BFH Urteil v. - VIII R 96/01

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die im März 1978 geborene Tochter der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Streitjahr 1999 Studentin. Die Klägerin, die fortlaufend Kindergeld für ihre Tochter erhielt, hatte im November 1998 voraussichtliche monatliche Einnahmen der Tochter von etwa 490 DM erklärt. Mit der im Januar 2000 bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Beklagter) eingegangenen Erklärung über die Einkünfte und Bezüge der Tochter im Jahre 1999 erklärte die Klägerin Bezüge der Tochter aus einer Unfallversicherung in Höhe von 3 644 DM. Nach dem beigefügten Bescheid der Unfallkasse hatte die Tochter im September 1999 die Nachzahlung einer Unfallrente in Höhe von 18 155,03 DM mit Rückwirkung ab erhalten.

Der Beklagte hob daraufhin die Kindergeldfestsetzung für 1999 unter Hinweis auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) auf und forderte das gezahlte Kindergeld zurück. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts (§§ 11, 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes —EStG—).

Sie beantragt, das Urteil des Finanzgerichts (FG) aufzuheben und der Klage stattzugeben.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist nicht begründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Der Beklagte war berechtigt, das 1999 an die Klägerin gezahlte Kindergeld zurückzufordern (§ 37 Abs. 2, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 175 Abs. 2 AO 1977; § 31 Satz 3, § 32 Abs. 4 Sätze 2, 6 und 7, § 70 Abs. 2, § 71 EStG).

1. Der Rückforderung stand die Bestandskraft der Kindergeldfestsetzung für das Jahr 1999 nicht entgegen. Stellt sich nach Ablauf eines Kalenderjahres heraus, dass die Einkünfte und Bezüge eines Kindes den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschreiten, so ist die Familienkasse berechtigt, die Festsetzung des Kindergeldes rückwirkend mit Wirkung zum Beginn dieses Kalenderjahres aufzuheben. Dabei kann offen bleiben, ob die Änderung in diesen Fällen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 allein oder i.V.m. § 175 Abs. 2 AO 1977 oder auf § 70 Abs. 2 EStG zu stützen ist (, BFHE 196, 270, BStBl II 2002, 86).

2. Der Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung auch zu Recht aufgehoben. Der Klägerin stand für die Monate Januar bis Dezember 1999 kein Kindergeldanspruch zu.

a) Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 52 Abs. 22a Satz 2 Buchst. b EStG 1997 ist ein über 18 Jahre altes Kind unter 27 Jahren, das für den Beruf ausgebildet wird, nur zu berücksichtigen, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 13 020 DM im Streitjahr 1999 hatte. Zu den ”Einkünften und Bezügen” in diesem Sinne gehören u.a. auch Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung abzüglich der Unkostenpauschale in Höhe von 360 DM (, BFHE 189, 457, BStBl II 2000, 79, unter II. 4. c der Gründe, und vom VI R 52/98, BFHE 193, 453, BStBl II 2001, 489).

b) Im Streitjahr überstieg die Rentennachzahlung den Jahresgrenzbetrag. Der Rentenbetrag ist nicht auf den Zeitraum zu verteilen, für den er gezahlt wurde.

Aus der Gesetzesbegründung zu § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ergibt sich, dass insoweit das Zuflussprinzip gelten soll (BTDrucks 13/3084 zu Art. 1 Nr. 7 Buchst. b aa; vgl. auch , BFHE 191, 55, BStBl II 2000, 459). Die Rechtslage ist —wie der BFH in diesem Urteil ausgeführt hat— eine andere als bei Einkünften und Bezügen, die während eines Jahres zufließen und für die nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG zu bestimmen ist, auf welchen Monat sie ”entfallen”. Die für die Aufteilung der Einkünfte und Bezüge im Zuflussjahr geltende zeitanteilige wirtschaftliche Zurechnung zu den Monaten, für die sie gezahlt werden, beruht zum einen auf dem bewusst unterschiedlich gefassten Wortlaut beider Bestimmungen. Sie beruht zum anderen auf einer systematischen Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der bis zum geltenden Fassung; denn es sind die dort genannten ”Einkünfte und Bezüge”, die den einzelnen Kalendermonaten wirtschaftlich zuzurechnen sind und deren Begriffsinhalt und Rechtsfolgen sich nach dem System des EStG bestimmen. Der Begriff der ”Einkünfte” im Sinne dieser Vorschrift entspricht der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG (, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566), nach der sich die Einkünfte —soweit sie nicht zu den Gewinneinkünften gehören— nach dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten bestimmen, der nach dem Zuflussprinzip zu ermitteln ist (§ 11 Abs. 1 EStG). Entsprechend ist der Begriff der ”Bezüge” in dem Sinne zu verstehen, in dem er auch sonst im Einkommensteuerrecht verwendet wird (, BFHE 192, 485, BStBl II 2000, 684; zum Begriff der Bezüge vgl. ergänzend § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG 2002), und sind die Bezüge auch im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG im Zeitpunkt ihres Zuflusses zu erfassen (vgl. u.a. , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2000, 876; , Deutsches Steuerrecht-Entscheidungsdienst —DStRE— 2001, 642; FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 4 K 20242/99, EFG 2001, 1305; Jachmann in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 32 Rdnrn. C 42, 51, 60, m.w.N.; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl., § 32 Rz. 28). Das bedeutet unter Berücksichtigung des für das Einkommensteuerrecht geltenden Jahresprinzips (§ 2 Abs. 7 EStG), dass bei der Feststellung, ob der Jahresgrenzbetrag überschritten ist, alle Einkünfte und Bezüge des Kindes anzusetzen sind, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeignet und bestimmt sind und die diesem im Laufe eines Jahres zufließen. Zuflüsse und Abflüsse in anderen Jahren bleiben außer Betracht (vgl. auch , BStBl II 2002, 205).

Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch dem mit § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfolgten Zweck. Mit dieser Regelung soll die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (regelmäßig der Eltern) berücksichtigt werden, indem sie solche Steuerpflichtige von der Gewährung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes ausnimmt, deren Kind über Einkünfte und Bezüge in einer den Grenzbetrag übersteigenden Höhe verfügt (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 192, 316, BStBl II 2002, 566, unter II. 2 b der Gründe, und in BFHE 192, 485, BStBl II 2000, 684). Derartige Einkünfte und Bezüge führen zu einer Minderung oder einem Wegfall der Bedürftigkeit des Kindes i.S. des § 1602 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), so dass der Unterhaltspflichtige eine Herabsetzung des Unterhalts verlangen kann (BFH-Urteil in BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566, unter II. 2. c der Gründe, m.w.N.). Diesem Anspruch kann das Kind nicht entgegenhalten, die Zahlungen entfielen anteilig auf Zeiträume, in denen es noch bedürftig gewesen sei.

Der Senat hat bei dieser Beurteilung auch berücksichtigt, dass es sich bei § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG um eine typisierende Regelung handelt, die der Vereinfachung der Rechtsanwendung dienen und im vertretbaren Umfang Verwaltungsmehraufwand vermeiden soll.

3. Da die Kindergeldfestsetzung für 1999 zu Recht aufgehoben worden ist, konnte die Familienkasse das für dieses Jahr gezahlte Kindergeld nach § 37 Abs. 2 AO 1977 zurückfordern.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1027 Nr. 8
EAAAA-68910