BFH Beschluss v. - X B 190/01

Gründe

I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen die Festsetzung des Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 1995 durch den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) ab, ohne die Revision zuzulassen. Gegen das am zugestellte Urteil legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde ein und fügte eine Abschrift des FG-Urteils bei. Mit Schreiben vom an den Bevollmächtigten teilte die Geschäftsstelle des Senats mit, die Sache sei eingegangen und werde unter dem Aktenzeichen X B 190/01 geführt.

Mit Schreiben vom wies der Vorsitzende des Senats darauf hin, dass die Frist für die Begründung der Beschwerde am abgelaufen, eine Begründung aber nicht eingegangen sei. Das Schreiben wurde durch Postzustellungsurkunde am zugestellt. Mit Telefax vom beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist.

Zur Begründung führte er aus, in seiner Kanzlei sei eine langjährige Mitarbeiterin mit der Überwachung der Fristen betraut. Diese sei aufgrund der Eingangsbestätigung der Senatsgeschäftsstelle vom davon ausgegangen, dass mit diesem Schreiben die Frist für die Begründung der Beschwerde beginne. Dementsprechend sei ihm die Akte Ende des Jahres wieder vorgelegt worden. Die Begründung sei sodann mit Schreiben vom übersandt worden.

II. Die Beschwerde ist unzulässig.

Die Klägerin hat die Beschwerde nicht entsprechend § 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des angefochtenen Urteils begründet. Ihr ist auch nicht nach § 56 Abs. 1 FGO Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu gewähren, weil sie nicht ohne Verschulden gehindert war, die Begründungsfrist zu wahren. Denn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verschulden sich die Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO zurechnen lassen muss (vgl. , BFHE 157, 305, BStBl II 1989, 848, 850), hat die Begründungsfrist nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO schuldhaft versäumt und im Übrigen den Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt.

1. Ein Verschulden i.S. des § 56 Abs. 1 FGO ist, jedenfalls wenn es um die Fristversäumnis eines Steuerberaters oder Rechtsanwalts geht, nur dann zu verneinen, wenn die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet worden ist (vgl. , BFH/NV 1994, 384, 385).

a) Hat der Kläger durch seinen Prozessvertreter der finanzgerichtlichen Rechtsmittelbelehrung entsprechend ein Rechtsmittel —wie im Streitfall die Nichtzulassungsbeschwerde— eingelegt, so muss er auch die entsprechenden Formen und Fristen einhalten (, BFH/NV 2000, 740). Denn von Angehörigen der steuerberatenden Berufe, die als Prozessbevollmächtigte ein Rechtsmittel einlegen, muss erwartet werden, dass sie die Voraussetzungen und die Anforderungen für dieses Rechtsmittel kennen oder sich zumindest davon Kenntnis verschaffen (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 76/92, BFH/NV 1994, 105; vom VII B 222/97, BFH/NV 1998, 616; vom III R 14/01, BFH/NV 2002, 48). Ein Rechtsirrtum über das einzulegende Rechtsmittel bzw. den einzulegenden Rechtsbehelf bzw. die insoweit zu wahrenden Anforderungen sind danach —insbesondere bei einem Vertreter der rechtsberatenden Berufe— nicht entschuldbar (vgl. Senatsbeschluss vom X R 5/01, BFH/NV 2001, 936).

b) Ebenso kann sich der Bevollmächtigte nicht darauf berufen, dass die Versäumnis einer Rechtsmittelbegründungsfrist auf dem Verschulden eines sorgfältig ausgewählten Angestellten beruht und deshalb ihm, dem Berufsträger, gegenüber als unverschuldet anzusehen ist, wenn er bei erfolgter Vorlage der Handakten die korrekte Frist für die Rechtsmittelbegründung, bzw. deren Nichterfassung oder fehlerhafte Erfassung in seiner Kanzlei hätte feststellen können.

