BFH Urteil v. - I R 88/00

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wohnt mit ihrem Ehemann in Frankreich im Grenzgebiet zu Deutschland. Beide sind deutsche Staatsangehörige. Beide sind in Deutschland als Arbeitnehmer nichtselbständig tätig.

Der Ehemann hat von dem für seinen Arbeitgeber zuständigen Finanzamt eine Freistellungsbescheinigung nach § 39b Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erhalten, wonach bei ihm wegen der sog. Grenzgängerregelung in Art. 13 Abs. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern (DBA-Frankreich) bis zum vom Lohnsteuerabzug abgesehen werden kann. Die Klägerin ist seit dem bei einer Ersatzkrankenkasse, einer gemäß § 1 Abs. 2 ihrer Satzung bundesunmittelbaren rechtsfähigen Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung, beschäftigt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erteilte auch ihr antragsgemäß mehrere Jahre hintereinander Bescheinigungen, durch die ihr Arbeitslohn aufgrund Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich vom (inländischen) Steuerabzug freigestellt wurde. Die letzte derartige Bescheinigung datiert unter dem ; sie ist mit einem Widerrufsvorbehalt versehen.

Am hob das FA diese Bescheinigung vom ab dem auf und ersetzte sie durch eine ”Bescheinigung für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer”, wonach für die Klägerin Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag vom 1. Januar bis nach der Steuerklasse I/0 einzubehalten sei. Das FA vertrat die Auffassung, dass die sog. Grenzgängerregelung des Doppelbesteuerungsabkommens nicht für Arbeitnehmer einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gelte. Die Gehälter dieser Arbeitnehmer seien nach dem Kassenstaatsprinzip dort zu versteuern, wo die Körperschaft ihren Sitz habe. Die betroffenen Arbeitnehmer seien gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG im Inland beschränkt einkommensteuerpflichtig, so dass der Lohnsteuerabzug nach § 39d EStG zu erfolgen habe.

Dagegen legte die Klägerin am Einspruch ein.

Am stellte sie —unter Beifügung der ihrem Ehemann erteilten Freistellungsbescheinigung gemäß § 39b Abs. 6 EStG— einen Antrag auf Lohnsteuerermäßigung und beantragte, in die Lohnsteuerklasse III eingeordnet zu werden. Am erteilte das FA der Klägerin eine Bescheinigung über den Lohnsteuerabzug nach § 1 Abs. 2 i.V.m. § 39c Abs. 3 EStG, wonach für das gesamte Jahr 1999 für den Steuerabzug vom Arbeitslohn die Steuerklasse I/0 gelte und bei der Berechnung der Lohnsteuer monatlich 761 DM (insgesamt 9 140 DM) als steuerfrei abzuziehen seien. In der Bescheinigung heißt es, dass diese die Bescheinigung vom ändere.

Dagegen richtet sich die als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführte Anfechtungsklage, die erfolglos blieb. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 1328 abgedruckt.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und festzustellen, dass das FA verpflichtet war, ihr für das Jahr 1999 eine Freistellungsbescheinigung zu erteilen, wonach ihr Arbeitslohn von der Krankenkasse nach Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich bis zur Aufgabe des Wohnsitzes im französischen Grenzgebiet nicht dem Steuerabzug in Deutschland unterliegt, hilfsweise, festzustellen, dass das FA die ”Bescheinigung für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer” dahin hätte erteilen müssen, dass die Lohnsteuer nach Lohnsteuerklasse III/0 einzubehalten ist.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zwar zu Unrecht eine erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 2 EStG angenommen; tatsächlich ist die Klägerin beschränkt steuerpflichtig. An dem Besteuerungsrecht in Deutschland ändert dies jedoch nichts; die sog. Grenzgängerbesteuerung ist nicht anwendbar (1.). Das FG hat die Klägerin auch zu Recht nicht in die Steuerklasse III eingestuft (2.).

