BZSt - St II 2 - S 2474-PB/17/00001 BStBl 2017 I S. 1540

Familienleistungsausgleich; Sechs-Monats-Zeitraum nach § 66 Abs. 3 EStG ab

Mit Artikel 7 Nrn. 6 Buchstabe c und 7 des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes vom (BGBl 2017 I S. 1682) [1]) wird § 66 EStG mit Wirkung vom folgender Absatz 3 angefügt:

„Das Kindergeld wird rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist.”

Nach bisher geltendem Recht kann Kindergeld rückwirkend für den Zeitraum der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO von vier Jahren ausgezahlt werden. Mit der langen Rückwirkung ist auch eine Missbrauchsgefahr verbunden.

Aufgrund der gesetzlichen Änderung können Anträge, die nach dem eingehen, rückwirkend nur noch zu einer Nachzahlung für die letzten sechs Kalendermonate vor dem Eingang des Antrags bei der zuständigen Familienkasse führen.

1. Bedeutung für das Festsetzungsverfahren

§ 66 Abs. 3 EStG betrifft nicht das Festsetzungsverfahren.

Die Festsetzung von Kindergeld für Zeiträume, die über den Sechs-Monats-Zeitraum des § 66 Abs. 3 EStG zurückreichen, soll nur erfolgen, wenn die Familienkasse das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld ohne weitere Sachverhaltsaufklärung feststellen kann, bzw. bei erkennbarem Interesse des Berechtigten. In allen anderen Fällen erfolgt keine weitere Prüfung durch die Familienkasse und auch keine Festsetzung für einen Zeitraum, der vor dem Sechs-Monats-Zeitraum des § 66 Abs. 3 EStG endet.

Beispiele für das Vorliegen eines erkennbaren Interesses:

  1. Der Familienkasse ist bekannt, dass der vorrangig Berechtigte oder der nachrangig Berechtige dem öffentlichen Dienst angehört (vgl. § 72 Abs. 1 und 2 EStG).

  2. Der Berechtigte hat auch Anspruch auf Kindergeld für ein jüngeres Kind (siehe Abschnitt 2.4).

Im Bescheid ist der Berechtigte darauf hinzuweisen, wenn eine Festsetzung von Kindergeld über den Sechs-Monats-Zeitraum hinaus aus Sicht der Familienkasse nicht erforderlich ist (der Antrag ist für diesen Zeitraum noch offen). Wenn der Berechtigte im Nachhinein ein berechtigtes Interesse an der Festsetzung vorbringt, hat die Familienkasse über den noch offenen Antrag zu entscheiden.

2. Bedeutung für das Erhebungsverfahren

2.1 Allgemeines

§ 66 Abs. 3 EStG ist nur im Erhebungsverfahren anzuwenden. Wird für einen vergangenen Zeitraum Kindergeld festgesetzt und reicht dieser Zeitraum über den Sechs-Monats-Zeitraum des § 66 Abs. 3 EStG zurück, ist das Kindergeld nur für die letzten sechs Kalendermonate auszuzahlen, die vor dem Eingang des Antrags bei der Familienkasse liegen. In diesen Fällen ist in den Festsetzungsbescheid ein Hinweis auf die Auszahlungsbeschränkung des § 66 Abs. 3 EStG aufzunehmen.

Beispiel 1:

Ein Berechtigter reicht im März 2018 bei der Familienkasse einen Antrag auf Kindergeld für sein 21-jähriges Kind ein. Laut eingereichten Unterlagen befindet sich das Kind bereits seit Oktober 2016 in der Ausbildung für einen Beruf. Das Kind hat noch keine Erstausbildung abgeschlossen.

Für das Kind besteht ab Oktober 2016 ein Anspruch auf Kindergeld. Da die Familienkasse den Anspruch auf Kindergeld ohne weitere Sachverhaltsaufklärung feststellen kann, setzt sie ab Oktober 2016 Kindergeld fest. Wegen der Auszahlungsbeschränkung des § 66 Abs. 3 EStG wird das Kindergeld jedoch erst ab September 2017 ausgezahlt.

