Suchen
BGH Beschluss v. - XII ZB 287/17

Verfahrenskostenhilfe: Erneuter Antrag nach Aufhebung der Bewilligung wegen unrichtiger Angaben; erneute Bewilligung mit Wirkung ab der erneuten Antragstellung

Leitsatz

1. Der Sanktionscharakter einer wegen unrichtiger Angaben erfolgten Aufhebung der Bewilligung von Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe hindert nicht deren anschließende erneute Beantragung mit zutreffenden Angaben (Fortführung von Senatsbeschluss vom , XII ZB 208/15, FamRZ 2015, 1874).

2. Die erneute Bewilligung kann in diesem Fall nur mit Wirkung ab der erneuten Antragstellung erfolgen.

Gesetze: § 118 Abs 2 S 4 ZPO, § 124 Abs 1 Nr 2 ZPO, § 76 Abs 1 FamFG

Instanzenzug: Az: 4 WF 465/17vorgehend AG Augsburg Az: 412 F 2617/15

Gründe

I.

1Das Familiengericht bewilligte der Antragsgegnerin mit Beschluss vom Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des gegen sie anhängig gemachten Scheidungsverfahrens. Mit Beschluss vom hob es die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe auf, weil die Antragsgegnerin absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht, insbesondere ihren Grundbesitz in Ungarn nicht angegeben habe. Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.

2Am hat die Antragsgegnerin erneut Verfahrenskostenhilfe beantragt, dabei ihr Grundvermögen in Ungarn angegeben und dargelegt, dass dieses nicht verwertbar sei. Das Familiengericht hat den Antrag mit Beschluss vom abgelehnt, das Oberlandesgericht die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre zugelassene Rechtsbeschwerde.

II.

3Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

41. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und es um Fragen des Verfahrens der Verfahrenskostenhilfe geht (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 282/12 - FamRZ 2013, 1390 Rn. 7 mwN). Sie ist auch im Übrigen zulässig.

52. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.

6a) Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Bei der Aufhebung der ersten Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe habe im Hinblick auf die falschen Angaben der Sanktionscharakter im Vordergrund gestanden. Dabei sei es nicht darauf angekommen, ob die erste Bewilligung auf den falschen Angaben beruhe. Es genüge vielmehr, dass diese generell geeignet seien, die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe zu beeinflussen. Konsequent müsse damit auch eine Neubewilligung nach erfolgter Aufhebung ausscheiden, weil ansonsten der Sanktionscharakter der gesetzlichen Regelung unterlaufen würde.

7b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

8aa) Durch den Antrag vom ist ein neues Verfahren auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in Gang gesetzt worden. Das neue Verfahren erfordert grundsätzlich eine neue Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen.

9bb) Dem steht auch nicht die Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses vom entgegen. Denn ein die Verfahrenskostenhilfe versagender Beschluss erlangt zwar formelle, aber keine materielle Rechtskraft. Allerdings kann es ausnahmsweise an einem Rechtschutzbedürfnis für die erneute Antragstellung fehlen, wenn auf der Grundlage desselben Lebenssachverhalts ein vorheriger Antrag gleichen Inhalts bereits zurückgewiesen oder nachträglich aufgehoben worden ist und ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung wegen Fristablaufs nicht mehr eingelegt werden kann oder die eingelegten Rechtsbehelfe keinen Erfolg hatten (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 208/15 - FamRZ 2015, 1874 Rn. 10 f. mwN).

10Hier ist jedoch die erste Bewilligung aufgehoben worden, weil die Antragsgegnerin im ersten Bewilligungsverfahren falsche Angaben über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hatte. Im Rahmen ihres erneuten Antrags sind derartige Falschangaben nicht festgestellt; insbesondere hat die Antragsgegnerin den in ihrem ersten Antrag nicht aufgeführten ungarischen Grundbesitz jetzt angegeben. Somit liegt dem neuen Antrag ein anderer Sachverhalt zugrunde.

11cc) In der Sache hat das Oberlandesgericht den mit der Aufhebung der Erstbewilligung verbundenen Sanktionscharakter zu Unrecht auf das erneute Bewilligungsverfahren übertragen. Wie der Senat bereits entschieden hat, kann eine Verwirkung des Anspruchs auf Verfahrenskostenhilfe nicht mit einer analogen Anwendung des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO begründet werden (Senatsbeschluss vom - XII ZB 208/15 - FamRZ 2015, 1874 Rn. 13).

