BFH Urteil v. - VI R 78/94, VI R 60/95

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb eine Gießerei in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Sie zahlte ihren Arbeitnehmern in den Jahren 1990 und 1991 Gießereizuschläge und Treueprämien, deren lohnsteuerliche Behandlung umstritten ist.

Grundlage der Leistungen der Klägerin war eine seit dem geltende Vereinbarung (ohne Datum) zwischen dem Ministerium für Maschinenbau (handelnd für den Ministerrat der DDR) und dem Zentralvorstand der Industriegewerkschaft Metall (handelnd für den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund) über die ”Anerkennung und Stimulierung der Tätigkeit der Werktätigen der Gießereien und Schmieden” (Vereinbarung).

Ziff. 2.1. der Vereinbarung legte fest, an welchen Personenkreis ein Gießereizuschlag in Höhe von 200 M bzw. 100 M monatlich zu zahlen war. Nach Ziff. 2.2.3. der Vereinbarung gehörte der Gießereizuschlag nicht zum Durchschnittslohn. Er war steuerfrei und nicht sozialversicherungspflichtig.

Gemäß Ziff. 3. der Vereinbarung erhielten alle Werktätigen in selbständigen Gießereien und Schmieden eine —nach Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelte— Treueprämie. Diese war jährlich im Juni auszuzahlen und nach den Verhältnissen im Zeitraum vom 1. Juli des Vorjahres bis zum 30. Juni des laufenden Jahres zu berechnen. Die Treueprämie gehörte nicht zum Durchschnittslohn, sie war steuerfrei und nicht sozialversicherungspflichtig (Ziff. 3.3.5. der Vereinbarung). In dem ab geltenden neuen Tarifvertrag war eine Treueprämie nicht mehr vorgesehen.

Anlässlich einer 1991/1992 bei der Klägerin durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) u.a. fest, dass die Klägerin von Juli bis Dezember 1990 einen Gießereizuschlag von 100 DM monatlich auch an das Verwaltungs- und Küchenpersonal gezahlt hatte. Das FA sah darin steuerpflichtigen Arbeitslohn. Es ermittelte einen nachzuversteuernden Betrag von 195 000 DM, woraus sich bei einem durchschnittlichen Steuersatz von 23,4 v.H. eine Steuer von 45 630 DM ergab.

Die Lohnsteuer-Außenprüfung stellte weiter fest, dass die Klägerin im Juni 1991 ihren Arbeitnehmern eine Ausgleichszahlung für auf den Zeitraum Juli 1990 bis März 1991 entfallende Treueprämie geleistet hatte, ohne diese Zahlungen der Lohnsteuer zu unterwerfen. Das FA nahm einen Abschlag für steuerfreie Jubiläumszuwendungen vor und unterwarf den übersteigenden Betrag von 2 076 340 DM einem Durchschnittssteuersatz von 23,4 v.H., was zu einer Nachforderung von 510 156,67 DM Lohn- und Kirchensteuer führte.

Nachdem das FA zunächst einen Haftungsbescheid erlassen, diesen aber wieder aufgehoben hatte, nahm es die Klägerin mit einem Pauschalierungsbescheid vom auf insgesamt 580 295,38 DM in Anspruch. Darin sind auch Steuernachforderungen wegen weiterer Beanstandungen der Lohnsteuer-Außenprüfung enthalten, deren Berechtigung die Klägerin nicht bestreitet.

Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) nur hinsichtlich der pauschalen Kirchenlohnsteuer statt.

