Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen veranlagte Eheleute. Der Kläger war aufgrund Dienstvertrages vom alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der R-GmbH, die Komplementärin der R-KG war. Das Dienstverhältnis war auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.
Am schlossen der Kläger und die R-GmbH zu § 6 des Dienstvertrages folgende Vereinbarung:
”(4) Für den Fall, daß das Dienstverhältnis nach dem Ausscheiden der Gesellschafterin A aus der GmbH von der Gesellschaft gekündigt wird, hat der Geschäftsführer Anspruch auf eine Abfindung. Die Abfindung setzt sich zusammen aus der Summe des im letzten Geschäftsjahr seiner Tätigkeit bezogenen festen Jahresgehalts und dem Durchschnittsbetrag der in den letzten drei Geschäftsjahren vor seinem Ausscheiden bezogenen Tantieme nach § 2 Abs. 1 c) des Geschäftsführerdienstvertrags. Der Abfindungsanspruch entfällt jedoch, wenn das Dienstverhältnis aus einem wichtigen Grund oder auf einen Zeitpunkt nach der automatisch vorgesehenen Beendigung nach Abs. 5 oder infolge der vorherigen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Geschäftsführers gekündigt wird.
(5) Das Dienstverhältnis endet, ohne daß es einer Kündigung bedarf, mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem der Geschäftsführer sein 63. Lebensjahr vollendet. Ändern sich die gesetzlichen Bestimmungen über die Ausnutzung der flexiblen Altersgrenze (§ 1248 Abs. 1 RVO), so ändert sich der Zeitpunkt, in dem das Dienstverhältnis des Geschäftsführers automatisch endet, entsprechend.”
Auf Veranlassung der R-GmbH vereinbarten der Kläger und die R-GmbH am —nach Ausscheiden von A— die Aufhebung seines Dienstverhältnisses zum . Für den Verlust des Arbeitsplatzes verpflichtete sich die R-GmbH, dem Kläger eine Abfindung in Höhe von 1,2 Mio. DM zu zahlen, die am fällig war. Ebenfalls am verpflichteten sich die Kommanditisten der R-KG, anlässlich der Aufhebung des Dienstverhältnisses zur Zahlung einer ”weiteren Abfindung” in Höhe von 1 Mio. DM. Dieser Betrag sollte fällig werden, sobald der Kaufpreis aufgrund des seinerzeit geplanten Verkaufs der Kommanditanteile bezahlt worden sei. Eine Verzinsung sollte nicht stattfinden.
Die Gesellschafter der R-KG verkauften ihre Anteile an der R-KG, der R-GmbH und weiteren Gesellschaften mit Vertrag vom an die V-GmbH. Nach Abschn. III 4. des Verkaufsvertrages war der gesamte Kaufpreis auf ein Treuhandkonto des Klägers zu zahlen. Nach Abschn. VIII 3. Buchst. a des Verkaufsvertrages benannten die Verkäufer den Kläger vereinbarungsgemäß als Person, die berechtigt sein sollte, alle aufgrund des Kaufvertrages oder in dessen Ausführung abzugebenden Erklärungen rechtsverbindlich für die Verkäufer abzugeben und entgegenzunehmen.
Mit Vertrag vom verpflichtete sich der Kläger als Berater gegen bestimmte Tagessätze die Unternehmensleitung der V-GmbH freiberuflich zu beraten.
Die Kläger behandelten die Zahlungen in Höhe von 2,2 Mio. DM in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1996 als Abfindung bzw. außerordentliche Einkünfte (§ 3 Nr. 9, § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 des Einkommensteuergesetzes —EStG—). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erkannte nur einen Betrag in Höhe von 950 000 DM als Abfindung an. Da nach Abschn. III 4. bzw. VIII 3. des Kaufvertrages der Kaufpreis auf ein Treuhandkonto des Klägers zu zahlen und der Kläger zur Entgegennahme von Erklärungen ermächtigt gewesen sei, habe er den 950 000 DM übersteigenden Betrag als nicht tarifbegünstigte Verkaufsprovision erhalten.
