BFH Urteil v. - IX R 63/98

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb mit notariellem Vertrag vom ein Wohn- und Geschäftsgrundstück. Ein Kaufpreis war nicht zu entrichten; jedoch verpflichtete sich die Klägerin, das Gebäude grundlegend zu sanieren. Zudem räumte sie den beiden, 1953 und 1965 geborenen Voreigentümern das lebenslängliche Wohnungsrecht an je einer noch zu schaffenden Wohnung im ersten Obergeschoss des Hauses ein. Das Wohnungsrecht, für das nach den vertraglichen Vereinbarungen ein Entgelt nicht zu zahlen ist, soll sich nach dem Tode des Berechtigten jeweils auch auf dessen Witwe oder Lebensgefährten erstrecken.

Für die Veranlagungszeiträume 1991 bis 1993 (Streitjahre) erklärte die Klägerin Werbungskostenüberschüsse aus Vermietung und Verpachtung, die insbesondere aus Sonderabschreibungen für im Rahmen der Sanierung entstandene Teilherstellungskosten nach § 4 des Fördergebietsgesetzes (FördG) resultierten.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) vertrat die Ansicht, dass die Klägerin Aufwendungen nur insoweit im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abziehen könne, als diese nicht auf die durch die lebenslänglichen Wohnungsrechte belasteten Grundstücksteile entfielen. Dementsprechend kürzte das FA die Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung um den wohnungsrechtsbelasteten Wohnflächenanteil von 35,78 v.H.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Ansicht, die Klägerin erfülle hinsichtlich der durch das Wohnungsrecht belasteten Wohnungen schon nicht den Tatbestand der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Daneben fehle der Klägerin hinsichtlich der wohnungsrechtsbelasteten Wohnungen die erforderliche Einkünfteerzielungsabsicht. Schließlich könnten die auf die belasteten Wohnungen entfallenden Aufwendungen auch nicht als vorweggenommene Werbungskosten berücksichtigt werden.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Das von ihr erworbene Gebäude sei so baufällig gewesen, dass es bis auf die Grundmauern abgetragen und total neu aufgebaut habe werden müssen; die Voreigentümer hätten sich demnach kein Wohnungsrecht vorbehalten können, vielmehr habe dieses nach Fertigstellung des Gebäudes von der Klägerin erneut zugewendet werden müssen. Nach den Grundsätzen über die ertragsteuerrechtliche Behandlung des Zuwendungswohnungsrechts seien bei ihr, der Klägerin, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe des mit 40 300 DM ermittelten Grundstücksverkehrswertes anzunehmen; diese seien aus Billigkeitsgründen auf einen Zeitraum von zehn Jahren zu verteilen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG mit der Maßgabe aufzuheben, für die Streitjahre jeweils 4 030 DM zusätzliche Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie die bereits geltend gemachten Werbungskosten zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Allerdings hat das FG zu Recht entschieden, dass die Klägerin hinsichtlich der mit einem Wohnungsrecht belasteten Wohnungen keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.S. des § 21 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erzielt.

a) Nach § 1093 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kann das Recht an einem Grundstück bestellt werden, das aufstehende Gebäude oder einen Teil des Gebäudes unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung zu nutzen (Wohnungsrecht). In sachenrechtlicher Hinsicht ist Belastungsgegenstand des Wohnungsrechts das gesamte Grundstück, auch wenn sich das Benutzungsrecht auf das Gebäude oder Teile hiervon bezieht (, Lindenmaier/Möhring - Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs —LM—, § 1093 BGB Nr. 3; Palandt/Bassenge, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl., § 1093 Rz. 6). Hieraus folgert die Zivilrechtsprechung u.a., dass ein bestehendes Wohnungsrecht jedenfalls dann erlischt, wenn die Räume, an denen es haftet, endgültig zerstört sind und der Eigentümer nicht verpflichtet ist, diese wieder herzustellen (BGH-Urteil in LM § 1093 BGB Nr. 3). Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in ertragsteuerrechtlicher Hinsicht im Falle der endgültigen Zerstörung einer vorhandenen Bebauung mit anschließender Neuerrichtung und der Einräumung eines Wohnungsrechts an Teilen des neuen Gebäudes das Vorliegen eines Anschaffungsgeschäftes für möglich gehalten (, BFHE 163, 560, BStBl II 1992, 718).

