Arbeitsrecht | Massenentlassung rechtfertigt keine Kündigung Schwangerer
Im Kontext einer Massenentlassung darf die Kündigung von
schwangeren Arbeitnehmerinnen nur in nicht mit der Schwangerschaft in
Zusammenhang stehenden Ausnahmefällen erfolgen, wenn keine annehmbare
Möglichkeit besteht, sie auf einer anderen geeigneten Stelle weiter zu
beschäftigen (EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin in der Rechtssache
C-103/16).
Sachverhalt und Verfahrensgang: Ein spanisches Unternehmen leitete eine Konsultation mit der Arbeitnehmervertretung im Hinblick auf eine Massenentlassung ein. 2013 sandte es einer Arbeitnehmerin, die zu diesem Zeitpunkt schwanger war, ein Kündigungsschreiben zu, in dem ihr die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gemäß der Vereinbarung des Verhandlungsgremiums mitgeteilt wurde. Im Kündigungsschreiben hieß es insbesondere, dass im spezifischen Fall der Provinz, in der sie arbeite, weitgreifende Personalanpassungen erforderlich seien und dass in dem vom Unternehmen in der Konsultationsphase durchgeführten Bewertungsverfahren ihr Ergebnis zu den niedrigsten in der Provinz zähle.
Die Arbeitnehmerin focht ihre Kündigung mit einer Klage vor dem spanischen Arbeits- und Sozialgericht an, das zugunsten des Arbeitgebers entschied. Dagegen legte sie ein Rechtsmittel beim Obersten Gerichtshof von Katalonien ein, der den EuGH um die Auslegung des Verbots der Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen ersucht hat und insbesondere darum, wie dieses Verbot im Falle eines Massenentlassungsverfahrens auszulegen sei.
Hierzu führte die Generalanwältin weiter aus:
Die Mutterschaftsrichtlinie schützt Arbeitnehmerinnen „während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs“. Die Ausnahme, die eine Kündigung von schwangeren Arbeitnehmerinnen erlaubt, kommt nur in nicht mit der Schwangerschaft in Zusammenhang stehenden Ausnahmefällen zur Anwendung.
Dagegen regelt die Massenentlassungsrichtlinie Kündigungen bei Massenentlassungen und definiert sie als „Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt“.
In Bezug auf die Wechselwirkung zwischen den beiden Vorschriften sind die Voraussetzungen, die es erlauben, einer schwangeren Arbeitnehmerin zu kündigen, nämlich „die nicht mit ihrem Zustand in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig sind“, nicht dahin auszulegen, dass sie genau der Formulierung „aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen“ entsprechen.
Im Kontext der Massenentlassungsrichtlinie gibt es Fälle, die tatsächlich als Ausnahme zu betrachten sind. Doch nicht jede Massenentlassung ist ein „Ausnahmefall“ im Sinne der Mutterschaftsrichtlinie. Daher ist es Sache des nationalen Gerichts zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die Massenentlassung als „Ausnahmefall” einzustufen ist, um festzustellen, ob die Ausnahme vom Verbot der Kündigung zur Anwendung kommt.
Für die Heranziehung der „Ausnahmefälle”-Regelung, die es erlaubt, einer schwangeren Arbeitnehmerin zu kündigen, reicht es nicht aus, Gründe geltend zu machen, die sich im Falle einer Massenentlassung (oder auch außerhalb dieses Kontextes) auf ihren Arbeitsplatz auswirken. Darüber hinaus darf es keine annehmbare Möglichkeit geben, die schwangere Arbeitnehmerin auf einer anderen geeigneten Stelle weiter zu beschäftigen.
Schließlich entspricht eine Kündigung nur dann den Anforderungen der Mutterschaftsrichtlinie, wenn sie sowohl schriftlich erfolgt als auch gebührend nachgewiesene Gründe in Bezug auf die nicht mit der Schwangerschaft in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle, die die Kündigung erlauben, anführt. Im Kontext einer Massenentlassung wird ein Kündigungsschreiben, das sich darauf beschränkt, die allgemeinen Gründe für den Personalabbau und die Auswahlkriterien mitzuteilen, jedoch nicht erklärt, warum die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin zulässig sei, weil die spezifischen Umstände der fraglichen Massenentlassung sie zu einem „Ausnahmefall“ machten, diesen Kriterien nicht entsprechen.
Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend. Die Richter des EuGH treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
Quelle: EuGH, Pressemitteilung Nr. 99/17 (Sc)
Fundstelle(n):
EAAAG-57341