BFH Beschluss v. - I R 45/16

Verhältnis der Klagerücknahme zur Revisionsrücknahme

Leitsatz

1. NV: Werden sowohl die Klage als auch die Revision zurückgenommen, ist nach der Rechtsprechung des BFH regelmäßig anzunehmen, dass in erster Linie die Rücknahme der Klage als Prozesserklärung mit den weiterreichenden Folgen erklärt wurde.

2. NV: Von einem Vorrang der Klagerücknahme ist stets auszugehen, wenn die Revisionsrücknahme lediglich hilfsweise, etwa für den Fall der Unwirksamkeit der Klagerücknahme mangels Zustimmung des Beklagten, erklärt wird.

3. NV: Die Zustimmung des Beklagten zur Klagerücknahme wird fingiert, wenn dieser nicht innerhalb der in § 72 Abs. 1 Satz 3 FGO genannten Zwei-Wochen-Frist der Klagerücknahme widerspricht und er auf diese Folge hingewiesen wurde.

Gesetze: FGO § 72 Abs. 1 Satz 2 und 3; FGO § 125;

Instanzenzug:

Tatbestand

I.

1 Das Sächsische Finanzgericht hat in seinem klageabweisenden Urteil vom 2 K 1860/15 die Revision zugelassen.

2 Der Senat hat in seiner Sitzung vom über die Revision der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beraten. Er hielt die Revision einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten wurden gemäß § 126a Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) angehört.

3 Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom „die Klage zurückgenommen und hilfsweise die Revision“.

4 Der Schriftsatz wurde dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) unter Hinweis auf die Regelung des § 72 Abs. 1 Satz 3 FGO zugestellt. Das FA hat daraufhin erklärt, dass es „der Rücknahme der Revision“ zustimme.

Gründe

II.

5 1. Das Verfahren ist gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO durch Beschluss in der Besetzung von drei Richtern (§ 10 Abs. 3 FGO) einzustellen, nachdem die Klägerin wirksam die Klage zurückgenommen hat. Das Urteil der Vorinstanz ist gegenstandslos.

6 a) Da die Klagerücknahme im Hauptantrag erklärt wurde und sie weiterreichende Folgen hat als eine Revisionsrücknahme (Verlust der Klage gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 FGO und Wegfall des erstinstanzlichen Urteils, vgl. , BFH/NV 1999, 318; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 72 Rz 2), war im Streitfall nicht nach § 125 FGO (Revisionsrücknahme), sondern nach § 72 FGO zu verfahren.

7 b) Die Klagerücknahme war auch wirksam, weil die gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO erforderliche Einwilligung des FA vorlag.

8 Es kann hierbei dahinstehen, ob das FA in seinem Schriftsatz vom tatsächlich „der Rücknahme der Revision“ zugestimmt hat oder ob die Formulierung auf einem Versehen beruht und eine Zustimmung zur Klagerücknahme erklärt werden sollte. Im letztgenannten Fall läge positiv die von § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO vorausgesetzte (z.B. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 72 FGO Rz 21) Einwilligung vor. Im erstgenannten Fall läge eine —wegen § 125 Abs. 1 Satz 2 FGO ohnehin entbehrliche und wegen der im Hauptantrag erklärten Klagerücknahme ins Leere gehende— prozessuale Erklärung zu einer Revisionsrücknahme vor, nicht aber eine Äußerung zu der im Streitfall erklärten Klagerücknahme. Gibt der Beklagte aber zu einer Klagerücknahme innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des Klagerücknahmeschriftsatzes keine Widerspruchserklärung ab, dann gilt die Zustimmung zur Klagerücknahme als erteilt (§ 72 Abs. 1 Satz 3 FGO). Die Zustimmungsfiktion ist im Streitfall eingetreten; auf diese Folge hat der Senat das FA auch hingewiesen (§ 72 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 FGO).

9 2. Über die Kosten war —entgegen § 144 FGO— im Beschluss mitzuentscheiden, weil mit dem erstinstanzlichen Urteil auch die darin getroffene Kostenentscheidung weggefallen ist.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2018:B.100118.IR45.16.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2018 S. 450 Nr. 4
DAAAG-77114