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BGH Beschluss v. - AnwZ (Brfg) 41/17

Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft: Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des Vermögensverfalls im Falle eines Insolvenzverfahrens; Verneinung der Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden; Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines erheblichen Grundes für eine Terminsverlegung durch ärztliches Attest kurz vor dem anberaumten Termin

Gesetze: § 35 Abs 2 S 1 InsO, § 287a InsO, § 290 InsO, § 295 InsO, § 297 InsO, § 298 InsO, § 14 Abs 2 Nr 7 Halbs 2 BRAO, § 112c Abs 1 S 1 BRAO, § 173 VwGO, § 227 Abs 1 S 1 ZPO, § 227 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Rheinland-Pfalz Az: 1 AGH 18/16

Gründe

I.

1Die Klägerin ist seit dem zur Rechtsanwaltschaft zugelassen.

2Auf den Eigenantrag der Klägerin eröffnete das Amtsgericht - Insolvenzgericht - M.   mit Beschluss vom das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin. Mit an das Insolvenzgericht gerichtetem Schreiben vom zeigte der Insolvenzverwalter an, dass er mit dem Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die selbständige Tätigkeit der Klägerin gemäß § 35 Abs. 2 InsO freigegeben habe.

3Mit Bescheid vom widerrief die Beklagte die Zulassung der Klägerin zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Hiergegen hat die Klägerin vor dem Anwaltsgerichtshof Klage erhoben. Mit am , 10:36 Uhr, beim Anwaltsgerichtshof eingegangenem Telefax hat sie unter Beifügung eines ärztlichen Attests die Aufhebung des für denselben Tag um 11:00 Uhr anberaumten Verhandlungstermins wegen Erkrankung beantragt. Der Anwaltsgerichtshof hat in Abwesenheit der Klägerin verhandelt und die gegen den Widerrufsbescheid der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Die Klägerin beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.

II.

4Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben (vgl. § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

51. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (st. Rspr.; vgl. etwa AnwZ (Brfg) 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 5 mwN). Daran fehlt es.

6a) Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist nach der Rechtsprechung des Senats allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen; die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen ist einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 53/16, NJW 2017, 1181 Rn. 4; vom - AnwZ (Brfg) 16/15, juris Rn. 7 und vom - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.; jeweils mwN).

7b) Die Klägerin hat sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids vom in Vermögensverfall befunden. Über ihr Vermögen ist durch Beschluss des Amtsgerichts M.   vom das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Dies hat zur Folge, dass der Eintritt des Vermögensverfalls gesetzlich vermutet wird (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 2 BRAO).

8aa) Nach der Senatsrechtsprechung ist die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls im Fall eines Insolvenzverfahrens erst dann widerlegt beziehungsweise können die Vermögensverhältnisse wieder als geordnet angesehen werden, wenn dem Schuldner entweder - nach der bis zum geltenden Rechtslage - am Ende des Insolvenzverfahrens durch Beschluss des Insolvenzgerichts die Restschuldbefreiung angekündigt wurde (§ 291 InsO a.F.) oder ein vom Insolvenzgericht bestätigter Insolvenzplan (§ 248 InsO) oder angenommener Schuldenbereinigungsplan (§ 308 InsO) vorliegt, bei dessen Erfüllung der Schuldner von seinen übrigen Forderungen gegenüber den Gläubigern befreit wird (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom , aaO Rn. 6; vom , aaO Rn. 9 und vom - AnwZ (B) 40/04, juris Rn. 10 ff.; jeweils mwN). Dagegen ist mit dem - auch vorliegend erfolgten - Beschluss gemäß § 287a InsO n.F., mit dem das Insolvenzgericht bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss feststellt, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt, wenn er den Obliegenheiten nach § 295 InsO nachkommt und die Voraussetzungen für eine Versagung nach den §§ 290, 297 bis 298 InsO nicht vorliegen, die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls nicht widerlegt (Senat, Beschluss vom , aaO, Rn. 9 ff.).

9Die vorgenannten Voraussetzungen für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des Vermögensverfalls sind vorliegend nicht gegeben. Ob darüber hinaus - wie der Senat bisher offen gelassen hat (Beschluss vom , aaO Rn. 12) - allein bei Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 InsO) wieder von hinreichend geordneten Vermögensverhältnissen des Rechtsanwalts ausgegangen werden kann, bedarf auch hier keiner Entscheidung. Denn das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin dauert an.

10bb) Soweit die Klägerin meint, ein Vermögensverfall liege deshalb nicht vor, weil der Insolvenzverwalter ihre selbständige Tätigkeit freigegeben habe (§ 35 Abs. 2 Satz 1 InsO), kann dem nicht gefolgt werden. Die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls wird durch die infolge der Freigabe erlangte Befugnis der Klägerin, über den Kanzleibetrieb und die daraus resultierenden Einkünfte zu verfügen, nicht widerlegt.

11c) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Wertung ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Im vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden kann sie nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt die Feststellungslast trifft (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 47/14, juris Rn. 5; vom - AnwZ (Brfg) 30/14, juris Rn. 7 und vom - AnwZ (Brfg) 55/11, juris Rn. 9). Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt zumindest voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern (vgl. Senat, Beschlüsse vom , aaO; vom , aaO und vom - AnwZ (Brfg) 26/12, NJW-RR 2013, 175 Rn. 5; jeweils mwN). Eine solche Ausnahmesituation ist hier nicht gegeben.

