Aussetzungszinsen bei übereinstimmender Erledigungserklärung – Unbeachtlichkeit einer nachträglichen Änderung des angefochtenen Bescheids
Leitsatz
Eine Anfechtungsklage ist im Falle der übereinstimmenden Erledigungserklärung auch dann mit Eingang der zweiten Erledigungserklärung oder mit Eintritt der Fiktion des § 138 Abs. 3 FGO endgültig i.S. des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO erfolglos, wenn der angefochtene Bescheid später auf Grundlage einer tatsächlichen Verständigung geändert wird.
Gesetze: AO § 169 Abs. 1 Satz 1; AO § 237 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2; AO § 238 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2; AO § 239 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 5;
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, ist Rechtsnachfolgerin der…GmbH (GmbH).
2 Im Anschluss an eine Steuerfahndungs- und Außenprüfung erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) gegenüber der GmbH geänderte Steuerbescheide für die Jahre 1988 bis 2000. Dagegen legte die GmbH Einspruch ein und beantragte gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Mit Bescheid vom setzte das FA die Vollziehung der sich aus den Bescheiden ergebenden Steuern und Nebenleistungen unter der Bedingung der Sicherheitsleistung durch die GmbH bis zur Entscheidung über die Einsprüche aus.
3 Mit Bescheid vom wies das FA die Einsprüche gegen die geänderten Steuerbescheide als unbegründet zurück. Während des Klageverfahrens setzte das FA mit Bescheid vom die Vollziehung der geänderten Steuerbescheide längstens bis zur Entscheidung über die Klage aus.
4 Am kamen die GmbH und das FA im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung über die Höhe und Behandlung nicht verbuchter, dem Gesellschafter-Geschäftsführer zugeflossener Betriebseinnahmen als Lohn und als verdeckte Gewinnausschüttung sowie die Höhe einer Tätigkeitsvergütung überein. In der Folge gaben die GmbH und das FA unter dem 21. Dezember bzw. dem gegenüber dem Finanzgericht (FG) Erledigungserklärungen ab. Mit Beschluss vom hob das FG die Kosten des Verfahrens gegeneinander auf.
5 Unter dem erließ das FA —neben weiteren Bescheiden— geänderte Bescheide über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag für 1994 bis 1997. Die dagegen gerichteten Einsprüche der GmbH wurden mit Einspruchsentscheidung vom als unzulässig verworfen.
6 Mit Bescheid vom setzte das FA Aussetzungszinsen zur Körperschaftsteuer und zum Solidaritätszuschlag 1994 bis 1997 für die Zeit vom bis zum in Höhe von insgesamt ... € fest.
7 Die dagegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg; das Niedersächsische FG wies sie mit Urteil vom 7 K 168/13 als unbegründet ab.
8 Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte —vom FG zugelassene— Revision der Klägerin.
9 Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom sowie den Bescheid über die Festsetzung von Aussetzungszinsen zur Körperschaftsteuer und zum Solidaritätszuschlag 1994 bis 1997 vom aufzuheben.
10 Das FA beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
II.
11 Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung vom sowie der Festsetzung von Aussetzungszinsen zur Körperschaftsteuer und zum Solidaritätszuschlag 1994 bis 1997 durch Bescheid vom (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass für den Beginn der Festsetzungsfrist i.S. des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 der Abgabenordnung (AO) nicht der Eingang der zweiten Erledigungserklärung maßgeblich war und damit die Festsetzung von Aussetzungszinsen nicht nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 239 Abs. 1 Satz 1 AO unzulässig war.
12 1. Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO ist, soweit ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen einen Steuerbescheid, eine Steueranmeldung oder einen Verwaltungsakt, der einen Steuervergütungsbescheid aufhebt oder ändert, oder gegen eine Einspruchsentscheidung über einen dieser Verwaltungsakte endgültig keinen Erfolg gehabt hat, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen. Für den Zinslauf bestimmt § 237 Abs. 2 AO, dass Zinsen vom Tag des Eingangs des außergerichtlichen Rechtsbehelfs bei der Behörde, deren Verwaltungsakt angefochten wird, oder vom Tag der Rechtshängigkeit beim Gericht an bis zum Tag, an dem die AdV endet, erhoben werden. Ist die Vollziehung erst nach dem Eingang des außergerichtlichen Rechtsbehelfs oder erst nach der Rechtshängigkeit ausgesetzt worden, so beginnt die Verzinsung mit dem Tag, an dem die Wirkung der AdV beginnt. Die Zinsen betragen für jeden Monat einhalb Prozent (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO). Sie sind von dem Tag an, an dem der Zinslauf beginnt, nur für volle Monate zu zahlen; angefangene Monate bleiben außer Ansatz (§ 238 Abs. 1 Satz 2 AO).