Im Übrigen wies das FG die Klage ab, weil die Klägerin zu Recht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur pauschalen Lohnsteuer herangezogen worden sei. Diese Vorschrift sei am im Beitrittsgebiet in Kraft getreten. Der an das Verwaltungs- und Küchenpersonal gezahlte Gießereizuschlag sei steuerpflichtiges Arbeitseinkommen i.S. von §§ 1 und 2 der Verordnung über die Besteuerung des Arbeitseinkommens vom (AEBestV DDR, Gesetzblatt der DDR —GBl DDR— I 1952, 1413). Die Regelungen der AEBestV DDR seien gemäß Art. 8 des Einigungsvertrages (EinigVtr) i.V.m. Anlage I Kap. IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 (BGBl II 1990, 889, 973) bis zum weiter anzuwenden. Der Gießereizuschlag hätte nicht steuerfrei i.S. von § 3 AEBestV DDR i.d.F. des Steueranpassungsgesetzes vom (GBl DDR Sonderdruck Nr. 1427) an das Verwaltungs- und Küchenpersonal gezahlt werden dürfen, da dieses nicht zu dem in Ziff. 2.1. der Vereinbarung bezeichneten Personenkreis gehöre. Auch die Höhe der pauschalierten Lohnsteuer begegne keinen Bedenken. Die Berechnung des Pauschsteuersatzes sei zutreffend nach Abschn. 126 Abs. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) vorgenommen worden.

Die gezahlte Treueprämie stelle ebenfalls steuerpflichtigen Lohn dar. Die Klägerin könne sich nicht mit Erfolg auf die Regelung im EinigVtr (Anlage I Kap. VIII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 14) berufen, wonach ein Rahmenkollektivvertrag bis zum Abschluss eines Tarifvertrages weiter anzuwenden sei. Staatliches Abgabenrecht gehe den Regelungen der Tarifvertragsparteien vor.

Gegen das Urteil des FG hat die Klägerin Verfahrensrevision (VI R 78/94) und Nichtzulassungsbeschwerde sowie —nach deren Stattgabe durch den Bundesfinanzhof (BFH)— eine weitere Revision (VI R 60/95) eingelegt. Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Klägerin trägt vor, das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Nachdem ein für den Termin der mündlichen Verhandlung nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständiger ehrenamtlicher Richter seine Teilnahme kurzfristig abgesagt habe, habe der ehrenamtliche Richter A an der mündlichen Verhandlung teilgenommen, obwohl in der Reihenfolge der Hilfsliste der ehrenamtliche Richter B vor ihm eingeteilt gewesen sei. Dieser sei nur deshalb übergangen worden, weil er nicht auf Anhieb telefonisch erreichbar gewesen sei. Hieraus ergebe sich eine fehlerhafte Besetzung der Richterbank, die sich mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters nicht vereinbaren lasse.

Für die Gießereizuschläge sei keine Lohnsteuer gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nachzuerheben gewesen. Entgegen der Ansicht des FG hätten alle Beschäftigten der Klägerin Anspruch auf den nach DDR-Recht steuerfreien verminderten Gießereizuschlag gehabt.

Die von der Klägerin gezahlten Treueprämien seien nach dem Rahmenkollektivvertrag ebenfalls steuerfrei. Sie seien bis zum 15. Juli eines Jahres als Belohnung langjähriger Mitarbeit für den vorangegangenen Ermittlungszeitraum auszubezahlen gewesen. Das vom FG herangezogene (Der Betrieb —DB— 1993, 2385) stütze die Entscheidung des FG nicht. Die Steuerfreiheit der Treueprämien ergebe sich aus den tarifrechtlichen Bestimmungen, die durch den EinigVtr als lex specialis des deutschen Bundesrechts mit zumindest steuerlicher Wirkung weitergegolten hätten. Selbst wenn man eine Steuerfreiheit der Treueprämie verneine, hätte im Hinblick auf § 34 Abs. 3 EStG in der bis Ende 1989 geltenden Fassung eine wesentlich geringere Pauschalierung als die vom FA mit 23,4 v.H. vorgenommene erfolgen müssen. Dieser Steuersatz sei weit überhöht.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung teilweise aufzuheben und die Lohnsteuer-Nachforderung für 1990 auf 13 316,20 DM sowie für 1991 auf 6 505,80 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Zur Begründung führt es aus: Es sei unbestritten, dass nach dem EinigVtr die gesetzlichen Regelungen des DDR-Rechts auf dem Gebiet der Lohnsteuer im Jahr 1990 weitergegolten hätten. Die Gießereizuschläge seien jedoch steuerpflichtiges Einkommen i.S. der §§ 1 und 2 AEBestV DDR gewesen. Die im Juni 1991 gezahlten Treueprämien seien ebenfalls steuerpflichtig. Da diese Zahlungen im Jahr 1991 zugeflossen seien, sei insoweit bundesdeutsches Steuerrecht anzuwenden. Dies gelte auch dann, wenn die Zahlungen nach dem Tarifvertrag teilweise für das Jahr 1990 geleistet worden seien.

