BFH Urteil v. - VIII R 22/99

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb Inhaber-Teilschuldverschreibungen einer Anleihe der X Bank im Gesamtnennwert von ... DM zu einem Kurs von 112,50 DM mit einer Laufzeit vom bis . Der Erstausgabekurs der Anleihe betrug 100,80 v.H., die Rückzahlung erfolgte zum Nennwert. Die Verzinsung betrug in der Zeit vom bis zum jährlich 9,5 v.H. Vom bis erfolgte eine halbjährliche Verzinsung mit 15 1/8 v.H. abzüglich des ”Sechs-Monats-DM-Libor” zum festgelegten Stichtag, vorausgesetzt, die Differenz war größer als 0 v.H. Betrug der Zinssatz 0 v.H. oder weniger als 0 v.H., wurden für diese Periode keine Zinsen gezahlt. ”Sechs-Monats-DM-Libor” ist der Zinssatz, der im Londoner Interbanken-Markt auf der Basis des Zinssatzes für Sechs-Monats-DM-Einlagen laut Telerate-Monitordienst-Bericht zugrunde gelegt wird. Stichtag für die Zinsfestlegung ist der zweite Londoner Bankarbeitstag vor Beginn der jeweiligen halbjährlichen Zinsperiode.

Von den Inhaber-Teilschuldverschreibungen veräußerte der Kläger Teilbeträge von

10 000 DM am zum Kurs von 114 DM und

50 000 DM am zum Kurs von 118,75 DM.

Die Kursgewinne von 150 DM und 3 125 DM erfasste die Depotbank in ihren Abrechnungen als sog. Marktrendite. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) behandelte sie als steuerpflichtige inländische Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c und d des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Kläger wandte mit der Klage dagegen ein, dass bei den sog. Reverse Floatern keine Kursgewinne bei vorzeitiger Veräußerung zu versteuern seien, soweit es sich nicht —was hier unstreitig nicht der Fall sei— um Spekulationsgewinne i.S. des § 23 EStG handele. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es entschied, die Kursgewinne aus sog. Reverse Floatern würden von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c und d EStG erfasst. Der Gesetzgeber habe bei Finanzinnovationen, für die eine Emissionsrendite nicht zu ermitteln sei, als zu versteuernde Einnahme die sog. Marktrendite vorgesehen und es für die in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG geregelten Anlageformen hingenommen, dass Kursgewinne zu versteuern seien, die ansonsten nach allgemeinen Grundsätzen steuerfrei blieben. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 553 veröffentlicht.

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c und d EStG.

Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 1995 dahin zu ändern, dass der Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf der sog. Reverse Floater steuerfrei bleibt.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es ist der Meinung, bei sog. Reverse Floatern sei der Kapitalertrag auch dann nicht nach der Emissionsrendite zu berechnen, wenn —wie im Streitfall— der variabel verzinslichen Laufzeit des Wertpapiers eine festverzinsliche Phase vorgeschaltet sei. Die Berechnung des Kapitalertrags nach der Marktrendite werde entgegen der Auffassung, die der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom VIII R 28/99 (BFHE 193, 374, BStBl II 2001, 97) vertreten habe, nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Wertpapier insgesamt keine von vornherein berechenbare Emissionsrendite habe.

Die Revision des Klägers ist begründet. Die Einkommensteuer ist gemäß dem Klagebegehren herabzusetzen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass die Gewinne, die der Kläger aus der Veräußerung der sog. Reverse Floater mit vorgeschalteter Festzinsphase erzielt hat und die auf einer Änderung des Wertpapierkurses zwischen der Anschaffung und Veräußerung beruhen, nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c oder d EStG steuerpflichtig sind.

1. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 1995 gültigen Fassung gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen u.a. auch die Einnahmen aus der Veräußerung oder Abtretung von sonstigen Kapitalforderungen, bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis abhängt (Buchst. c, 2. Alternative) oder bei denen die Kapitalerträge in unterschiedlicher Höhe gezahlt werden (Buchst. d, 1. Alternative), soweit sie der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite entsprechen.

a) Die Beteiligten des finanzgerichtlichen Verfahrens und das FG sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass sog. Reverse Floater mit einer vorgeschalteten Festzinsphase keine von vornherein berechenbare Emissionsrendite i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG haben. Dieser Auffassung, die auch das BMF im Revisionsverfahren vertreten hat, schließt sich der Senat an. Zwar lässt sich im Zeitpunkt der Emission einer solchen Anleihe berechnen, welche Rendite sie bis zu ihrer Einlösung mit Sicherheit (mindestens) unter Berücksichtigung des festen Zinssatzes und des Ausgabe- und Einlösungskurses erzielen wird. Nach dem gesetzlichen Tatbestand sind dem jeweiligen Kapitalanleger die Einnahmen aus der Veräußerung aber nur insoweit als Kapitalertrag zuzurechnen, als sie rechnerisch auf seine Besitzzeit entfallen. Wenn das Gesetz die Besitzzeit des jeweiligen Kapitalanlegers als Maßstab dafür bestimmt, welcher Kapitalertrag ihm zuzurechnen ist, dann spricht dies dafür, dass auch die Erträge aus dieser Besitzzeit in die Berechnung der Emissionsrendite einbezogen werden sollen. Da bei einem Reverse Floater mit vorgeschalteter Festzinsphase aber die Rendite für die Zeit nach dem Ablauf der Festzinsphase im Zeitpunkt der Emission des einheitlichen Wertpapiers nicht berechenbar ist, verfügt ein solches kombiniertes Wertpapier nicht über eine von vornherein berechenbare Emissionsrendite i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG.

b) Das Fehlen einer von vornherein berechenbaren Emissionsrendite hat zur Folge, dass der Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG nicht erfüllt ist und der Gewinn aus der Veräußerung nicht gemäß Satz 2 dieser Vorschrift nach der sog. Marktrendite berechnet werden darf. Der Senat hat mit Urteil in BFHE 193, 374, BStBl II 2001, 97 entschieden, dass entsprechend dem Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG die Besteuerung nach der sog. Marktrendite das Vorhandensein einer von vornherein berechenbaren Emissionsrendite voraussetzt und folglich nicht zulässig ist bei Wertpapieren, die keine von vornherein berechenbare Emissionsrendite haben. Das Urteil betraf einen Floater in ausländischer Währung, dessen Zinssatz sich nach dem jeweiligen LIBOR mit einem Abschlag von 0,05 v.H. richtete. Der Kläger hatte das Wertpapier zu einem höheren Kurs erworben als es bei seiner Einlösung hatte, aber aufgrund erheblicher Änderungen des Wechselkurses des australischen Dollars zur Deutschen Mark im Ergebnis einen Gewinn aus der Veräußerung erzielt. Der Senat hat diesen reinen Wechselkursgewinn nicht als Ertrag i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Inhalt dieser Entscheidung Bezug genommen.

Im Streitfall beruht der vom Kläger erzielte Gewinn aus der Veräußerung von Teilbeträgen seiner Inhaber-Schuldverschreibungen in Deutscher Mark auf einer Änderung des Wertpapierkurses in der Zeit zwischen dem Erwerb und der Veräußerung. Dies ändert aber nichts daran, dass die Reverse Floater mit vorgeschalteter Festzinsphase —wie oben dargelegt— eine von vornherein berechenbare Emissionsrendite nicht haben und deshalb nach den Grundsätzen des Senatsurteils in BFHE 193, 374, BStBl II 2001, 97 eine Ermittlung des Kapitalertrags nach der Marktrendite nicht zulässig ist.

