BFH Beschluss v. - VII B 299/00

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) beantragte am die vorschussweise Zahlung der Ausfuhrerstattung für 20 000 kg Sprüh-Vollmilchpulver, das nach ihren Angaben im Kontrollexemplar zur Ausfuhr nach der Türkei abgefertigt worden war. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt —HZA—), entsprach dem Antrag und gewährte der Klägerin Ausfuhrerstattung im Wege der vorschussweisen Zahlung nach Art. 22 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (VO Nr. 3665/87) der Kommission vom über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 351/1) in Höhe von ... DM. Mit Schreiben vom teilte die Klägerin dem HZA mit, dass das —bisher beim HZA nicht eingetroffene— fragliche Kontrollexemplar bei der italienischen Ausgangszollstelle in Triest vorgelegt worden sei. Außerdem habe sie nunmehr u.a. für dieses Kontrollexemplar ein entsprechendes Duplikat beantragt. Mit Bescheid vom…1995 forderte das HZA die vorschussweise gewährte Ausfuhrerstattung zuzüglich eines 15 %igen Zuschlags zurück. Die Vorlage des Original-Duplikats des Kontrollexemplars hielt das HZA für verspätet, so dass es den Einspruch gegen den Rückforderungsbescheid zurückwies (Einspruchsentscheidung vom…1996).

Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam zu dem Ergebnis, dass sich die Klägerin wegen der nicht fristgerechten Vorlage des Original T 5 Duplikats auf höhere Gewalt berufen könne. Nach Ablauf der in Art. 47 Abs. 2 VO Nr. 3665/87 genannten Jahresfrist sehe Art. 48 Abs. 3 VO Nr. 3665/87 eine Erstattung von 85 % vor, wenn alle in der Gemeinschaftsregelung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien. Entsprechend der Regelung in Art. 47 Abs. 2 VO Nr. 3665/87 könne bei Vorliegen höherer Gewalt der Ausfuhrnachweis auch noch nach Ablauf der in Art. 48 Abs. 3 Buchst. b VO Nr. 3665/87 festgelegten 6-Monatsfrist erbracht werden. Im Streitfall liege in der unzulänglichen Arbeitsweise des italienischen Zolls im Frühjahr 1995 ein Fall höherer Gewalt. Die Klägerin habe am —und damit rechtzeitig vor Ablauf der 18-Monatsfrist am — in Triest vor Ort mit dem gebotenen Nachdruck den Zoll zur Vornahme der erforderlichen Handlungen angehalten. Dabei sei ihr die fristgerechte Übersendung des Original-Duplikats des Kontrollexemplars an das HZA zugesagt worden. Wenn dies dennoch nicht erfolgt sei, könne dies der Klägerin nicht zugerechnet werden. Einen anderen Nachweis als die Vorlage des T 5 Papiers habe sie im Frühjahr 1995 nicht führen können. Die Berufung auf höhere Gewalt scheide nicht deshalb aus, weil die Klägerin sich innerhalb der 12-Monatsfrist des Art. 47 Abs. 2 VO Nr. 3665/87 weder um die Vorlage des erforderlichen Kontrollexemplars bemüht noch einen Antrag auf Anerkennung gleichwertiger Unterlagen gestellt habe. Diese Versäumnisse führten dazu, dass hinsichtlich der Überschreitung der 12-Monatsfrist ein Fall höherer Gewalt nicht gegeben sei. Deshalb müsse die Klägerin bereits einen 15 %igen Abschlag ihres Ausfuhrerstattungsanspruchs hinnehmen. Die Berufung auf höhere Gewalt während der 6-Monatsfrist des Art. 48 Abs. 3 Buchst. b VO Nr. 3665/87 werde dadurch nicht ausgeschlossen.

Gegen dieses Urteil des FG hat das HZA Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und diese darauf gestützt, dass die Entscheidung des FG von zwei Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— (Urteile vom Rs. 266/84, EuGHE 1986, 149, und vom Rs. C-50/92, EuGHE 1993, I-1035) abweiche, weshalb die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Außerdem liege eine Divergenz zu der im (BFH/NV 1999, 994) vertretenen Rechtsauffassung vor.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA ist als unzulässig zu verwerfen. Ihre Begründung genügt nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der bis zum geltenden Fassung —FGO a.F.— (vgl. Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom , BGBl I 2000, 1757).

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F., wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Wird die grundsätzliche Bedeutung mit einer Abweichung von einer Entscheidung des EuGH begründet, sind an die Darstellung der Abweichung sinngemäß dieselben Anforderungen zu stellen wie an die schlüssige Darstellung der Divergenz zu einer Entscheidung des BFH i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. Es muss ein tragender Rechtssatz aus der angefochtenen Entscheidung des FG herausgestellt werden, der zu einem tragenden Rechtssatz in der Entscheidung des EuGH in Widerspruch steht (vgl. , BFH/NV 2000, 997).

Diesen Anforderungen an die Begründung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache genügt die Beschwerdeschrift nicht. Sie legt nicht dar, welchen abstrakten Rechtssatz das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, und inwieweit eine Abweichung von abstrakten Rechtssätzen vorliegt, die der EuGH den in der Beschwerdeschrift genannten Entscheidungen zugrunde gelegt hat. Abgesehen davon, dass die angebliche Abweichung des FG-Urteils von den in der Beschwerdeschrift angegebenen Entscheidungen des EuGH nicht nach den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. bezeichnet ist, liegt eine Divergenz des FG-Urteils zu den Entscheidungen nicht vor. Das FG weicht nämlich nicht von den genannten EuGH-Urteilen ab, sondern beruht auf ihnen. Die Klägerin weist zu Recht darauf hin, dass das FG als Ausgangspunkt für die Frage, wann ein Fall der höheren Gewalt gegeben ist, gerade die beiden vom HZA angeführten Urteile des EuGH aus einer Vielzahl von Entscheidungen zur gleichen Problematik ausgewählt und diese —unter zum Teil wörtlicher Zitierung— seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat.

Sollte dem Hinweis der Beschwerde, in Art. 48 Abs. 3 VO Nr. 3665/87 sei die Möglichkeit einer Berufung auf höhere Gewalt nicht gegeben, entnommen werden können, das HZA weise der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die abweichende —einer Begründung entbehrende— ”Auffassung” des FG bei, so fehlte es jedenfalls an den erforderlichen Darlegungen, weshalb die richtige Auslegung und Anwendung der vorgenannten Vorschrift der grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf.

2. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. ist die Revision zuzulassen, wenn das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des BFH oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Bezeichnung einer Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. verlangt, dass eine Divergenzentscheidung genau bezeichnet und dargetan wird, dass das vorinstanzliche Gericht seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit der angeblichen Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt. Für die ausreichende Bezeichnung der geltend gemachten Divergenz fehlt es vorliegend an der Gegenüberstellung divergierender Rechtssätze aus der Entscheidung des BFH; mit der Bezugnahme auf die vom HZA zitierte BFH-Entscheidung und Darlegungen dazu, dass das FG auf der Grundlage dieser Entscheidungen zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen müssen, wird allenfalls die rechtliche Unrichtigkeit des FG-Urteils, nicht jedoch ein Grund für die Zulassung der Revision dargetan.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 1592 Nr. 12
CAAAA-67421