Strafzumessung bei Betäubungsmitteldelikten: Anwendbarkeit des Strafmilderungsgrundes der Aufklärungshilfe bei taktierendem Verhalten des Angeklagten
Gesetze: § 29 BtMG, § 31 S 1 Nr 1 BtMG
Instanzenzug: LG Augsburg Az: 1 KLs 301 Js 141505/15
Gründe
I.
1Das Landgericht hat den Angeklagten am (nicht wie widersprüchlich im Rubrum angeführt am Mittwoch, den ; vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom ) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 20 Fällen, hiervon in 19 Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in 57 Fällen, davon in 51 Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt.
2Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
II.
31. Während der Schuldspruch entsprechend den Ausführungen des Generalbundesanwalts keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufweist, sind die hinsichtlich der für die Fälle B. IV. der Urteilsgründe (50 Kokainkäufe des Angeklagten bei dem anderweitig verfolgten R. ) verhängten Einzelstrafen rechtsfehlerhaft. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Die Kammer hat bezüglich dieser Fälle eine Anwendung des vertypten Strafmilderungsgrundes aus § 31 S.1 Nr.1, S.2 und S.3 BtMG iVm § 46b Abs.2 und Abs.3 StGB abgelehnt, weil R. bereits vor der Aussage des Angeklagten das Land verlassen hatte (vgl. UA Seite 44), was dem Angeklagten bekannt gewesen sei (siehe UA Seite 27). Die Aufklärungshilfe des Angeklagten sei daher nicht als werthaltig anzusehen. Dies begegnet rechtlichen Bedenken. Denn es steht der Anwendbarkeit von § 31 S.1 Nr. 1 BtMG nicht entgegen, wenn der durch die Angaben des Angeklagten - zur Überzeugung des Tatrichters der Sache nach zutreffend - Belastete bisher noch nicht ergriffen werden konnte (, NStZ 2003, 162 f.). Ein Aufklärungserfolg setzt nicht die Verurteilung oder Festnahme des von dem Täter Belasteten voraus, sondern ist schon dann anzunehmen, wenn zur Überzeugung des Gerichts durch seine Angaben, insbesondere eine für Fahndungsmaßnahmen ausreichende Bezeichnung der von ihm belasteten Person, die Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchführung eines Strafverfahrens im Falle der Ergreifung geschaffen wurden (vgl. z.B. , StV 2000, 318). Die Kammer hat hierzu festgestellt, der Angeklagte habe mit seiner Offenlegung von Betäubungsmittelankäufen bei R. Taten geschildert, die 'ohne seine Angaben nicht hätten nachgewiesen werden können' (siehe UA Seite 27). Den Ermittlungsbehörden seien die Betäubungsmittelgeschäfte mit R. zuvor nicht bekannt gewesen und 'wären auch ohne die Einlassung des Angeklagten unerkannt geblieben' (UA Seite 28). Das Gericht hat die Angaben des Angeklagten zu den Geschäften mit R. als glaubhaft eingestuft (siehe UA Seite 25 ff.) und festgestellt, der Zeuge KOK H. habe ausgesagt, dass R. derzeit flüchtig sei (siehe UA Seite 26), woraus hervorgeht, dass es sich offenbar um eine existierende Person handelt, die aufgrund der Angaben des Angeklagten namhaft gemacht werden konnte. Dass dem Angeklagten bei seinen Angaben bekannt war, dass sich R. bereits im Ausland befand, hindert die Aufklärungshilfe nicht. Selbst taktierendes Verhalten, bei dem ein Täter sein Wissen bewusst erst offenbart, wenn die von ihm belastete Person das Land verlassen hat, kann eine Anwendung von § 31 BtMG nach sich ziehen (vgl. , StV 1985, 14 f.). Der damit zu konstatierende Rechtsfehler erfasst die Einzelstrafaussprüche hinsichtlich der abgeurteilten Betäubungsmittelgeschäfte mit R. .“
4Dem tritt der Senat bei.
5Angesichts der Vielzahl der betroffenen Einzelstrafen kann der Senat auch nicht ausschließen, dass bei zutreffender Rechtsanwendung der Tatrichter eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe festgesetzt hätte, weshalb auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe aufzuheben war.
62. Das Urteil kann schließlich keinen Bestand haben, soweit die Strafkammer von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen hat.
