BGH Beschluss v. - XII ZR 29/17

Gehörsverletzung durch das Erstgericht und das Berufungsgericht im Räumungsrechtsstreit gegen den Grundstücksmieter: Widersprüchliche Feststellungen zur Geschäftsfähigkeit des das Grundstückseigentum übertragenden Eigentümers

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 104 BGB, § 566 Abs 1 BGB, § 578 BGB, § 925 BGB, § 985 BGB, § 986 BGB

Instanzenzug: Az: I-10 U 63/16 Beschlussvorgehend Az: 9 O 8/12

Gründe

I.

1Die Parteien streiten über die Verpflichtung zur Räumung eines Gewerbegrundstücks.

2Die während des Rechtsstreits verstorbene G.    J.      war die Mutter der Klägerin zu 3 und des Beklagten und die Großmutter (mütterlicherseits) der Kläger zu 1 und 2. Sie war Eigentümerin des Grundstücks G.  straße   in H.   , auf dem der Beklagte seit 1966 einen Abschleppdienst mit Werkstatt betreibt. Ein schriftlicher Vertrag wurde nicht geschlossen. Der Beklagte zahlte für die Gebrauchsüberlassung (zuletzt) monatlich 1.200 €. Ob die Abrede als Miet- oder Pachtvertrag zu qualifizieren ist, wird von den Parteien unterschiedlich beurteilt.

3Im April 2004 hatte der Beklagte die Zahlungen eingestellt. Vor dem Amtsgericht Langenfeld schlossen G.     J.    und der Beklagte am einen Vergleich, wonach sich der Beklagte verpflichtete, die Pacht ab Oktober 2004 nach- und künftig fortzuzahlen. In Ziff. 2 des Vergleichs heißt es sodann: "Damit sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche zwischen den Parteien ausgeglichen."

4Mit Schreiben vom ist das "mündliche Pachtverhältnis" gekündigt worden. Ob das Schreiben von G.     J.     stammt und ob sie gegebenenfalls bei der Unterzeichnung noch geschäftsfähig war, ist zwischen den Parteien streitig.

5Am sind die Kläger aufgrund einer Auflassungserklärung vom zu je 1/3 als Eigentümer des Grundstücks eingetragen worden. Auch insoweit ist umstritten, ob die zum Zeitpunkt der Auflassung 94-jährige G.     J.     noch geschäftsfähig war.

6Mit Schreiben vom , das dem Beklagten am durch den Gerichtsvollzieher zugestellt wurde, haben die Kläger das "Mietverhältnis" erneut gekündigt. Am ist G.     J.     verstorben. Beerbt wurde sie von den Klägern.

7Ob G.     J.     und ihr vorverstorbener Ehemann dem Beklagten wiederholt versprochen haben, er werde das betroffene Grundstück nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten erben, ist zwischen den Parteien umstritten. Ebenso ist umstritten, ob die Bauarbeiten (Errichtung von Hallen; Pflasterung), die in den Jahren 1982 bis 1990 auf dem Grundstück vorgenommen und jedenfalls teilweise vom Beklagten finanziert wurden, vom Beklagten im Hinblick auf sein künftiges Erbe oder für den Kfz-Betrieb des Beklagten vorgenommen wurden. Auch die Höhe der Aufwendungen des Beklagten wird unterschiedlich dargestellt: Während der Beklagte behauptet, er habe 500.000 DM investiert, die zu einer Wertsteigerung des Grundstücks von 300.000 DM geführt hätten, legen die Kläger ein Verkehrswertgutachten vor, wonach das Grundstück auf einen Verkehrswert am von 115.000 € geschätzt wird.

8Das Landgericht hat den Beklagten zur Räumung und Herausgabe des Grundstücks verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kläger seien auf Grund der Auflassung vom und der Eintragung ins Grundbuch vom Eigentümer des Grundstücks geworden. Auf die Frage, ob die Mutter bei der Übertragung des Eigentums geschäftsfähig war, komme es nicht an. Ein Recht zum Besitz stehe dem Beklagten nicht zu, da die Kläger den Gebrauchsüberlassungsvertrag spätestens mit dem Schreiben vom gekündigt hätten. Der Beklagte könne sich auch nicht auf einen Aufwendungsersatzanspruch oder ein Zurückbehaltungsrecht berufen. Dabei sei es unerheblich, ob dem Beklagten stets zugesichert worden sei, er werde das Grundstück einmal erben, und ob der Beklagte die Investitionen allein im Vertrauen darauf getätigt habe. Denn mit dem gerichtlichen Vergleich vom seien sämtliche Ansprüche des Beklagten hinsichtlich des streitgegenständlichen Grundstücks abgegolten.

9Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten.

II.

10Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nach §§ 522 Abs. 3, 544 ZPO zulässig, insbesondere ist der Beschwerdewert nach §§ 544 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO erreicht. In der Sache hat sie Erfolg und führt gemäß §§ 522 Abs. 3, 544 Abs. 7 ZPO zur Zulassung der Revision und zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

111. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, nach den Feststellungen des Landgerichts seien die Kläger nicht im Wege der Universalsukzession, sondern gemäß §§ 566 Abs. 1, 578 BGB in den zwischen dem Beklagten und seiner Mutter bestehenden Mietvertrag eingetreten. Der Räumungsanspruch folge aus §§ 566, 581 Abs. 2, 546 Abs. 1 BGB. Ein Zurückbehaltungsrecht wegen angeblicher Verwendungen stehe dem Beklagten nach § 570 BGB nicht zu. Die Anwendbarkeit von § 570 BGB sei vorliegend auch nicht nach § 242 BGB ausgeschlossen. Allerdings erfasse § 566 BGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur solche Rechte und Pflichten, die mietrechtlich zu qualifizieren seien oder in untrennbarem Zusammenhang mit dem Mietvertrag stünden. Die Abrede, die der Beklagte mit seiner Mutter getroffen haben wolle, dass er nämlich die Bauarbeiten auf dem Grundstück nur durchgeführt habe, weil er das Grundstück später erben werde, sei nicht als mietrechtlich zu qualifizieren, sodass die Kläger in eine etwaige Abrede nicht eingetreten seien.

122. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Oberlandesgericht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat, weil es entscheidungserhebliches tatsächliches Vorbringen des Beklagten nicht zur Kenntnis genommen und nicht berücksichtigt hat.

13a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstößt ein Gericht gegen die aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Pflicht, Parteivorbringen zu berücksichtigen, wenn im Einzelfall besondere Umstände darauf hindeuten, dass erhebliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist - etwa wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vortrags einer Partei zu einer zentralen Frage des Verfahrens in den Entscheidungsgründen nicht eingeht (BVerfG MDR 2013, 1113 Rn. 15 mwN; vgl. auch - NJW-RR 2014, 381 Rn. 9 mwN).

14b) Der Beklagte hat unter Antritt des Sachverständigenbeweises vorgetragen, dass seine Mutter sowohl zum Zeitpunkt der Kündigung im November 2010 als auch zum Zeitpunkt der Auflassung im August 2011 nicht mehr geschäftsfähig gewesen sei. Auch die Kläger haben sich - zum Beweis des Gegenteils - auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufen. Das Landgericht hat Beweis insoweit nicht erhoben.

15Soweit das Landgericht im unstreitigen Tatbestand festgestellt hat, die Kläger seien durch Auflassung vom und Eintragung ins Grundbuch vom Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks geworden, steht dies in offenem Widerspruch zu den Ausführungen in den Entscheidungsgründen, wonach es nicht darauf ankommen soll, ob die Mutter bei der Übertragung des Eigentums geschäftsfähig war. Denn für die Auflassung kommt es auf die Geschäftsfähigkeit der früheren Eigentümerin an. Die widersprüchlichen Feststellungen des Landgerichts verletzen ihrerseits den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (vgl. - NJW-RR 2014, 381 Rn. 8).

16Der Umstand, dass das Oberlandesgericht sich mit diesem offensichtlichen Widerspruch nicht auseinandergesetzt, sondern ohne Begründung ausgeführt hat, nach den getroffenen Feststellungen seien die Kläger nicht im Wege der Universalsukzession, sondern gemäß §§ 566 Abs. 1, 578 BGB in den Mietvertrag eingetreten, lässt nur den Schluss zu, dass das Oberlandesgericht das streitige Vorbringen der Parteien zur Geschäftsfähigkeit der Mutter des Beklagten nicht zur Kenntnis genommen hat.

173. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Oberlandesgericht bei Berücksichtigung des Vorbringens des Beklagten zur mangelnden Geschäftsfähigkeit seiner Mutter und Erhebung der dafür angebotenen Beweise zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, ist der Beschluss aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:230817BXIIZR29.17.0

Fundstelle(n):
YAAAG-64753