BVerwG Beschluss v. - 9 VR 2/17

Maßnahmen zur Vorbereitung der Baudurchführung im Sinne des § 16a FStrG; Erlass einer Duldungsverfügung

Leitsatz

1. Vor dem Erlass einer Duldungsverfügung gemäß § 16a FStrG bedarf es grundsätzlich einer Anhörung des Adressaten.

2. § 16a FStrG betrifft vorbereitende Maßnahmen geringer Eingriffsintensität. Auf seiner Grundlage kann ein Grundstückseigentümer - bei summarischer Prüfung im Eilverfahren - nicht zur dauerhaften Duldung betonierter Bohrpfähle in seinem Grundstück verpflichtet werden.

Gesetze: § 16a FStrG, § 28 Abs 1 VwVfG

Gründe

I

1Die Antragstellerin, ein Bergbauunternehmen, ist in der Gemarkung Salzmünde Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem sich ein Freilager für grundeigene Bodenschätze befindet. Sie wendet sich gegen die Anordnung der Antragsgegnerin, auf dem genannten Grundstück Vorarbeiten im Sinne des § 16a FStrG zu dulden.

2Gegen den Planfeststellungsbeschluss der Antragsgegnerin vom für den Neubau der Bundesautobahn A 143 (Westumfahrung Halle) hat die Antragstellerin Klage erhoben. Der Senat hat den Planfeststellungsbeschluss auf die Klage eines anderen Klägers durch Urteil vom - 9 A 20.05 - (BVerwGE 128, 1) für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt. Das Klageverfahren der Antragstellerin wurde daraufhin mit Zustimmung der Beteiligten zum Ruhen gebracht.

3Mit der hier angefochtenen, ohne vorherige Anhörung erlassenen Verfügung vom verpflichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin, vom 15. August bis zum näher beschriebene Vorarbeiten auf ihrem Grundstück zu dulden. Es handelt sich um die Herstellung von zwei "besonders instrumentierten Bohrpfählen" mit einer Länge von etwa 45 m und einem Durchmesser von 1,20 m bis 1,50 m, die aus Beton ausgeführt und anschließend einer Probebelastung unterzogen werden sollen. Danach sollen die Pfähle "bis knapp unter Geländeoberkante rückgebaut" werden. Zur Begründung ist ausgeführt, die Vorarbeiten seien erforderlich, um im Hinblick auf den Baubeginn, der nach dem für Ende 2017 erwarteten Planergänzungsbeschluss im Juli 2020 vorgesehen sei, die Baumaßnahme rechtzeitig ausschreiben zu können.

4Gegen diese Verfügung richten sich die Klage der Antragstellerin und ihr Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz.

II

5Der Antrag ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

61. Für die Entscheidung über den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Duldungsverfügung wiederherzustellen, ist das Bundesverwaltungsgericht nach § 5 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VerkPBG sachlich zuständig. Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 dieses Gesetzes enthaltene Befristung bis zum steht der Zuständigkeit des Gerichts nicht entgegen, weil die Planung für das hier in Rede stehende Fernstraßenprojekt schon vor dem Stichtag begonnen wurde (§ 11 Abs. 2 VerkPBG; s. dazu zuletzt 9 A 1.15 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 239 Rn. 8 f.). Der vorliegende Rechtsstreit betrifft auch im Sinne des § 5 Abs. 1 VerkPBG das Planfeststellungsverfahren. Denn ausgehend vom Beschleunigungszweck dieser Norm unterfallen ihrem Anwendungsbereich über Fallgestaltungen hinaus, in denen es um die genehmigungsrechtliche Bewältigung des Vorhabens im engeren Sinne geht, auch solche Verfahren, die Maßnahmen zur Vorbereitung der Baudurchführung nach § 16a FStrG zum Gegenstand haben (ebenso zu § 44 Abs. 1 EnWG: 7 VR 10.12 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 31 Rn. 5 f.).

72. Unter den hier vorliegenden Umständen überwiegt das Aufschubinteresse der Antragstellerin das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehbarkeit der umstrittenen Duldungsverfügung. Denn bei summarischer Prüfung, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, ist die Klage der Antragstellerin unter formellen und materiellen Gesichtspunkten erfolgversprechend.

8a) Die angefochtene Duldungsverfügung erweist sich schon aus formellen Gründen als offensichtlich rechtswidrig. Sie verstößt gegen § 28 Abs. 1 VwVfG (hier i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG LSA), wonach dem Adressaten vor Erlass eines in seine Rechte eingreifenden Verwaltungsakts Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Zu Unrecht meint die Antragsgegnerin, die Rechte der Antragstellerin seien nicht erst durch die Duldungsanordnung, sondern bereits unmittelbar kraft Gesetzes durch § 16a FStrG beeinträchtigt. Dies verkennt, dass die von Gesetzes wegen nur abstrakt begründete Pflicht, dort bezeichnete Vorarbeiten zur Vorbereitung der Planung und der Baudurchführung zu dulden, einer sachlichen, räumlichen und zeitlichen Konkretisierung durch Verwaltungsakt bedarf, die hier wie auch sonst Gegenstand der betreffenden Duldungsverfügung ist (vgl. auch Ronellenfitsch, in: Marschall, FStrG, 6. Aufl. 2012, § 16a Rn. 15).