Im Klageverfahren ließ der Kläger vortragen, dass die Gesellschafter der KG Anfang 1996 nach dem Ausscheiden von A beschlossen hätten, aufgrund ihrer unterschiedlichen Auffassungen zur weiteren Geschäftsentwicklung das Unternehmen zu veräußern. Um dieses für einen möglichen Investor attraktiv zu machen, sollte die Führungsmannschaft verjüngt werden. Dem Kläger sei daher nahe gelegt worden, einer Auflösung seines regulär am auslaufenden Dienstvertrages zuzustimmen. Nachdem dem Kläger infolge einer vorzeitigen Beendigung ein Vergütungsanspruch von rd. 2,3 Mio. DM entgangen wäre, sei ihm eine Abfindung in Höhe von 2,2 Mio. DM zugesagt worden. Um das Ergebnis des zur Veräußerung stehenden Unternehmens hierdurch nicht zusätzlich zu belasten, sollte die Gesamtabfindung in Höhe von 1,2 Mio. DM von der R-GmbH und die restliche 1 Mio. DM von den Kommanditisten nach Zahlung des Kaufpreises bezahlt werden.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die von den Kommanditisten gezahlte ”Abfindung” sei nicht begünstigt, weil sie Entgelt für die Verkaufstätigkeit des Klägers gewesen sei. Der Kläger habe ”offenbar” den Verkauf der KG-Anteile ”betrieben”. Dies ergebe sich aus Abschn. III 4. und VIII 3. des Verkaufsvertrages vom , wonach der Kläger zur Entgegennahme des Kaufpreises als Treuhänder und zur Abwicklung des Verkaufsvertrages beauftragt gewesen sei. ”Es sei nicht anzunehmen”, dass der Kläger diese Tätigkeiten kostenlos ausgeübt habe. Die Zahlung von 1 Mio. DM ”dürfte” auch im Verhältnis zum Umfang und Schwierigkeitsgrad der Verkaufsverhandlungen und Abwicklungstätigkeiten angemessen gewesen sein. ”Es sei nicht ersichtlich”, aus welch anderen Gründen der Kläger einen höheren Betrag, als den in der Vereinbarung vom vorgesehenen, habe erhalten sollen.
Mit ihrer Revision machen die Kläger Verletzung des § 76 Abs. 1 und 2, § 96 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung geltend. Sie beantragen, das Urteil aufzuheben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung durch einen anderen Senat des Finanzgerichts (FG) zurückzuverweisen. Sie beantragen ferner, die Kosten des Ausgangsverfahrens, der Nichtzulassungsbeschwerde und des Revisionsverfahrens gemäß § 8 des Gerichtskostengesetzes (GKG) nicht zu erheben, weil diese Kosten durch die fehlerhafte Verfahrensbehandlung des FG verursacht worden seien.
Das FA beantragt, die Revision und den Antrag auf Zurückverweisung an einen anderen Senat des FG zurückzuweisen.
II. Auf die Revision der Kläger ist das Urteil des FG wegen Verletzung des § 76 FGO aufzuheben. Die Sache ist an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
1. Die formellen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge sind erfüllt. Insbesondere haben die Kläger substantiiert ausgeführt, dass bzw. welchen Vortrag der Kläger das FG unbeachtet gelassen und stattdessen mit Unterstellungen in tatsächlicher Hinsicht gearbeitet hat. Die Kläger haben auch schlüssig dargelegt, dass sich die gerügten Verfahrensfehler erst aus dem Urteil ergeben hätten und daher nicht in der mündlichen Verhandlung hätten gerügt werden können.
2. Das FG hat seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt.
a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Nach § 96 Abs. 2 FGO darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Grundlage für die aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO zu gewinnende Überzeugung sind daher grundsätzlich nur Tatsachen und Beweisergebnisse, d.h. der vom FG nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO von Amts wegen festzustellende Sachverhalt. Unterstellungen in tatsächlicher Hinsicht sind nur insoweit zulässig, als der Sachverhalt nicht näher aufgeklärt werden kann (vgl. z.B. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817, unter C. II. 4. b aa, m.w.N.; ebenso zum Beweisverderber z.B. , BFH/NV 1993, 547, m.w.N.). Solange das FG sich nicht vom Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts überzeugen kann, muss es die Beteiligten befragen, ggf. von Amts wegen Beweise erheben.