Im Streitfall hatte sich die Klägerin vertraglich verpflichtet, den Voreigentümern Wohnungsrechte an zwei noch zu schaffenden Wohnungen einzuräumen. Die dafür erforderliche grundlegende Sanierung der bestehenden Bausubstanz ist mit dem Fall, in dem sich der Steuerpflichtige zum Abriss einer bestehenden Bebauung, zur Errichtung einer neuen Bebauung und zur Bestellung eines Wohnungsrechts verpflichtet (s. BFH-Urteil in BFHE 163, 560, BStBl II 1992, 718), auch dann nicht gleichzustellen, wenn —wie die Klägerin im Streitfall vorträgt— von dem zu sanierenden Gebäude nur die Grundmauern, d.h. die tragenden Teile stehen bleiben. Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen Bedenken, wenn das FG davon ausgeht, dass die Voreigentümer die ihnen vorbehaltenen Wohnungen nicht auf Grund eines unentgeltlichen Überlassungsvertrages, sondern auf Grund eines eigenen, bei der Übertragung des Eigentums auf die Klägerin vorbehaltenen Nutzungsrechts nutzen (vgl. , BFHE 139, 23, BStBl II 1983, 660) und hieraus den Schluss zieht, dass die Klägerin hinsichtlich der wohnungsrechtsbelasteten Wohnungen den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nicht erfüllt (vgl. , BFHE 143, 310, BStBl II 1985, 390; vom IX R 39/81, BFHE 144, 362, BStBl II 1985, 720; vom XI R 10/89, BFH/NV 1991, 450).

b) Da die Klägerin —soweit es die wohnungsrechtsbelasteten Wohnungen betrifft— in den Streitjahren den Tatbestand der Einnahmeerzielung aus Vermietung und Verpachtung nicht erfüllt hat, kann sie die betreffenden Aufwendungen —wie Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf die von ihr aufgewendeten Herstellungskosten— nicht als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG geltend machen; es fehlt insoweit an dem notwendigen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Aufwendungen und steuerbaren Einnahmen (vgl. , BFH/NV 1991, 303). Gleiches gilt für den von der Klägerin begehrten Ansatz der Sonderabschreibungen nach § 4 FördG.

Das FG hat in diesem Zusammenhang auch zu Recht einen Ansatz der streitigen Aufwendungen unter dem Gesichtspunkt der vorab entstandenen Werbungskosten verneint, weil auch der notwendige Zusammenhang zwischen Aufwand und zukünftigen Einnahmen nicht gegeben sei. Die Rechtsprechung hat einen derartigen Zusammenhang bei einem dinglich gesicherten, lebenslänglichen Nutzungsrecht schon dann verneint, wenn der Nutzungsberechtigte im hohen Alter stehen sollte (BFH-Urteil in BFHE 139, 23, BStBl II 1983, 660). Dies muss erst recht gelten, wenn der Nutzungsberechtigte ein hohes Alter noch nicht erreicht hat.

2. Zu Unrecht hat das FG indes entschieden, dass die im notariellen Vertrag vom enthaltene Sanierungsverpflichtung kein Entgelt für die Übertragung des Grundstücks darstelle.

Eine die erkennbaren Interessen der Vertragsparteien berücksichtigende Auslegung des Übertragungsvertrages, die der Senat selbst vornehmen kann (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 118 Anm. 17, mit Rechtsprechungsnachweisen), ergibt, dass die Voreigentümer ihr Eigentum übertragen haben, um jeweils ein Wohnungsrecht an einer sanierten Wohnung zu erhalten. Die Kosten der Sanierung der beiden betreffenden Wohnungen bilden mithin wirtschaftlich die Gegenleistung der Klägerin und sind somit Anschaffungskosten i.S. des § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB). Die entgegenstehende Beurteilung des FG wird dem wirtschaftlichen Gehalt der Vereinbarungen nicht gerecht und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

3. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Das FG wird im zweiten Rechtszug die Kosten der Sanierung der beiden wohnungsrechtsbelasteten Wohnungen zu ermitteln haben. Diese sind insoweit einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen, als sie anteilig auf die zur Erzielung von Einkünften genutzten Gebäudeteile entfallen.

Darüber hinaus wird das FG zu prüfen haben, ob die Sanierungskosten für die nicht wohnungsrechtsbelasteten Gebäudeteile nach Maßgabe der Rechtsprechung des erkennenden Senats (z.B. , BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632; vom IX R 88/90, BFHE 178, 32, BStBl II 1996, 628; vom IX R 2/94, BFHE 178, 42, BStBl II 1996, 637; vom IX R 34/94, BFHE 181, 50, BStBl II 1996, 649; vom IX R 61/95, BFHE 187, 431, BStBl II 1999, 282; s. auch , BStBl I 1996, 1442) —ggf. teilweise— als sofort abziehbare Erhaltungsaufwendungen zu berücksichtigen sind. Hierfür könnte zum einen die Feststellung des FG sprechen, dass das Gebäude ”nicht wertlos” gewesen sei. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass nach den vertraglichen Vereinbarungen eine grundlegende Sanierung ”im Standard des sozialen Wohnungsbaus” vorzunehmen war, welche nicht notwendig mit einer über den ursprünglichen Zustand hinausgehenden wesentlichen Verbesserung i.S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB einhergehen muss.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1257 Nr. 10
TAAAA-67677