Der Senat hat eine dienstliche Äußerung der seinerzeit zuständigen Geschäftsstellenbeamtin des FG über die Heranziehung der an der Sitzung vom mitwirkenden ehrenamtlichen Richter eingeholt. Die Geschäftsstellenverwalterin hat darin ausgeführt, zunächst seien die geschäftsplanmäßig zuständigen ehrenamtlichen Richter zu der Sitzung geladen gewesen; diese hätten ihre Teilnahme bestätigt. Am habe jedoch Frau X bei der Geschäftsstelle angerufen und mitgeteilt, dass ihr Mann an der Verhandlung nicht teilnehmen könne, da er aus beruflichen Gründen verhindert sei. Daraufhin habe sie versucht, fernmündlich die Richter B und Y aus der Hauptliste II zu laden. Herr Y sei seinerseits wegen Krankheit verhindert gewesen. Herr B sei nicht telefonisch erreichbar gewesen, da er nach Auskunft seiner Arbeitsstelle dienstlich unterwegs gewesen sei. Anschließend habe sie die Richter der Hilfsliste in der Reihenfolge dieser Liste telefonisch zu laden versucht. Als einziger habe Herr A für die Teilnahme an der Sitzung am zur Verfügung gestanden.

II. Die Revision ist teilweise begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angegriffenen Bescheides, soweit mehr als 13 316,20 DM Lohnsteuer für das Jahr 1990 nachgefordert wird. Für das Jahr 1991 hat die Vorinstanz dagegen die Klage gegen die Lohnsteuer-Nachforderung zu Recht abgewiesen.

1. Im Streitfall hat die Klägerin sowohl eine zulassungsfreie Verfahrensrevision nach Maßgabe des bis zum Jahr 2001 geltenden § 116 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingelegt (Revisionsverfahren VI R 78/94) als auch —nach Zulassung durch den Senat— eine auf Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision (Revisionsverfahren VI R 60/95). Da beide Revisionen gegen dasselbe Urteil eingelegt wurden, handelt es sich um das nämliche Rechtsmittel, über das das Revisionsgericht einheitlich zu entscheiden hat (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 120 Anm. 16).

2. Die Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung des FG (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO a.F., § 119 Nr. 1 FGO) ist nicht begründet.

Verfahrensmängel i.S. von § 116 Abs. 1 FGO a.F. sind nur dann ordnungsgemäß gerügt, wenn die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F.), ihre Richtigkeit unterstellt, die Mängel ergeben, d.h. wenn sie schlüssig vorgetragen sind (ständige Rechtsprechung). Die Klägerin hat entgegen § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F. keine Tatsachen bezeichnet, die eine Verletzung von Vorschriften über die Besetzung des FG ergeben.

a) Indem die Klägerin in Frage stellte, ob der geschäftsplanmäßig zuständige ehrenamtliche Richter X sich mit hinreichenden Gründen wegen beruflicher Verhinderung entschuldigen ließ, hat sie keinen Verfahrensfehler schlüssig vorgetragen. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung braucht ein Gericht den Hinderungsgrund nicht näher nachzuprüfen, wenn sich ein zunächst berufener ehrenamtlicher Richter unter Angabe eines Grundes für verhindert erklärt. Vielmehr darf das Gericht bei den auf gewissenhafte Amtsführung vereidigten ehrenamtlichen Richtern (vgl. § 45 des Deutschen Richtergesetzes —DRiG—) grundsätzlich davon ausgehen und sich ohne weitere Ermittlungen darauf verlassen, dass sie sich ihrer richterlichen Pflicht nicht ohne triftigen Grund entziehen, sondern nach pflichtgemäßer Abwägung zu dem Ergebnis gelangt sind, verhindert zu sein (vgl. z.B. VI C 104.73, BVerwGE 44, 215; , BFH/NV 1989, 532, und , BFH/NV 1996, 840).

b) Die Heranziehung des ehrenamtlichen Richters A aus der Hilfsliste erfolgte ebenfalls rechtsfehlerfrei.