Die Pflicht zur Sachaufklärung entfiel —entgegen der Auffassung des FA— nicht deswegen, weil die Kläger der ihren Ausführungen widersprechenden Meinung des FA nicht nochmals widersprochen haben. Zwar obliegt den Beteiligten auch im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens eine allgemeine prozessuale Mitwirkungspflicht bei Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 Sätze 2, 4 FGO). Auch ist das Ausmaß der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht durch eine Verletzung von Mitwirkungspflichten begrenzt (vgl. hierzu z.B. Gräber/ von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 76 Rdnr. 28, m.w.N.). Die Mitwirkungspflicht umfasst danach aber nur die Pflicht, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, nicht die Pflicht, einem in tatsächlicher Hinsicht nicht substantiierten Vortrag des FA zu widersprechen.
b) Gegen diese Verfahrensgrundsätze hat das FG verstoßen. Es hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die ”Abfindung” sei, soweit sie den Betrag von 950 000 DM übersteige, für die Tätigkeit des Klägers im Zusammenhang mit der Veräußerung der R-KG gezahlt worden. Das FG hat dies auf die Annahme gestützt, dass der Kläger den Verkauf der Gesellschaftsanteile für die Gesellschafter ”offenbar betrieben” habe, eine solche Tätigkeit nicht kostenlos ausgeübt werde und die Zahlung in Höhe von 1 Mio. DM (richtigerweise: 1,25 Mio. DM) im Verhältnis zum Umfang und Schwierigkeitsgrad der Verkaufsverhandlungen nicht unangemessen sei. Diese Schlussfolgerungen sind zwar revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie beruhen jedoch nicht auf vom FG festgestellten Tatsachen. Das FG hat insoweit ausschließlich Vermutungen aufgestellt (vgl. z.B. ”offenbar"; ”es ist nicht anzunehmen"; ”dürfte nicht unangemessen sein”). Die einzigen tatsächlichen Feststellungen, dass laut Kaufvertrag vom der Kaufpreis auf ein im Namen des Klägers eingerichtetes Treuhandkonto überwiesen werden sollte und der Kläger zur Entgegennahme von Erklärungen aufgrund des Kaufvertrages ermächtigt werden sollte, betreffen Tätigkeiten des Klägers nach Abschluss des Kaufvertrages und lassen insoweit nur den Schluss zu, dass der Kläger das Vertrauen der Verkäufer besaß. Über die Art, den Umfang und den Schwierigkeitsgrad der Tätigkeit des Klägers vor und bei der Veräußerung des Unternehmens und zur Angemessenheit einer Provision von 1,25 Mio. DM sagen diese Vertragsbestimmungen nichts aus.
c) Da das FG wesentlich auf Art und Umfang der Tätigkeit des Klägers im Zusammenhang mit dem Verkauf der R-KG abgestellt hat, beruht die Vorentscheidung auf der fehlenden Aufklärung des Sachverhalts.
3. Dem Antrag auf Zurückverweisung an einen anderen Senat des FG (§ 155 FGO i.V.m. § 565 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozeßordnung) wird nicht entsprochen. Die gerügten und begründeten Verfahrensfehler lassen keinen Schluss auf eine Voreingenommenheit des erkennenden Senats des FG zu. Eine solche wurde auch von den Klägern nicht behauptet (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 126 Rdnr. 13, m.w.N.).
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO. Für eine Nichterhebung der Kosten gemäß § 8 Abs. 1 GKG ist kein Raum.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG werden Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben. Als unrichtige Sachbehandlung kommen nur erkennbare Versehen oder materielle Verstöße gegen eindeutige Rechtsnormen des materiellen oder formellen Rechts in Betracht (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2000, 330, m.w.N.). Nicht jede auf einem Verfahrensverstoß beruhende Aufhebung des FG-Urteils führt zur Nichterhebung von Kosten. Zudem ist auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Kläger im Revisionsverfahren ein Verstoß gegen eindeutige Rechtsnormen des materiellen Rechts nicht erkennbar, denn der Anlass für die erhöhte ”Abfindungszahlung” ist in tatsächlicher Hinsicht nach wie vor ungeklärt (vgl. auch Beratervertrag des Klägers zwischen KG und Kläger vom gemäß Abschn. II 3. a des Verkaufs- und Abtretungsvertrags vom ; Berechnung der Einkünfte aus freier Berufstätigkeit als Betriebsberater für die Zeit vom 1. April bis ).
Die Beteiligten haben zwar nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet. Der Senat hat es jedoch für sachgerecht gehalten, durch Gerichtsbescheid gemäß § 121 i.V.m. § 90a FGO zu entscheiden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
TAAAA-67998