BFH Urteil v. - VI R 179/97

Gründe

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind die Söhne und Erben der verstorbenen B. Diese erzielte in den Streitjahren 1987 bis 1989 als Prokuristin einer GmbH, an deren Stammkapital sie in Höhe von 10 v.H. beteiligt war, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die restlichen Anteile hielten ihre Söhne bis zu diesem Zeitpunkt jeweils in Höhe von 45 v.H.

Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung stellte der Prüfer u.a. fest, dass die GmbH vom bis zum für B Zuschüsse zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung an die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) geleistet und hierfür keine Lohnsteuer einbehalten hatte. Der Prüfer war der Ansicht, dass die Arbeitgeber-Zuschüsse zur Sozialversicherung nicht gemäß § 3 Nr. 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei seien. Die Steuerfreiheit setze voraus, dass der Arbeitgeber zu einer solchen Leistung gesetzlich verpflichtet sei. Eine Verpflichtung bestehe für Angestellte i.S. der §§ 2 und 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Sei der Arbeitnehmer aber zu 50 v.H. und mehr an einer GmbH beteiligt oder besitze er eine Sperrminorität, so liege kein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vor. Da im vorliegenden Fall Gesellschafterbeschlüsse nach der GmbH-Satzung grundsätzlich einstimmig zu fassen seien, habe die Gesellschafterin eine Sperrminorität besessen und damit jeden Beschluss der Gesellschaft verhindern können. Folglich sei B —entgegen der Entscheidung der AOK— nicht sozialversicherungspflichtig gewesen. Die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung stellten daher steuerpflichtigen Arbeitslohn dar.

Aufgrund der Feststellungen der Lohnsteuer-Außenprüfung erhöhte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um die von der Arbeitgeberin gewährten Zuschüsse für 1987 in Höhe von 3 559 DM, für 1988 in Höhe von 3 559 DM und für 1989 in Höhe von 889 DM und änderte dementsprechend nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) die bisherigen Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg.

Mit der Klage brachte die Rechtsvorgängerin der Kläger vor, die AOK habe die Gesellschafter aufgrund mehrmaliger Überprüfung der Sozialversicherungsbeiträge bei der GmbH als sozialversicherungspflichtig angesehen. Hieran sei das FA gebunden. Die AOK habe die tatsächlichen Verhältnisse ihrer Entscheidung zugrunde gelegt. Entgegen der Satzung seien die Beschlüsse der GmbH nach der Höhe der Stammeinlagen mehrheitlich gefasst worden.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 196 veröffentlichten Gründen der Parallelentscheidung vom selben Tag (13 K 1924/94) statt.

Mit der Revision rügt das FA, das FG habe den Begriff der Einnahmen i.S. von § 8 Abs. 1 EStG zu eng ausgelegt. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Leistung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber für einen nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer bei diesem zu einem Zufluss von Einnahmen führe, berücksichtige die Entscheidung nicht den vom Veranlassungsprinzip geprägten Einnahmebegriff des Bundesfinanzhofs (BFH). Hiernach sei der dem jeweiligen Gesellschafter aus der fehlerhaften Beitragsentrichtung erwachsene Vorteil als Gegenleistung im weitesten Sinne für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft zu verstehen. Es handele sich demgemäß um steuerpflichtigen Arbeitslohn, der auch zugeflossen sei.

Deswegen hätte sich das FG auch mit der Frage auseinander setzen müssen, ob —wegen des Einflusses der Gesellschafterin auf die Geschäfte der GmbH— eine Sozialversicherungspflicht bestanden habe. Das sei nach den damals einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften nicht der Fall gewesen. Da die GmbH nicht verpflichtet gewesen sei, für ihre Gesellschafterin Leistungen zur Sozialversicherung zu erbringen, seien die Zahlungen der GmbH auch nicht nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfrei.

Zudem sei das FA nicht an die Beurteilung der AOK gebunden. Deren Entscheidung sei insbesondere kein Grundlagenbescheid mit Bindungswirkung für den Einkommensteuerbescheid als Folgebescheid. Die Frage, ob Sozialversicherungspflicht bestehe, sei zwar grundsätzlich vom Sozialversicherungsträger nach sozialversicherungsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen. Soweit aber begründete Zweifel hieran bestünden, habe die Finanzverwaltung ein eigenes Prüfungsrecht.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.

Sie sind der Ansicht, dass mangels eigener Sachkompetenz des FA regelmäßig eine faktische Bindung an die Entscheidung der AOK bestehe. Nur in Ausnahmefällen, d.h. bei offenkundig falschen Entscheidungen der AOK, sei eine abweichende Beurteilung durch das FA möglich. Hiervon könne im Streitfall nicht ausgegangen werden.

Die Revision ist unbegründet; sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Das FA war nicht gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 berechtigt, die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1987 bis 1989 zu ändern. Nach dieser Vorschrift sind Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer höheren Steuer führen. Die bei der Lohnsteuer-Außenprüfung festgestellte Tatsache, dass die Gesellschafter in der Anlage zum Gesellschaftsvertrag eine einstimmige Beschlussfassung und damit zu Gunsten jedes Gesellschafters eine Sperrminorität vorgesehen hatten, führt nicht zu einer höheren Steuer.

Für den Fall, dass die Rechtsvorgängerin der Kläger der Sozialversicherungspflicht unterlag, hat das FG ohne Rechtsverstoß entschieden, dass die von der GmbH geleisteten Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung keinen steuerpflichtigen Arbeitslohn darstellen. Denn die Entrichtung des Arbeitgeberanteils ist jedenfalls nicht als Gegenleistung für die Arbeitsleistung zu beurteilen. War dagegen die Gesellschafterin nicht Arbeitnehmerin im sozialversicherungsrechtlichen Sinne und dementsprechend die GmbH von Gesetzes wegen nicht zur Leistung von Arbeitgeberbeiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung verpflichtet, war wegen der Tatbestandswirkung der Entscheidungen der AOK die Leistung der Arbeitgeberbeiträge in entsprechender Anwendung des § 3 Nr. 62 EStG als steuerbefreit anzusehen. Das FG brauchte daher nicht festzustellen, ob die Gesellschafterin sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.

Wegen der weiteren Begründung wird auf den Gerichtsbescheid vom selben Tag (Az. VI R 178/97) verwiesen.

Soweit der Tenor in der schriftlichen Abfassung des finanzgerichtlichen Urteils von dem verkündeten Tenor einschließlich der (schriftlich abgefassten) Urteilsgründe abweicht, handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 107 Abs. 1 FGO, welche jederzeit vom FG berichtigt werden kann (vgl. , BFH/NV 2002, 371).

Fundstelle(n):
PAAAA-68607