aa) Das BMF hat zwar verfügt, dass die Grundsätze dieses Urteils nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden seien (Schreiben vom IV C 1 -S 2252- 26/01, BStBl I 2001, 149). Aber die gegen dieses Urteil vom BMF erhobenen Einwände sind nicht begründet. Wenn der Gesetzgeber —wie im Falle des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG— eine Sanktion an einen fehlenden Nachweis durch den Steuerpflichtigen knüpft, dann setzt dies voraus, dass ein derartiger Nachweis objektiv möglich ist. Soweit sich bei dieser Auslegung des Gesetzestexts für bestimmte der in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c und d EStG aufgeführten Tatbestandsvarianten keine Bemessungsgrundlage für eine Besteuerung ergibt, rechtfertigt dies keine andere Auslegung des Gesetzeswortlauts. Denn sonst würde ein Ergebnis eintreten, das mit dem vom Gesetzgeber selbst bezeichneten Zweck der Norm nicht im Einklang stünde und das unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten so bedenklich gewesen wäre, dass nicht angenommen werden konnte, es sei vom Gesetzgeber gewollt.

Der Gesetzgeber hatte mit der Neuregelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG durch das Gesetz zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz —StMBG—) vom (BGBl I 1993, 2310, 2313, BStBl I 1993, 50, 53) erklärtermaßen nur sicherstellen wollen, ”dass Vorteile, die unabhängig von ihrer Bezeichnung und ihrer zivilrechtlichen Gestaltung bei wirtschaftlicher Betrachtung für die Überlassung von Kapitalvermögen zur Nutzung erzielt werden, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören” (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59). Wären Floater als Wertpapiere ohne von vornherein berechenbare Emissionsrendite als vom Gesetzestext des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG erfasste Kapitalanlagen anzusehen, dann wären jegliche Wertsteigerungen der Kapitalanlage besteuert worden, ohne dass der Kapitalanleger die Möglichkeit gehabt hätte, diese Besteuerung durch den Nachweis der Emissionsrendite abzuwenden. Es ist aber nicht ohne weiteres einleuchtend und auch in den Gesetzesmaterialien nicht erläutert, aus welchen Gründen bei einem Floater der auf Kursänderungen des Wertpapiers beruhende Gewinn als verdeckter Kapitalertrag zu qualifizieren sein sollte, während dies bei Veräußerungsgewinnen, die beispielsweise auf Kursänderungen von festverzinslichen Wertpapieren oder Aktien beruhen, unstreitig nicht der Fall ist. Würden von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG zwingend und ohne die Ausweichmöglichkeit des Nachweises der Emissionsrendite auch solche Veräußerungsgewinne erfasst, die bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht als verdeckter Zinsertrag qualifiziert werden können, dann hätte für die durch diese Vorschrift bewirkte unterschiedliche Behandlung von Wertpapieren der sachlich einleuchtende Grund gefehlt. Solche verfassungsrechtlichen Bedenken ergeben sich bei der vom Senat in dem Urteil in BFHE 193, 374, BStBl II 2001, 97 befürworteten Gesetzesauslegung nicht.

bb) Der Auslegung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG durch den Senat kann entgegen der Auffassung des BMF auch nicht mit Erfolg die in § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG getroffene Regelung entgegengehalten werden. Nach der für das Streitjahr 1995 gültigen Fassung dieser Vorschrift werden Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren den sonstigen Einkünften i.S. des § 22 Nr. 2 EStG zugewiesen, wenn der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als 6 Monate beträgt. Diese Vorschrift hat eine andere Zielrichtung, weil durch sie jegliche Wertsteigerung eines Wertpapiers und nicht wie durch § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG nur ein verdeckter Zinsertrag erfasst werden soll; folgerichtig bezieht sich § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG auch ohne Unterschied auf alle Wertpapiere. Dementsprechend ist diese Vorschrift unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) unbedenklich.

2. Die Vorentscheidung ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Klage mit dem Begehren, die nach der Marktrendite errechneten Beträge nicht steuererhöhend zu erfassen, ist stattzugeben.

Fundstelle(n):
DStRE 2001 S. 1275 Nr. 23
FR 2001 S. 1183 Nr. 22
GAAAA-67583