13 2. Gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 AO beträgt die Frist zur Festsetzung von Zinsen ein Jahr. Sie beginnt in den Fällen des § 237 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage endgültig erfolglos geblieben ist (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO).
14 a) Dabei kann offen bleiben, ob jede Art der Erledigung eines Rechtsbehelfs —etwa auch im Fall einer während der laufenden Einspruchsfrist erfolgten Einspruchsrücknahme (s. dazu , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1996, 350; 2353/97, EFG 1998, 860)— zu dessen endgültiger Erfolglosigkeit führt (so , BFHE 152, 212, BStBl II 1988, 484; , BFHE 175, 294, BStBl II 1995, 4; vom X R 123/95, BFH/NV 1997, 275). In jedem Fall ist eine Anfechtungsklage nicht nur dann endgültig erfolglos, wenn sie durch unanfechtbare gerichtliche Entscheidung abgewiesen worden ist, sondern auch in Fällen, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklären (BFH-Urteile in BFH/NV 1997, 275; vom XI R 24/98, BFHE 187, 400, BStBl II 1999, 201; BFH-Beschlüsse in BFHE 152, 212, BStBl II 1988, 484; vom X B 36/03, BFH/NV 2004, 158).
15 b) Anders als vom FG angenommen, gilt dies auch, sofern der angefochtene Bescheid im Anschluss an eine übereinstimmende Erledigungserklärung auf Grundlage einer tatsächlichen Verständigung geändert wird; eine endgültige Erfolglosigkeit i.S. des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO liegt nicht erst dann vor, wenn die geänderte Steuerfestsetzung bestandskräftig geworden ist.
16 aa) § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO setzt —ebenso wie § 237 Abs. 1 Satz 1 AO— seinem Wortlaut nach die Erfolglosigkeit des Einspruchs oder der Anfechtungsklage voraus. Gegenstand dieser Rechtsbehelfe ist jedoch allein der angefochtene Bescheid (vgl. BFH-Urteil in BFHE 187, 400, BStBl II 1999, 201; Klein/Rüsken, AO, 13. Aufl., § 239 Rz 8; vgl. für die Unbeachtlichkeit des Folgebescheids bei Rechtsbehelfen gegen Grundlagenbescheide , BFHE 235, 107, BStBl II 2012, 219; BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 158), der mit der übereinstimmenden Erledigungserklärung in Bestandskraft erwächst.
17 Mit dem Eingang der Erledigungserklärungen der Beteiligten bei Gericht findet das Klageverfahren in der Hauptsache sein Ende. Die Erledigungserklärungen sind konstitutiv, d.h. sie führen unmittelbar zur Beendigung des Rechtsstreits; ein gerichtlicher Ausspruch hierüber ist nicht erforderlich. Das Gericht darf nicht prüfen, ob die Hauptsache tatsächlich erledigt ist (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121, m.w.N.). Es hat nur noch durch Beschluss über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Daraus folgt, dass die angefochtene Steuerfestsetzung —ebenso wie bei einer Entscheidung durch Urteil— im Zeitpunkt der Abgabe der zweiten Erledigungserklärung oder dem Eintritt der Fiktion des § 138 Abs. 3 FGO unanfechtbar wird (, BFHE 141, 211, BStBl II 1984, 697; vom III R 49/00, BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408; vom XI R 21/02, BFHE 202, 228, BStBl II 2003, 888).
18 bb) Ein Bedürfnis für einen abweichenden Beginn der Frist zur Festsetzung der Zinsen ergibt sich —auch unter dem vom FG herangezogenen Gesichtspunkt der Prozessökonomie— nicht.
