BFH Beschluss v. - IV B 140/00

Gründe

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen die Einkommensteuerbescheide 1990 bis 1993 insoweit stattgegeben, als ihr der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) in der mündlichen Verhandlung nicht entgegengetreten war. Das sich daraus ergebende zu versteuernde Einkommen und die festzusetzende Steuer berechnete das FA auf Bitten des Einzelrichters und teilte seine Berechnung mit Schreiben vom mit. Für das Jahr 1993 ergaben sich danach ein zu versteuerndes Einkommen von 270 166 DM und eine Einkommensteuer nach der Splittingtabelle von 47 472 DM.

Im Tenor des dem Kläger am zugestellten Urteils setzte das FG die Einkommensteuer 1993 auf 47 472 DM fest. Dem Urteil war eine Abschrift des Schreibens vom beigefügt.

Mit erneutem Schreiben vom beantragte das FA, das Urteil gemäß § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dahin gehend zu ändern, dass die Einkommensteuer 1993 auf 97 472 DM festgesetzt werde. Dazu erläuterte das FA, in der Reinschrift seiner eigenen Berechnung sei ein falscher Betrag für die Einkommensteuer 1993 ausgewiesen. In Wirklichkeit belaufe sie sich auf 97 472 DM. Da in der Urschrift des FA der richtige Betrag enthalten sei, müsse bei Fertigung der Reinschrift ein Übertragungsfehler unterlaufen sein. Eine Kopie der Urschrift der Berechnung war dem Schreiben beigefügt.

Das FG beschloss daraufhin am durch den Einzelrichter, den Tenor des Urteils vom dahin zu ändern, dass die Einkommensteuer 1993 auf 97 472 DM festgesetzt werde. Zur Begründung führte es aus, bei dem ursprünglichen Ansatz von 47 472 DM handele es sich offensichtlich um einen vom Gericht übernommenen Schreibfehler, Rechenfehler oder Tabellenablesefehler und damit um eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 107 Abs. 1 FGO, die von Amts wegen zu berichtigen sei.

Mit seiner Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, macht der Kläger geltend, die Voraussetzungen für eine Berichtigung des Tenors lägen nicht vor. § 107 Abs. 1 FGO betreffe nur Erklärungsmängel, die mit dem Erklärungswillen des Gerichts erkennbar im Widerspruch ständen; die Möglichkeit des Rechtsirrtums schließe die Anwendung des § 107 FGO aus. Dafür, dass das FG etwas erklärt habe, was es nicht habe erklären wollen, fehlten jegliche Anhaltspunkte. Bei Erlass des Urteils habe das FG die Einkommensteuer auf 47 472 DM festsetzen wollen, warum auch immer. Eine Unrichtigkeit liege allenfalls beim Bilden des Entscheidungswillens vor. Die Entscheidungsgründe ließen erkennen, dass das FG die Berechnung des FA überprüft und für zutreffend gehalten habe (”zutreffende Berechnung des FA”), nicht aber die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage. Ob dieser nicht nach § 107 FGO korrigierbare Fehler auf der Berechnung des FA vom beruhe, sei zweifelhaft. Denn in den Gründen der angefochtenen Entscheidung heiße es, die Bescheide seien insoweit geändert worden, als das FA der Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung nicht mehr entgegengetreten sei. Inwieweit das Urteil vom auf der Berechnung des FA vom beruhen solle, sei nicht erkennbar.

Selbst wenn es sich um einen Rechen- oder Schreibfehler oder eine ähnliche Unrichtigkeit handeln würde, wäre diese Unrichtigkeit nicht offenbar. Weder aus dem Urteil selbst noch aus der beigefügten Berechnung sei das Vorliegen einer Unrichtigkeit ersichtlich. Allenfalls wenn man den internen Entwurf des FA zur Hand nehme, lasse sich feststellen, dass eine Unrichtigkeit vorliege, denn dort sei die Steuer mit 97 472 DM angegeben. Dieser interne Entwurf sei aber erst im Zusammenhang mit dem Berichtigungsantrag bekannt geworden; dem Kläger sei er nie zugänglich gewesen.

Der Kläger beantragt, den Berichtigungsbeschluss vom aufzuheben und die ursprüngliche Urteilsformel wiederherzustellen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Es trägt vor, der Begriff der offenbaren Unrichtigkeit nach § 107 FGO sei deckungsgleich mit dem des § 129 der Abgabenordnung (AO 1977). Beide Regelungen dienten der Korrektur von offenkundigen mechanischen Versehen, nicht der Korrektur eines Rechtsirrtums. Die Voraussetzungen der offenbaren Unrichtigkeit seien hier erfüllt.

Das FG habe sich in der mündlichen Verhandlung ausführlich mit jedem Streitpunkt bezüglich der Höhe der Besteuerungsgrundlagen befasst. Die auf der Grundlage der Entscheidung des Gerichts vom FA angestellte Berechnung habe das FG überprüft und für zutreffend und damit für mit dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt. Dabei habe das Gericht die Einkommensteuer offenbar nicht selbst aus der Tabelle abgelesen, sondern die vom FA mitgeteilten Steuerbeträge übernommen. So sei zwangsläufig auch der Schreibfehler des FA bei der Einkommensteuer 1993 übernommen worden.

