Nr. 99.11 über die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses (55er-Regelung) ersetzt hat. Die BV 2003.13 bestimmt auszugsweise:
8Unter dem 14. Januar/ vereinbarten die Arbeitgeberin und der Kläger einen „Aufhebungsvertrag 55er-Regelung“. Dieser bestimmt ua.:
9Am schlossen die im „V-Konzern“ vertretenen Gewerkschaften IG BCE, ver.di und IG Metall eine Vereinbarung, wonach sie „für die Erarbeitung und Verhandlung eines Konzerntarifwerkes sowie dessen Fortentwicklung“ eine Tarifgemeinschaft bildeten. Die bisherigen Zuständigkeiten der Einzelgewerkschaften sollten unverändert weiter fortbestehen.
10Mit Wirkung zum schlossen die H AG neu, die später als V H AG firmierte, und der bei ihr gebildete Betriebsrat die Betriebsvereinbarung Nr. 2005.03 (im Folgenden BV 2005.03). Diese bestimmt:
11Dieser Betriebsvereinbarung stimmten die IG Metall und die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V. am rückwirkend für den Zeitpunkt ihres vorgesehenen Inkrafttretens zu.
12Zum trat der Kläger entsprechend den Regelungen in seinem Aufhebungsvertrag in die Übergangsphase mit Arbeitslosengeld.
13Unter dem Datum des schlossen die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V., der Arbeitgeberverband energie- und versorgungswirtschaftlicher Unternehmen e. V. und der Wirtschaftsverband Kohle e. V. einerseits sowie die IG BCE, ver.di und die IG Metall andererseits ua. für die V H Aktiengesellschaft den Manteltarifvertrag für die Mitgliedsunternehmen der Tarifgemeinschaft V (im Folgenden MTV 2006). Der MTV 2006 enthält ua. folgende Regelung:
14Nach der Beendigung des Vorruhestandes zum trat der Kläger - nach der Vollendung des 60. Lebensjahres - in den Altersruhestand. Seit dem bezieht er eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und ein betriebliches Ruhegeld. Die Beklagte erhöhte das Ruhegeld des Klägers in den Jahren 2009 und 2010 jeweils zum 1. Juli entsprechend der Entwicklung der Gehaltstarife um 4,0 vH bzw. 2,6 vH. Zum steigerte sie das Ruhegeld um 3,16 vH, zum um 2,49 vH und zum um 2,4 vH. Dabei legte die Beklagte die jeweilige prozentuale Tariferhöhung zugrunde und rechnete diese aufgrund der jeweils 13-monatigen Laufzeit des Gehaltstarifvertrages auf einen Zwölf-Monats-Zeitraum um.
15Nach dem „Tarifvertrag über die Tabellenvergütung (TVT)“ vom wurden die Tabellenvergütungen ua. ab dem um 1,8 vH angehoben.
16Das Ruhegeld des Klägers belief sich bis zum auf monatlich 1.739,04 Euro brutto. Zum erhöhte die Beklagte das Ruhegeld um 1,03 vH und zahlte an den Kläger monatlich 1.756,95 Euro brutto. Das Weihnachtsgeld erhöhte die Beklagte von 2.820,71 Euro ebenfalls um 1,03 vH auf 2.849,76 Euro. Die Anpassung um 1,03 vH erfolgte auf der Grundlage der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes seit der letzten Anpassung zum .
17Mit seiner - der Beklagten am zugestellten - Klage hat der Kläger die vollständige Weitergabe der tariflichen Gehaltserhöhung ab dem , die er der Beklagten gegenüber mit Schreiben vom geltend gemacht hat, begehrt. Sein Ruhegeld sei nach Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 1 BV Soziale Richtlinien an die Entwicklung der Gehaltstarife anzupassen. Die BV 2005.03 sei unwirksam und finde auf sein Versorgungsverhältnis keine Anwendung. Er habe deshalb Anspruch auf eine Erhöhung des Ruhegeldes um 1,96 vH zum . Die Tariflohnerhöhung von 1,8 vH sei auf zwölf Monate hochzurechnen. Ab Juli 2014 ergebe sich daher eine monatliche Differenz iHv. 16,17 Euro. Weiter habe er Anspruch auf Zahlung eines um 26,23 Euro erhöhten Weihnachtsgeldes für das Jahr 2014.
