Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Streitjahr 1996 als Familienhelferin für die Stadt S (Jugendamt) tätig, die Trägerin der Familienhilfe war.
Die sozialpädagogische Familienhilfe wird eingeschaltet, wenn in einer Familie Erziehungsaufgaben nicht bewältigt werden, z.B. aufgrund schwieriger Einkommens- oder Wohnverhältnisse oder weil Familienmitglieder arbeitslos sind, wenn ein Elternteil fehlt oder wenn Suchtverhalten oder Verschuldung die Ursache von Erziehungsproblemen sind. Der Familienhelfer nimmt dann am Familienleben teil, betreut die Kinder bei den Hausaufgaben, gestaltet Freizeit mit der Familie, führt mit den Eltern Gespräche über Erziehung und erledigt damit verbundene Behördengänge. Familienhilfe setzt die Bereitschaft der Familie voraus, Hilfeleistungen anzunehmen. Unter diesen Umständen besteht ein gesetzlicher Anspruch auf Hilfe. Der Träger der Familienhilfe entscheidet über die Person des Helfers und die Dauer der Hilfe. Da es den Familienhelfer als anerkannten Ausbildungsberuf nicht gibt, werden Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Erzieher, Theologen oder entsprechend ausgebildete Helfer eingesetzt.
Die Klägerin hat eine Ausbildung als staatlich anerkannte Erzieherin und staatlich anerkannte Diplom-Sozialpädagogin abgeschlossen. Ein Studium der Heilpädagogik hat sie nicht abschließen können. Ab November 1985 ist sie als Familienhelferin tätig.
Sie wird vom Jugendamt bezahlt und muss dafür einen Arbeitszeitnachweis erbringen. Mit dem Jugendamt ist vereinbart, dass sie nicht in arbeits- oder dienstvertraglichen Beziehungen zur Stadt S steht und ihre steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Belange selbst regeln muss.
Gegen die erklärungsgemäß festgesetzte Umsatzsteuer für 1996 erhob die Klägerin mit Zustimmung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) Sprungklage, mit der sie die Steuerfreiheit ihrer Umsätze geltend machte.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, weil die Klägerin keine in § 4 Nr. 14 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) bezeichnete heilhilfsberufliche oder eine ähnliche Tätigkeit ausübe. Es fehle an der Vergleichbarkeit der Ausbildung und der Bedingungen, an die das Gesetz die Ausübung des zu vergleichenden Berufs knüpfe. Die Tätigkeit der Familienhelferin sei kein gesetzlich anerkannter Ausbildungsberuf, sondern nur ein Tätigkeitsfeld, auf dem Personen mit unterschiedlichster Ausbildung eingesetzt würden. Gesetzliche Regelungen über den Gang der Ausbildung fehlten. Es gebe auch keine staatliche Berufszulassung und keine Überwachung durch Gesundheitsämter. Die Überwachung durch die Jugendämter betreffe nicht ausschließlich das Gebiet der Heilbehandlung. Daraus, dass der Gesetzgeber keine Regelungen für Familienhelfer geschaffen habe, lasse sich entnehmen, dass er diese Tätigkeit nicht wie die Tätigkeit der Psychotherapeuten, Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten mit den Heilhilfsberufen vergleiche.
Mit der Revision rügt die Klägerin, das FG habe § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1993 unzutreffend angewendet. Es habe außerdem übersehen, dass ihre Umsätze nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG steuerfrei seien.
Zur Begründung macht sie u.a. geltend, gesetzliche Grundlage für die Familienhilfe sei § 31 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Wie bei der Hilfe durch Psychologen und Psychotherapeuten, die als Heilhilfsberufe beurteilt würden, werde auch bei der Familienhilfe eine Hilfe zur Selbsthilfe angeboten. Ihre Tätigkeit sei der von Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten gleichzusetzen. Die staatliche Überwachung sei durch eine Zusammenarbeit von Jugendamt und Gesundheitsamt gegeben und durch den Kontakt zu einem Amtsarzt, wenn Unklarheiten in der Entwicklung des Kindes aufträten.
Sie habe auch hörgeschädigte Kinder psychologisch betreut und auch dadurch eine heilberufsähnliche Tätigkeit i.S. von § 4 Nr. 14 UStG ausgeübt. Diese Hilfe werde beim Gesundheitsamt beantragt; die Kosten trage das Sozialamt. Ziel dieser Hilfe sei die Eingliederung der hörgeschädigten Kinder in den Kindergarten.
Ihre Tätigkeit sei auch nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG steuerfrei, weil die Familienhilfe die Schulfähigkeit eines Kindes ermögliche; dadurch werde eine Tätigkeit ausgeübt, die später der Ausübung eines Berufes diene.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die von ihr als Familienhelferin ausgeführten Umsätze nicht zu besteuern.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
II. Die Revision ist unbegründet. Die Tätigkeit der Klägerin ist weder nach § 4 Nr. 14 UStG noch nach § 4 Nr. 21 Buchst. b UStG steuerfrei.
1. Nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1993 sind ”die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes” steuerfrei.
a) Die Vorschrift bezweckt die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer. Ihre Anwendung auf die Umsätze von Unternehmern, die Heil- oder Heilhilfsberufe ausüben, hängt nicht von einer berufsrechtlichen Regelung und deren Erfüllung ab. Maßgebend ist, dass es sich um Leistungen durch ”heilberufliche Tätigkeit” handelt. Andere Umsätze schließt die Steuerbefreiung auch dann nicht ein, wenn diese durch die Sozialversicherungsträger finanziert werden (vgl. zuletzt , noch nicht veröffentlicht, Gutachtertätigkeit zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit).
b) Die Beschränkung der Steuerbefreiung in § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG auf Leistungen, die die menschliche Gesundheit betreffen, entspricht Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften unter den Bedingungen, die sie zur Gewährung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer (nach Buchst. c) ”die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen oder arztähnlichen Berufe erbracht” werden. Dazu hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) entschieden, dass Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG Leistungen umfasse, die außerhalb eines Krankenhauses im Rahmen einer auf Vertrauen gegründeten Beziehung zwischen Patient und Behandelnden erbracht werden, wobei diese Beziehung normalerweise in dessen Praxisräumen zum Tragen kommt ( 353/85 - Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 1988, 831, Steuerrechtsprechung in Karteiform —StRK—, Sechste Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG, Art. 13, Rechtsspruch 9, Rdnr. 33). In ständiger Rechtsprechung weist der EuGH darauf hin (z.B. - Bulthuis Griffioen, Slg. 1995, I-2341, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 1995, 477), dass die in Art. 13 der Richtlinie 77/388/EWG enthaltenen Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen umschrieben werden, eng auszulegen sind. Dies rechtfertigt es, nicht sämtliche, sondern nur die Leistungen durch heilberufliche Tätigkeit zu befreien, die (ihrer Art nach) von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden. Andere berufliche Leistungen sind nicht nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei, selbst wenn für sie eine bestimmte heil- oder heilhilfsberufliche Ausbildung vorausgesetzt wird, sofern sie sich nicht als heilberufliche Tätigkeiten beurteilen lassen.
c) Heilberufliche Tätigkeit setzt eine Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder sonstigen Körperschäden beim Menschen voraus (vgl. § 1 des Heilpraktikergesetzes; s. auch , BStBl I 2000, 433, UR 2000, 219). Krankheiten beruhen auf Gesundheitsstörungen (zum Krankheitsbegriff vgl. Gitter, Sozialrecht, 4. Aufl., § 8 III 1; Heinze, Die neue Krankenversicherung, Fünftes Buch SGB, Kommentar, § 27 Anm. 4).
d) Die Klägerin erbringt danach keine heilhilfsberuflichen Umsätze, weil es nicht zu ihren Aufgaben gehört, Krankheiten bei bestimmten Menschen festzustellen, zu lindern oder zu heilen; vielmehr soll sie einer Familie in einer sozialen Notlage Hilfe leisten.
Die Tätigkeit einer Familienhelferin besteht gemäß § 31 Satz 1 SGB VIII (Gesetz über Kinder- und Jugendhilfe) in der intensiven Betreuung von Familien bei ihren Erziehungsaufgaben, bei der Bewältigung von Alltagsproblemen, bei der Lösung von Konflikten und Krisen sowie im Kontakt mit Ämtern und Institutionen und in der Hilfe zur Selbsthilfe.
Die Aufgaben der Familienhilfe sind auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in der Familie durch eine Verbesserung des Erziehungsverhaltens der Eltern, der Interaktion der Familienmitglieder und auf Förderung der gesamten Rahmenbedingungen gerichtet (Wiesner in Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar, 2. Aufl., München 2000, § 31 Rz. 6). Dementsprechend werden in der von der Klägerin eingereichten Konzeption ”Sozialpädagogische Familienhilfe” als Kernbereiche der Hilfe die Beratung, Begleitung und Unterstützung von Familien in Fragen der Erziehung, bei Ehe- und Partnerschaftsproblemen beschrieben.
Mit der Tätigkeit eines Arbeits- und Bewegungstherapeuten besteht schon deswegen keine Vergleichbarkeit, weil dieser zur Heilung oder Linderung einer körperlichen Krankheit eines Patienten tätig wird (vgl. dazu Abschn. 90 Abs. 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien —UStR— 2000; Steuer-Eildienst —StEd— 1999, 757). Deshalb werden seine Dienstleistungen unter den Voraussetzungen von § 124 SGB V (Gesetzliche Krankenversicherung) als Heilmittel angesehen.
e) Soweit die Leistungen zur Eingliederung hörgeschädigter Kinder in den Kindergarten erbracht wurden, handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das in der auf die Beurteilung von Rechtsfragen und gerügte Verfahrensfehler beschränkten Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden darf (vgl. § 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Die im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen Steuerberater vertretene Klägerin kann die von ihr angeregte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 bis 5 FGO) durch den BFH nicht erhalten, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorliegen, wenn in das finanzgerichtliche Verfahren ein bestimmter Sachverhalt nicht eingeführt worden ist.
2. Die Umsätze der Klägerin sind auch nicht nach § 4 Nr. 21 UStG steuerfrei. Danach sind befreit die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen, soweit diese die weiteren Voraussetzungen erfüllen.
Die Klägerin ist keine selbständige Lehrerin, die ihre Leistungen an die bezeichneten allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen erbringt. Sie wird vielmehr unter Vermittlung des Jugendamts von einer Familie beauftragt, bei der Überwindung einer sozialen Notlage einer Familie Hilfe zu leisten.
3. Der von der Klägerin im Revisionsverfahren beantragten Anhörung von Mitarbeitern des Sozial- und des Jugendamtes kann der Senat nicht entsprechen, weil er keine Tatsachenfeststellungen zur Beurteilung der Begründetheit zu treffen hat (vgl. § 118 Abs. 2 FGO). Einen Beitritt des BMF (§ 122 Abs. 2 FGO) hält der Senat für nicht angezeigt.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 651 Nr. 5
TAAAA-67194