BFH Beschluss v. - IV B 72-74/01

Gründe

Auf Grund mündlicher Verhandlung vom ergingen in den Verfahren 3 K 4931/96, 3 K 7694/97 und 3 K 7974/00 klageabweisende Urteile des Finanzgerichts (FG), die dem Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen und Beschwerdeführerinnen (Klägerinnen) am zugestellt wurden. Die Revision wurde in keinem der Urteile zugelassen. Allen Urteilen ist eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, wonach die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde angefochten werden kann, die innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof (BFH) einzulegen ist. In den mündlichen Verhandlungen hatte das FG jeweils den Beschluss verkündet, eine Entscheidung werde den Beteiligten schriftlich zugestellt.

Mit Schriftsatz vom , eingegangen beim FG am gleichen Tag, legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen gegen alle genannten Urteile Revision und Nichtzulassungsbeschwerde ein. Die Nichtzulassungsbeschwerden stützte er dabei auf Verfahrensfehler. Das FG leitete den Schriftsatz an den BFH weiter, wo er am einging.

Am beantragte der Prozessbevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, soweit die Beschwerdefrist infolge einer Einlegung der Beschwerden beim FG versäumt worden sein sollte. Nach Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom (BGBl I 2000, 1757) gälten die bisherigen Bestimmungen noch für Entscheidungen, die vor dem verkündet worden seien. Dies betreffe auch die hier angefochtenen Urteile, die ausweislich der vorliegenden Protokolle am verkündet worden seien.

Selbst wenn aber die Frist durch Einlegung der Beschwerden bei dem FG versäumt worden sein sollte, seien die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben. Das Nichtwissen um die Gesetzesänderung sei entschuldbar. In der Praxis des Prozessbevollmächtigten seien alle organisatorischen Vorkehrungen getroffen, um von Gesetzesänderungen zu erfahren. Es würden zwei bislang immer zuverlässige Standardkommentare in Loseblattform und die Beck¿sche Gesetzessammlung im Abonnement bezogen. Trotzdem sei die Änderung der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch das am erlassene Gesetz aus den in der Praxis verfügbaren Arbeitsmitteln bei Abfassung der Nichtzulassungsbeschwerden nicht ersichtlich gewesen. Er, der Prozessbevollmächtigte, selber bzw. das mit der Fristenkontrolle beauftragte Personal hätten von der Änderung des § 116 FGO erstmals durch eine am ausgelieferte Ergänzungslieferung der vom Fachinstitut des Deutschen Steuerberaterverbandes herausgegebenen ”Deutsche Steuerberater-Richtlinien” erfahren. Bei Abfassung des jetzigen Schreibens enthielten die von ihm abonnierten Loseblatt-Kommentare zur FGO immer noch keinen Hinweis auf die Änderung. In der Gesetzessammlung des Beck-Verlags sei der neue Text mit der Ergänzungslieferung von Januar 2001 erschienen, die in seinem Büro am einsortiert worden sei. Am seien die bereits zuvor fertiggestellten Nichtzulassungsbeschwerden ausgedruckt und versandt worden.

Für die Fristenkontrolle werde das Fristenkontrollbuch von Streck verwendet, das im Vorspann und auf einem Einlegestreifen Hinweise zur Fristberechnung gebe. Dort sei die Neufassung des Gesetzes nicht berücksichtigt.

Die ihm mit Schreiben vom zugestellten FG-Entscheidungen hätten unterschiedliche Rechtsmittelbelehrungen enthalten. Das erste Urteil in der Sache 3 K 2153/97 enthalte noch die Belehrung nach altem Recht. Weil diese dem bisherigen Kenntnisstand entsprochen habe, seien die Abweichungen in den anderen Rechtsmittelbelehrungen nicht zur Kenntnis genommen worden.

Beachte man, dass auf eine so wesentliche und unvorhergesehene Gesetzesänderung sowohl das Fachinstitut als auch namhafte Verlage erst so spät hätten reagieren können, könne weder ihm, dem Prozessbevollmächtigten, noch seinen Mitarbeitern ein Verschuldensvorwurf gemacht werden.