Beispiel 2:

Ein Berechtigter reicht im März 2018 bei der Familienkasse einen Antrag auf Kindergeld für sein 21-jähriges Kind ein. Laut Sachverhaltsdarstellung des Berechtigten befand sich das Kind von September 2016 bis August 2017 in der Ausbildung für einen Beruf. Diese Ausbildung brach das Kind ab und begann im September 2017 eine andere Ausbildung für einen Beruf. Das Kind hat noch keine Erstausbildung abgeschlossen.

Dem Antrag liegen nur Bescheinigungen für die im September 2017 begonnene Ausbildung vor. Der Familienkasse ist nicht bekannt, dass der Berechtigte ein erkennbares Interesse an einer über den Sechs-Monats-Zeitraum des § 66 Abs. 3 EStG zurückreichenden Festsetzung des Kindergeldes hat.

Deshalb setzt die Familienkasse das Kindergeld erst ab September 2017 fest und zahlt es auch aus. Im Festsetzungsbescheid weist sie darauf hin, dass eine Festsetzung für einen davor liegenden Zeitraum aus ihrer Sicht aufgrund der Auszahlungsbeschränkung des § 66 Abs. 3 EStG nicht erforderlich ist.

Variante zu Beispiel 2:

Aus dem Antrag auf Kindergeld kann die Familienkasse ein berechtigtes Interesse an der Festsetzung von Kindergeld ab September 2016 erkennen (z. B. weil der Berechtigte dem öffentlichen Dienst angehört und daher kindergeldabhängige Bezügebestandteile in Betracht kommen).

Die Familienkasse fordert bei dem Berechtigten einen Nachweis über die Ausbildung für den Zeitraum September 2016 bis August 2017 an. Die daraufhin eingereichten Unterlagen ergeben einen Anspruch auf Kindergeld ab September 2016. Die Familienkasse setzt ab September 2016 Kindergeld fest, zahlt es jedoch wegen der Auszahlungsbeschränkung des § 66 Abs. 3 EStG erst ab September 2017 aus.

2.2 § 66 Abs. 3 EStG ist nur auf Neuanträge anwendbar

§ 66 Abs. 3 ist nur auf Zeiträume anzuwenden, die von einem Neuantrag (vgl. § 67 EStG) erfasst werden. Für Zeiträume, für die aufgrund der Anwendung einer Korrekturnorm rückwirkend Kindergeld festgesetzt wird, gilt die sechsmonatige rückwirkende Auszahlungsbeschränkung nicht.

Beispiel 3:

Ein behindertes Kind (geb. ) beendete seine Berufsausbildung am . Der Berechtigte hatte der Familienkasse einen Grad der Behinderung von 80 nachgewiesen. Die Ermittlungen der Familienkasse hatten ergeben, dass die Behinderung nicht ursächlich dafür ist, dass sich das Kind nicht selbst unterhalten kann. Die Familienkasse hob deshalb am die betragsmäßige Kindergeldfestsetzung rückwirkend zum auf (der negative Regelungsinhalt umfasst den Zeitraum August bis Oktober 2017).

Am legt der Berechtigte einen Bescheid nach § 69 Abs. 1 SGB IX vom vor, aus dem sich ergibt, dass bei dem Kind seit dem ein Grad der Behinderung von 100 und die Voraussetzungen für das Merkzeichen „H” (hilflos) vorliegen.

Die Familienkasse wertet das Einreichen des Ausweises für den Zeitraum August bis Oktober 2017 als Korrekturantrag und ab November 2017 als Neuantrag. Die Ermittlungen der Familienkassen ergeben, dass das Kind seit August 2017 wegen seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

Am setzt die Familienkasse ab August 2017 Kindergeld fest, und zwar:

  • für den Zeitraum August bis Oktober 2017 als Korrektur der Aufhebung vom (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) und

  • ab November 2017 aufgrund des Neuantrags.

Wegen der Auszahlungsbeschränkung des § 66 Abs. 3 EStG wird das Kindergeld für November 2017 nicht ausgezahlt.

Variante zu Beispiel 3:

Der Berechtigte legt der Familienkasse den neuen Bescheid nach § 69 Abs. 1 SGB IX bereits am vor.

Am setzt die Familienkasse ab August 2017 Kindergeld fest, und zwar:

  • für den Zeitraum August bis Oktober 2017 als Korrektur der Aufhebung vom (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) und

  • ab November 2017 aufgrund des Neuantrags.

