Gründe
I. Die Vorinstanz hatte darüber zu entscheiden, ob der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt war, nachdem der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) während des Klageverfahrens einen neuen Haftungsbescheid erlassen hat, gegen den der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) Einspruch eingelegt hat.
Der Kläger war mit Haftungsbescheid vom als ehemaliger Geschäftsführer einer GmbH für deren Steuerverbindlichkeiten zuzüglich Nebenleistungen in Höhe von insgesamt ca. 40 000 DM in Haftung genommen worden. Nach einer Vollziehungsaussetzung des Haftungsbescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung setzte das FA mit einem weiteren Haftungsbescheid vom unter Hinweis auf die §§ 132, 130 der Abgabenordnung (AO 1977) die Haftungssumme auf ca. 30 000 DM fest. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) erweiterte das FA in diesem Bescheid die Begründung für die Inanspruchnahme des Klägers und setzte hinsichtlich einzelner Steuerrückstände der GmbH andere (höhere) Haftungsbeträge an als in der Einspruchsentscheidung. Der Kläger hat gegen den Haftungsbescheid vom Einspruch eingelegt und vor dem FG beantragt, festzustellen, dass der Rechtsstreit gegen den Bescheid vom erledigt ist. Das FA hielt den Rechtsstreit nicht für erledigt, weil es den ursprünglichen Haftungsbescheid nicht in vollem Umfang, sondern lediglich teilweise zurückgenommen habe. Das FG entschied, das FA habe im Bescheid vom erneute Ermessenserwägungen angestellt und die Haftungssummen teilweise verändert, so dass nicht von einer Teilrücknahme, sondern von einer Rücknahme des ursprünglichen Haftungsbescheides insgesamt und nachfolgendem Erlass eines neuen Haftungsbescheides ausgegangen werden müsse. Damit sei der Rechtsstreit gegen den ursprünglichen Haftungsbescheid erledigt.
Gegen diese Entscheidung wendet sich das FA mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, die es auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO— a.F.) und Divergenz zu näher bezeichneten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. stützt.
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
Das FA hat innerhalb der Beschwerdefrist keinen Zulassungsgrund entsprechend den gesetzlichen Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO in der nach Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom (BGBl I 2000, 1757) insoweit noch anzuwendenden bis zum gültigen Fassung dargelegt.
1. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache ist vor allem erforderlich, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage benennt, auf ihre Klärungsbedürftigkeit und die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingeht, inwiefern die richtige Antwort auf die in dem angestrebten Revisionsverfahren zu klärende Rechtsfrage zweifelhaft ist, welche unterschiedlichen Auffassungen dazu in der Rechtsprechung oder im Schrifttum vertreten werden und weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479, und vom VII B 233/99, BFH/NV 2001, 175, 176). Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerde nicht.
a) Die vom FA für klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage, ob die Finanzbehörde rechtwidrige Haftungsbescheide gemäß § 130 AO 1977 ändern kann oder ob ausschließlich die vollständige Rücknahme des alten Bescheides und der Erlass eines neuen Bescheides in Betracht kommt, ist durch die Entscheidung des Senats vom VII R 60/91 (BFH/NV 1993, 153) und das Urteil vom VII R 77/95 (BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79), auf das das FG Bezug genommen hat, in der Weise geklärt, dass eine teilweise Rücknahme eines Haftungsbescheides zulässig ist und der Regelungsgehalt des ursprünglichen Haftungsbescheides wirksam bleibt, soweit er von der teilweisen Rücknahme nicht betroffen ist. Ausführungen dazu, dass und mit welchen Argumenten diese Rechtsprechung des Senats umstritten sei und warum diese Frage einer weiteren Klärung bedürfe, enthält die Beschwerde nicht. Vielmehr leitet das FA die Klärungsbedürftigkeit im konkreten Fall selbst aus der Frage ab, welches rechtliche Schicksal der Haftungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit Erlass des späteren Haftungsbescheides erfahren habe und stellt damit eindeutig auf den vorliegenden vom FG —nach Auffassung des FA— unrichtig beurteilten Einzelfall ab.
Das gilt auch für die vom FA behauptete grundsätzliche Bedeutung der allgemein gehaltenen Fragestellung, wie im Hinblick auf § 130 AO 1977 zu verfahren sei, wenn haftungsentlastende Tatsachen, die allein im Wissensbereich des Haftungsschuldners liegen, erst im Klageverfahren vorgetragen werden. Zu dieser Frage fehlt es nicht nur an der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung; sie könnte in dem angestrebten Revisionsverfahren auch nicht geklärt werden. Da es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts ist, Rechtsfragen abstrakt zu klären, muss die als grundsätzlich bedeutsam bezeichnete Rechtsfrage für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich sein (vgl. Senatsbeschluss vom VII B 127/93, BFH/NV 1994, 873). Das ist nicht der Fall, weil im Revisionsverfahren lediglich zu entscheiden wäre, ob der neue Haftungsbescheid eine Rücknahme des alten Haftungsbescheides beinhaltet, und nicht darüber zu befinden wäre, was das FA richtigerweise hätte tun müssen.