Die Klägerinnen beantragen,

die Revision gegen die , 3 K 7694/97 und 3 K 7974/00 zuzulassen und ggf. hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Beschwerdefrist zu gewähren.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) beantragt,

die Beschwerden als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA hält die Verfahrensrügen für unbegründet und hat zur Wahrung der Beschwerdefrist nicht Stellung genommen.

Der Senat verbindet die Beschwerdeverfahren nach § 73 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. einer entsprechenden Anwendung des § 121 Satz 1 FGO zur gemeinsamen Entscheidung.

Die Beschwerden sind unzulässig und waren deshalb zu verwerfen.

1. Gemäß Art. 4 2.FGOÄndG richtet sich die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen eine gerichtliche Entscheidung nach den bis zum geltenden Vorschriften, wenn die Entscheidung vor dem verkündet oder von Amts wegen anstelle einer Verkündung zugestellt worden ist. Anderenfalls findet die FGO in ihrer neuen Fassung Anwendung.

Im Streitfall ist danach die FGO in ihrer seit geltenden Fassung anzuwenden. Die hier angefochtenen Urteile sind —abweichend von dem Urteil in dem Verfahren 3 K 2153/97— nicht in der mündlichen Verhandlung vom verkündet worden. Das FG hat vielmehr den dort verkündeten Beschlüssen entsprechend die Urteile im schriftlichen Verfahren nach § 104 Abs. 2 Halbsatz 1 FGO erlassen. In diesem Fall wird die Verkündung durch die Zustellung an die Beteiligten ersetzt (§ 104 Abs. 3 FGO). Da die Zustellung nach dem erfolgt ist, liegen die Voraussetzungen für eine Anwendung der früheren Fassung der FGO nach Art. 4 2.FGOÄndG nicht vor.

2. Nach § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO (n.F.) ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim BFH einzulegen. Da die angefochtenen Entscheidungen dem Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden sind, lief die Monatsfrist am Montag, dem 26. Februar 2001, ab (§ 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der ZivilprozessordnungZPO— und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen GesetzbuchsBGB—). Die Beschwerden gingen nach Weiterleitung durch das FG erst am und damit verspätet beim BFH ein.

Wiedereinsetzung für die Fristversäumnis kann nicht gewährt werden. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Verschulden eines Prozessbevollmächtigten muss sich der Verfahrensbeteiligte wie eigenes Verschulden anrechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Der Prozessbevollmächtigte hat die Beschwerdefrist nicht unverschuldet versäumt. Einerseits muss von einem Prozessbevollmächtigten verlangt werden, dass er die Rechtsmittelbelehrung zu der Entscheidung, die er anfechten will, zur Kenntnis nimmt. Sollen mehrere Entscheidungen angefochten werden, muss jede einzelne Rechtsmittelbelehrung beachtet werden. Im Streitfall kann sich der Bevollmächtigte deshalb nicht darauf berufen, nur die Rechtsmittelbelehrung zu dem Verfahren 3 K 2153/97 gelesen zu haben, selbst wenn ihm dieses Urteil zuerst in die Hände gefallen sein sollte. Andererseits musste der Prozessbevollmächtigte auch bei Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerden von der Änderung der FGO Kenntnis genommen haben. Generell ist von einem fachkundigen Berater zu erwarten, dass er Veröffentlichungen im Bundesgesetzblatt laufend verfolgt. Dazu stehen unter Berücksichtigung heutiger technischer Hilfsmittel verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Mindestens müssen aktuelle Informationen in Presse und Fachpresse über Gesetzesänderungen beachtet werden (, BFH/NV 2002, 215). Danach hätte der Prozessbevollmächtigte lange vor Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerden über die veränderte Rechtslage informiert sein müssen. Im Übrigen ist der vollständige Text des 2.FGOÄndG auch bereits in Heft 22 des Bundessteuerblatts I 2000 vom abgedruckt.

Ungeachtet dessen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO gestellt. Obwohl ihm der maßgebende Gesetzestext seinem eigenen Vortrag nach seit dem —dem Tag der Einordnung der betreffenden Ergänzungslieferung in die Beck¿sche Gesetzessammlung— in der Kanzlei zur Verfügung stand, hat er den Wiedereinsetzungsantrag erst am beim BFH eingereicht.

Fundstelle(n):
LAAAA-68361