BFH Urteil v. - II R 52/00

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine KG, erwarb durch notariell beurkundete Vereinbarung vom

1. Von W 93,88 v.H. der Anteile an der X-GmbH.

2. Von der X-GmbH selbst weitere 6,12 v.H. der Anteile an dieser Gesellschaft.

Die X-GmbH besaß Grundbesitz. W war alleiniger Kommanditist der Klägerin sowie Alleingesellschafter der persönlich haftenden Gesellschafterin, der Y-GmbH.

Durch Bescheid vom setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer fest. Das FA sah durch den am getätigten Kauf der Anteile an der X-GmbH den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983) als erfüllt an. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am Einspruch ein. Mit Schreiben vom stellte die Klägerin den Antrag, die Steuerfestsetzung vom nach § 16 GrEStG 1983 aufzuheben. Durch notariell beurkundete Erklärungen vom waren die von der X-GmbH erworbenen Anteile (6,12 v.H. der Anteile an dieser Gesellschaft) rückübertragen worden. Durch Bescheid vom berichtigte das FA gemäß § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) die Steuerfestsetzung vom . Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin wiederum Einspruch ein. Am erließ das FA die Einspruchsentscheidung, mit der es den Einspruch als unbegründet zurückwies. Die Anteilsvereinigung sei zu Recht der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 unterworfen worden. Die Voraussetzungen des § 16 GrEStG 1983 lägen nicht vor.

Das Finanzgericht (FG) verstand die dagegen erhobene Klage als Verpflichtungsklage, gerichtet auf die Aufhebung des Steuerbescheids durch das FA. Dieser Klage gab das FG statt und verpflichtete das FA, den Grunderwerbsteuerbescheid vom und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung aufzuheben. Der ursprüngliche Anteilsübergang sei von dem FA zunächst zu Recht der Grunderwerbsteuer unterworfen worden. Die Steuerbarkeit ergebe sich jedoch entgegen der Ansicht des FA nicht aus § 1 Abs. 3 Nr. 3, sondern aus § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1983. Der angefochtene Steuerbescheid sei aufzuheben, da der Erwerbsvorgang rückgängig gemacht worden sei. Eine Anteilsvereinigung in einer Hand entfalle bereits dann, wenn mindestens einer von mehreren der zur Anteilsvereinigung führenden Übertragungsakte in vollem Umfang aufgehoben worden sei. So lägen die Verhältnisse im Streitfall.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage als unbegründet abzuweisen. Die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 lägen nicht vor, weil die Anteilsvereinigung nicht rückgängig gemacht worden sei. Wäre die Anteilsvereinigung von vornherein unter Zurückbehaltung von eigenen Anteilen der Gesellschaft erfolgt, wäre der Tatbestand des § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 ebenfalls erfüllt gewesen. Es könne daher die anschließende Rückübertragung der eigenen Anteile nicht anders beurteilt werden.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Der Erwerbsvorgang sei nach § 5 Abs. 2 GrEStG 1983 befreit gewesen. Die Klägerin habe die Anteile an der Gesellschaft von ihrem alleinigen Gesellschafter W erhalten. Auch die Voraussetzungen für eine Steueraufhebung nach § 16 GrEStG 1983 lägen vor.

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Die Verpflichtungsklage auf Aufhebung des Steuerbescheids vom durch das FA ist als unzulässig zu verwerfen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Hinsichtlich der Anfechtungsklage gegen den Steuerbescheid vom in Gestalt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom ist die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Verfahrensfehlerhaft hat das FG über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch nach § 16 GrEStG 1983 auf Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids durch das beklagte FA in der Sache entschieden. Die darauf gerichtete Verpflichtungsklage der Klägerin war mangels Durchführung eines Vorverfahrens unzulässig (§ 44 Abs. 1 FGO).

Wird einer der Tatbestände des § 16 Abs. 1 oder 2 GrEStG 1983 erfüllt, so entsteht ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Aufhebung eines bereits ergangenen Steuerbescheids. Der Anspruch aus § 16 GrEStG 1983 führt jedoch nicht zum Erlöschen des einmal wirksam entstandenen ursprünglichen Steueranspruchs. Vielmehr ist der Anspruch nach § 16 GrEStG 1983 ein weiterer (gegenläufiger) Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 Abs. 1 AO 1977, der selbständig neben den Steueranspruch tritt (vgl. , BFHE 158, 11, BStBl II 1989, 981, und vom II R 83/88, BFH/NV 1992, 267). Dementsprechend lässt der Anspruch aus § 16 GrEStG 1983 die Rechtmäßigkeit der für den ursprünglichen Erwerbsvorgang vorgenommenen Besteuerung unberührt. Über eine Anfechtung des ursprünglichen Steuerbescheids einerseits und über einen Antrag nach § 16 GrEStG 1983 andererseits ist daher auch verfahrensrechtlich jeweils gesondert zu entscheiden.

