BFH Urteil v. - X R 67/00

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) —zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute— nahmen für die Jahre 1990 bis 1992 Abzugsbeträge nach § 10e Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für eine eigengenutzte Eigentumswohnung in Anspruch. Nach Verkauf der Wohnung im Jahr 1992 bewohnten sie ein gemietetes Einfamilienhaus, das sie durch notariellen Kaufvertrag vom erwarben. Der Kaufpreis war mit Eintragung der Auflassungsvormerkung fällig. Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahr sollten mit dem Tag der vollständigen Kaufpreiszahlung auf die Kläger übergehen und das Mietverhältnis ab diesem Zeitpunkt enden. Die Miete sollte zeitanteilig abgerechnet werden.

Im Kaufvertrag wurde die Auflassung erklärt und die Eintragung einer Auflassungsvormerkung bewilligt und beantragt. Nach Eintragung der Auflassungsvormerkung sollte der Notar den Vertragsparteien die Fälligkeit des Kaufpreises mitteilen. Ferner bewilligten und beantragten die Beteiligten die Eintragung des Eigentumsübergangs. Der Notar wurde angewiesen, die Urkunde erst dann dem Grundbuchamt zur Eigentumsumschreibung vorzulegen, wenn ihm die Zahlung des gesamten Kaufpreises schriftlich nachgewiesen worden ist. Der Verkäufer verpflichtete sich außerdem bei Grundpfandrechtsbestellungen am Vertragsobjekt, die der Finanzierung des Kaufpreises dienten, mitzuwirken. Nach Abschluss eines für die Finanzierung erforderlichen Darlehensvertrages am wurde der Kaufpreis im Januar 1994 bezahlt. Für den Zeitraum 1. bis entrichteten die Kläger anteilig Miete.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1993 machten die Kläger für das Einfamilienhaus erfolglos einen Abzugsbetrag nach § 10e Abs. 1 EStG in Höhe von 15 000 DM sowie die Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 3 EStG für zwei Kinder geltend. Im Einspruchsverfahren beantragten die Kläger, das Einfamilienhaus als Folgeobjekt zu behandeln und die Grundförderung nach § 10e Abs. 1 EStG erstmals für das Streitjahr 1993 zu gewähren. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) wies den Einspruch der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid für 1993 als unbegründet zurück. Das FA war der Auffassung, die Kläger seien erst mit dem Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung, in dem laut Vertrag Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten übergegangen seien, wirtschaftliche Eigentümer des Einfamilienhauses geworden.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 791 veröffentlicht. Es führte im Wesentlichen aus:

Nach der Rechtsprechung erlange der Erwerber zwar grundsätzlich erst mit dem Übergang von Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahr das wirtschaftliche Eigentum an dem Grundstück. Diese Voraussetzungen müssten jedoch nicht stets in vollem Umfang gegeben sein (, BFHE 166, 49, BStBl II 1992, 182). Im Streitfall habe sich der bürgerlich-rechtliche Eigentümer mit dem Kaufvertrag faktisch seines Herausgabeanspruchs begeben, weil er sich zur Übereignung verpflichtet und diese Verpflichtung durch Auflassungserklärung, Bewilligung der Umschreibung und Eintragung einer Auflassungsvormerkung bereits weitgehend erfüllt habe, so dass der Wechsel des rechtlichen Eigentums allein in der Hand der Käufer gelegen habe. Der Regelung über den Übergang von Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahr komme daneben für die steuerliche Zurechnung des Grundstücks keine Bedeutung zu. Diese Bestimmung besage in ihrer steuerlichen Auswirkung lediglich, dass die Kläger bis zur Zahlung des Kaufpreises noch ein Nutzungsentgelt in Form der anteiligen Miete zahlen müssten. Nur so werde man der wirtschaftlichen Betrachtungsweise gerecht, die sich in § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) niedergeschlagen habe und nach der nicht auf das formal Erklärte oder formal-rechtlich Bestehende, sondern auf das wirtschaftlich Gewollte und de facto Bewirkte abgestellt werden müsse (vgl. , BFHE 114, 22, BStBl II 1975, 281). Insofern müsse im Streitfall auch berücksichtigt werden, dass zwischen dem Kaufvertrag und der endgültigen Herbeiführung der Voraussetzungen für den Wechsel des bürgerlich-rechtlichen Eigentums lediglich eine Zeitspanne von drei Wochen gelegen habe, die Kläger also ohne Säumnis alles getan hätten, ihre schon 1993 geschaffene Stellung zu festigen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 166, 49, BStBl II 1992, 182, a.E.).