Allein der Umstand, dass das Sächsische FG —anders als in der angefochtenen Entscheidung— in den nicht näher bezeichneten Verfahren 6 K 1766/99 und 2 K 259/96 angeblich die Änderung der angefochtenen Haftungsbescheide als zulässig angesehen hat, rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung schon deshalb nicht, weil in diesen Fällen —bereits nach der Sachverhaltsschilderung des FA— jeweils ein anderer Sachverhalt als der hier vorliegende zu beurteilen war. Das FG hat demgegenüber in seiner Entscheidung ausdrücklich auf die Umstände des hier zu beurteilenden Einzelfalles abgestellt und dazu ausgeführt, der Erlass des neuen Haftungsbescheides stelle deshalb keine Teilrücknahme des ursprünglichen Haftungsbescheides dar, weil sich in diesem neuen Bescheid die Haftungssumme anders zusammensetze als im ersten Bescheid und das FA die Inanspruchnahme des Klägers auf andere —neue— Ermessenserwägungen gestützt habe. Danach beruht die Vorentscheidung nicht auf der Auffassung, die Teilrücknahme eines Haftungsbescheides sei grundsätzlich unzulässig. Dass die Auffassung des FG, die Neuberechnung einer (in einzelnen Positionen höheren) Haftungssumme sei ungeachtet der Bezeichnung des betreffenden Bescheides als Änderungsbescheid als (vollständige) Rücknahme des ursprünglichen Haftungsbescheides zu werten, eine Grundsatzfrage aufwirft, ist in der Beschwerdebegründung jedenfalls nicht dargelegt; dass sie unzutreffend sein mag, wie das FA offenbar annimmt, rechtfertigt die Zulassung der Revision für sich genommen nicht.
b) Gleichfalls fehlt es an der schlüssigen Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ”welchen Status § 127 AO 1977 im Steuerverfahrensrecht einnimmt und ob es sich hierbei um eine eigenständige Korrekturvorschrift handele”. Auch diese sehr allgemein formulierte Rechtsfrage wäre in einem anschließenden Revisionsverfahren weder klärungsbedürftig noch klärungsfähig, weil die Entscheidung des Streitfalles von der Beantwortung dieser Frage nicht abhängt. Das FG hat festgestellt, das FA habe mit dem Erlass des Haftungsbescheides vom nicht nur eine Änderung bzw. eine Teilrücknahme des früheren Verwaltungsakts, sondern dessen Rücknahme insgesamt und den Erlass eines neuen Haftungsbescheides verfügt. Die darüber hinaus geäußerte Rechtsauffassung, eine Änderung des Haftungsbescheides in der vom FA beabsichtigten Weise würde der Rechtsgrundlage entbehren und könne deshalb ohne weitere Sachprüfung zu einer Aufhebung gemäß § 127 AO 1977 führen, mag zweifelhaft sein, entscheidungserheblich war sie jedenfalls nicht.
2. Im vorliegenden Fall kann die Revision auch nicht wegen Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. zugelassen werden. Das FA hält eine Abweichung des Urteils der Vorinstanz von den Entscheidungen des (BFH/NV 1988, 82) und vom VII B 142/94 (BFHE 176, 224, BStBl II 1995, 227) deshalb für gegeben, weil diese Entscheidungen die Änderbarkeit von rechtswidrigen Haftungsbescheiden in Form der Teilrücknahme voraussetzten, während ”nach Auffassung des Sächsischen Finanzgerichts Haftungsbescheide nicht nach § 130 AO geändert werden können”. Es kann dahinstehen, ob mit dieser Formulierung den an die Bezeichnung einander widersprechender Rechtsgrundsätze in den Entscheidungen des BFH und der angefochtenen FG-Entscheidung zu stellenden Darlegungserfordernissen einer Divergenz Genüge getan wäre (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 17 f. und 63). Denn das FG hat den vom FA behaupteten Rechtssatz ”dass Haftungsbescheide nicht nach § 130 AO geändert werden können” nicht aufgestellt, sondern im Gegenteil hierzu unter Hinweis auf das Senatsurteil in BFHE 181, 107, BStBl II 1997, 79 unter 2. a) der Gründe u.a. ausgeführt: ”Durch diesen (neuen) Haftungsbescheid wurde nicht etwa lediglich die Haftungssumme gegenüber der Einspruchsentscheidung von 40 000 DM auf 30 000 DM reduziert, was einer bloßen Teilrücknahme gemäß § 130 AO 1977 gleich käme.” Es geht damit entgegen dem Vortrag des FA wie der BFH von der Zulässigkeit einer Teilrücknahme von Haftungsbescheiden nach § 130 AO 1977 aus, die es jedoch im Streitfall wegen der Aufnahme neuer Sachverhalte durch das FA als nicht gegeben angesehen hat. Daraus folgt, dass die Vorentscheidung nicht auf einer Abweichung beruht, sondern auf der Grundlage der maßgeblichen Rechtssätze in den als Divergenzentscheidungen benannten Urteilen des BFH eine Würdigung der besonderen Umstände des Streitfalles vorgenommen hat, welche die Zulassung der Revision nicht rechtfertigt.
Auch für die angebliche Divergenz des FG-Urteils zur Entscheidung des (BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508) fehlt es bereis an der Gegenüberstellung abweichender Rechtssätze. Mit der ohne nähere Darlegung nicht nachvollziehbaren Behauptung, das Gericht habe Ausführungen des FA zum Haftungstatbestand als Ermessenserwägungen bezeichnet, ist eine Divergenz zu dem vom BFH herausgearbeiteten Rechtssatz, dass es sich bei der Haftungsinanspruchnahme um eine zweigliedrige Entscheidung, nämlich die Prüfung des Haftungstatbestandes und die daran anschließende Ermessensentscheidung handelt, nicht dargelegt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1276 Nr. 10
DAAAA-68705