1. Die Klägerin kann für die Bezüge, die sie von der Ersatzkasse für die von ihr erbrachte Arbeit erhält, keine Freistellungsbescheinigung gemäß § 39b Abs. 6 EStG i.V.m. Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich beanspruchen. Das Besteuerungsrecht für diese Bezüge steht nicht Frankreich, sondern Deutschland zu.

a) Das FG ist —ebenso wie die Klägerin und zwischenzeitlich auch das FA— davon ausgegangen, dass die Klägerin gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 EStG der sog. erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht unterfalle. Dem ist nicht zu folgen. Denn danach ist u.a. erforderlich, dass die betreffende natürliche Person in dem Vertragsstaat, in dem sie ihren Wohnsitz hat, lediglich ”in einem der beschränkten Einkommensteuerpflicht ähnlichen Umfang zu einer Steuer vom Einkommen herangezogen” wird. Unabhängig davon, ob sie die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt, verhält es sich bei der Klägerin nach Lage der Dinge so jedoch nicht: Sie hatte in Frankreich ihren Wohnsitz und war deshalb nach dem insoweit maßgeblichen französischen Steuerrecht unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (vgl. Senatsurteil vom I R 271/81, BFHE 145, 44). Sie wurde dort allenfalls deswegen nicht mit ihren Einkünften aus der Tätigkeit bei der Ersatzkasse besteuert, weil das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte nach Maßgabe des DBA-Frankreich Deutschland zugewiesen ist. Dadurch wurde sie aber nicht in Frankreich in einem der beschränkten Steuerpflicht ähnlichen Umfang zu einer Steuer herangezogen (vgl. auch Senatsurteile in BFHE 145, 44, und vom I R 205/82, BFHE 158, 210, BStBl II 1990, 687). Vielmehr ist davon auszugehen, dass ihr die mit der unbeschränkten gegenüber der nur beschränkten Steuerpflicht verbundenen Steuervorteile vorbehaltlos gewährt werden, sei es im Rahmen weiterer persönlicher Einkünfte neben jenen, die sie im Rahmen des Dienstverhältnisses zu der Ersatzkasse erzielt, sei es im Rahmen einer Zusammenveranlagung mit ihrem Ehemann (vgl. dazu Art. 4 A und 4 B des französischen Code General des Impots).

b) Entfällt damit die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 2 EStG, ist die Klägerin in Deutschland mit ihren inländischen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG beschränkt steuerpflichtig. Das deutsche Besteuerungsrecht für diese Einkünfte wird nicht durch Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich ausgeschlossen.

aa) Das Besteuerungsrecht für Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die u.a. eine juristische Person des öffentlichen Rechts in Deutschland an eine in Frankreich ansässige Person mit deutscher Staatsangehörigkeit zahlt, gebührt Deutschland, wenn die Vergütungen für gegenwärtige oder frühere Dienstleistungen in der Verwaltung geleistet werden. Davon ist im Streitfall nach den tatrichterlichen Feststellungen, die den Senat binden (vgl. § 118 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—), auszugehen:

Die Ersatzkrankenkasse ist nach ihrer Rechtsform eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Dass diese Feststellungen des FG verfahrensfehlerhaft zustande gekommen wären, wurde nicht geltend gemacht. Soweit die Klägerin unter Berufung auf die sozialrechtliche Gesetzeslage Zweifel an der Qualifizierung der Kasse als juristische Person des öffentlichen Rechts anmeldet, weil deren Mittel aus Beiträgen der Versicherten und sonstigen Einnahmen, nicht aber aus Haushaltsmitteln aufgebracht werden, ist dem nicht zu folgen. Die Herkunft der für die Vergütungen aufgebrachten Mittel ist für die Qualifizierung als juristische Person des öffentlichen Rechts unbeachtlich. Die Klägerin erbringt ihre Dienstleistungen, für die sie bezahlt wird, auch ”in der Verwaltung” der Ersatzkasse i.S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich und ist in diese Verwaltung eingegliedert (vgl. Kramer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerungsabkommen, Art. 14 Frankreich Rz. 11). Sie verrichtet ihre Dienste im Rahmen des der Ersatzkasse obliegenden Aufgabenbereichs innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung und damit eines der öffentlichen Hand zuordenbaren Verwaltungsbereichs. Parallelen zu jenen Sachverhalten, in denen die Tätigkeit im Zuge der Privatisierung bislang öffentlich-rechtlicher Hoheitsbetriebe tatsächlich in einem privatwirtschaftlich strukturierten Unternehmen erbracht werden (vgl. dazu Senatsurteil vom I R 60-61/97, BFHE 185, 376, BStBl II 1999, 13), sind nicht ersichtlich.