12(1) Gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe aufheben, wenn der Beteiligte absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat diese Vorschrift vor allem Sanktionscharakter. Daher kann das Gericht die Verfahrenskostenhilfebewilligung bei absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachten falschen Angaben des Antragstellers auch dann aufheben, wenn die Bewilligung nicht auf diesen Angaben beruht, sofern die falschen Angaben jedenfalls generell geeignet erscheinen, die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe zu beeinflussen. Wird eine bewilligte Verfahrenskostenhilfe in Anwendung dieser Vorschrift widerrufen, wirkt sich der Sanktionscharakter dahin aus, dass die staatliche Leistung nachträglich entzogen wird und der Antragsteller zur Erstattung der Kosten und Auslagen herangezogen werden kann (Senatsbeschluss vom - XII ZB 208/15 - FamRZ 2015, 1874 Rn. 18).

13(2) Unter welchen Voraussetzungen ein erneuter Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unabhängig von der Bedürftigkeit allein wegen Mitwirkungsverschuldens des Antragstellers abgelehnt werden kann, regelt § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Danach lehnt das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe insoweit ab, als der Antragsteller innerhalb einer von dem Gericht gesetzten Frist Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht oder bestimmte Fragen nicht oder ungenügend beantwortet hat. Eine weitergehende Regelung, die es ermöglicht, nach Aufhebung einer zuvor bewilligten Verfahrenskostenhilfe einen erneut gestellten Antrag abzulehnen, enthält das Gesetz hingegen nicht. Sie ergibt sich auch weder aus Verwirkung noch aus dem Rechtsgedanken des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.

14(a) Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), später auch unter ausdrücklicher Berufung auf den Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG), die Forderung nach einer "weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes" abgeleitet. Danach darf Unbemittelten die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden. Der Unbemittelte muss grundsätzlich ebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie ein Bemittelter (BVerfGE 122, 39 = FamRZ 2008, 2179 Rn. 30 ff. mwN).

15(b) Dieser verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz besteht grundsätzlich auch für einen Beteiligten, der sich durch vorangegangenes Fehlverhalten gegen die Rechtsordnung gestellt hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 208/15 - FamRZ 2015, 1874 Rn. 19 ff. zu vorangegangenen Falschangaben und vom - XII ZB 212/09 - FamRZ 2011, 872 Rn. 14 ff. zur Aufhebung einer Scheinehe).

16Würde man indessen den Sanktionscharakter des § 124 Abs. 1 Nr. 2 ZPO auch auf ein nachfolgendes Bewilligungsverfahren ausdehnen und Verfahrenskostenhilfe allein wegen der ursprünglich im Erstverfahren gemachten falschen Angaben versagen, ergäbe sich die weitreichende Folge, dass das beabsichtigte Verfahren - etwa ein Scheidungsverfahren - nicht fortgeführt werden kann, letztendlich also der Zugang zum Rechtsschutz versagt bleibt (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 208/15 - FamRZ 2015, 1874 Rn. 19).

17(c) Durch eine mögliche Neubewilligung der Verfahrenskostenhilfe auf den am neu gestellten Antrag blieben die vorherigen Falschangaben auch nicht sanktionslos. Die erneute Verfahrenskostenhilfe wäre nämlich nur ab neuer Antragstellung, also mit Wirkung ab dem zu bewilligen (vgl. Zapf FamRZ 2015, 375, 379; Musielak/Voit/Fischer ZPO 14. Aufl. § 124 Rn. 11; Zöller/Geimer ZPO 32. Aufl. § 124 Rn. 5; Prütting/ Gehrlein/Zempel/Völker ZPO 9. Aufl. § 124 Rn. 28; vgl. auch OLG Brandenburg FamRZ 2009, 242; BeckOKZPO/Kratz [Stand: ] § 124 Rn. 32 und zur begrenzten Rückwirkung BGH Beschlüsse vom - VII ZR 223/83 - NJW 1985, 921 f. und vom - NJW 1970, 757 f.). Von der erneuten Bewilligung würden also die bis dahin angefallenen Kosten nicht erfasst, sondern nur die ab dem erneuten Antrag neu anfallenden Kosten. Der Sanktionscharakter des Aufhebungsbeschlusses bliebe mithin mit Blick auf die bis zur erneuten Antragstellung bereits angefallenen Kosten erhalten.

183. Danach hat das Oberlandesgericht der Antragsgegnerin die nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe zu Unrecht allein wegen eines nachwirkenden Sanktionsinteresses versagt. Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO), um diesem in eigener tatrichterlicher Verantwortung eine abschließende Prüfung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu ermöglichen (§ 115 ZPO).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:100118BXIIZB287.17.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2018 S. 257 Nr. 5
DAAAG-72526