18Der Kläger hat beantragt,
19Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger sei vorzeitig ausgeschiedener Mitarbeiter iSv. Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 2 BV Soziale Richtlinien. Er habe deshalb keinen Anspruch auf Anpassung seines Ruhegeldes an die Entwicklung der Gehaltstarife. Zudem sei Absatz 1 dieser Vorschrift durch die BV 2005.03 wirksam abgelöst worden; dafür hätten tragfähige Gründe vorgelegen. Im Übrigen könne der Kläger höchstens eine Anpassung um 1,8 vH verlangen, soweit Ansprüche nicht sowieso verfallen seien.
20Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Klageanträge weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
21Die zulässige Revision des Klägers ist überwiegend begründet. Die zulässige Klage ist - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - im Wesentlichen begründet.
22I. Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den Feststellungsantrag. Dieser ist auf die Feststellung gerichtet, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Anpassung des Ruhegeldes die Steigerung der Gehaltstarife nach Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 der BV Soziale Richtlinien (BV 75.14 in der am geltenden Fassung) - die bis zur Änderung dieser Regelung durch die BV 2005.03 unverändert geblieben ist - zugrunde zu legen. Die Voraussetzungen einer Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO liegen vor. Der Antrag richtet sich auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses, nämlich den Inhalt der der Beklagten obliegenden Verpflichtung, das Ruhegeld des Klägers anzupassen. Von der Entscheidung über diese Frage hängt - zumindest auch - die Entscheidung der Zahlungsklage ab. Eines besonderen Feststellungsinteresses iSv. § 256 Abs. 1 ZPO bedarf es daher nicht ( - Rn. 21 mwN).
23II. Die Feststellungsklage ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, bei der Anpassung des Ruhegeldes des Klägers die Steigerung der Gehaltstarife unmittelbar zugrunde zu legen. Das folgt aus Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 1 BV Soziale Richtlinien in der am geltenden Fassung.
241. Der Kläger unterfällt dieser Regelung. Dies ergibt die Auslegung der BV Soziale Richtlinien (zu den Auslegungsgrundsätzen statt vieler - Rn. 22 mwN).
25a) Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 BV Soziale Richtlinien sieht vor, dass „die Ruhegeldberechnung“ zu bestimmten Zeitpunkten jeweils der Entwicklung der Gehaltstarife angepasst wird. Handelt es sich um Ruhegeldempfänger, die „vorzeitig“ aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind und deren bestehende Anwartschaft in Ruhegeld umgewandelt wurde, ist dieses dagegen entsprechend der gesetzlichen Regelung in § 16 BetrAVG alle drei Jahre zu überprüfen und über eine Anpassung nach billigem Ermessen zu entscheiden. Wie die Systematik der Regelung zeigt, erfasst ihr Absatz 1 damit nur solche Betriebsrentner, die nicht unter Absatz 2 fallen. Entscheidend für die Anwendung von Absatz 2 ist, ob eine bestehende Anwartschaft vorzeitig ausgeschiedener Mitarbeiter in Ruhegeld umgewandelt wird. Dies ist nur bei den Mitarbeitern der Fall, die nicht unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis in den Ruhestand iSd. BV Soziale Richtlinien treten. Dies lässt der Gesamtzusammenhang erkennen.
26Die BV Soziale Richtlinien unterscheidet an mehreren Stellen zwischen Ruhegeldempfängern, die unmittelbar mit Eintritt eines Versorgungsfalles in den Ruhestand treten und (ehemaligen) Arbeitnehmern, die mit einer unverfallbaren Anwartschaft auf Ruhegeld vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, erst später in den Ruhestand treten und dann Ruhegeld beziehen. So bestimmt Abschnitt 2 Nr. 2.2 BV Soziale Richtlinien für die Berechnung der Höhe des Ruhegeldes eines mit unverfallbarer Anwartschaft ausgeschiedenen Arbeitnehmers, dass sich diese entsprechend dem Verhältnis der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit zur möglichen Dauer der Betriebszugehörigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres (gesetzliche Regelung) mindert. Auch Abschnitt 2 Nr. 7 BV Soziale Richtlinien liegt eine solche Unterscheidung zugrunde. Während die Zahlung des Ruhegeldes nach Absatz 1 der Vorschrift grundsätzlich mit dem Eintritt in den Ruhestand beginnt, sieht Absatz 2 der Vorschrift für mit unverfallbarer Anwartschaft ausgeschiedene Mitarbeiter ua. vor, dass diese Ruhegeld nur auf Antrag erhalten und die Gewährung erstmals für den auf Antragseingang folgenden Monat erfolgt. Schließlich regelt Abschnitt 5 BV Soziale Richtlinien Sonderzahlungen für Mitarbeiter, die unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis mit H unter Bezug von Ruhegeld in den Ruhestand treten.
