BGH Beschluss v. - I ZR 178/16

Markenlöschungsverfahren: Umfang der Markennutzungspflicht

Gesetze: § 26 Abs 1 MarkenG

Instanzenzug: Az: 6 U 166/16vorgehend LG München I Az: 33 O 6746/15

Gründe

1I. Die Klägerin und die Beklagte vertreiben Käse und Käseprodukte. Die Beklagte ist Inhaberin der am angemeldeten und am für "Käse, Käseprodukte, Quark und Quarkspeisen, alle mit und ohne Zusätze sowie andere Lebensmittel unter Verwendung von Milch und Milchprodukten" eingetragenen deutschen Wortmarke Nr. 304 22 893 "Glückskäse".

2Die Klägerin begehrt die Löschung dieser Marke wegen Nichtbenutzung.

3Sie hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, in die Löschung der Marke 304 22 893 "Glückskäse" durch Erklärung gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt einzuwilligen.

4Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zuzulassenden Revision möchte die Beklagte ihren auf Abweisung der Klage gerichteten Antrag weiterverfolgen.

5II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

61. Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nach Ausschöpfung der von ihr vorgenommenen Aufklärungsmaßnahmen keine genauen Kenntnisse von den konkreten Benutzungshandlungen der Beklagten erlangen können, so dass der Beklagten eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich etwaiger Benutzungshandlungen im maßgeblichen Zeitraum obliege (vgl. , GRUR 2009, 60 Rn. 19 = WRP 2008, 1544 - LOTTOCARD; Urteil vom - I ZR 156/10, GRUR 2012, 1261 Rn. 11 = WRP 2012, 1533 - Orion; Urteil vom - I ZR 91/13, GRUR 2015, 685 Rn. 10 = WRP 2015, 874 - STAYER; jeweils mwN).

72. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör jedoch bei der Beurteilung der Frage verletzt, ob die Beklagte ihre sekundäre Darlegungslast erfüllt hat.

8a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe erstinstanzlich lediglich die beiden Rechnungen über zwei Verkäufe eines Schnittkäses mit der Bezeichnung "Schönegger Glückskäse" an den Zeugen H.    vom über 49,93 € und vom über 60,87 € vorgelegt. Diese Geschäfte seien nicht häufig genug und aufgrund der nur geringen Menge mit Blick auf den im Jahr 2013 erzielten Umsatz der Beklagten von ca. 27 Mio. € nicht geeignet, die Absicht zu belegen, auf dem Absatzmarkt für Schnittkäse Marktanteile zu gewinnen. Die von der Beklagten angebotenen Zeugen H.    und K.  seien nicht zu vernehmen gewesen. Selbst wenn der Zeuge H.    bestätigt hätte, seit 2011 Schnittkäse unter der Marke "Glückskäse" über einen längeren Zeitraum von der Beklagten bezogen und auf verschiedenen Wochenmärkten vertrieben zu haben, und selbst wenn die Zeugin K.  bestätigt hätte, neben den als Anlagen B 4 und B 5 vorgelegten Rechnungen existierten noch weitere Rechnungen, bliebe immer noch unklar, in welcher genauen Menge der Zeuge H.    Käse von der Beklagten bezogen habe und über welche weiteren konkreten Lieferungen in welchem konkreten Umfang die weiteren Rechnungen hätten Aufschluss geben können.

9Die mit der Berufungsbegründung vorgelegte Aufstellung (Anlage B 8) über zahlreiche und näher bezeichnete Einzellieferungen von "Glückskäse" an den Zeugen H.    von 2011 bis 2016 sei nicht als neues Verteidigungsmittel zuzulassen. Es handele sich um neuen Tatsachenvortrag, weil durch ihn nicht nur bereits schlüssiges erstinstanzliches Vorbringen zusätzlich konkretisiert, sondern das unschlüssige Vorbringen der Beklagten erstmals zum Umfang der behaupteten Benutzungshandlungen substantiiert worden sei. Die Klägerin habe diesen Vortrag bestritten. Es sei nicht geltend gemacht oder ersichtlich, dass der neue Tatsachenvortrag aus Gründen, die nicht auf Nachlässigkeit der Beklagten beruhten, nicht bereits erstinstanzlich hätte erfolgen können. Die Bedeutsamkeit dieses Vortrags hätte der anwaltlich vertretenen Beklagten bekannt sein müssen. Eines Hinweises des Landgerichts auf eine fehlende Substantiierung des Sachvortrags habe es nicht bedurft, da die Klägerin gerügt habe, dass sich aus den vorgelegten Rechnungen keine ernsthafte Benutzung, sondern allenfalls eine Scheinbenutzung ergebe. Die Klägerin habe ferner gerügt, dass sich auch aus der als Anlage B 6 vorgelegten schriftlichen Aussage des Zeugen H.    keine Anhaltspunkte für eine ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke ergäben.