Denn der Bevollmächtigte muss bei jeder im Zusammenhang mit einer fristwahrenden Prozesshandlung erfolgenden Vorlage der Handakten selbst prüfen, ob eine Rechtsmittelfrist abläuft, und für eine rechtzeitige Bearbeitung Sorge tragen (vgl. BFH-Beschlüsse vom IV R 98/87, BFH/NV 1989, 786; vom VIII B 110/99, BFH/NV 2000, 1482, m.w.N.).

2. Im Streitfall kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch deshalb nicht gewährt werden, weil der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO).

a) Das Hindernis ist an dem Tag weggefallen, an dem der Prozessbevollmächtigte die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist erkannte oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 1989, 512). Dies war im Streitfall spätestens der Tag, an dem dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Handakten vorgelegt wurden (vgl. , BFH/NV 2000, 470). Spätestens zu diesem Zeitpunkt, der nach eigenem Vortrag des Bevollmächtigten ”Ende des Jahres 2001” lag, hat es der Prozessbevollmächtigte schuldhaft unterlassen, die Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist zu überprüfen (vgl. zur Versäumnis der Revisionsfrist , BFH/NV 1992, 829). Dieses Verschulden ist der Klägerin zuzurechnen.

Die Zweiwochenfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung begann daher spätestens am und war folglich bei Eingang des Wiedereinsetzungsantrags vom , einem Donnerstag, bereits abgelaufen.

b) Die Beschwerdebegründung ist zwar innerhalb dieser Frist eingegangen (). Wiedereinsetzung von Amts wegen (§ 56 Abs. 2 Satz 4 FGO) kann jedoch nicht gewährt werden, weil bis zum Ablauf der Zweiwochenfrist die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung begründen können, nicht glaubhaft gemacht worden sind und die Tatsachen auch nicht gerichtsbekannt waren (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 470; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, § 56 Rz. 48, m.w.N.).

3. Im Hinblick auf die versäumte Wiedereinsetzungsfrist kann der Senat dahinstehen lassen, inwieweit die Begründung des Wiedereinsetzungsbegehrens den Begründungsanforderungen entspricht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom X R 31/97, BFH/NV 1999, 941, m.w.N.).

a) Zu diesen Anforderungen gehört insbesondere der Vortrag, wie die Fristenkontrolle im Büro des Bevollmächtigten im Einzelnen organisiert war (zu Darlegungsmängeln dieser Art z.B. , BFH/NV 1995, 798, m.w.N.; 2 B 92.91, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 60 VwGO Nr. 175; , Versicherungsrecht 1989, 715).

b) In diesem Zusammenhang kann ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten auch darin liegen, dass er sein Personal nicht auf das im Fristenkontrollbuch einzutragende Ende der Begründungsfrist hingewiesen hat. Der Prozessbevollmächtigte muss durch geeignete Anordnungen dafür sorgen, dass er selbst die Fristberechnung in ungewöhnlichen und zweifelhaften Fällen kontrolliert. Insbesondere muss er selbst für die Eintragung der gesonderten Beschwerdebegründungsfrist Sorge tragen, weil damit zu rechnen ist, dass diese Frist dem Personal —im Streitfall auch wegen der Neuregelung des finanzgerichtlichen Rechtsmittelrechts— nicht bekannt ist (vgl. zur Revisionsbegründungsfrist , BFH/NV 1989, 711).

c) Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss vom X R 42/01, BFH/NV 2002, 533) eine effektive Fristenkontrolle unter Verwendung der EDV nur dann glaubhaft gemacht ist, wenn sich aufgrund dieser Aufzeichnungen die Eintragung von Fristen sowie von Postausgängen ebenso schlüssig und zwingend nachvollziehen lassen wie aufgrund von herkömmlichen Fristenkalendern, bzw. Postausgangsbüchern (z.B. durch Sicherung aufgrund spezieller Programme gegen spätere ”Korrekturen"; vgl. BGH, Beschlüsse vom VII ZB 31/95, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1997, 343, und vom VII ZB 3/95, Neue Juristische Wochenschrift 1995, 1756). Dafür sind im Streitfall ersichtlich keine Anhaltspunkte gegeben.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 1594 Nr. 12
AAAAA-67828