Gründe
Im Klageverfahren gegen ihren Einkommensteuerbescheid 1995 lehnten die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab (s. dazu den Beschluss des erkennenden Senats vom heutigen Tage im Verfahren IX B 117/00). Denselben Richter hatte der Kläger als Prozessbevollmächtigter in zahlreichen anderen Verfahren als befangen abgelehnt, in denen er —der Kläger— als Prozessbevollmächtigter tätig war. Der abgelehnte Berichterstatter gab in einem der Verfahren eine ausführliche dienstliche Äußerung ab. In anderen Verfahren fertigte er eine zusammengefasste dienstliche Stellungnahme, die sich auf den Satz beschränkte, er sei in den Sachen nicht voreingenommen und halte sich nicht für befangen. Der Vorsitzende des betreffenden Senats des Finanzgerichts (FG), Vorsitzender Richter am FG X, veranlasste eine Übersendung der dienstlichen Äußerungen des abgelehnten Berichterstatters an den Kläger als Prozessbevollmächtigten und setzte eine Frist zur Gegenäußerung. Noch vor Ablauf der gesetzten Stellungnahmefristen lehnte das FG ohne Mitwirkung des abgelehnten Berichterstatters die Befangenheitsanträge ab. Daraufhin lehnte der Kläger als Prozessbevollmächtigter in den betreffenden Verfahren und auch in dem hier zu beurteilenden Verfahren wegen seiner eigenen Einkommensteuerveranlagung 1995 den Vorsitzenden Richter am FG X als befangen ab. Er rügt auch in diesem Verfahren im Wesentlichen, dass der Beschluss über das Ablehnungsgesuch gegen den Berichterstatter ergangen sei, bevor die vom Gericht gesetzte Stellungnahmefrist abgelaufen gewesen sei. Außerdem sei diese Frist zu kurz bemessen gewesen, weil der Vorsitzende Richter am FG X gewusst habe, dass sich der Kläger bei Fristablauf im Urlaub befunden habe.
Das FG lehnte den Ablehnungsantrag ab. Hinsichtlich der Begründung wird auf die Wiedergabe des Beschlusses im Beschluss des IV. Senats des Bezug genommen.
Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Beschwerde. Sie verweisen zur Begründung auf ihr Vorbringen in anderen Verfahren. Deshalb wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Wiedergabe ihres Vorbringens in dem Beschluss vom IV B 4/01 Bezug genommen.
Die Kläger haben mit der Beschwerde keinen ausdrücklichen Antrag gestellt. Sie halten die Vorentscheidung für unzutreffend.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hat mitgeteilt, er sei von dem Beschwerdeverfahren nicht unmittelbar betroffen und sehe sich aus diesem Grund nicht in der Lage, zu den gegen den Vorsitzenden Richter am FG X vorgetragenen Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat den Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter am FG X im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
1. Die Beschwerde ist statthaft. Zwar kann nach § 128 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom (BGBl I 2000, 1757) ein Beschluss über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mehr mit der Beschwerde angefochten werden. Gemäß Art. 4 2.FGOÄndG richtet sich die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen eine gerichtliche Entscheidung aber nach den bis zum geltenden Vorschriften, wenn die Entscheidung vor dem verkündet oder von Amts wegen anstelle einer Verkündung zugestellt worden ist. Vorliegend ist der angefochtene Beschluss vor dem zugestellt worden, so dass die Beschwerde gegeben ist.
2. Nach § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden wird. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflusst ausfiele. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten. Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters bilden grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund. Anders verhält es sich nur, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters oder auf Willkür beruht (vgl. BFH-Beschlüsse vom XI B 190/96, BFH/NV 1997, 780, und vom IV B 104/93, BFH/NV 1995, 629). Darauf kann etwa eine Häufung von Verfahrensfehlern hinweisen (BFH-Beschlüsse vom XI B 91/92, BFH/NV 1994, 489, und in BFH/NV 1995, 629). Verfahrensverstöße und andere Verhaltensweisen können zudem in ihrer Gesamtheit einen Grund darstellen, der den Beteiligten von seinem Standpunkt aus zu Recht befürchten lassen kann, der abgelehnte Richter werde nicht unparteilich entscheiden (, BFH/NV 1992, 526).
