SteuerStud Nr. 5 vom Seite 293

GroKo IV – Wo bleibt der steuerliche Gestaltungswille?

Univ.-Prof. Dr. Roman Seer | Herausgeber | steuerstud-redaktion@nwb.de

Sechs Monate nach der Bundestagswahl hat die Bundesrepublik Deutschland nun wieder nicht nur eine bloß geschäftsführende Bundesregierung. Deren Grundlage soll der am zwischen CDU/CSU und SPD geschlossene Koalitionsvertrag sein. Er verspricht einen „neuen Aufbruch für Europa und eine neue Dynamik für Deutschland“. Welche steuerpolitischen Pläne verbergen sich dahinter? Man sucht nach Antworten auf die den internationalen Steuerwettbewerb anfachende US-Tax Reform und den bevorstehenden BREXIT. Dazu findet sich aber nur der lapidare Hinweis, die Initiative einer gemeinsamen, konsolidierten Bemessungsgrundlage mit Mindestsätzen bei den Unternehmensteuern zu unterstützen. Man sucht vergeblich nach einem Wort zum deutschen AStG, das immer noch an einer „Niedrigsteuer-Schwelle“ von 25 % festhält, einer Größe, die heute im internationalen unternehmensteuerlichen Vergleich eine durchschnittliche Belastung abbildet. Man findet kein Wort über die Zukunft der Gewerbesteuer, die nach wie vor einer Strukturreform der Unternehmensbesteuerung im Wege steht und im internationalen Vergleich „einzigartig“ ist. Stattdessen betet der Koalitionsvertrag das Mantra vom „Kampf gegen Steuerbetrug und Steuervermeidung“ und stellt erneut die deutsche Finanzkapitalmärkte schwächende Totgeburt einer Finanztransaktionssteuer in Aussicht. Eine solche Steuer wird aber nur ein europäischer Beitrag zum Erfolg des BREXIT durch Erhalt des attraktiven Finanzkapitalmarktplatzes London sein.

Im Bereich der Einkommensteuer steht nicht etwa die Stärkung des Mittelstands als Rückgrat unserer Wirtschaft im Vordergrund. Aus haushaltspolitischen Gründen findet sich die GroKo offenbar mit der Hochsteuer-Flatrate von 42 % und einer im Korridor 9.000 €–55.000 € (Ledige)/18.000 €–110.000 € (zusammenveranlagte Lebenspartner) steil-progressiv verlaufenden Eingangszone leicht ab. Den Solidaritätszuschlag will man nicht für alle, sondern nur für 90 % der Soli-Zahler und das erst ab 2021, d. h. nach 30 Jahren (!), abschaffen. Dass die Rechtfertigung dieser Ergänzungsabgabe entfallen ist, ist Allgemeingut und gilt nicht nur für 90 %, sondern für alle Steuerzahler. Die verbleibenden 10 % der Steuerzahler, die sowieso schon mehr als 50 % der gesamten Einkommensteuer stemmen, möchte man nun zusätzlich mit der Abschaffung der Abgeltungsteuer „beglücken“. Dies ist zwar aus steuersystematischer Sicht sinnvoll. Bei einer Wiedereinbeziehung in die synthetische Einkommensteuer muss dann aber das objektive Nettoprinzip wieder gelten. Das bedeutet, dass dann auch Vermögensverwaltungsgebühren u. a. in vollem Umfang als Werbungskosten wieder abzugsfähig sein müssen. Auch ist der Verlustausgleich (zumindest innerhalb der Einkunftsart „Kapitalvermögen“) in vollem Umfang wiederherzustellen. Eine Bruttobesteuerung zum individuellen Grenzsteuersatz wäre verfassungswidrig und intolerabel.

Vor vier Jahren habe ich mich zu Beginn der GroKo III mit den unternehmensteuerlichen Plänen der damaligen Bundesregierung befasst (Seer, GmbHR 2014 S. 505–512). Die Einschätzung war ernüchternd: „Eine materielle Steuerreform ist augenscheinlich nicht gewollt.“ Dies gilt leider auch 2018. Stattdessen will man durch Einführung einer Rechtsunsicherheit schaffenden Anzeigepflicht für Steuergestaltungen den „Kampf gegen Missbrauch“ fortsetzen. Dieser Schwerpunkt überzeugt aber nicht. Unser volkswirtschaftlicher Wohlstand steht angesichts der Gefahr eines globalen Handelskriegs auf dem Spiel. Die angemessene Reaktion auf Trump u. a. sind auch nicht EU-Strafzölle, sondern – ganz im Gegenteil – Initiativen zur einseitigen Abschaffung von EU-Importzöllen, um ein Signal zugunsten des Freihandels (der zudem die wirksamste Form der Entwicklungshilfe ist) zu setzen. Zusammen mit einer echten Unternehmensteuerreform wäre das in der Tat eine kraftvolle „neue Dynamik für unser Land“!

Herzliche Grüße
Ihr

Roman Seer

Fundstelle(n):
SteuerStud 5/2018 Seite 293
FAAAG-73331