BGH Beschluss v. - 3 StR 535/16

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach neuem Recht: Darlegung besonderer Umstände für die Erwartung drohender erheblicher Straftaten bei nicht erheblichen Anlasstaten; Begründung der Gefährlichkeitsprognose

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 S 2 StGB vom , § 263 StGB, § 267 StPO

Instanzenzug: Az: 2020 Js 38594/15 - 6 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des Vor-täuschens von Straftaten in drei Fällen und des versuchten Erwerbs von Betäubungsmitteln freigesprochen, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Seine auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Hinsichtlich einer der drei dem Angeklagten zur Last liegenden Fälle des Vortäuschens von Straftaten (Fall II.2.a) [2. Tat vom ]) hat das Landgericht deshalb auf Freispruch erkannt, weil das festgestellte Verhalten des Angeklagten keinen Straftatbestand verwirklicht. Hinsichtlich der weiteren Vorwürfe (Fälle II.2.a) [1. Tat vom ], b) [Tat vom ] und c) [Tat vom ]) hat es den Freispruch auf die Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung gestützt, wobei es folgende rechtswidrige Taten festgestellt hat:

3Am 3. Juni und am versandte der Angeklagte per E-Mail Bombendrohungen an das Amtsgericht Montabaur, die er ernstgenommen wissen wollte. Der Direktor des Amtsgerichts () bzw. der während dessen Abwesenheit zuständige Vertreter () ging allerdings jeweils nicht davon aus, dass eine Sprengstoffexplosion oder Ähnliches drohe. Über "pro forma" getroffene Maßnahmen hinaus wurde nichts veranlasst.

4Am erwarb der Angeklagte in Koblenz einen 0,2 g schweren "Krümel", den er für Heroin hielt.

5Die festgestellten rechtswidrigen Taten hat das Landgericht zutreffend als Vortäuschen von Straftaten (§ 145d Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 126 Abs. 1 Nr. 6, § 308 StGB) in zwei Fällen und versuchten Erwerb von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BtMG, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) gewertet.

62. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB (nF) hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand; denn das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem Angeklagten in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

7a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Angeklagten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 349/13, juris Rn. 5; vom - 3 StR 171/14, juris Rn. 5; vom - 3 StR 372/14, juris Rn. 4; vom - 1 StR 594/16, juris Rn. 10 mwN).

8b) Die Strafkammer ist - dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend - davon ausgegangen, der Angeklagte leide an einer paranoiden Schizophrenie in chronifizierter Form, die durch deutliche inhaltliche und formale Denkstörungen sowie durch eine gravierende Beeinträchtigung seiner Kritikfähigkeit geprägt sei. Er habe ein ganz eigenes, egozentrisches Verständnis von gesellschaftlichen Normen entwickelt, das einem selbstreflexiven Diskurs nicht mehr zugänglich sei. So sehe er sich als unrechtmäßig behandeltes Opfer von öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Personen, insbesondere den Richtern des Amtsgerichts Montabaur, die gegen ihn eine rechtliche Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt und mehrmals präventive landesrechtliche Unterbringungen in psychiatrischen Einrichtungen angeordnet hatten. Daneben bestehe beim Angeklagten seit vielen Jahren eine Polytoxikomanie.

9Die Strafkammer hat weiter angenommen, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten auf Grund der chronifizierten paranoiden Schizophrenie aufgehoben war (§ 20 StGB). Die Taten beruhten auf krankheitsbedingter Realitätsverkennung. Die Ausprägung des psychotischen Erlebens sei von der symptomprovokativen Wirkung der zuvor konsumierten stimulierenden Betäubungsmittel abhängig gewesen. Motivation für die Taten sei die krankheitsbedingte Überzeugung des Angeklagten gewesen, sich als Justizopfer - nur noch - mit Bombendrohungen wehren zu können und ohne den Drogenkonsum "zu 80 % schwerbehindert" zu sein (der Konsum sei ihm "gestattet").

10Die Strafkammer hat ferner die Prognose getroffen, dass der Angeklagte "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" weitere rechtswidrige Taten begehen wird, zum einen den Anlasstaten ähnliche Betäubungsmitteldelikte und "Bedrohungen", zum anderen Warenkredit- und Leistungsbetrügereien über das Internet. Schließlich seien auch Gewalttaten ernsthaft zu befürchten, "die sich am ehesten in Form einer direkten einfachen körperlichen Aggression, wie etwa einem Schlag, äußern" könnten.