10Der Vortrag der Beklagten, an den Zeugen H.    am 9. und sowie am drei Laibe "Glückskäse" verkauft zu haben, sei zwar nicht neu im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO, da diese Tatsachen erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden sei-en. Aufgrund der geringen Menge stellten jedoch auch diese Lieferungen keine rechtserhaltende Benutzung dar.

11b) Das Berufungsgericht hat mit der Zurückweisung des in der Berufungsbegründung spezifizierten Vortrags der Beklagten zu Dauer und Umfang der Lieferung von "Glückskäse" das rechtliche Gehör der Beklagten verletzt, weil dieser Vortrag gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen war. Es handelt sich um Sachvortrag, der infolge eines entgegen § 139 Abs. 1 ZPO unterbliebenen gerichtlichen Hinweises im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden war.

12aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es eines gerichtlichen Hinweises nach § 139 Abs. 1 ZPO nicht bedarf, wenn die betroffene Partei infolge eines eingehenden, von ihr richtig erfassten Vortrags der gegnerischen Partei zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet war (vgl. , NJW-RR 2008, 581 Rn. 1 f.). Ebenso wie im Falle eines missverstandenen gerichtlichen Hinweises führt das Missverständnis eines im gegnerischen Parteivortrag enthaltenen Hinweises allerdings dazu, dass es einer Klarstellung durch das Gericht bedarf, um die betroffene Partei in die Lage zu versetzen, ihren Sachvortrag sachdienlich zu ergänzen (vgl. zum missverstandenen gerichtlichen Hinweis , NJW 2002, 3317, 3320). Die Hinweispflicht besteht grundsätzlich gegenüber einer anwaltlich vertretenen Partei jedenfalls dann, wenn der Prozessbevollmächtigte die Rechtslage erkennbar falsch beurteilt (, BGHZ 127, 254, 260; Urteil vom - X ZR 116/97, NJW 1999, 418, 421; BGH, NJW 2002, 3317, 3320). Gerichtliche Hinweise sind nach § 139 Abs. 4 ZPO so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ergibt sich ein Hinweis nicht aus dem Verhandlungsprotokoll, kann seine Dokumentation auch noch im Urteil erfolgen, sofern er hierdurch inhaltlich hinreichend konkretisiert wird (vgl. , NJW-RR 2005, 1518 Rn. 5).

13bb) Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegenüber der Rüge der Klägerin, nicht substantiiert zur Benutzung der Marke gemäß § 26 Abs. 1 MarkenG vorgetragen zu haben, an seinem Standpunkt festgehalten, es bedürfe angesichts der vom Zeugen H.    in der schriftlichen Erklärung der Anlage B 6 getätigten generellen Angaben über den Bezug von "Glückskäse" von der Beklagten keines weiteren Vortrags zu konkreten Benutzungshandlungen. Mithin befand der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sich hinsichtlich der Einzelheiten der seiner Partei obliegenden sekundären Darlegungslast erkennbar im Rechtsirrtum, der einen gerichtlichen Hinweis erforderlich machte. Ein Hinweis des Landgerichts ist im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom nicht dokumentiert. Die im erstinstanzlichen Urteil enthaltenen Ausführungen, der nur pauschale und unsubstantiierte Vortrag der Beklagten sei auch in der mündlichen Verhandlung trotz entsprechender Erörterung der Sach- und Rechtslage nicht weiter konkretisiert worden, stellen mit Blick auf das beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten offenkundig bestehende Fehlverständnis der rechtlichen Anforderungen an den seiner Partei obliegenden Sachvortrag keinen hinreichend auf die Gegebenheiten des konkreten Falls bezogenen Hinweis dar. Im Streitfall kommt es danach nicht darauf an, ob bei Nachholung eines Hinweises im Urteil zudem angegeben werden muss, dass die Protokollierung des Hinweises versehentlich unterblieben ist (vgl. , BGHZ 164, 166, 173).