Mit der Revision trägt das FA vor, der Erwerber eines Grundstücks sei erst ab dem Zeitpunkt wirtschaftlicher Eigentümer, ab dem Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten übergingen. Entgegen der Auffassung des FG hätten die Kläger die tatsächliche Sachherrschaft über das Grundstück nicht schon aufgrund der im Kaufvertrag erklärten Auflassung, der Bewilligung der Auflassungsvormerkung und der Berechtigung zur dinglichen Belastung des Grundstücks erlangt. Wirtschaftliches Eigentum sei nur anzunehmen, wenn auch die Gefahr des zufälligen Untergangs auf den Käufer übergegangen sei. Nach dem notariellen Kaufvertrag sei die Gefahr einer vom Verkäufer nicht verschuldeten Verschlechterung des Vertragsobjekts, die Eigentümerhaftung und die Verkehrssicherungspflicht aber erst mit der vollständigen Kaufpreiszahlung auf den Käufer übergegangen. Die vom FG angeführten BFH-Urteile beträfen den Sonderfall eines Mietkaufvertrags und seien deshalb auf den Streitfall nicht anwendbar.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Entgegen der Auffassung des FG steht den Klägern für das Streitjahr 1993 noch keine Wohneigentumsförderung und deshalb auch keine —von deren Inanspruchnahme abhängige— Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 3 EStG zu.

1. Grundsätzlich sind die Kläger zur Inanspruchnahme der Grundförderung für das Einfamilienhaus als Folgeobjekt berechtigt.

a) Wer ein zu eigenen Wohnzwecken genutztes Einfamilienhaus anschafft, kann im Jahr der Anschaffung und in den folgenden sieben Jahren einen bestimmten Teil der Anschaffungskosten wie Sonderausgaben abziehen (§ 10e Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG).

b) Nutzt der Steuerpflichtige das Objekt nicht bis zum Ablauf des Abzugszeitraums zu eigenen Wohnzwecken, kann er die Abzugsbeträge nach § 10e Abs. 1 EStG —unter bestimmten hier nicht streitigen Voraussetzungen— für ein weiteres Objekt (Folgeobjekt) beanspruchen (§ 10e Abs. 4 Satz 4 EStG). Der Abzugszeitraum für das Folgeobjekt ist um die Anzahl der Veranlagungszeiträume zu kürzen, in denen der Steuerpflichtige für das Erstobjekt die Abzugsbeträge nach § 10e Abs. 1 EStG hätte abziehen können (§ 10e Abs. 4 Satz 5 Halbsatz 1 EStG). Der Abzugszeitraum für das Folgeobjekt beginnt im Falle der Anschaffung grundsätzlich mit dem Jahr der Anschaffung, es sei denn, der Steuerpflichtige nutzt das Erstobjekt zu diesem Zeitpunkt noch zu eigenen Wohnzwecken (§ 10e Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Abs. 4 Satz 5 Halbsatz 2 EStG).

c) Da die Kläger die Grundförderung nach § 10e Abs. 1 EStG für die Eigentumswohnung (Erstobjekt) nur für die Jahre 1990 bis 1992 in Anspruch nehmen konnten, steht ihnen diese für das Einfamilienhaus als Folgeobjekt für das Jahr der Anschaffung und weitere vier Jahre zu.

2. Entgegen der Auffassung des FG haben die Kläger das Einfamilienhaus aber nicht schon im Dezember des Streitjahres 1993, sondern erst im Januar 1994 angeschafft, so dass sie Anspruch auf die Grundförderung und die davon abhängige Steuerermäßigung nach § 34f Abs. 3 EStG erst vom Jahr 1994 an haben.

