BFH Urteil v. - V R 11/98 BStBl 2004 II S. 313

Leitsatz

Die Berichtigung eines unrichtig oder unberechtigt berechneten Steuerbetrages setzt nach richtlinienkonformer Beurteilung voraus, dass das Steueraufkommen nicht gefährdet wird. Das Steueraufkommen wäre gefährdet, wenn eine Berichtigung der Steuer ohne den Nachweis des Ausstellers der Rechnung zugelassen würde, dass der Rechnungsempfänger die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen hat, dass ihm der Vorsteuerabzug versagt worden ist oder dass ein etwaiger Vorsteuerabzug durch Rückzahlung oder Verrechnung der abgezogenen Vorsteuer rückgängig gemacht worden ist.

Gesetze: UStG 1993 § 14 Abs. 2, 3Richtlinie 77/388/EWG Art. 17Richtlinie 77/388/EWG Art. 21 Nr. 1 Buchst. c

Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg (EFG 1998, 603) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Über das Vermögen der Klägerin und ursprünglichen Revisionsbeklagten (Klägerin) ist während des Revisionsverfahrens die Gesamtvollstreckung eröffnet worden. Sie wird seitdem im Revisionsverfahren von dem vom Amtsgericht bestellten Verwalter (Revisionsbeklagter) vertreten, der die streitigen angemeldeten Umsatzsteueransprüche bestritten hat. Die Klägerin ist die Gesamtrechtsnachfolgerin der Bau-GmbH. Sie erbrachte —wie ihre Rechtsvorgängerin— Bauleistungen.

Am vereinbarte die Bau-GmbH mit der Bauträger-GmbH die Errichtung von fünf Häusern (sog. Bauvorhaben Haustyp I) zum Bruttopauschalbetrag von 6,3 Mio. DM und die Errichtung von vier Häusern (sog. Bauvorhaben Haustyp III) zum Bruttopauschalbetrag von 5,1 Mio. DM (zahlbar jeweils nach Baufortschritt in 23 Raten). Darüber erteilte sie im Juli und August 1995 die Schlussrechnungen.

Um unberechtigt Fördermittel zu erlangen, schlossen die Bau-GmbH und die Bauträger-GmbH später (zu einem nicht mehr bestimmbaren Zeitpunkt) zwei weitere auf den zurückdatierte, bis auf die Vergütung inhaltsgleiche Verträge für die erwähnten Bauvorhaben ab. Sie vereinbarten nunmehr Gesamtpauschalvergütungen von 8,1 Mio. DM brutto für das Vorhaben Haustyp I und von 6,7 Mio. DM brutto für das Vorhaben Haustyp III.

Die Bau-GmbH erteilte der Bauträger-GmbH zur ”Abdeckung der Differenzen” (zwischen den ersten und den zweiten Rechnungen mit dem Datum des ) zwei Rechnungen mit dem Datum des über ”Sondersicherheitseinbehalte” von (1 565 217,39 DM und 234 782,61 DM Umsatzsteuer =) 1,8 Mio. DM für das Vorhaben Haustyp I und von (1 391 304,35 DM und 208 695,65 DM Umsatzsteuer =) 1,6 Mio. DM für das Vorhaben Haustyp III, die im Dezember 1994 auch bezahlt wurden. In (zwei weiteren) Schlussrechnungen vom für das Vorhaben Haustyp I und vom für das Vorhaben Haustyp III wurde entsprechend den auf den datierten Vereinbarungen abgerechnet. In diesen Rechnungen wies die Bau-GmbH Umsatzsteuer von 1 115 443,49 DM (für den Haustyp I) und von 911 408,38 DM (für den Haustyp III) aus. In der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Dezember 1994 berücksichtigte die Bau-GmbH in den Bemessungsgrundlagen für die angemeldeten Umsätze auch die für Sondersicherungseinbehalte berechneten Beträge.

Im Gegenzug erteilte die Bauträger-GmbH der Bau-GmbH in der Zeit vom 15. November bis neun Rechnungen über tatsächlich nicht geleistete ”Projektsteuerung”, deren Summe genau den Beträgen der Sondersicherheitseinbehalte entsprach (insgesamt 3,4 Mio. DM brutto). Die Bau-GmbH bezahlte diese Rechnungen am und zog die ausgewiesenen Steuerbeträge von insgesamt 443 478,25 DM als Vorsteuern ab.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) deckte die Vorgänge auf und beurteilte die zweiten Schlussrechnungen der Bau-GmbH als sog. ”Scheinschlussrechnungen”, denen keine Leistungen zugrunde lägen. Dadurch habe die Bau-GmbH als Rechnungsausstellerin in Höhe der darin ausgewiesenen Umsatzsteuer eine Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) verwirklicht. Das FA erhöhte die Umsatzsteuer für Juli 1995 um 911 408,38 DM und für August 1995 um 1 115 443,49 DM und ließ eine Berichtigung dieser Rechnungen nicht zu.