Ausweislich der dienstlichen Äußerung der Geschäftsstellenverwalterin des erkennenden Senats des FG hat diese, nachdem ihr am die berufliche Verhinderung des Herrn X für die Teilnahme an der am darauffolgenden Tag stattfindenden Sitzung bekannt wurde, zunächst erfolglos versucht, telefonisch die Richter B und Y aus der Hauptliste II zu laden. Da Y krank und B nicht telefonisch erreichbar war, hat die Geschäftsstellenverwalterin sodann versucht, die Richter der Hilfsliste in der Reihenfolge dieser Liste telefonisch zu laden. Dabei stand Herr A als einziger für die Teilnahme an der Verhandlung am zur Verfügung. Diese Vorgehensweise lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Sie entspricht vielmehr dem Zweck der nach § 27 Abs. 2 FGO aufgestellten Hilfsliste.

§ 27 Abs. 2 FGO gestattet ausdrücklich die Aufstellung einer Hilfsliste ehrenamtlicher Richter, die am Gerichtssitz oder in seiner Nähe wohnen, um im Falle einer unvorhergesehenen Verhinderung eines ehrenamtlichen Richters dessen kurzfristige Vertretung zu ermöglichen. Damit hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass im Falle einer unvorhergesehenen Verhinderung des ”an sich” geschäftsplanmäßig berufenen ehrenamtlichen Richters ein Vertreter nach dem Maßstab kurzfristiger Erreichbarkeit aus der Hilfsliste bestellt werden kann. Dann ist es aber auch nicht zu beanstanden, wenn bei einer einen Tag vor der Sitzung bekannt gewordenen, für das FG unvorhergesehenen Verhinderung eines ehrenamtlichen Richters in der Reihenfolge der Hilfsliste derjenige ehrenamtliche Richter als Vertreter herangezogen wird, dem eine Teilnahme an der Sitzung möglich ist und der als erster telefonisch erreichbar ist.

3. Die Revision ist begründet, soweit sie sich gegen die Lohnsteuer-Nachforderung für 1990 richtet.

Das FA hat die Steuernachforderungen zutreffend nach dem Maßstab des Zuflusses (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG) auf die Jahre 1990 und 1991 aufgeteilt. Für die 1990 zugeflossenen Löhne war nach Art. 8 EinigVtr i.V.m. Anlage I Kap. IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 (BGBl II 1990, 889, 973) noch das Recht der DDR anzuwenden. Für die 1990 gezahlten Löhne war eine Lohnsteuer-Pauschalierung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des bundesdeutschen EStG, wie sie das FA vorgenommen hat, nicht zulässig. Da der Senat nicht über den Klageantrag hinausgehen kann (§ 96 Abs. 1 Satz 2, § 121 FGO), war die Lohnsteuer-Nachforderung für das Jahr 1990 demnach —wie von der Klägerin beantragt— auf 13 316,20 DM herabzusetzen.

a) Die Rechtsvorschriften der DDR sahen eine Pauschalierung der Lohnsteuer nicht vor. Vielmehr bestimmte die AEBestV DDR in § 20 Abs. 4 lediglich eine Haftung des Arbeitgebers (vgl. FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 2 K 1162/94 H (L), Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1997, 78). Hieraus folgt, dass für die Zeit bis zum , als sowohl materiell-rechtlich als auch hinsichtlich der anzuwendenden Haftungsvorschriften DDR-Recht anwendbar war, keine Pauschalierung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des bundesdeutschen EStG erfolgen durfte.