12Soweit die Klägerin auf die Rechtsprechung des Senats hinweist, nach der ein Ausschluss der Gefährdung der Rechtsuchenden anzunehmen ist, wenn der in Vermögensverfall geratene Rechtsanwalt seinen Beruf beanstandungsfrei ausgeübt und den Insolvenzantrag selbst gestellt hat und im Insolvenzverfahren keine Forderungsanmeldungen von Gläubigern vorlagen, die aus Mandaten des Rechtsanwalts stammen (Senat, Urteil vom - AnwZ (Brfg) 38/15, juris Rn. 13 mwN), liegen diese Voraussetzungen im Fall der Klägerin nicht vor. Sie hat nicht dargelegt, dass im Insolvenzverfahren keine Forderungsanmeldungen von Mandanten vorliegen. Vielmehr ergibt sich aus der von ihr mit Schriftsatz vom vorgelegten Tabelle, dass von einer Gläubigerin eine "Forderung aus Rückzahlung von Anzahlungen auf anwaltliche Tätigkeit" zur Insolvenztabelle angemeldet wurde. Zudem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ihren Beruf bisher beanstandungsfrei ausgeübt hat. Nach den von ihr nicht angegriffenen Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs sind gegen sie seit dem Jahr 2006 43 berufsrechtliche Verfahren eingeleitet worden.

13Die Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden wird auch durch die Freigabe der selbständigen Tätigkeit durch den Insolvenzverwalter weder ausgeschlossen noch vermindert (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 29/15, juris Rn. 6; vom - AnwZ (Brfg) 11/15, juris Rn. 8 und vom , aaO Rn. 7; jeweils mwN).

142. Der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).

15Die Klägerin beanstandet eine Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), weil ihr Antrag vom auf Verlegung des Verhandlungstermins durch den Anwaltsgerichtshof abgelehnt und in ihrer Abwesenheit verhandelt worden sei, obwohl sie ein ärztliches Attest vorgelegt habe, in dem ihr Reise- und Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt worden sei. Damit kann sie nicht durchdringen.

16Mit dem Telefax, das nur 24 Minuten vor dem auf den , 11:00 Uhr, anberaumten Verhandlungstermin beim Anwaltsgerichtshof einging, und dem zugleich übermittelten ärztlichen Attest hat die Klägerin keine erheblichen Gründe für eine Terminsverlegung im Sinne von § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 173 VwGO, § 227 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht. Wird ein Terminsänderungsantrag erst kurz vor dem anberaumten Termin gestellt und mit einer plötzlichen Erkrankung begründet, muss der Beteiligte die Gründe für die Verhinderung so angeben und untermauern, dass das Gericht die Frage der Verhandlungsfähigkeit selbst zu beurteilen vermag (Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 43/14, juris Rn. 5; vom - AnwZ (Brfg) 15/11, juris Rn. 12 und vom - AnwZ (B) 14/08, juris Rn. 12; jeweils mwN). Wegen der durch einen Vermögensverfall indizierten Gefährdung der Interessen der rechtsuchenden Mandanten sind dabei an den Verhinderungsgrund und dessen Glaubhaftmachung strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Senat, Beschlüsse vom , aaO; vom - AnwZ (Brfg) 8/13, juris Rn. 3; vom , aaO und vom - AnwZ (B) 14/08, aaO). Diese müssen gerade auch im vorliegenden Fall gelten, bei dem die Rechtslage zum Widerruf (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) eindeutig ist. Ein ärztliches Attest, das keine Diagnose enthält, genügt nicht, weil es eine Überprüfung der (fehlenden) Verhandlungsfähigkeit nicht ermöglicht (Senat, Beschluss vom , aaO). Die notwendigen Angaben fehlen im Streitfall völlig. Denn außer einer mangelnden Arbeits- und Verhandlungsunfähigkeit aufgrund einer akuten Erkrankung ist dem ärztlichen Attest nichts zu entnehmen. Es lässt weder die Art und Schwere der Erkrankung noch das Maß etwaiger Beeinträchtigungen der Reise- und Verhandlungsfähigkeit erkennen.

17Die Klägerin musste auch davon ausgehen, dass die mündliche Verhandlung am vorgesehenen Tag stattfinden würde. Ihr war bereits in der Ladungsverfügung mitgeteilt worden, dass bei ihrem Nichterscheinen ohne sie verhandelt werden würde. Zudem hätte für sie wegen der beantragten kurzfristigen Verlegung Anlass bestanden, das bereits am ausgestellte ärztliche Attest früher zu übermitteln, sodann am Morgen des von sich aus telefonischen Kontakt mit dem Gericht aufzunehmen und sich durch eine Rückfrage über die Entscheidung über ihren Antrag zu informieren (vgl. Senat, Beschlüsse vom , aaO Rn. 6 und vom , aaO Rn. 13). Auch dies hat sie nicht getan.

III.

18Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:201117BANWZ.BRFG.41.17.0

Fundstelle(n):
DStR 2018 S. 12 Nr. 2
YAAAG-73287