a) Das Jahr der Anschaffung (§ 10e Abs. 1 Satz 4 EStG) ist gemäß § 9a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) das Jahr der Lieferung. Lieferung bedeutet wie im Umsatzsteuerrecht (vgl. § 3 Abs. 1 des UmsatzsteuergesetzesUStG—) Verschaffen der Verfügungsmacht. Es kommt somit auf den Zeitpunkt der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFHE 166, 329, BStBl II 1992, 398, und vom X R 69/98, BFH/NV 2000, 1331, jeweils m.w.N.). Weder der Abschluss des schuldrechtlichen Kaufvertrags noch die Auflassung (§§ 873, 925 des Bürgerlichen Gesetzbuches —BGB—) führen als solche zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums. Maßgebend ist allein, wann der Erwerber nach dem Willen beider Vertragspartner wirtschaftlich über das Wirtschaftsgut verfügen kann. Das ist bei Übertragung eines Grundstücks in der Regel der Fall, wenn Eigenbesitz, Gefahr, Lasten und Nutzen auf den Erwerber übergehen (z.B. Urteile in BFHE 166, 329, BStBl II 1992, 398, und in BFH/NV 2000, 1331, jeweils m.w.N.). Denn solange der Erwerber das Grundstück aufgrund seines Rechts als Mieter besitzt, ist der Verkäufer (mittelbarer) Eigenbesitzer (§ 868, § 872 BGB). Letzterer besitzt das Grundstück als ihm gehörend, der Käufer dagegen nur aufgrund des Eigentumsrechts des Verkäufers. Maßgebend für eine Zurechnung aufgrund wirtschaftlichen Eigentums ist aber vor allem, dass Substanz und Ertrag des Grundstücks wirtschaftlich dem Nutzungsberechtigten zustehen. Solange Nutzen, Lasten und die Gefahr des zufälligen Untergangs noch nicht auf den Erwerber übergegangen sind, sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

b) Gleiches gilt, wenn der Mieter die von ihm bisher bewohnte Wohnung vom Vermieter kauft. Der Senat hat dementsprechend den für den Vorkostenabzug maßgeblichen Beginn der erstmaligen Nutzung der (eigenen) Wohnung zu eigenen Wohnzwecken als den Zeitpunkt angesehen, zu dem nach dem notariellen Vertrag Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten auf den bisherigen Mieter übergehen (Senatsurteil vom X R 21/95, BFHE 186, 271, BStBl II 1998, 563, unter II. 1. c bb).

c) Nach dem notariellen Kaufvertrag vom gingen Besitz, Nutzen, Lasten und Gefahr mit dem Tag der vollständigen Kaufpreiszahlung auf die Kläger über. Ab diesem Zeitpunkt endete das Mietverhältnis. Da der Kaufpreis erst im Januar 1994 bezahlt wurde, entrichteten die Kläger vertragsgemäß für diesen Monat anteilig noch Miete. Die Kläger wurden somit erst im Jahr 1994 wirtschaftliche Eigentümer des Grundstücks.

Vom Regelfall abweichende Umstände, die eine Zurechnung des Grundstücks vor Übergang von Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten rechtfertigen, liegen im Streitfall nicht vor. Entgegen der Auffassung des FG reicht es für die Annahme wirtschaftlichen Eigentums nicht aus, dass der Käufer durch die Zahlung des Kaufpreises den Übergang von Besitz, Gefahr, Nutzen und Lasten ohne Zutun des Verkäufers herbeiführen konnte (vgl. , BFHE 129, 439). Ebenso ist unerheblich, wie groß die Zeitspanne zwischen dem Kaufvertrag und der endgültigen Herbeiführung der Voraussetzungen für den Wechsel des bürgerlich-rechtlichen Eigentums ist. Auch die Verpflichtung des Verkäufers im Kaufvertrag, durch Zustimmung zur Grundstücksbelastung die Voraussetzungen für eine Fremdfinanzierung vor der Umschreibung im Grundbuch zu schaffen, hält der Senat nicht für ausreichend, um die Kläger bereits im Dezember 1993 als wirtschaftliche Eigentümer anzusehen. Vielmehr zeigt die Tatsache, dass nach dem notariellen Kaufvertrag (Eigen-)Besitz, Lasten, Nutzen und die Gefahr des zufälligen Untergangs erst mit vollständiger Zahlung des Kaufpreises auf die Käufer übergingen, dass wirtschaftlich Substanz und Ertrag des Grundstücks den Klägern noch nicht zustanden. Die vom FG für seine abweichende Meinung zitierte Rechtsprechung betrifft keine Fälle des sog. ”Besitzes in Erwartung des Eigentumserwerbs”.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 327 Nr. 3
IAAAA-67902