b) Gleiches gilt auch für die Zeit vom 3. Oktober bis zum . § 59 Abs. 3 EStG i.d.F. des EinigVtr (aufgehoben durch das Missbrauchbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz —StMBG— vom ) steht dem nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift war § 42d (des bundesdeutschen) EStG auf die Lohnsteuer anzuwenden, die im Jahr 1990 nach der Herstellung der deutschen Einheit —d.h. nach dem — aufgrund des materiell weiterhin anzuwendenden Rechts der DDR einzubehalten und abzuführen war. Auf diese Lohnsteuer war § 20 Abs. 4 AEBestV DDR gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 EStG i.d.F. des EinigVtr nicht mehr anzuwenden. Aus § 59 Abs. 3 EStG a.F. kann nicht gefolgert werden, hinsichtlich nicht einbehaltener Lohnsteuer, die in der Zeit vom 3. Oktober bis zum entstanden war, sei nicht nur der Erlass eines Haftungsbescheids nach § 42d EStG zulässig, sondern —als Alternative zu einem derartigen Haftungsbescheid— auch eine Lohnsteuer-Pauschalierung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.

Der EinigVtr enthält detaillierte Regelungen darüber, für welche Sachverhalte bei der Wiederherstellung der deutschen Einheit DDR-Recht und für welche Sachverhalte bundesdeutsches Recht anwendbar war. Hinsichtlich des Lohnsteuer-Abzugsverfahrens war § 59 Abs. 3 EStG i.d.F. des EinigVtr eine Ausnahmevorschrift, die schon ab dem die Anwendung der Haftungsnorm des § 42d EStG vorschrieb, obwohl materiell-rechtlich —wie oben dargelegt— für die 1990 zugeflossenen Löhne nach Art. 8 EinigVtr i.V.m. Anlage I Kap. IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 noch das Recht der DDR anzuwenden war. Würde diese Regelung analog auf § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG übertragen, so käme man zu einer ”Mischung” von bundesdeutschem und DDR-Recht, weil die Lohnsteuer-Pauschalierung in diesem Fall verfahrensrechtlich nach Maßgabe des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfolgen würde, während materiell-rechtlich —und damit auch hinsichtlich der anwendbaren Tarifvorschriften— weiterhin DDR-Recht anzuwenden wäre. In diesem Fall würde

isoliert § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der Zeit vom 3. Oktober bis zum partiell im Beitrittsgebiet angewandt, während die übrigen Vorschriften des § 40 EStG in dieser Zeit im Beitrittsgebiet noch nicht anwendbar waren. Da der EinigVtr generell eine derartige ”Vermischung” von Elementen des bundesdeutschen Rechts und des DDR-Rechts nicht vorsieht, ist § 59 Abs. 3 EStG i.d.F. des EinigVtr als eine abschließende Sonderregelung zu verstehen, die keine analoge Anwendung des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG im Zeitraum vom 3. Oktober bis zum ermöglicht.

4. Die Lohnsteuer 1991 wurde vom FA zutreffend nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nacherhoben.

a) Gemäß Art. 8 EinigVtr i.V.m. Anlage I Kap. IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Satz 1 ist das bundesdeutsche Einkommensteuerrecht am im Beitrittsgebiet in Kraft getreten. Die Lohnsteuernachforderung für den im Jahr 1991 zugeflossenen Arbeitslohn konnte daher auf § 40 Abs. 1 EStG gestützt werden. Den nach § 40 Abs. 1 Satz 1 EStG erforderlichen Antrag stellte die Klägerin, indem sie sich im Rahmen der Lohnsteuer-Außenprüfung mit einer Pauschalierung der Lohnsteuer einverstanden erklärte.

b) Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, war die 1991 gezahlte ”Treueprämie” steuerpflichtiger Lohn.

Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Gleichgültig ist, ob es sich um laufende oder um einmalige Bezüge handelt und ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG). § 19 EStG war gemäß Art. 8 EinigVtr i.V.m. Anlage I Kap. IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 Abs. 1 Satz 1 ab im Beitrittsgebiet anzuwenden. Die Lohnsteuer für die Treueprämie entstand gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG mit dem Zufluss dieser Sonderzahlung im Juni 1991. Hierbei ist es unerheblich, inwieweit durch diese Prämie, deren Höhe sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit bemaß, wirtschaftlich Arbeitsleistungen aus der Zeit vor 1991 entgolten wurden.