Außerdem verminderte das FA für 1994 den Vorsteuerabzug der Bau-GmbH in Höhe von 443 478,25 DM aus den Rechnungen der Bauträger-GmbH über nicht ausgeführte Leistungen für die erwähnte Projektsteuerung.

Am berichtigte die Bau-GmbH die beiden Rechnungen über Sondersicherheitseinbehalte und die zweite Schlussrechnung wegen des Haustyps III gegenüber dem Rechtsnachfolger der Bauträger-GmbH.

Dadurch meldete sie in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Oktober 1996 eine Vorsteuererstattung von 1 018 090,72 DM an. Sie war der Auffassung, dass sie eine Rechnungsberichtigung nach § 14 Abs. 2 UStG durchgeführt habe. Nach einer weiteren Fahndungsprüfung für Oktober 1996 setzte das FA die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Oktober 1996 abweichend davon auf 336 795 DM fest, weil es die Rechnungsberichtigungen als unwirksam ansah. Das FA war der Auffassung, die Steuerschuld der Bau-GmbH beruhe auf § 14 Abs. 3 UStG und sei nicht korrigierbar. Diese Festsetzung erfolgte zunächst gegen die Bau-GmbH und —nachdem im November 1996 die Verschmelzung der Bau-GmbH mit der Klägerin im Handelsregister eingetragen worden war— durch Bescheid vom gegen die Klägerin.

Die gegen den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Oktober 1996 zugelassene Sprungklage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 603 veröffentlicht worden ist, legte u.a. dar, dass die Klägerin Umsatzsteuer aus der zweiten Schlussrechnung über Bauleistungen zur Errichtung der Anlage Haustyp III nicht nach § 14 Abs. 3 UStG schulde, weil sie die berechneten Leistungen ausgeführt und darüber nur mehrfach abgerechnet habe. Sie schulde die in der zweiten Schlussrechnung ausgewiesene Umsatzsteuer auch nicht nach § 14 Abs. 2 UStG, weil sie diese Rechnung mit ihrem Schreiben vom ”storniert” habe. Sie brauche dafür nicht nachzuweisen, dass der Leistungsempfänger keinen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen habe (Hinweis auf das , BFHE 181, 236, BStBl II 1999, 249).

Die Klägerin schulde auch die in den Rechnungen über die Sicherungseinbehalte ausgewiesene Umsatzsteuer nicht nach § 14 Abs. 3 UStG, weil sie nur über eine (nicht gerechtfertigte) Entgeltserhöhung, aber nicht über eine Leistung abgerechnet habe. Soweit dadurch eine Steuerschuld nach § 14 Abs. 2 UStG begründet worden sein sollte, sei diese nach der Rechnungsberichtigung entfallen.

Mit der (vom FG) zugelassenen Revision rügt das FA unrichtige Anwendung von § 14 Abs. 2 und Abs. 3 UStG. Die Klägerin habe, so begründet das FA seine Revision, zwei Werkverträge mit jeweils unterschiedlichem Inhalt geschlossen und darüber jeweils selbständig abgerechnet. Die zweite vereinbarte Leistung habe die Klägerin nicht erbracht, aber mit Umsatzsteuerausweis abgerechnet, so dass eine Steuerschuld nach § 14 Abs. 3 UStG gegeben sei, was das FA verkannt habe. Auch mit den vereinbarten Sondersicherheitseinbehalten habe die Rechnungsausstellerin über Leistungen abgerechnet, die sie nicht erbracht habe.

Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Revisionsbeklagte ist der Revision entgegengetreten.

II.

