BGH Beschluss v. - 2 StR 199/17

Hauptverfahren: Schriftlichkeitsgebot hinsichtlich der Verfahrenseröffnung; Konkludente Eröffnung durch Verfahrensverbindung

Gesetze: § 203 StPO, § 207 StPO

Instanzenzug: LG Aachen Az: 62 KLs 9/16

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen in einem Saturn-Markt am (Anklageschrift 2 Js 317/16 Staatsanwaltschaft Aachen, im Weiteren Tat vom ) zu einer Einzelfreiheitsstrafe von zehn Monaten und wegen eines weiteren Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit versuchter Nötigung am in einem Real-Markt (Anklageschrift 2 Js 535/16 Staatsanwaltschaft Aachen, im Weiteren Tat vom ) zu einer weiteren Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Aus den beiden Einzelstrafen hat das Landgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet und eine Strafaussetzung zur Bewährung versagt.

2Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

3Hinsichtlich der Tat vom ist das Verfahren einzustellen, da es insoweit an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses fehlt.

41. Wegen des Tatvorwurfs vom erhob die Staatsanwaltschaft am Anklage zum Landgericht Aachen. Am übersandte das Amtsgericht Düren das dort noch im Zwischenverfahren anhängige Verfahren wegen des Tatvorwurfs vom an das Landgericht Aachen zur "Prüfung einer Übernahmebereitschaft". Am beschloss das Landgericht Aachen, die Anklage der Staatsanwaltschaft Aachen vom (Tat vom ) zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren gegen den Angeklagten vor der 2. großen Strafkammer des Landgerichts zu eröffnen. Ferner beschloss es, die Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen durchzuführen sowie den Haftbefehl in Verbindung mit dem Haftverschonungsbeschluss gegen den Angeklagten wegen der Tat vom aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus verband es das vom Amtsgericht Düren übersandte Verfahren (Tat vom ) zu dem bei ihm geführten Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung. Die dem Verfahren beim Amtsgericht Düren zugrunde liegende Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Aachen vom findet in dem Eröffnungsbeschluss der Strafkammer keine Erwähnung. Insoweit ist auch später keine Eröffnungsentscheidung ergangen.

52. Damit fehlt es hinsichtlich der Tat vom an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss. Die Eröffnungsentscheidung der Strafkammer vom bezog sich ausdrücklich nur auf die Anklage zur Tat vom . Der von der Strafkammer gleichzeitig beschlossenen Übernahme und Hinzuverbindung des noch im Zwischenverfahren befindlichen amtsgerichtlichen Verfahrens kann nicht die Bedeutung einer konkludenten Eröffnung des Hauptverfahrens beigemessen werden.

6Zur Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO genügt zwar auch eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen (, NStZ 2016, 747; Senat, Beschluss vom - 2 StR 376/99, NStZ 2000, 442, 443 mwN). Dennoch bedarf es im Hinblick auf die Bedeutung des Eröffnungsbeschlusses als Grundlage des Hauptverfahrens regelmäßig einer schriftlichen Niederlegung der Entscheidung. Aus Gründen der Rechtsklarheit ist es erforderlich, dass die Urkunde aus sich heraus und in Verbindung mit sonstigen Urkunden mit Sicherheit erkennen lässt, dass die zuständigen Richter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen haben (Senat, Beschluss vom - 2 StR 29/15, StV 2015, 740; , BGHR StPO § 207 Beschluss 1).

7Die von der Strafkammer mit demselben Beschluss herbeigeführte Verbindung des amtsgerichtlichen Verfahrens wegen des Tatvorwurfs vom hat nicht die Wirkung eines Beschlusses über die Zulassung der in dem übernommenen Verfahren erhobenen Anklage und über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Denn dem Verbindungsbeschluss ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen, dass das Landgericht hinsichtlich der übernommenen Anklage die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft und angenommen hat (vgl. zur ähnlichen Fallkonstellation , NStZ 1987, 239; Beschluss vom - 3 StR 484/10, NStZ-RR 2011, 150; 2 St RR 154/97, NStZ-RR 1998, 109).

8Die Entscheidung der Strafkammer über die Aufrechterhaltung des Haftbefehls in dem bei ihr angeklagten Verfahren vermag den fehlenden Eröffnungsbeschluss ebenfalls nicht zu ersetzen (vgl. , NStZ-RR 1999, 14, 15), da die Aufrechterhaltung des Haftbefehls lediglich den Tatvorwurf vom betrifft.

9Eine Eröffnung des Hauptverfahrens ergibt sich auch nicht daraus, dass in der Hauptverhandlung vom beide Anklageschriften unbeanstandet verlesen und der Vorsitzende auch hinsichtlich der Anklageschrift vom , betreffend den Tatvorwurf vom , irrtümlich festgestellt hat, dass diese durch Beschluss der Strafkammer vom zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor der 2. Strafkammer eröffnet worden sowie eine Verbindung zu dem zuvor beim Landgericht geführten Verfahren erfolgt sei. Die Dokumentation einer grundsätzlich möglichen Nachholung des Eröffnungsbeschlusses in der Hauptverhandlung scheitert hier bereits daran, dass die Strafkammer lediglich mit zwei Berufsrichtern verhandelte. Eine Eröffnungsentscheidung ist indes durch die Strafkammer in ihrer Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung, also mit drei Berufsrichtern ohne Schöffen, zu treffen (, NStZ 2012, 225, 226, Urteil vom - 4 StR 596/09, juris, Rn. 12).

10Das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses stellt ein in der Revisionsinstanz nicht behebbares Verfahrenshindernis dar, das zur Einstellung des gerichtlichen Verfahrens hinsichtlich des Tatvorwurfs vom nach § 206a StPO mit der Kostenfolge gemäß § 467 Abs. 1 StPO führt (vgl. , NStZ 2016, 747; Senat, Beschluss vom - 2 StR 29/15, StV 2015, 740, 741).

11Die Einstellung hinsichtlich der Tat vom lässt den Gesamtstrafenausspruch sowie die damit verbundene Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung entfallen. Davon unberührt bleibt die Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit versuchter Nötigung aufgrund der Tat vom . Die Nachprüfung des Urteils hat diesbezüglich weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO), so dass auch die Einzelstrafe von einem Jahr und zehn Monaten aufrechtzuerhalten war. Insoweit wird die nunmehr berufene Strafkammer über die Frage der Strafaussetzung neu zu entscheiden haben. Die bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bleiben bestehen. Ergänzende Feststellungen sind möglich.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:160817B2STR199.17.0

Fundstelle(n):
RAAAG-62982