BFH Beschluss v. - I R 72/00

Gründe

Die gemäß § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Revisionen I R 72/00, I R 73/00 und I R 74/00 sind unzulässig; sie waren zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).

1. Die Zulässigkeit der Revisionen gegen die vor dem zugestellten Vorentscheidungen richtet sich nach den bis zum geltenden Vorschriften (Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze —2.FGOÄndG— vom , BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567). Neben der FGO a.F. ist damit auch das Gesetz zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) i.d.F. des Gesetzes vom (BGBl I 1996, 1810, BStBl I 1996, 1522) anzuwenden.

2. Gemäß Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO a.F. die Revision nur statt, wenn sie das Finanzgericht (FG) oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen hat oder wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO a.F. gegeben ist.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Die von der Klägerin gegen die Vorentscheidungen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden hat der Senat mit Beschluss vom heutigen Tage als unzulässig verworfen.

Gründe für eine zulassungsfreie Revision i.S. des § 116 Abs. 1 FGO a.F. liegen nicht vor. Insbesondere war das erkennende Gericht bei der Vorentscheidung nicht i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO a.F. nicht vorschriftsmäßig besetzt. Bei den Vorentscheidungen hat auch kein Richter mitgewirkt, der i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO a.F. wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war.

3. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) macht zwar geltend, der entscheidende Einzelrichter sei krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, den Prozessstoff sachlich zu erfassen und zu würdigen. Er sei daher in einem Zustand gewesen, der mit ”Abwesenheit” zu kennzeichnen sei. Verursacht worden sei dieser Zustand durch eine Aversion und Aggression gegenüber der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten. Zum Beweis dieses Vorbringens beantragt die Klägerin die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens.

Mit diesem Vorbringen sind indessen die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO a.F., § 119 Nr. 1 FGO nicht schlüssig dargelegt. Wird eine Besetzungsrüge erhoben, bedarf es der Darlegung konkreter Tatsachen, aus denen sich dieses Vorbringen schlüssig ergibt (BFH-Beschlüsse vom IV R 181/79, BFHE 132, 377, BStBl II 1981, 400; vom VIII R 70/93, BFH/NV 1997, 31; , BFHE 114, 85, BStBl II 1975, 232). Kennt ein Beteiligter die tatsächlichen Grundlagen für seine Behauptung nicht hinreichend und vermutet er lediglich einen derartigen Verfahrensfehler oder dessen Voraussetzungen, muss er sich selbst Aufklärung zu verschaffen suchen und ggf. eigene Ermittlungen anstellen (, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384). Es genügt nicht, dass ein Revisionskläger sozusagen ”auf Verdacht” mögliche Verfahrensmängel behauptet, die das Revisionsgericht dann in tatsächlicher Form zu prüfen hätte (, BFH/NV 1993, 543). Dies gilt wegen der damit verbundenen Berührung der persönlichen Sphäre einer Gerichtsperson insbesondere, wenn wie vorliegend mit der Revision geltend gemacht wird, ein Richter sei bei seiner Entscheidung aus physischen oder psychischen Gründen nicht in der Lage gewesen, seine richterliche Funktion ordnungsgemäß wahrzunehmen, und das FG sei somit bei Erlass des angefochtenen Urteils nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Der ihr insoweit verstärkt obliegenden Ermittlungspflicht ist die Klägerin nicht nachgekommen. Ihre Behauptung der ”Abwesenheit” des entscheidenden Richters beschränkt sich auf bloße Vermutungen, die weder durch ihren eigenen Vortrag noch durch den Akteninhalt gestützt werden. Verfügt ein Beteiligter nicht über den erforderlichen Sachverstand für seine Behauptungen, ist von ihm jedenfalls zu verlangen, dass er diese unter Bezugnahme auf einschlägige Bekundungen sachverständiger Personen im Vorfeld glaubhaft macht. Der bloße Antrag auf entsprechende Beweiserhebung durch das Revisionsgericht ist keinesfalls ausreichend.

4. Ob die in § 6 Abs. 1 FGO genannten Voraussetzungen für die Übertragung der Sache auf den Einzelrichter vorlagen, kann im Revisionsverfahren nicht überprüft werden; die Entscheidung im Rechtsstreit auf einen Einzelrichter zu übertragen, ist unanfechtbar (§ 6 Abs. 4 Satz 1 FGO). Für eine davon ggf. zu machende Ausnahme bei ”greifbarer Gesetzeswidrigkeit” (BFH-Beschlüsse vom VII R 2/99, BFH/NV 2000, 599; vom IV R 26/95, BFH/NV 1996, 908), ist nichts vorgebracht worden.

5. An den Vorentscheidungen hat auch kein Richter mitgewirkt, der wegen Befangenheit mit Erfolg abgelehnt worden war (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO a.F., § 119 Nr. 2 FGO). Die Schlüssigkeit dieser Verfahrensrüge setzt voraus, dass der Richter ”mit Erfolg” abgelehnt worden ist. Daran fehlt es im Streitfall.

Die Klägerin hat zwar in allen Verfahren Gesuche um Ablehnung des Einzelrichters gestellt. In zwei Verfahren sind diese Gesuche aber bereits vom FG abgelehnt worden. In diesem Fall kann die Verfahrensrüge des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO a.F., § 119 Nr. 2 FGO nur erhoben werden, wenn auf Beschwerde der BFH dem Ablehnungsgesuch stattgibt (, BFH/NV 1994, 498). Dies ist vorliegend nicht geschehen; der erkennende Senat hat beide Beschwerden als unbegründet zurückgewiesen.

Im dritten Verfahren wurde das Ablehnungsgesuch der Klägerin im Urteil als missbräuchlich und damit unzulässig verworfen. Dieses Verfahren des FG kann nur mit den gegen das Urteil selbst gegebenen Rechtsmitteln, vorliegend also der Nichtzulassungsbeschwerde gerügt werden (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1994, 498; vom X B 170/93, BFH/NV 1995, 793; vom III B 61/95, BFH/NV 1997, 38).

6. Da die Revisionen unter dem Gesichtspunkt des § 116 Abs. 1 FGO a.F. keinen Erfolg haben, kommt eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO, wie von der Klägerin beantragt, nicht in Betracht.

Fundstelle(n):
NAAAA-68129