27b) Ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis iSd. Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 2 BV Soziale Richtlinien liegt nicht vor, wenn Mitarbeiter mit dem Eintritt eines in der BV Soziale Richtlinien vorgesehenen Versorgungsfalles unmittelbar in den Ruhestand iSd. BV Soziale Richtlinien treten.
28aa) Sowohl der Wortlaut als auch die Systematik von Abschnitt 2 Nr. 1 BV Soziale Richtlinien sprechen für ein solches Verständnis. Danach können Mitarbeiter, die ununterbrochen mindestens zehn Dienstjahre bei H erfüllt haben, unter Bezug von Ruhegeld in den Ruhestand übertreten, wenn eine der „nachstehenden Bedingungen“ erfüllt ist. Die weiteren Voraussetzungen für einen solchen Übertritt aus dem Arbeitsverhältnis in den Ruhestand haben die Betriebsparteien in den nachfolgenden Regelungen (Abschnitt 2 Nr. 1.1, 1.2, 1.3 und 1.4 BV Soziale Richtlinien) normiert. Abschnitt 2 Nr. 1.1 BV Soziale Richtlinien erfasst dabei die Fälle, in denen jemand wegen Erreichens der dort geregelten Altersgrenzen in den Ruhestand tritt, Abschnitt 2 Nr. 1.2 BV Soziale Richtlinien sieht einen Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen - ua. wegen Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder bei Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente - vor. Abschnitt 2 Nr. 1.2 Buchst. c BV Soziale Richtlinien regelt einen vorläufigen Ruhestand, wenn - bei Vorliegen der weiteren dort genannten Voraussetzungen - Lohnersatzleistungen wegfallen, bevor eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente gewährt wird. Ferner sieht Abschnitt 2 Nr. 1.4 BV Soziale Richtlinien für sog. Schichtgänger die Möglichkeit vor, auf eigenen Wunsch vorzeitig in den Ruhestand überzutreten. Darüber hinaus kann ein Mitarbeiter nach Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien bei Vorliegen besonderer betrieblicher Gründe vorzeitig in den Ruhestand übertreten. Allen diesen Versorgungsfällen ist gemeinsam, dass die Mitarbeiter nach dem der BV Soziale Richtlinien zugrunde liegenden Verständnis aus dem Arbeitsverhältnis unmittelbar in den Ruhestand übertreten. Dies schließt für die hiervon erfassten Arbeitnehmer eine Anwendung der Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 2 BV Soziale Richtlinien aus.
29bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich aus dem Umstand, dass Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien bei Vorliegen besonderer betrieblicher Gründe nur einen „vorzeitigen“ Übertritt in den Ruhestand anordnet nichts Gegenteiliges. Obschon sowohl Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 2 als auch Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien das Wort „vorzeitig“ verwenden, hat es im jeweiligen Zusammenhang eine andere Bedeutung.
30„Vorzeitig“ meint „früher als vorgesehen, früher als erwartet“ (vgl. Duden Deutsches Universalwörterbuch 8. Aufl. Stichwort „vorzeitig“; Duden Das Bedeutungswörterbuch 4. Aufl. Stichwort „vorzeitig“). Die Zeitpunkte, auf die sich dieser Begriff bezieht, sind in Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 2 und in Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien verschieden. Während „vorzeitig“ in Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 2 BV Soziale Richtlinien - wie sich auch aus dem Gleichlauf mit der ähnlich formulierten Regelung in Abschnitt 2 Nr. 2.2 Abs. 2 BV Soziale Richtlinien zeigt - ein „vorzeitiges“ Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vor dem Eintritt eines Versorgungsfalles nach der BV Soziale Richtlinien meint, bezieht sich „vorzeitig“ in Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien auf einen vorzeitigen Übertritt „in“ den Ruhestand. Im letztgenannten Fall soll mit der Formulierung daher lediglich klargestellt werden, dass der Ruhestand früher eintritt, als es unter Berücksichtigung der in Abschnitt 2 Nr. 1.1 BV Soziale Richtlinien geregelten Altersgrenzen möglich wäre.