Die Auszahlungsbeschränkung des § 66 Abs. 3 EStG kommt nicht zur Anwendung, denn der vom Neuantrag umfasste Zeitraum November 2017 bis Januar 2018 liegt innerhalb des Sechs-Monats-Zeitraums.

2.3 Berechtigtenwechsel

Bei einem Berechtigtenwechsel hebt die Familienkasse des bisher Berechtigten ihre Festsetzung ab dem Folgemonat des Wechsels auf. Die Familienkasse des nunmehr Berechtigten setzt das Kindergeld ab diesem Monat fest (vgl. V 35 Abs. 2 Satz 4 DA-KG). Reicht der Zeitraum der Neufestsetzung über den Sechs-Monats-Zeitraum des § 66 Abs. 3 EStG zurück, ist das Kindergeld nur für die letzten sechs Kalendermonate auszuzahlen, die vor dem Eingang des Antrags bei der Familienkasse liegen.

Für Fälle, in denen der bisher Berechtigte das Kindergeld an den nunmehr Berechtigten weitergeleitet hat, dieser dies bestätigt und auf seinen Auszahlungsanspruch verzichtet hat (Weiterleitung, vgl. V 36 Abs. 1 DA-KG), gilt Folgendes:

§ 66 Abs. 3 EStG hat in diesen Fällen keine Auswirkung.

Beispiel 4:

Die Familienkasse hat zugunsten von V für dessen Kind K Kindergeld festgesetzt. V verlässt im Oktober 2017 den mit dem anderen Elternteil M gemeinsam geführten Familienhaushalt, in dem auch K lebt. Erst als die nunmehr Berechtigte M am das Kindergeld bei der Familienkasse beantragt, erfährt diese von dem eingetretenen Berechtigtenwechsel. Nachdem der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse festgestellt ist, hebt die Familienkasse die laufende Festsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG ab November 2017 auf. Das Kindergeld für Juli 2018 ist nicht mehr an V ausgezahlt worden.

Am wird der Familienkasse die von M unterschriebene Weiterleitungserklärung („Bestätigung zur Vorlage bei der Familienkasse”, vgl. V 36 Abs. 2 DA-KG) für den Zeitraum November 2017 bis Juni 2018 vorgelegt.

Die Familienkasse erkennt die Weiterleitung für den Zeitraum von November 2017 bis Juni 2018 an und sieht von einer Rückforderung des Kindergeldes ab.

Ebenfalls am setzt die Familienkasse ab November 2017 zugunsten von M Kindergeld fest und zahlt es ab Juli 2018 an M aus.

Soweit der nunmehr Berechtigte einen geringeren Kindergeldanspruch hat, ist der Unterschiedsbetrag vom bisher Berechtigten zurückzufordern.

Liegen die Voraussetzungen für die Anerkennung der Weiterleitung hingegen nicht vollständig vor (z. B. fehlender Verzicht des nunmehr Berechtigten auf seinen Auszahlungsanspruch), findet § 66 Abs. 3 EStG Anwendung.

Variante zu Beispiel 4:

Am teilt V der Familienkasse mit, dass M nicht zur Abgabe einer Weiterleitungserklärung bereit sei. Die Familienkasse

  • fordert am von V das an ihn gezahlte Kindergeld für den Zeitraum November 2017 bis Juni 2018 zurück und

  • setzt am gleichen Tag zugunsten von M ab November 2017 Kindergeld fest. Wegen der Auszahlungsbeschränkung des § 66 Abs. 3 EStG wird das Kindergeld für November und Dezember 2017 nicht ausgezahlt.

2.4 Jüngere Zahlkinder

Hat der Berechtigte auch Anspruch für jüngere Zahlkinder, ändert sich im Falle einer betragsmäßigen Festsetzung für ein älteres Zahlkind die Ordnungszahl für die jüngeren Kinder. Das gilt auch für Anspruchszeiträume, für die das Kindergeld für ein älteres Zahlkind zwar festgesetzt, aufgrund der Auszahlungsbeschränkung des § 66 Abs. 3 EStG aber nicht ausgezahlt wird.

Beispiel 5:

Der Berechtigte bezieht seit Januar 2013 laufend Kindergeld für ein Kind. Er beantragt am rückwirkend ab Juni 2017 Kindergeld für ein älteres Kind.