9Im Hinblick darauf hat die Duldungsverfügung Eingriffscharakter im Sinne des § 28 Abs. 1 VwVfG, sodass vor ihrem Erlass grundsätzlich eine Anhörung des belasteten Grundstückseigentümers bzw. Nutzungsberechtigten geboten ist ( 7 VR 10.12 - NVwZ 2013, 78 Rn. 9). Gründe, von einer solchen Anhörung hier ausnahmsweise abzusehen, sind nicht ersichtlich. Soweit sich die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang auf ihr der Antragstellerin schon mit Schreiben vom allgemein unterbreitetes Gesprächsangebot sowie auf ihre Ankündigung beruft, nach Aufhebung der vorangegangenen Duldungsverfügung vom demnächst eine neue Verfügung zu erlassen, kann sie damit nicht durchdringen. Sie übersieht, dass eine ordnungsgemäße Anhörung den beabsichtigten Verwaltungsakt nach Art und Inhalt so konkret umschreiben muss, dass der Adressat erkennen kann, weshalb und wozu er sich äußern soll und mit welcher Entscheidung er zu rechnen hat (s. nur Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 28 Rn. 34 m.w.N.). Dies war bei der beschriebenen Verfahrensweise nicht sichergestellt.

10Der Senat vermag der Antragsgegnerin auch nicht darin beizupflichten, dass die versäumte Anhörung im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt worden sei. Die Heilung eines Anhörungsmangels gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG setzt voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten im gerichtlichen Verfahren erfüllen diese Voraussetzungen grundsätzlich nicht ( 3 C 14.09 - BVerwGE 137, 199 Rn. 37 und vom - 3 C 16.11 - BVerwGE 142, 205 Rn. 18). Der Anregung der Antragsgegnerin, im gerichtlichen Verfahren zu klären, ob das Betriebsgelände und insbesondere das Freilager der Antragstellerin derzeit überhaupt genutzt wird, ist deshalb entgegenzuhalten, dass dies Gegenstand der nach § 28 Abs. 1 VwVfG gebotenen Anhörung hätte sein müssen. Nach gegenwärtigem Sachstand lässt sich daher auch nicht eindeutig ausschließen, dass der Verfahrensverstoß die Entscheidung in der Sache beeinflusst haben kann (§ 46 VwVfG).

11b) Abgesehen von dem Anhörungsmangel leidet die angegriffene Verfügung auch an einem Bestimmtheitsfehler. Eine Duldungsanordnung nach § 16a FStrG muss so bestimmt sein, dass der Duldungspflichtige seine Betroffenheit und deren Intensität erkennen und sich darauf einstellen kann ( 9 A 6.08 - Buchholz 407.4 § 16a FStrG Nr. 3 Rn. 4, 7). Dies war hier nicht in dem erforderlichen Umfang gewährleistet. So ist die Lage der auf dem Grundstück der Antragstellerin vorgesehenen Bohrstellen in der Duldungsverfügung nicht hinreichend genau beschrieben. Zwar mag eine metergenaue Angabe der einzelnen Bohrpunkte insbesondere dann nicht erforderlich sein, wenn deren Tauglichkeit erst von den vor Ort festzustellenden Gegebenheiten abhängt (so 7 VR 10.12 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 31 Rn. 11). Hier war es aber ohne Weiteres möglich und auch geboten, die Antragstellerin davon in Kenntnis zu setzen, ob die Bohrpfähle innerhalb oder außerhalb des auf ihrem Grundstück befindlichen Freilagers abgeteuft werden sollen. Dass die erstgenannte (die Antragstellerin potentiell belastendere) Variante beabsichtigt ist, lässt sich der Duldungsverfügung nicht - auch nicht im Wege der Auslegung - entnehmen, sondern erst den ergänzenden Erläuterungen der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren.

12c) Darüber hinaus hat der Senat auch erhebliche Zweifel daran, ob die Anordnung, die von der Antragsgegnerin auf dem Grundstück der Antragstellerin konkret in Aussicht genommenen Maßnahmen zu dulden, eine ausreichende Rechtsgrundlage in § 16a FStrG findet. Diese Zweifel beziehen sich unbeschadet des von der Antragsgegnerin schriftsätzlich erläuterten Umstandes, dass die Bohrpfähle nur der Erprobung der Bodenverhältnisse und nicht schon der Bauausführung dienen, auf die Intensität des der Antragstellerin damit zugemuteten Eingriffs.