31cc) Gegen das vorliegende Verständnis spricht auch nicht, dass es sich bei den Leistungen nach der BV Soziale Richtlinien im Fall des Wegfalls von Lohnersatzleistungen nach Abschnitt 2 Nr. 1.2 Buchst. c BV Soziale Richtlinien und bei einem vorzeitigen betrieblichen Ruhestand nach Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien nicht um Leistungen der betrieblichen Altersversorgung iSd. Betriebsrentengesetzes handelt. Betriebliche Altersversorgung liegt nur vor, wenn die versprochenen Leistungen an ein biologisches Risiko anknüpfen. Dies ist bei der Zahlung des nominellen Ruhegeldes (Vorruhestandsgeld) und der Überbrückungszulage nicht der Fall. Die Leistungen knüpfen nicht an ein biologisches Risiko an, sondern dienen der Überbrückung der Arbeitslosigkeit (vgl. - zu A der Gründe; - 3 AZR 315/02 - zu I 3 a der Gründe mwN; - 3 AZR 454/97 - zu B II der Gründe, BAGE 90, 120) bzw. der Absicherung im Fall einer längeren Arbeitsunfähigkeit. Für die Frage, ob die Arbeitnehmer, bei denen ein Versorgungsfall iSd. Abschnitt 2 Nr. 1 BV Soziale Richtlinien gegeben ist und die deshalb in den Ruhestand treten, als vorzeitig ausgeschieden iSv. Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 2 BV Soziale Richtlinien anzusehen sind, ist dies jedoch unerheblich. Ausweislich der Regelung in Abschnitt 2 Nr. 1 BV Soziale Richtlinien gehen die Betriebsparteien vielmehr davon aus, dass auch bei dieser Gruppe von Arbeitnehmern ein Übertritt aus dem Arbeitsverhältnis in den - ggf. nur vorzeitigen oder vorläufigen - Ruhestand vorliegt.
32dd) Entgegen der von der Beklagten - ua. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - vertretenen Auffassung, spricht gegen die vorliegende Auslegung auch nicht, dass in der BV Soziale Richtlinien eine „Gesamtversorgung“ zugesagt wurde.
33(1) Zwar ist nach der Rechtsprechung des Senats bei Zusage einer Gesamtversorgung regelmäßig davon auszugehen, dass eine Betriebsrente erst beansprucht werden kann, wenn gleichzeitig eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen wird (vgl. - Rn. 33, BAGE 150, 262). Der Arbeitgeber will regelmäßig die Betriebsrente erst ab dem Zeitpunkt zahlen, ab dem der Versorgungsberechtigte eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nimmt, die bei der Ermittlung der betrieblichen Versorgungsleistung berücksichtigt bzw. auf die betriebliche Versorgungsleistung angerechnet werden kann (vgl. etwa - Rn. 50, BAGE 141, 259).
34(2) Aus dieser Rechtsprechung kann die Beklagte jedoch nichts zu ihren Gunsten ableiten. Die BV Soziale Richtlinien enthält in Abschnitt 5 Nr. 3 ausdrücklich auch Regelungen für Mitarbeiter, die vor dem Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in den Ruhestand treten. In den Versorgungsfällen, bei denen der Bezug einer anzurechnenden Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht zwingend erfolgt (Abschnitt 2 Nr. 1.1 Buchst. c, Nr. 1.2 Buchst. c, Nr. 1.3 und Nr. 1.4 BV Soziale Richtlinien) wird dem Mitarbeiter zusätzlich zum Ruhegeld eine Überbrückungszulage in Höhe der Differenz zwischen Ruhegeld und der jeweiligen Grenze der Gesamtversorgung gewährt. Damit regelt die BV Soziale Richtlinien zumindest insoweit eine Abweichung von dem Grundsatz, dass betriebliches Ruhegeld bei Zusage einer Gesamtversorgung nur beansprucht werden kann, wenn gleichzeitig eine Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung bezogen wird.