Zulässigkeitsvoraussetzung für eine auf § 16 GrEStG 1983 gestützte Verpflichtungsklage ist daher, dass ein auf § 16 GrEStG 1983 gestützter Antrag des Steuerpflichtigen vom FA abgelehnt worden und ein gegen die Ablehnung dieses Antrags eingelegter Einspruch erfolglos geblieben ist. Daran fehlt es im Streitfall. Die Klägerin hat zwar einen entsprechenden auf § 16 GrEStG 1983 gestützten Antrag gestellt, über diesen ist jedoch allenfalls —wenn überhaupt— durch die Einspruchsentscheidung vom vom FA sachlich (mit-)entschieden worden. Selbst wenn man —entgegen der Tenorierung der Einspruchsentscheidung— diese zugleich auch als (erstmalige) Ablehnung des von der Klägerin gestellten Antrags nach § 16 GrEStG 1983 ansehen würde, wäre das FG an einer Entscheidung über das dahin gehende Klagebegehren gehindert gewesen, weil es an einem Vorverfahren gefehlt hätte (§ 44 FGO). Da auch die Voraussetzungen einer Sprungklage nicht vorliegen, weil es an einer ausdrücklichen Zustimmung des FA nach § 45 Abs. 3 FGO fehlt, ist die Verpflichtungsklage unzulässig. Dies hat das FG rechtsfehlerhaft verkannt. Seine Entscheidung ist deshalb aufzuheben und die Verpflichtungsklage als unzulässig zu verwerfen.

2. Die Klägerin hat —zugleich mit ihrer auf § 16 GrEStG 1983 gestützten Verpflichtungsklage— Anfechtungsklage gegen den Grunderwerbsteuerbescheid erhoben. Dies hat das FG verkannt und verfahrensfehlerhaft über diese Klage nicht (mit-)entschieden.

Die Klägerin hatte gegen den Grunderwerbsteuerbescheid sowohl Einspruch erhoben, als auch —verfahrensmäßig gesondert zu betrachten— dessen Aufhebung aufgrund eines auf § 16 GrEStG 1983 gestützten Antrags angestrebt. Mit der Einspruchsentscheidung wurde das Anfechtungsbegehren zurückgewiesen und (möglicherweise) der Antrag nach § 16 GrEStG 1983 (erstmals) abgewiesen. Letzteres kann offen bleiben.

Die Klägerin hat gegen die ”Einspruchsentscheidung” Klage erhoben. Mangels irgendeiner Einschränkung konnte dies nur dahin gehend verstanden werden, dass die Klägerin ihre beiden ursprünglichen Begehren (Anfechtung und Antrag nach § 16 GrEStG 1983) weiter verfolgen wollte. Zwar hat die Klägerin dann in der Folge —auf Anforderung des Gerichts— ihr Klagebegehren nur unter Hinweis auf § 16 GrEStG 1983 näher konkretisiert. Diese Erklärung kann jedoch nicht als Klagerücknahme hinsichtlich der Anfechtungsklage verstanden werden. Dagegen spricht die Tatsache, dass die Klägerin bis dahin beide rechtlichen Gesichtspunkte parallel nebeneinander verfolgt und sich auch im weiteren Klageverfahren auf materielle Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheids gestützt hat.

Die Sache ist daher insoweit an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Bei seiner Entscheidung über die Anfechtungsklage wird das FG Folgendes zu beachten haben:

Entgegen der Auffassung des FG wurde durch die notariell beurkundeten Erklärungen vom der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 3 bzw. 4 GrEStG 1983 in der für den Streitfall maßgeblichen Fassung erfüllt und nicht der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 bzw. 2 der Vorschrift. Die Anteile an der GmbH waren bereits vor dem in der Hand des W vereinigt. Zwar verlangte § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 in der damals geltenden Fassung tatsächlich die Vereinigung aller Anteile in einer Hand; Anteile im Besitz der GmbH selbst bleiben dabei jedoch außer Betracht. Zivilrechtlich ist das Halten eigener Anteile durch die GmbH zwar möglich, dies ändert jedoch nichts daran, dass die Gesellschaft begrifflich keine von ihr selbst verschiedene Person sein kann. Der Erwerber beherrscht in diesen Fällen das Vermögen der Gesellschaft in gleicher Weise, wie wenn der Gesellschaft selbst keine Anteile zustünden. Für die grunderwerbsteuerrechtliche Betrachtung nach § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 werden daher die im Besitz der Gesellschaft selbst befindlichen Anteile nicht berücksichtigt (, BFHE 85, 117, BStBl III 1966, 254, und vom II 189/53 U, BFHE 58, 451, BStBl III 1954, 83). Der danach im Streitfall verwirklichte —und nicht rückgängig gemachte— Erwerbsvorgang der Übertragung bereits vereinigter Anteile an einer Kapitalgesellschaft unterliegt nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 bzw. 4 GrEStG 1983 der Grunderwerbsteuer. Auf diesen Tatbestand ist die Steuervergünstigung des § 5 Abs. 2 GrEStG 1983 grundsätzlich anwendbar (vgl. Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 14. Aufl., § 5 Rdnr. 41). Bei seiner Entscheidung wird das FG zu prüfen haben, ob und inwieweit die Übertragung der vereinigten Anteile an der GmbH von W auf die Klägerin, an der W als Gesellschafter beteiligt war, nach § 5 Abs. 2 GrEStG 1983 begünstigt ist.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1053 Nr. 8
YAAAA-68199