bb) Die sog. Grenzgängerregelung in Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich, deren Voraussetzungen die Klägerin unstreitig erfüllt und wonach die in Rede stehenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Frankreich zu besteuern wären, wird durch die Sonderregelung des Art. 14 DBA-Frankreich für Bezüge aus öffentlichen Kassen ausgeschlossen. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBA-Frankreich, der als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit ausdrücklich solche bestimmt, die ”von anderen als den in Art. 14 bezeichneten Personen gezahlt oder gewährt werden”. Art. 14 geht Art. 13 DBA-Frankreich prinzipiell vor. Das gilt auch für die Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich. Zwar besteht insoweit ein Vorrang zu Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich, der in Satz 1 die grundsätzliche Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Tätigkeitsstaat anordnet. Dieser Vorrang erstreckt sich jedoch nur auf die in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich geregelte Zuweisung des Besteuerungsrechts, nicht auf die Legaldefinition des Begriffs der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBA-Frankreich. Der Begriff der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit wird vielmehr in Art. 13 Abs. 5 Buchst. a DBA-Frankreich aufgegriffen und deshalb auch insoweit durch Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift abschließend festgelegt (Kramer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 13 Frankreich Rz. 12, Art. 14 Frankreich Rz. 3).

2. Die vom FA auf Antrag der Klägerin erteilte Bescheinigung über die für den Lohnsteuerabzug des Arbeitgebers maßgeblichen Besteuerungsmerkmale ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

a) Rechtsgrundlage für diese Bescheinigung ist zwar nicht § 39c Abs. 3 Satz 3 EStG, sondern § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG, weil die Steuerpflicht der Klägerin nicht aus § 1 Abs. 2 EStG, vielmehr aus § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG folgt. Infolgedessen war es, wie sich zwingend aus § 39d Abs. 1 Satz 1 EStG ergibt, aber auch richtig, der Klägerin die Steuerklasse I zu bescheinigen.

b) Daran könnte sich auch dann nichts ändern, sollte der Antrag der Klägerin —wofür allerdings keine Anhaltspunkte ersichtlich sind— als ein solcher auf Behandlung als fiktiv unbeschränkt steuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 3 EStG anzusehen sein. Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 1 Abs. 3 und § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG unterstellt, wäre ebenfalls nicht die Steuerklasse III zu bescheinigen.

Dies käme gemäß § 39c Abs. 4 Satz 3, § 39 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 38b Satz 2 Nr. 3 Buchst. a EStG bei verheirateten Arbeitnehmern, die beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, nur in Betracht, wenn der Ehegatte des Arbeitnehmers keinen Arbeitslohn bezieht (§ 38b Satz 2 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG) oder wenn der Ehegatte des Arbeitnehmers auf Antrag beider Ehegatten in die Steuerklasse V eingereiht wird (§ 38b Satz 2 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb EStG). An diesen Voraussetzungen fehlt es im Streitfall: Ein Antrag gemäß Doppelbuchst. bb der Vorschrift wurde nicht gestellt. Der Ehemann der Klägerin bezieht Arbeitslohn. Dieser Arbeitslohn ist, wie das FG festgestellt hat, in Deutschland zwar steuerfrei; das Besteuerungsrecht ist gemäß Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich Frankreich zugewiesen. § 38b Satz 2 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG macht die Einreihung in die Steuerklasse III jedoch nicht von der sachlichen Steuerpflicht der vom Ehegatten des Steuerpflichtigen bezogenen Arbeitseinkünfte abhängig, vielmehr allein von deren Existenz. Die Vorinstanz weist zu Recht darauf hin, dass dies auch sachgerecht ist, weil es dem wirtschaftlichen Ergebnis der Steuerveranlagung eher gerecht wird: Beantragt die Klägerin als fiktiv unbeschränkt Steuerpflichtige die getrennte Einkommensteuerveranlagung, wäre die Grundtabelle und damit die Steuerklasse IV anzuwenden. Wird die Klägerin mit ihrem Ehemann zusammenveranlagt und ist unter den Voraussetzungen der § 1 Abs. 3 und § 1a EStG die Splitting-Tabelle anzuwenden, unterfallen die gemäß Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich im Inland freigestellten Einkünfte des Ehemannes dem Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG), wodurch sich die festzusetzende Einkommensteuer im Ergebnis erhöht. Bei einem Ansatz der Steuerklasse III würde deshalb das Ziel des Lohnsteuerverfahrens nicht erreicht, die voraussichtlich im Rahmen der Veranlagung anzusetzenden Arbeitnehmereinkünfte in vollem Umfang im Abzugswege zu erheben.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 623 Nr. 5
DStRE 2002 S. 373 Nr. 6
UAAAA-68131