35c) Der Kläger ist mit dem Eintritt eines in der BV Soziale Richtlinien vorgesehenen Versorgungsfalles und damit unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis in den Ruhestand iSd. BV Soziale Richtlinien getreten. Bei Arbeitnehmern, die - wie der Kläger - nach der BV 2003.13 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, ist der Versorgungsfall des vorzeitigen betrieblichen Ruhestandes nach Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien gegeben. Die Regelungen der BV 2003.13 zeigen, dass die Betriebsparteien damit die nach der BV Soziale Richtlinien bestehende Möglichkeit eines vorzeitigen betrieblichen Ruhestandes ausgestalten wollten.
36aa) Die BV 2003.13 regelt - wie in Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien vorgesehen - die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus betrieblichen Gründen. Dies zeigt bereits ihre Präambel. Danach zielt die BV 2003.13 auf eine Anpassung der Personalkapazitäten bei der H AG neu ab, die infolge der durch die Liberalisierung des Energiemarktes entstandenen Wettbewerbssituation erforderlich ist. Aus diesem Grund erhalten betroffene Mitarbeiter im Rahmen der BV 2003.13 ein Angebot zur vorzeitigen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Zudem muss der Arbeitsplatz des Mitarbeiters nach Nr. 2.2 BV 2003.13 ersatzlos entfallen.
37bb) Auch die übrigen Regelungen der BV 2003.13 lassen erkennen, dass die BV 2003.13 den Versorgungsfall „betrieblicher Grund“ iSd. Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien ausgestaltet.
38(1) Nr. 6.1 BV 2003.13 ordnet ausdrücklich die Anwendung ua. des Abschnitts 2 der BV Soziale Richtlinien an, soweit die BV 2003.13 selbst keine abweichenden Festlegungen trifft. Damit knüpfen die Betriebsparteien ausdrücklich an die dortigen Regelungen an. Zudem sieht Nr. 3.3 BV 2003.13 die Beendigung der Übergangsphasen bzw. des Vorruhestandes bei Aufnahme einer selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit vor. Diese führt dazu, dass der spätere Ruhegeldanspruch als unverfallbare Anwartschaft berechnet wird. Auch dies verdeutlicht, dass das Ausscheiden auf der Grundlage der BV 2003.13 gerade nicht zu einem vorzeitigen Ausscheiden iSd. BV Soziale Richtlinien führen soll, sondern dass der Mitarbeiter - entsprechend den Rechtsfolgen bei Eintritt des Versorgungsfalles „betrieblicher Grund“ iSd. Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien - lediglich in den Ruhestand iSd. BV Soziale Richtlinien übertritt. Denn die Anordnung einer Berechnung als unverfallbare Anwartschaft wäre überflüssig, wenn diese bereits infolge eines Ausscheidens auf der Grundlage der BV 2003.13 zu erfolgen hätte.
39(2) Eine Einordnung der BV 2003.13 in die BV Soziale Richtlinien ergibt sich auch aus Nr. 4.1.1 BV 2003.13. Ein unter Geltung der BV 2003.13 aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidender Arbeitnehmer hat danach Anspruch auf eine Abfindung während des Bezuges von Arbeitslosengeld iHv. 31 % des ruhegeldfähigen Gehaltes und nach Nr. 4.1.2 BV 2003.13 ohne den Bezug von Arbeitslosengeld auf ein Vorruhestandsgeld in Höhe des nominellen Ruhegeldes zzgl. einer Überbrückungszulage. Dies entspricht den Ansprüchen, die einem Arbeitnehmer nach der BV Soziale Richtlinien für den Fall zustehen, dass er in den vorzeitigen betrieblichen Ruhestand nach Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien tritt. Unerheblich ist, dass die BV 2003.13 die Steuerfreiheit der Leistungen während des Vorruhestandes nach § 3 Nr. 9 EStG in seiner damals geltenden Fassung anstrebte und ob die Steuerfreiheit tatsächlich eintrat (vgl. dazu - zu 2 der Gründe, BFHE 129, 479; sowie Schmidt/Heinicke EStG 19. Aufl. 2000 § 3 ABC Abfindung wegen Auflösung des Dienstverhältnisses).