Nachdem die Familienkasse ermittelt hat, dass Anspruch auf Kindergeld auch für das ältere Kind besteht, setzt sie für dieses Kind am Kindergeld ab Juni 2017 fest (Ordnungszahl 1). Das Kindergeld wird nur für den Zeitraum ab September 2017 nachgezahlt.

Im Festsetzungsteil des Bescheides wird dem jüngeren Kind ab Juni 2017 die Ordnungszahl 2 zugeordnet. In der Begründung weist die Familienkasse darauf hin, dass sich wegen der Berücksichtigung des älteren Kindes die Ordnungszahl für das jüngere Zahlkind erhöht hat.

Ändert sich aufgrund einer rückwirkenden Festsetzung auch der Zahlbetrag für ein jüngeres Kind, ist der höhere Betrag festzusetzen und der Unterschiedsbetrag nachzuzahlen.

Variante zu Beispiel 5:

Der Berechtigte bezieht seit Januar 2013 laufend Kindergeld für zwei Kinder. Er beantragt am rückwirkend ab Juni 2017 Kindergeld für ein älteres Kind.

Nachdem die Familienkasse ermittelt hat, dass Anspruch auf Kindergeld auch für das ältere Kind besteht, setzt sie für dieses Kind am Kindergeld ab Juni 2017 fest (Ordnungszahl 1). Das Kindergeld wird nur für den Zeitraum ab September 2017 nachgezahlt.

Im Festsetzungsteil des Bescheides wird den beiden jüngeren Kindern ab Juni 2017 die Ordnungszahl 2 bzw. 3 zugeordnet. In der Begründung weist die Familienkasse darauf hin, dass sich wegen der Berücksichtigung des älteren Kindes bei den beiden jüngeren Zahlkinder die Ordnungszahl erhöht hat (Ordnungszahlen 2 und 3) und das sich daraus ein höherer Zahlbetrag für das jüngste Kind ergibt.

§ 66 Abs. 3 EStG gilt nicht für die rückwirkende Änderungsfestsetzung für die beiden jüngeren Kinder. Deshalb ergibt sich für den Zeitraum von Juni 2017 bis März 2018 für das jüngste Kind (Ordnungszahl 3) ein Unterschiedsbetrag in Höhe von 60 Euro. Dieser setzt sich wie folgt zusammen:

Juni bis Dezember 2017:
7 × 6 Euro (jeweils 198 Euro – 192 Euro) = 42 Euro,

Januar bis März 2018:
3 × 6 Euro (jeweils 200 Euro – 194 Euro) = 18 Euro.

3. Vordrucke und Muster

Die Vordrucke „Antrag auf Kindergeld” und „Bescheid über Kindergeldfestsetzung” werden an die ab Januar 2018 geltende Rechtslage angepasst.

Es ist vorgesehen, in LernCULtur Musterbescheide und -fälle zur Verfügung zu stellen.

4. Hinweise an Berechtigte

Die Familienkassen des öffentlichen Dienstes werden gebeten, den möglichen Kreis der Berechtigten über die Rechtsänderung zu informieren. Die Familienkassen sollten stets empfehlen, Kindergeld unverzüglich zu beantragen, sobald ein Anspruch vorliegen könnte. Die Berechtigten sollen darauf hingewiesen werden, dass eventuell fehlende Unterlagen nachgereicht werden können.

5. IdNr-Kontrollverfahren Kindergeld

Im IdNr-Kontrollverfahren bedeutet die Meldung einer „Zahlung”, dass Kindergeld auf der Grundlage einer Kindergeldfestsetzung gezahlt wird. Mit der Meldung einer „Zuständigkeit” werden geregelte Zeiträume gemeldet, für die die Familienkasse zuständig ist, aber keine Zahlung vornimmt. Bei diesen Zeiträumen kann es sich sowohl um die Ablehnung eines Kindergeldanspruchs aus materiellen Gründen als auch um die betragsmäßige Festsetzung eines Kindergeldanspruchs, der nicht ausgezahlt wird, handeln.

Eine „Zahlung” bedingt und impliziert damit stets eine „Zuständigkeit”. Eine „Zuständigkeit” schließt dagegen eine „Zahlung” aus.

BZSt v. - St II 2 - S 2474-PB/17/00001

Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:






Fundstelle(n):
BStBl 2017 I Seite 1540
RAAAG-68020

1 BStBl 2017 I S. 865