7a) Nach den getroffenen Feststellungen, welche sich mit der Ansicht des Sachverständigen decken, hat der Angeklagte mit Sicherheit Alkohol und Kokain konsumiert, und dies wohl auch nicht nur gelegentlich, was auch durch die Angaben des Zeugen A. bestätigt wurde (UA S. 12). Auch wenn nach Auffassung der Strafkammer die vom Angeklagten gemachten Mengenangaben im Hinblick auf das Fehlen jeglicher körperlicher sowie seelischer Schädigungen als unglaubwürdig und übertrieben erschienen sind (UA S. 13), liegt nach Auffassung des Landgerichts beim Angeklagten nicht ausschließbar ein Hang im Sinne des § 64 StGB vor (UA S. 48), da der Angeklagte unbestritten Kokain, Marihuana und Alkohol regelmäßig über einen längeren Zeitraum konsumiert hat. Die Strafkammer konnte jedoch noch keinen Hang feststellen, „Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren“ (UA S. 48). Der Angeklagte sei ohne Schwierigkeiten in der Lage gewesen, den Konsum sowohl von Alkohol, Kokain und Marihuana unmittelbar nach der Festnahme sofort zu beenden, ohne jegliche körperliche oder seelische Entzugserscheinungen oder andere Beeinträchtigungen zu zeigen. Darüber hinaus habe der Konsum des Angeklagten auch schon vorher, also zu den Fahrzeiten, keinerlei körperliche oder psychische Auswirkungen gezeigt, welche aber bei dem von ihm behaupteten Ausmaß des Konsums sicher zu erwarten gewesen seien. Eine Vernachlässigung in seiner Lebensführung sei für die Kammer nicht erkennbar gewesen; der Angeklagte sei in der Lage gewesen, seine Betäubungsmittelgeschäfte mit einem nicht unerheblichen zeitlichen, logistischen und finanziellen Aufwand zu steuern und zu organisieren. Aus einer Gesamtschau dieser Aspekte sei ein Hang, Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren, daher nicht gegeben (UA S. 49).
8b) Diese Erwägungen zum Unterbleiben der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat den Begriff des Hangs i.S.v. § 64 StGB als Maßstab für die Maßregelanordnung im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zutreffend erfasst. Es hat nicht alle für die Anwendung dieses Maßstabs bedeutsamen, von ihm festgestellten Umstände zur Persönlichkeit des Angeklagten, insbesondere zu den verfahrensgegenständlichen Taten, in die rechtliche Beurteilung zum Hang eingestellt. Die allein aus der vorgenommenen Gesamtschau herrührende tatgerichtliche Wertung erweist sich deshalb als rechtsfehlerhaft.
9c) Wie das Landgericht an sich zutreffend angenommen hat, ist für einen Hang gemäß § 64 StGB eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer psychischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Konsum von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 613/16, Rn. 7; vom - 4 StR 408/16, Rn. 6; vom - 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113 und vom - 4 StR 311/12, RuP 2013, 34 f.). Letzteres ist der Fall bei der Begehung von zur Befriedigung des eigenen Drogenkonsums dienender Beschaffungstaten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 408/16, Rn. 6 und vom - 3 StR 103/15, Rn. 5; Urteil vom - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt die Bejahung eines Hangs nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 482/15 aaO; vom - 4 StR 311/12 aaO; vom - 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271 und vom - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 f.). Ebenso wenig ist für einen Hang erforderlich, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 613/16, Rn. 7; vom - 4 StR 408/16, Rn. 6; vom - 1 StR 482/15 aaO und vom - 1 StR 332/07, NStZ-RR 2008, 7).
10Bei der Bewertung der festgestellten Umstände nach diesen Maßgaben hat das Landgericht im Kontext seiner Erwägungen nicht erkennbar in den Blick genommen, dass die große Anzahl der vom Angeklagten begangenen Betäubungsmittelstraftaten nach den getroffenen Feststellungen deutlich auch als Beschaffungstaten für den Eigenkonsum zu charakterisieren sind, deren indizielle Bedeutung einen Hang nahe legt. Warum diese als Ergebnis einer Gesamtschau für die Beurteilung des Hangs nicht bedeutsam sein sollen, obgleich das Landgericht zunächst selbst nicht ausschließbar von einem Hang im Sinne des § 64 StGB (UA S. 48) ausgegangen ist, ergibt sich aus den weiteren Ausführungen zur Ablehnung der Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB nicht, so dass es an einer tragfähigen Begründung fehlt. Die Strafkammer hat keine Umstände von Gewicht genannt, die der indiziellen Bedeutung der Beschaffungsfahrten entgegengehalten werden könnten.
11Auf diesem Wertungsfehler der Strafkammer beruht das angefochtene Urteil insoweit. Handelt es sich wie hier um Straftaten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, liegt der erforderliche symptomatische Zusammenhang nahe (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 613/16, Rn. 9; vom - 1 StR 470/16, Rn. 7 mwN und vom - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75).
12d) Es handelt sich lediglich um einen Wertungsfehler des Landgerichts. Die der Entscheidung bezüglich der Maßregel zugrunde liegenden Feststellungen bleiben daher aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer kann ergänzende Feststellungen im Strafausspruch treffen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:120117B1STR587.16.0
Fundstelle(n):
IAAAG-53608