BGH Beschluss v. - 5 StR 455/17

Gerichtssprache: Beachtlichkeit eines fremdsprachigen Rechtsmittels des Beschuldigten im Sicherungsverfahren

Gesetze: § 44 StPO, § 341 StPO, § 413 StPO, §§ 413ff StPO, § 184 S 1 GVG, § 187 Abs 1 S 1 GVG, Art 6 Abs 3 Buchst e MRK, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Instanzenzug: LG Lübeck Az: 1 Ks 12/16

Gründe

1Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel ist unzulässig, da es nicht fristgemäß eingelegt worden ist.

21. Der Beschuldigte fertigte am ein Schreiben in russischer Sprache, das am beim Landgericht einging. Eine richterlich angeordnete Übersetzung des Schreibens ging am beim Landgericht ein. Aus der Übersetzung ergab sich die Forderung des Beschuldigten, die Sache an das „Oberste Gericht“ zu übergeben und die Unterbringung zu widerrufen.

3Das Schreiben des Beschuldigten, das als die Einlegung eines Rechtsmittels angesehen werden kann, ist erst mit dem Eingang der Übersetzung für das Verfahren beachtlich geworden, da gemäß § 184 GVG die Gerichtssprache deutsch ist (vgl. , NStZ 2000, 553). Die Wochenfrist des § 341 StPO ist damit nicht eingehalten.

42. Eine von Amts wegen zu gewährende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Der Beschuldigte war nicht ohne Verschulden gehindert, die versäumte Frist einzuhalten. Der Beschuldigte wurde - unter Hinzuziehung eines Dolmetschers (vgl. , GA 1981, 262, 263) - über die zulässigen Rechtsmittel und die dafür vorgeschriebenen Formen und Fristen belehrt. Ihm wurde auch eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung ausgehändigt.

Ihm stand überdies ein Pflichtverteidiger, den er mit der fristgemäßen Einlegung der Revision hätte beauftragen können, zur Seite (vgl. , DAR 1985, 199).

Letztlich rechtfertigt auch der festgestellte psychische Zustand des Beschuldigten keine andere Entscheidung. Er ist nicht völlig desorientiert, seine ‚Einsichtsfähigkeit‘ ist nicht beeinträchtigt.“

5Dem folgt der Senat und bemerkt ergänzend: Der Europäische Gerichtshof hat den Grundsatz eingeschränkt, dass schriftliche Eingaben in fremder Sprache unbeachtlich sind (EuGH, NJW 2016, 303, 304 f. Rn. 43 mit Anm. Böhm; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 184 GVG Rn. 2a). Danach kommt es für die Frage, ob ein fremdsprachig abgefasstes Schreiben von Amts wegen zu übersetzen und zu beachten ist, gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. Nr. L 280, S. 1) darauf an, ob es sich um ein für das Verfahren wesentliches Dokument handelt. Diese Entscheidung betrifft indes nur den nichtverteidigten Beschuldigten (, NStZ 2017, 601, 602; vgl. zur besonderen Stellung nichtverteidigter Beschuldigter auch schon BVerfG [Kammer], NVwZ-RR 1996, 120, 121 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:301117B5STR455.17.0

Fundstelle(n):
TAAAG-72282