1. Das durch Gesamtvollstreckung unterbrochene Verfahren (§ 155 der FinanzgerichtsordnungFGO— i.V.m. § 240 Satz 1 der Zivilprozeßordnung —ZPO—) kann fortgesetzt werden, nachdem der Revisionsbeklagte in seinem Schreiben vom erklärt hat, er sei mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (zur Unterbrechung des Verfahrens bei Gesamtvollstreckung vgl. , Der Betrieb —DB—, 1997, 1827). In diesem Schriftsatz (§ 155 FGO i.V.m. § 250 ZPO) hat er seinen Willen, den Prozess fortzusetzen, hinreichend deutlich erklärt (vgl. dazu Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, Zivilprozeßordnung, 59. Aufl., § 250 Rz. 5).

2. Die Revision ist begründet.

Das FG hat einen Untergang der in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Oktober 1996 festgesetzten Steuerschuld angenommen, weil die Bau-GmbH die von ihr ausgestellten Rechnungen berichtigt habe (§ 14 Abs. 2 Satz 2 UStG). Zwar hat sich das FG dafür auf die Rechtsprechung des Senats (Urteil in BFHE 181, 236, BStBl II 1999, 249) berufen. An der darin vertretenen Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG kann der Senat aber nicht mehr festhalten. Sie hat sich aufgrund neuer Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) als nicht richtlinienkonform erwiesen. Das FG hat aber nicht festgestellt, ob die von dem Rechnungsempfänger aufgrund der streitbefangenen Rechnungen (zu Unrecht) abgezogenen Vorsteuerbeträge auch zurückgezahlt worden sind.

a) Der Senat hat aus dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck des § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG abgeleitet, die Wirksamkeit einer Rechnungsberichtigung hänge nicht davon ab, dass die Finanzbehörde die Ansprüche gegen den Leistungsempfänger aus der gebotenen Berichtigung des Vorsteuerabzugs durchsetzen kann (vgl. , BFHE 171, 373, BStBl II 1993, 643; vom V R 78/88, BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777). Bei richtlinienkonformer Beurteilung der Voraussetzungen für die Rechnungsberichtigung ergibt sich aber, dass sie nur zuzulassen ist, wenn die Gefährdung des Steueraufkommens nachweislich rechtzeitig und vollständig beseitigt worden ist.

b) Nach Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) schuldet jede Person die Mehrwertsteuer, die diese in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist. Jede zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer kann berichtigt werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist, die mit der zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer ausgelöst wird ( - Schmeink und Cofreth und Manfred Strobel, Rn. 57 ff., Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2000, 470, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht —UVR— 2000, 424, mit Anm. Lohse). Das gilt sowohl bei unrichtiger (§ 14 Abs. 2 Satz 1 UStG) als auch bei unberechtigter (§ 14 Abs. 3 UStG) Abrechnung mit Steuerausweis.

Das Steueraufkommen wird bei zu Unrecht in Rechnung gestellter Steuer dadurch gefährdet, dass dieser Steuerbetrag als Vorsteuer abgezogen werden könnte. Das in Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehene Recht auf Vorsteuerabzug erstreckt sich nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung ausgewiesen wird ( - Genius Holding, Slg. 1989, 4227, UR 1991, 83, Rn. 13). Über eine Leistung darf nur einmal, und zwar mit der wirklich vereinbarten Bemessungsgrundlage, abgerechnet werden.

Soweit die Bau-GmbH in den streitbefangenen Rechnungen Umsatzsteuer auswies, die über die gesetzlich geschuldete Steuer für die erbrachten Bauleistungen hinausging, schuldete sie diese Steuerbeträge. Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verlangt, dass zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer berichtigt werden kann, wenn die Gefährdung des Steueraufkommens nicht vorhanden oder beseitigt worden ist (vgl. EuGH in UR 2000, 470, Rn. 58). Das Steueraufkommen würde aber gefährdet, wenn eine Berichtigung der Steuer ohne den Nachweis zugelassen würde, dass der Rechnungsempfänger die in der streitbefangenen Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abgezogen hat, dass ihm der Vorsteuerabzug daraus versagt worden ist oder dass ein etwaiger Vorsteuerabzug durch Rückzahlung oder Verrechnung der abgezogenen Vorsteuer rückgängig gemacht worden ist.

3. Das FA muss das FG bei den nunmehr notwendigen entsprechenden Feststellungen unterstützen (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO).

Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 313
BB 2001 S. 1341 Nr. 26
BFH/NV 2001 S. 1088 Nr. 8
BFHE S. 528 Nr. 194
BStBl II 2004 S. 313 Nr. 7
DB 2001 S. 1397 Nr. 26
DStR 2001 S. 1068 Nr. 26
DStRE 2001 S. 773 Nr. 14
UR 2001 S. 355 Nr. 8
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