11c) Diese Begründung trägt die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht. Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei dargelegt, dass beim Angeklagten zu den Tatzeitpunkten ein länger andauernder, das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB erfüllender psychischer Defekt bestand, auf dem die Begehung der Taten beruhte und der zur Aufhebung der Einsichtsfähigkeit führte. Die im Urteil dargelegte Gefährlichkeitsprognose hält jedoch rechtlicher Überprüfung nicht stand:

12aa) Die vom Landgericht erwarteten, den Anlasstaten ähnlichen Betäubungsmitteldelikte und "Bedrohungen" sind nicht erheblich im Sinne von § 63 Satz 1 StGB. Für den Erwerb von 0,2 g (Schein-)Heroingemisch versteht sich dies von selbst. Aber auch die vom Angeklagten versandten Bombendrohungen waren nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen. Nach der konkreten Ausgestaltung der E-Mails trug die Ankündigung aus Sicht des Erklärungsempfängers nicht die naheliegende Gefahr der Verwirklichung in sich (vgl. , juris Rn. 15; Beschluss vom - 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385, jew. mwN). Vielmehr nahmen der Direktor des Amtsgerichts Montabaur und sein Vertreter die Bombendrohungen gerade nicht ernst. Folgerichtig hat das Landgericht daher keine rechtswidrige Tat der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten nach § 126 Abs. 1 Nr. 6 StGB bejaht. Das künftig anderes zu erwarten wäre, belegen die Feststellungen und die ihnen zugrundeliegende Beweiswürdigung nicht.

13bb) Hinsichtlich der vom Landgericht besorgten Internetbetrügereien genügen die Ausführungen unter mehreren Gesichtspunkten nicht den rechtlichen Anforderungen. Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus den Anlasstaten selbst, ordnet das Gericht nach § 63 Satz 2 StGB die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur an, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (, aaO Rn. 14). Solche besonderen Umstände sind hier nicht dargetan. Zu den vom Angeklagten bisher begangenen Betrugstaten fehlen konkrete durch die Beweiswürdigung unterlegte Feststellungen. Die pauschale Angabe, der Angeklagte habe in der Vergangenheit in zahlreichen Fällen im Internet Waren bestellt und Telefonverträge geschlossen, ohne seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, ist insoweit nicht ausreichend. Des Weiteren ist die Gefahr eines schweren wirtschaftlichen Schadens nicht festgestellt. Hierzu ist lediglich ausgeführt, dass der Betreuer diese Geschäfte "im gewissen Maße" habe "eindämmen" können, künftige Schäden allerdings "nicht gänzlich verhindert werden" könnten, wobei das Schadensausmaß "schwer bezifferbar" sei, aber "eine ganz erhebliche Größe annehmen" könne. Schließlich bleibt der symptomatische Zusammenhang zwischen festgestelltem psychischen Defekt und zu erwartenden Betrugstaten (s. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 63 Rn. 14a; MüKoStGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 63 Rn. 56 ff.) offen. Bei der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung bekundeten Vorstellung, er führe ein Wirtschaftsunternehmen, handelt es sich augenscheinlich um ein divergierendes psychotisches Erleben; hierzu verhält sich das Urteil nicht.

14cc) Dass der Angeklagte mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades künftig Gewalttaten begehen werde, ist ebenso wenig tragfähig begründet. Allein mit der allgemein erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter kann die Gefährlichkeitsprognose - auch unter Berücksichtigung der symptomprovokativen Wirkung von konsumierten Betäubungsmitteln - nicht begründet werden (vgl. , juris Rn. 15; Beschluss vom - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306, 307); erst recht können darin keine besonderen Umstände im Sinne von § 63 Satz 2 StGB gesehen werden, welche die schmale Tatsachenbasis infolge der anders gelagerten Anlassdelikte ausgleichen (vgl. BeckOK StGB/Ziegler, § 63 Rn. 10). Soweit das Landgericht angeführt hat, der Angeklagte habe mit den E-Mails "Gewaltphantasien" geäußert, ist es nicht darauf eingegangen, auf Grund welcher konkreten Umstände nunmehr deren Umsetzung wahrscheinlich ist. Gleiches gilt für das verbal aggressive Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie gegenüber seinem Vater und seinem Betreuer, zumal dazu, dass der Angeklagte "in Bezug auf die Kinder .... (des Betreuers) gedroht" habe, nichts Näheres mitgeteilt wird. Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte in der Vergangenheit "gegenüber anderen Personen ... bereits vereinzelt körperlich aggressiv geworden" sei, bleiben die Ausführungen vage. Zu etwaigen strafrechtlichen Vorverurteilungen des Angeklagten oder wegen Schuldunfähigkeit ergangenen Freisprüchen oder Einstellungen verhält sich das Urteil nicht. Die "Handgreiflichkeiten gegenüber der Mutter" werden nicht konkretisiert; weitere individualisierte Gewalttaten werden nicht benannt. Belege finden sich nicht. Nach alledem ermöglichen es die - nicht hinreichend tatsachenfundierten - Ausführungen dem Senat nicht, die vom Landgericht getroffene Gefährlichkeitsprognose nachzuvollziehen.

15d) Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten in den Fällen II.2.a) (1. Tat), b) und c) der Urteilsgründe aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1; vom - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75). Die zu den Tatgeschehen in objektiver und subjektiver Hinsicht getroffenen tatsächlichen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und können daher bestehen bleiben.

163. Zu den Einziehungsentscheidungen erweist sich die Revision als unbegründet.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:210217B3STR535.16.0

Fundstelle(n):
WAAAG-53946