Wenn das FG in seinem Urteil das zu versteuernde Einkommen zutreffend darstelle und die anzuwendende Tabelle benenne, könne die Übernahme eines falschen Steuerbetrags, der sich nur in einer Ziffer von dem richtigen Betrag unterscheide, kein Rechtsirrtum sein. Dabei könne dahin stehen, ob das Gericht selbst falsch abgelesen oder den Schreibfehler des FA übernommen habe. Im letztgenannten Fall liege ebenso eine offenbare Unrichtigkeit vor, wie wenn das FA eine in der Steuererklärung enthaltene Unrichtigkeit als eigene übernehme (vgl. , BFHE 162, 115, BStBl II 1991, 22).

Eine Berichtigung gemäß § 107 FGO sei in entsprechender Anwendung der Rechtsprechung zu § 129 AO 1977 selbst dann möglich, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit nicht ohne weiteres erkennen könnte. Es komme nur darauf an, dass der Fehler ausweislich der Akten bei Erlass des Verwaltungsakts (bzw. hier bei Erlass des Urteils) unterlaufen sei. Nicht notwendig sei, dass er sich aus dem Verwaltungsakt bzw. dem Urteil selbst ergebe (, BFHE 168, 6, BStBl II 1992, 713).

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Das FG hat die Voraussetzungen des § 107 FGO für eine Berichtigung des Urteilstenors zutreffend als erfüllt angesehen.

1. Gemäß § 107 Abs. 1 FGO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit vom Gericht berichtigt werden. Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Sinne dieser Vorschrift sind nur Erklärungsmängel, die zu dem Erklärungswillen des Gerichts erkennbar in Widerspruch stehen. Wie bei der vergleichbaren Vorschrift des § 129 AO 1977 schließt die Möglichkeit eines Rechtsirrtums die Berichtigung nach § 107 FGO aus (vgl. z.B. , BFH/NV 2000, 1127, m.w.N.). Nur mechanische Fehler, die ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können, fallen unter diese Berichtigungsvorschriften. Ein offenbarer Fehler liegt vor, wenn er auf der Hand liegt, wenn er durchschaubar, eindeutig oder augenfällig ist (vgl. , BFHE 142, 13, BStBl II 1984, 834).

Im Streitfall ist dem Gericht bei der Abfassung des Urteilstenors eine Unrichtigkeit unterlaufen, die nicht auf einem Rechtsirrtum beruhen kann. Nach den Urteilsgründen war das zu versteuernde Einkommen des Streitjahrs 1993 abweichend von dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid aus den aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ersichtlichen Gründen herabzusetzen. Das maßgebliche zu versteuernde Einkommen betrug nach Auffassung des Gerichts 270 166 DM. Dies ergibt sich aus der dem Urteil beigefügten Abschrift des Schreibens des FA vom . Denn die dort zu den errechneten zu versteuernden Einkommensbeträgen für die Jahre 1990 bis 1993 ausgewiesenen Steuerbeträge sind unverändert in den Tenor des Urteils übernommen worden und die Urteilsgründe geben keinen Hinweis auf eine Abweichung von der Berechnung des FA. Wenn danach feststeht, dass die Einkommensteuer 1993 unter Anwendung der Splittingtabelle für ein zu versteuerndes Einkommen von 270 166 DM festgesetzt werden sollte, kann die Nennung des Betrags von 47 472 DM an Stelle des richtigen Betrags von 97 472 DM nur auf einem mechanischen Versehen des Richters, keinesfalls aber auf einem Rechtsirrtum beruhen. Denn die Anwendung der Steuertabelle auf einen feststehenden Betrag des zu versteuernden Einkommens ist eine rein mechanische bzw. rechnerische Angelegenheit.

Es ist nicht aufzuklären, ob der Fehler dem Richter beim eigenen Ablesen der Tabelle unterlaufen ist oder sich bei der Übernahme des Steuerbetrags aus dem Schreiben des FA fortgesetzt hat. Für den letztgenannten Hergang spricht, dass sich exakt der im Schreiben des FA unterlaufene Schreibfehler im Urteilstenor wiederholt. Soweit der Fehler durch eine Übernahme der Zahl aus dem Schreiben des FA verursacht worden ist, hat das Gericht den Schreibfehler im Schreiben des FA als eigenen übernommen. Insoweit gelten die Grundsätze zur Übernahme einer Unrichtigkeit des Steuerpflichtigen durch das FA bei Erlass eines Verwaltungsakts entsprechend.

2. Der Fehler im Urteilstenor wie auch im Schreiben des FA war auch offenbar. Offenbar ist eine Unrichtigkeit selbst dann, wenn sie aus dem Urteil nicht unmittelbar erkennbar ist. Es reicht aus, wenn sie sich aus den Vorgängen bei Erlass oder Verkündung ergibt (BFH-Beschluss in BFHE 142, 13, BStBl II 1984, 834). Im Streitfall ergeben sich der Fehler und seine Entstehung aus den aktenkundigen Vorgängen. Im Übrigen war der Fehler für den Kläger ohne weiteres zu erkennen, weil aus der dem Urteil beigefügten Berechnung des FA das zu versteuernde Einkommen und der Steuerbetrag entnommen werden konnten. Bereits eine überschlägige Schätzung oder ein Vergleich mit der für die anderen Streitjahre festgesetzten Steuer, jedenfalls aber eine Kontrolle in der Steuertabelle hätten den Fehler zu Tage treten lassen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1306 Nr. 10
PAAAA-68325