Ziff. 3.3.5. der Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Maschinenbau der DDR und dem Zentralvorstand der IG Metall über die Steuerfreiheit der in dieser Vereinbarung geregelten Treueprämie steht dem nicht entgegen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die vorgenannte Bestimmung —wie die Klägerin meint— nach dem Recht der DDR als eine steuerrechtliche Rechtsnorm mit Gesetzesrang zu qualifizieren war. Ferner bedarf es keiner Entscheidung, ob sich aus der Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Maschinenbau der DDR und der IG Metall ein Rechtsanspruch auf die ”Ausgleichszahlung für Treueprämien” ergab, die die Klägerin im Juni 1991 nach In-Kraft-Treten eines neuen Tarifvertrags, der keine Treueprämie mehr vorsah, zeitanteilig für den Zeitraum von Juli 1990 bis März 1991 gewährt hat. Auch wenn diese Ausgleichszahlung nach der o.g. ”Vereinbarung” noch geschuldet wurde und wenn Ziff. 3.3.5. der Vereinbarung nach DDR-Recht als steuerrechtliche Rechtsnorm anzusehen war, war diese Steuerbefreiung im Jahr 1991 nicht mehr anwendbar, da das Steuerrecht der DDR nach dem EinigVtr nur für solche Steuern anzuwenden war, die bis zum entstanden waren.

Der Hinweis der Klägerin, dass gemäß Anlage I Kap. VIII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 14 EinigVtr bis zum Abschluss von Tarifverträgen die früheren Rahmenkollektivverträge aus der DDR weiter anzuwenden waren, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der EinigVtr unterscheidet im Hinblick auf das In-Kraft-Treten der bundesdeutschen Rechtsvorschriften zwischen dem in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) fallenden Steuerrecht (Anlage I Kap. IV Sachgebiet B Abschn. II Nr. 14 EinigVtr) einerseits und dem in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) fallenden Regelungsbereich eines Tarifvertrags (Anlage I Kap. VIII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 14 EinigVtr) andererseits. Aus diesem Regelungszusammenhang folgt, dass der EinigVtr eine Fortgeltung von Bestimmungen eines Rahmenkollektivvertrags nur insoweit anordnet, als es sich um —nach bundesdeutschem Recht— den Tarifvertragsparteien offen stehende Regelungen der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen handelt. Nur insoweit kommt eine Ablösung durch einen neuen, wirksamen Tarifvertrag gemäß Anlage I Kap. VIII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 14 EinigVtr in Betracht, wie die Vorinstanz unter Hinweis auf das Urteil des BAG in DB 1993, 2385 zutreffend ausgeführt hat. Etwaige nach DDR-Recht in einem Rahmenkollektivvertrag enthaltene Steuerbefreiungen waren daher für Steuern, die nach dem entstanden, nicht mehr anwendbar.

c) Die Pauschalierung der Lohnsteuer erweist sich auch der Höhe nach als zutreffend.

Soweit es sich bei den Zuwendungen um steuerfreie Jubiläumszuwendungen nach Maßgabe des damaligen § 3 Nr. 52 EStG i.V.m. § 3 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung a.F. handelte, hat das FA die entsprechenden Beträge als steuerfrei behandelt. Die Lohnsteuer für den demnach steuerpflichtigen Teil der ”Treueprämien” hat das FA auf der Grundlage des damaligen Eingangssteuersatzes von 19 v.H., der nach § 40 Abs. 1 Satz 2 EStG zutreffend in einen Nettosteuersatz von 23,4 v.H. umgerechnet wurde, erhoben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Treueprämie, die einerseits nach den Tarifvorschriften der DDR einmal jährlich gezahlt wurde, deren Höhe sich aber andererseits nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit bemaß, Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit i.S. des § 34 Abs. 3 EStG 1991 war. Da die ”Treueprämien” im Jahr 1991 gezahlt wurden, war ggf. § 34 EStG in der im Jahr 1991 geltenden Fassung anzuwenden. Diese Vorschrift sah die rechnerische Verteilung der Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit auf drei Jahre vor. Diese Verteilung konnte für die zusätzlich zu dem der Lohnsteuer unterworfenen Arbeitslohn zu versteuernde ”Treueprämie” im Streitjahr 1991 nicht zu einem niedrigeren Steuersatz als dem Eingangssteuersatz führen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 165
PAAAA-67314