40(3) Nr. 4.2.1 und Nr. 4.2.3 BV 2003.13 unterstützen die vorliegende Auslegung ebenfalls.
41Durch die Regelung in Nr. 4.2.1 BV 2003.13 werden die Mitarbeiter, die auf der Grundlage dieser Betriebsvereinbarung ihr Arbeitsverhältnis mit der H AG beendet haben, bezüglich sonstiger Vergünstigungen (zB Werktarif, verbilligtes Tanken) grundsätzlich mit den Ruhegeldempfängern gleichgestellt. Nr. 4.2.3 BV 2003.13 setzt - ohne diesen selbst zu begründen - den im Abschnitt 5 Nr. 2 BV Soziale Richtlinien geregelten Anspruch auf Weihnachtsgeld als bestehend voraus.
42(4) Soweit Nr. 5.1 BV 2003.13 ausdrücklich von einem Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des Monats nach der Vollendung des 60. Lebensjahres spricht, rechtfertigt dies kein anderes Verständnis. Diese Regelung dient lediglich der Abgrenzung zwischen dem Ende des Vorruhestandes und dem „Altersruhestand“.
43(5) Auch der Umstand, dass die BV 2003.13 bestimmte Abweichungen hinsichtlich der nach Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien erforderlichen Voraussetzungen und der Rechtsfolgen dieses Versorgungsfalles - etwa hinsichtlich des Personenkreises und des Verfahrens sowie der Ausgestaltung der Leistungen während des Vorruhestandes im Vergleich zum endgültigen Ruhestand - regelt, führt nicht zu einem gegenteiligen Ergebnis. Insoweit enthält die BV 2003.13 lediglich Sonderregelungen, die nach Nr. 6.1 BV 2003.13 den Regelungen in der BV Soziale Richtlinien zwar vorgehen, deren grundsätzliche Anwendbarkeit jedoch unberührt lassen. Denn nach der Gesamtsystematik beider Betriebsvereinbarungen sind auch die „Vorruheständler“ unmittelbar aus dem Arbeitsverhältnis in den Ruhestand getretene Versorgungsberechtigte.
44Aus diesem Grund ist es auch unerheblich, dass der im Oktober 1948 geborene Kläger bei Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand am sein 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Zwar soll nach Abschnitt 2 Nr. 1.3 BV Soziale Richtlinien der vorzeitige Ruhestand aus besonderen betrieblichen Gründen nicht vor der Vollendung des 60. Lebensjahres beginnen. Dabei handelt es sich aber nur um eine Soll-Vorschrift, von der - wie in Nr. 2.1.1 BV 2003.13 geschehen - abgewichen werden kann.
452. Die Allgemeine Bestimmungen Nr. 7 Abs. 1 BV Soziale Richtlinien ist auch weiterhin in der am geltenden Fassung anzuwenden und verpflichtet die Beklagte daher zur Anpassung des Ruhegeldes entsprechend der Tarifentwicklung. Daran hat die BV 2005.03 nichts geändert.
46a) Die BV 2005.03 ist nicht aus formalen Gründen unwirksam, weil die Zustimmung von ver.di oder des Aufsichtsrates der H AG neu fehlt.
47Es kann dahinstehen, ob und auf welcher Grundlage der MTV H mit dem Zustimmungserfordernis der Tarifvertragsparteien im Versorgungsverhältnis des Klägers zur Anwendung kommt. Selbst wenn die Regelung in II/D Nr. 5.3 Abs. 3 MTV H auch für den Kläger gelten sollte, wäre die BV 2005.03 nicht wegen fehlender Zustimmung von ver.di unwirksam. Denn der Tarifvertrag sieht nur eine Zustimmung der IG Metall vor. Auch die fehlende Zustimmung seitens des Aufsichtsrates der H AG neu ist ohne Belang. Sie entfaltet jedenfalls keine Rechtswirkungen gegenüber den Arbeitnehmern (vgl. zu beiden Punkten ausführlich - Rn. 23 ff.).
48b) Es ist auch unerheblich, dass die BV 2005.03 erst nach der Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages von den Betriebsparteien geschlossen wurde und danach in Kraft getreten ist. Der Aufhebungsvertrag vom 14. Januar/ verweist auf die BV Soziale Richtlinien in ihrer jeweils gültigen Fassung. Diese Verweisungsklausel erfasst auch die BV 2005.03, denn diese Betriebsvereinbarung soll die BV Soziale Richtlinien ändern.