3. Es kann dahinstehen, ob das FG zutreffend angenommen hat, der Ablehnungsantrag sei im Hinblick darauf unzulässig, dass die geltend gemachten Verfahrensfehler nicht einem einzelnen Richter zugeordnet werden könnten. Selbst wenn eine solche Zuordnung gegenüber dem Vorsitzenden Richter am FG X möglich wäre, bestünde aus der Sicht der Kläger bei Anlegen objektiver Maßstäbe kein Grund für die Besorgnis, der Vorsitzende Richter am FG X werde ihnen gegenüber nicht unparteilich entscheiden.
a) Allerdings rügen die Kläger zu Recht, dass Verfahrensvorschriften verletzt werden, wenn ein Gericht gegenüber dem Beteiligten gesetzte Fristen missachtet. Insbesondere liegt ein Verstoß gegen die Grundsätze des rechtlichen Gehörs (Art. 103 des Grundgesetzes —GG—, § 96 Abs. 2 FGO) und des fairen Verfahrens (§ 76 Abs. 2 FGO) vor, wenn vor Ablauf einer vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme und ohne deren Vorliegen entschieden wird. Dabei kommt es entgegen der Auffassung des FG nicht darauf an, ob es notwendig war, dem Beteiligten eine Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Denn wenn sich das Gericht entschließt, ausdrücklich Gelegenheit zur Gegenäußerung zu geben, lässt es erkennen, dass es selbst eine Äußerung des Beteiligten für sachdienlich hält. Dann muss es sich an dieser Betrachtung auch weiter festhalten lassen und darf erst eine Entscheidung fällen, wenn entweder die Stellungnahme vorliegt oder die Frist zur Stellungnahme abgelaufen ist. Im Streitfall spricht einiges dafür, dass ein derartiger gravierender Verfahrensfehler aufgetreten ist.
b) Dies allein begründet aber noch nicht die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Vorsitzenden Richter am FG X, und zwar unabhängig von der Frage, ob ihm diese Verstöße zugerechnet werden können und er schuldhaft gehandelt hat. Denn daraus allein lässt sich keine negative Einstellung des Vorsitzenden Richters am FG X gegenüber den Klägern herleiten, die die Besorgnis rechtfertigen könnte, er werde im Streitfall nicht unparteilich entscheiden.
Die gerügten Fristverletzungen sind nicht nur gegenüber den Klägern und den vom Kläger vertretenen Klägern anderer Verfahren begangen worden, sondern jeweils auch gegenüber dem FA. Auch kann aus der Anzahl der Verfahrensverstöße allein nicht auf eine negative Einstellung des Vorsitzenden Richters am FG X geschlossen werden, weil es nur eine geringe Anzahl von Handlungen dieses Richters war, die zu dem Verfahrensfehler in zahlreichen Verfahren geführt hat. Denn die Missachtung der Frist zur Stellungnahme auf die dienstliche Äußerung des Berichterstatters zu den Befangenheitsanträgen ist auf eine einzige Verfügung des Vorsitzenden Richters am FG X zurückzuführen, die in allen betroffenen Verfahren auszuführen war. Soweit die Missachtung der Stellungnahmefrist überhaupt dem Vorsitzenden Richter am FG X zugerechnet werden kann, ist sie im Wesentlichen durch Flüchtigkeit zu erklären. Es ist davon auszugehen, dass der Vorsitzende Richter am FG X übersehen hat, welches Datum von den Personen, die seine Verfügung auszuführen hatten, als Fristablauf eingesetzt worden war. Eine negative Einstellung gegenüber den Klägern lässt sich daraus allein jedenfalls nicht herleiten.
Soweit die Kläger die Stellungnahmefrist als bewusste Schikane des Vorsitzenden Richters am FG X ansehen, weil dieser von dem Urlaub des Klägers gewusst habe, ist diese Wertung nach objektiven Maßstäben nicht gerechtfertigt. Wenn im Rahmen eines Erörterungstermins im Zusammenhang mit dem Antrag auf Einräumung einer Schriftsatzfrist erwähnt wird, dass der Prozessbevollmächtigte in einem bestimmten Zeitraum urlaubsabwesend ist, kann nicht erwartet werden, dass der Richter diese Information in der Weise ”speichert”, dass er sich auch in anderen von diesem Prozessbevollmächtigten betreuten Verfahren jederzeit daran erinnert. Wenn in einem anderen Verfahren deshalb eine Frist gesetzt wird, deren Ende in den Urlaubszeitraum fällt, kann dies nicht als bewusste unfaire Maßnahme angesehen werden, wenn nicht besondere Hinweise für ein gezieltes Verhalten des Richter vorliegen. Solche Hinweise gibt es im Streitfall nicht. Im Übrigen schließt sich der erkennende Senat der Begründung des Beschlusses des IV. Senats vom IV B 4/01, der den Beteiligten dieses Verfahrens bekannt ist, an.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 64 Nr. 1
FAAAA-67634