19 Im Fall der übereinstimmenden Erledigungserklärungen ist im Rahmen der Zinsfestsetzung zu prüfen, in welchem Umfang der durch die Erklärungen beendete Rechtsstreit tatsächlich ohne Erfolg geblieben ist (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2004, 158; in BFHE 152, 212, BStBl II 1988, 484). Aussetzungszinsen sind nicht zu erheben, soweit der angefochtene Verwaltungsakt antragsgemäß geändert wird und der Rechtsstreit in der Folge übereinstimmend für erledigt erklärt wird (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 158; vgl. auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteile vom 6 B 87.02003, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report 1989, 100; vom 6 B 01.2541, juris). Wird jedoch der Rechtsstreit ohne vorherige Änderung des angefochtenen Bescheids übereinstimmend für erledigt erklärt, steht mit Abgabe der Erledigungserklärungen der geschuldete —und damit nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsende— Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, bestandskräftig fest.
20 Eine nachfolgende Änderung des angefochtenen Bescheids —sei sie auch im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung vereinbart— ist dabei unbeachtlich. Eine verständigungswidrige Nichtbeachtung führt lediglich zu einem rechtswidrigen Steuerbescheid (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vor § 118 AO Rz 28). Da im Verfahren gegen den Zinsbescheid grundsätzlich aber keine Umstände berücksichtigt werden können, die gegen die Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Steuerfestsetzung sprechen (vgl. , BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319), ändert selbst eine tatsächliche Verständigung nichts daran, dass durch eine beidseitige Erledigungserklärung der angefochtene Bescheid formell bestandskräftig geworden ist und die Klage erfolglos war.
21 Eine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Steuerfestsetzung nach Beendigung des Klageverfahrens muss aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Anordnung in § 237 Abs. 5 AO unberücksichtigt bleiben (, BFH/NV 2015, 1338). Danach ist ein Zinsbescheid nicht aufzuheben oder zu ändern, wenn der Steuerbescheid nach Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt wird.
22 Dies entspricht zum einen der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Bekämpfung des Mißbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz), nach der § 237 Abs. 5 AO verdeutlichen soll, dass die Aussetzungszinsen ausschließlich nach dem Ergebnis des Rechtsbehelfsverfahrens zu bemessen sind und eine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 AO unberücksichtigt bleiben soll (BTDrucks 12/5630, S. 103). Zum anderen trägt dies auch dem Zweck der Norm Rechnung, den während einer gewährten AdV beim Steuerpflichtigen, dessen Rechtsbehelfe ohne gesonderte Aussetzungsentscheidung nach § 361 Abs. 1 Satz 1 AO und § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO hinsichtlich der zu zahlenden Abgaben keine aufschiebende Wirkung entfalten, entstehenden Liquiditätsvorteil abzuschöpfen und zu verhindern, dass Rechtsbehelfs- und Klageverfahren lediglich geführt werden, um eine Entrichtung der Steuerschuld zinslos hinauszuschieben (, BFHE 163, 313, BStBl II 1991, 498). Maßgebend für die Festsetzung von Aussetzungszinsen ist damit allein der nach den Verhältnissen bei Beendigung des Rechtsbehelfsverfahrens bestimmte Steueranspruch (vgl. zur Steuerstundung Klein/Rüsken, a.a.O., § 234 Rz 8).
23 3. Danach begann im Streitfall die Festsetzungsfrist aufgrund der im Dezember 2009 abgegebenen Erledigungserklärungen mit Ablauf des Jahres 2009 zu laufen und endete mit Ablauf des . Im Zeitpunkt der Festsetzung der Aussetzungszinsen durch das FA () war die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen.
24 4. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Sein Urteil und die streitgegenständlichen Bescheide sind daher aufzuheben.
25 5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2017:U.140617.IR38.15.0
Fundstelle(n):
BStBl 2018 II Seite 2
AO-StB 2018 S. 9 Nr. 1
BB 2017 S. 2710 Nr. 46
BFH/NV 2018 S. 70 Nr. 1
BFH/PR 2018 S. 43 Nr. 2
BStBl II 2018 S. 2 Nr. 1
DB 2017 S. 7 Nr. 45
DB 2018 S. 298 Nr. 6
DStR 2017 S. 2433 Nr. 45
DStRE 2017 S. 1464 Nr. 23
HFR 2018 S. 5 Nr. 1
StB 2017 S. 364 Nr. 12
Ubg 2017 S. 710 Nr. 12
DAAAG-61390