Es fehlt der große Wurf
Steuerliche Sondierungsergebnisse mehr als drei Monate nach der Wahl
Nach schier end- aber fruchtlosen ersten Sondierungsgesprächen im vergangenen Jahr sind die Sondierungen in veränderter Besetzung im neuen Jahr relativ zügig abgeschlossen und sogar mit einem Papier dokumentiert worden, das sich mit seinen 28 Seiten fast schon wie eine Koalitionsvereinbarung liest.
Die erst kürzlich umgesetzte US-amerikanische Steuerreform hat – wie immer man im Einzelnen auch dazu stehen mag – natürlich auch die Erwartungen an die diesbezüglichen Pläne der kommenden Koalition geweckt, die ja mit den bekannten Haushaltsüberschüssen wenig Zwängen unterliegt. Das Ergebnis ist ernüchternd. Viele Aspekte der Besteuerung werden nur sehr vage angerissen oder als Forderungen formuliert, ohne bestimmte Maßnahmen zu bezeichnen oder man weist auf europäische hin, die eine eigenständige nationale Lösung entbehrlich machen. So im Hinblick auf die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die bereits Gegenstand des vorigen Koalitionsvertrags war, oder bezüglich des Kampfes gegen Steuerdumping, der angesichts der massiven Senkung der Körperschaftsteuersätze durch den Tax Cuts and Jobs Act in den USA konkretere Schritte erfordert, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen zu erhalten. Stattdessen heißt es in dem Sondierungspapier, man unterstütze „eine gemeinsame, konsolidierte Bemessungsgrundlage und Mindestsätze bei den Unternehmensteuern [...] um eine europäische Antwort auf internationale Veränderungen und Herausforderungen [...] nicht zuletzt in den USA“ zu geben.
Die halbherzige schrittweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags, der über eine Freigrenze mit Gleitzone nur noch die sog. Besserverdienenden belasten soll, wirft die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung auf. Die Abschaffung der „Abgeltungsteuer auf Zinserträge“ (nicht auf Dividenden?) ist zwar als Abschied von der Schedule steuersystematisch zu begrüßen, wird aber selbst mit einer Wiedereinführung des Teileinkünfteverfahrens bei einem Einkommensteuerspitzensatz von 45 % kaum das Versprechen einhalten können, die Steuerbelastung der Bürger nicht zu erhöhen. Das Sondierungspapier spricht steuerliche Maßnahmen aber auch außerhalb des Kapitels „Finanzen und Steuern“ an. So werden vor allem unter dem martialischen Stichwort „Wohnraumoffensive“, recht vage, Landwirten steuerlich wirksame Reinvestitionsmöglichkeiten in den Mietwohnungsbau verheißen und, nach verfassungsrechtlicher Prüfung, steuerliche Maßnahmen zur Baulandmobilisierung und die Einräumung von Grunderwerbsteuerfreibeträgen in Aussicht gestellt.
In steuerrechtlicher Hinsicht kann das Sondierungsergebnis nicht überzeugen. Vor allem aber vermittelt es nicht die Aufbruchstimmung, die man von einer neuen Regierung erwarten darf. Wann, wenn nicht jetzt, ist eine grundlegende Reform der Besteuerung angesichts der auch im Sanierungspapier angesprochenen guten Wirtschaftslage anzugehen?
Hans-Joachim Kanzler
Fundstelle(n):
NWB 2018 Seite 153
JAAAG-70100