142. Diese Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich.

15a) Eine Gehörsverletzung ist schon dann entscheidungserheblich, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (vgl. , BGHZ 187, 69 Rn. 14 mwN; Beschluss vom - V ZR 141/11, WuM 2012, 164 Rn. 11; Beschluss vom - I ZR 160/12, TranspR 2013, 383 Rn. 16).

16b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Bei Berücksichtigung des von der Beklagten in der Berufungsbegründung gehaltenen Vortrags zu Dauer und Umfang der mit dem Zeugen H.    unterhaltenen Lieferbeziehung hätte eine ernsthafte Markenbenutzung nicht verneint werden können.

17aa) Eine ernsthafte rechtserhaltende Benutzung im Sinne des § 26 Abs. 1 MarkenG liegt vor, wenn die Marke in einer Weise verwendet wird, die im betreffenden Wirtschaftszweig als gerechtfertigt angesehen wird, Marktanteile für die betroffenen Waren oder Dienstleistungen gegenüber denjenigen anderer Unternehmer zu gewinnen oder zu behalten (vgl. , Slg. 2003, I-2439 = GRUR 2003, 425 Rn. 43 - Ansul/Ajax; Urteil vom - C-495/07, Slg. 2009, I-137 = GRUR 2009, 410 Rn. 16 - Silberquelle/Maselli; , GRUR 2009, 60 Rn. 37 ff. = WRP 2008, 1544 - LOTTOCARD; Urteil vom - I ZR 41/10, GRUR 2012, 180 Rn. 42 = WRP 2012, 980 - Werbegeschenke). Selbst eine geringfügige Benutzung kann als ernsthaft anzusehen sein, wenn sie mit Blick auf die Gewinnung oder Erhaltung von Marktanteilen wirtschaftlich gerechtfertigt ist; absolute Untergrenzen der ernsthaften Benutzung gibt es nicht (vgl. EuGH, GRUR 2006, 582 Rn. 72 - VITAFRUIT: Verkauf von ca. 300 Kisten mit je zwölf Flaschen Fruchtsaft an einen Kunden innerhalb eines Jahres mit einem Umsatz von ca. 4.800 €).

18bb) Aus der Aufstellung der Anlage B 8 ergibt sich eine Lieferung von 94 Laiben "Glückskäse" im Zeitraum Dezember 2011 bis Januar 2016 (insgesamt ca. 550 kg; Umsatz pro Laib ca. 60 €). Zwar ist der Umfang dieser Liefer-beziehung im Vergleich zum wirtschaftlichen Gesamtvolumen der Produktion der Beklagten (Jahresumsatz 25 bis 27 Mio. €) verschwindend gering. Auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten vorgetragenen Umstände, sie sei einem Wunsch des Kunden H.    nachgekommen und habe "Glückskäse" nur an ihn geliefert, lässt sich jedoch eine ernsthafte Benutzung der Marke nicht verneinen. Jedenfalls im Verhältnis zu diesem Kunden diente die Markenbenutzung der dauerhaften Erhaltung eines (wenn auch sehr kleinen) Marktanteils. Dass die Lieferbeziehung nur zu einem Kunden besteht, hindert die Annahme einer ernsthaften Zeichennutzung nicht (vgl. Urteil vom - I ZR 156/10, GRUR 2012, 1261 Rn. 17 = WRP 2012, 1533 - Orion). Die Ernsthaftigkeit der Benutzung ist nicht mit Blick auf Rentabilität oder Schlüssigkeit der Geschäftsstrategie zu beurteilen (vgl. Schalk in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 3. Aufl., § 26 MarkenG Rn. 4). Anhaltspunkte dafür, es handele sich um eine bloße Scheinbenutzung zur Erhaltung des Markenrechts, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Bei Erteilung des unterbliebenen gerichtlichen Hinweises an die Beklagte hätte mithin die Löschungsklage voraussichtlich keinen Erfolg gehabt.

19III. Danach ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:180517BIZR178.16.0

Fundstelle(n):
FAAAG-62840