49c) Dem Anspruch des Klägers steht die BV 2005.03 gleichwohl nicht entgegen, denn deren Absatz 3 ist materiell unwirksam (vgl. dazu ausführlich - Rn. 36 ff.). Daran hält der Senat auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten ua. auch in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente fest. Selbst wenn früher bereits die reale Gefahr bestanden und sich auch gelegentlich verwirklicht haben sollte, dass eine Anpassung des Ruhegeldes nicht erfolgte, weil es bei den die Entgelte regelnden firmenbezogenen Verbandstarifverträgen wegen der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers keine Tarifsteigerungen gab, wurde durch die BV 2005.03 ein neues Risiko geschaffen. Denn die Neuregelung ermöglicht erstmals, dass die Entwicklung der Ruhegelder hinter der Entwicklung der Tarifgehälter zurückbleibt (vgl. schon - Rn. 41). Die Änderung des Anpassungsverfahrens durch die BV 2005.03 kann auch nicht mit dem Argument gerechtfertigt werden, es habe der Situation vorgebeugt werden sollen, dass es aufgrund der damals in Aussicht genommenen Umstrukturierung der H AG alt bei ausgelagerten Betrieben an einer Tarifbindung künftig fehlen könnte und damit eine Anpassung nach der BV Soziale Richtlinien nicht mehr gesichert wäre. Dieser Grund hätte allenfalls eine Änderung des Anpassungsverfahrens dahingehend gerechtfertigt, wonach künftig an die Änderung der Entgelte der noch beschäftigten Arbeitnehmer angeknüpft wird, auch wenn diese nicht auf einem Tarifvertrag beruht.
50III. Der Zahlungsantrag ist überwiegend begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger weitere 142,23 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu zahlen.
511. Der Kläger hat ausgehend von einer Tariflohnerhöhung zum um 1,8 vH Anspruch auf eine weitere Erhöhung seines monatlichen Ruhegeldes und seines Weihnachtsgeldes für das Jahr 2014 um 0,77 vH.
52Das monatliche Ruhegeld des Klägers bis einschließlich belief sich auf 1.739,04 Euro brutto. Dieses hat die Beklagte um 1,03 vH erhöht. Der Kläger kann jedoch eine Erhöhung um insgesamt 1,8 vH verlangen, weshalb die Beklagte weitere 13,39 Euro monatlich schuldet (1.739,04 Euro x 0,77 vH).
53Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung weiterer 21,72 Euro brutto Weihnachtsgeld für das Jahr 2014. Ausgehend von einem Weihnachtsgeld im Jahr 2013 iHv. 2.820,71 Euro und einer Zahlung im Jahr 2014 iHv. 2.849,76 Euro ergibt sich bei einem Anspruch iHv. 2.871,48 Euro (2.820,71 Euro x 1,018) die Differenz iHv. 21,72 Euro (2.871,48 Euro - 2.849,76 Euro).
542. Für den Monat Juli 2014 kann der Kläger von der Beklagten jedoch keine weitere Zahlung mehr fordern, denn der Anspruch für den Monat Juli 2014 ist nach Allgemeine Bestimmungen Nr. 9 Abs. 3 BV Soziale Richtlinien verfallen. Das Ruhegeld wird nach Abschnitt 2 Nr. 7 BV Soziale Richtlinien monatlich nachträglich gezahlt und damit zum Ersten des Folgemonats fällig. Das Ruhegeld für den Monat Juli 2014 wurde folglich am fällig. Geltend gemacht hat der Kläger seinen Anspruch erstmals mit Schreiben vom und damit mehr als vier Monate nach dessen Fälligkeit.
553. Die Rückstände für die Monate August 2014 bis April 2015 einschließlich des Weihnachtsgeldes 2014 belaufen sich demnach auf 142,23 Euro brutto (13,39 Euro/Monat x 9 Monate + 21,72 Euro).
564. Der Zinsanspruch ab dem , dem auf die Zustellung der Klage am folgenden Tag, folgt aus § 288 Abs. 1 Satz 2, § 291 BGB.
57IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:121217.U.3AZR370.16.0
Fundstelle(n):
VAAAG-78145