13Die derzeit geltende Fassung des § 16a FStrG, die den Grundstückseigentümern und sonst Nutzungsberechtigten eine Duldungspflicht für Vorarbeiten nicht nur zur Vorbereitung der Planung, sondern auch der Baudurchführung auferlegt, beruht auf der Bekanntmachung der Neufassung des Bundesfernstraßengesetzes vom (BGBl. I S. 1206). Das Bundesverwaltungsgericht hatte zuvor entschieden, dass die Duldungspflicht außerhalb des - damals engeren, auf die Planungsvorbereitung beschränkten - Anwendungsbereichs des § 16a FStrG a.F. (erst) auf den Planfeststellungsbeschluss gestützt werden kann (Beschluss vom - 4 VR 9.02 - Buchholz 407.4 § 16a FStrG Nr. 1 S. 2).

14In ausdrücklicher Auseinandersetzung mit diesem Beschluss soll die erweiterte Duldungspflicht in § 16a FStrG n.F. nach der Gesetzesbegründung ermöglichen, dass die Ausschreibung des Bauvorhabens schon parallel zum Planungsfortschritt vorbereitet werden kann. Sie soll auf diese Weise ein zeitgerechtes, sinnvolles Wechselspiel zwischen der Planung und der Ausschreibungsvorbereitung erleichtern (BT-Drs. 16/54 S. 27; vgl. dazu auch 9 VR 7.11 - Buchholz 406.403 § 63 BNatSchG 2010 Nr. 2 Rn. 11). In diesem Zusammenhang hebt allerdings die Gesetzesbegründung die "geringe Eingriffsintensität" der Maßnahmen, die (nur) Gegenstand der Duldungspflicht nach § 16a FStrG sein sollen, ausdrücklich hervor (BT-Drs. 16/54 S. 27). Im Einklang damit hat auch das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass die Betroffenen Vorarbeiten gerade wegen deren vom Gesetz vorausgesetzter geringer Eingriffsintensität - nach fristgemäßer Bekanntgabe und gegebenenfalls gegen Entschädigung - zu dulden haben (Beschluss vom - 9 VR 7.11 - Buchholz 406.403 § 63 BNatSchG 2010 Nr. 2 Rn. 10; vgl. auch Beschluss vom - 7 VR 10.12 - Buchholz 310 § 50 VwGO Nr. 31 Rn. 6; kritisch gegenüber einer erheblich belastenden Duldungspflicht vor Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses auch Schütz, in: Hermes/Sellner, AEG, 2. Aufl. 2014, § 17 Rn. 33).

15Von einer geringen Eingriffsintensität, wie sie mit vorübergehenden Erdbohrungen und -schürfungen zum Zweck der Boden- und Grundwasseruntersuchung üblicherweise verbunden ist, kann bei überschlägiger Prüfung nicht mehr die Rede sein, wenn - wie hier - über einen Zeitraum von insgesamt immerhin vier Monaten Bohrpfähle mit einer Länge von 45 m und einem Durchmesser von bis zu 1,50 m in Betonbauweise hergestellt und einer Belastungsprobe unterzogen werden, wobei die Pfähle sodann - mit Ausnahme der Pfahlköpfe - dauerhaft im Erdboden verbleiben sollen. Wie der Duldungsverfügung zu entnehmen ist, benötigt die Antragsgegnerin die Untersuchungsergebnisse nicht für den Abschluss des Planfeststellungsverfahrens - der Planergänzungsbeschluss ist bereits für Ende 2017 vorgesehen -, sondern für die Ausschreibung der Baumaßnahme und die Planung der Baudurchführung. Zumindest bei summarischer Prüfung spricht bei dieser Sachlage Überwiegendes dafür, dass der angeordnete Eingriff - auch unabhängig von der konkret verwirklichten oder beabsichtigten Grundstücksnutzung durch den Eigentümer - generell das Maß dessen übersteigt, was ihm auf der Grundlage des § 16a FStrG zuzumuten ist. Unter dieser Prämisse kann erst ein zu Lasten der Antragstellerin bestandskräftiger oder jedenfalls vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss (hier in der Fassung des noch zu erlassenden Planänderungsbeschlusses) mit der Möglichkeit einer vorzeitigen Besitzeinweisung (§ 18f FStrG) eine tragfähige Grundlage für die Pflicht zur Duldung von Vorarbeiten der Baudurchführung bilden, die das Grundeigentum im Hinblick auf den Zeitbedarf der Maßnahme und die Dauerhaftigkeit des Eingriffs so stark belasten wie die hier vorgesehenen (vgl. auch den bereits zitierten 4 VR 9.02 - Buchholz 407.4 § 16a FStrG Nr. 1 S. 2, der insoweit durch die Gesetzesänderung nicht überholt ist).

163. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Dabei legt der Senat für das vorliegende Eilverfahren die Hälfte des im Hauptsacheverfahren festzusetzenden Streitwertes zugrunde (s. Streitwertkatalog Nr. 34.2.6).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2017:170817B9VR2.17.0

Fundstelle(n):
LAAAG-55950