Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) sowie seine Mutter (M) und sein Bruder (B) waren zu gleichen Teilen Miterben des 1982 verstorbenen Vaters/Ehemanns (V). V und ein Onkel des Klägers (O) waren zu jeweils 50 v.H. an einer OHG sowie an einer Grundstücksgesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) beteiligt. Das Grundstück wurde von der OHG betrieblich genutzt. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom übertrug M, die V aufgrund einer Bestimmung in einem Zusatz zum Gesellschaftsvertrag und einer testamentarischen Anordnung des V nach dessen Tod als Gesellschafterin der OHG nachgefolgt war, ihre hälftige Beteiligung auf den Kläger. Unter der Überschrift ”Abfindung an weichende Gesellschafter bzw. Erben” heißt es in § 15 Ziff. 1 des Vertrages, eine Abfindung in Geld an M und B erfolge nicht; stattdessen erfolge deren Abfindung durch die in Ziff. 2 und 3 getroffenen Vereinbarungen. Nach Ziff. 3 erhielt M als Abfindung den lebenslänglichen Nießbrauch an einer Eigentumswohnung in einem Wohngebäude auf dem Grundstück der GbR. Zu diesem Zweck sollte die dieses Gebäude tragende Teilfläche rechtlich abgetrennt und sodann in Wohnungseigentum (2 Wohneinheiten) aufgeteilt werden. Die mit dem Nießbrauch zugunsten der M zu belastende Eigentumswohnung sollte auf B, die andere auf O übertragen werden.
Eine beglaubigte Abschrift des Vertrages ging am beim seinerzeit für die Festsetzung von Schenkungsteuer zuständigen Finanzamt (FA) A ein. Der seit dem örtlich zuständige Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) forderte den Kläger am auf, eine Schenkungsteuererklärung bezüglich des Erwerbs von M abzugeben. Die Erklärung ging am beim FA ein. Das FA setzte durch Bescheid vom gegen den Kläger Schenkungsteuer fest, wobei es entsprechend den Angaben in der Steuererklärung als Wert des Erwerbs einen Betrag von ... DM zugrunde legte.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage, mit der der Kläger die Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrte, statt. Es ging mit den Beteiligten davon aus, dass M ihren Anteil an der OHG unentgeltlich auf den Kläger übertragen habe. Der angefochtene Bescheid habe aber wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr ergehen dürfen. Der Beginn der vierjährigen Festsetzungsfrist, die mit Ablauf des Jahres 1989 begonnen habe, sei weder durch § 170 Abs. 5 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) noch durch § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 hinausgeschoben worden. Einer Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 stehe entgegen, dass das FA den Kläger nicht innerhalb des als Anlaufhemmung längstens vorgesehenen Zeitraums von drei Jahren, sondern erst im darauf folgenden Jahr zur Abgabe der Steuererklärung aufgefordert habe. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 54 veröffentlicht.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt, das aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Der angefochtene Bescheid ist entgegen der Rechtsauffassung des FG vor Eintritt der Festsetzungsverjährung ergangen, weil eine Aufforderung zur Abgabe einer Schenkungsteuererklärung auch dann gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 einen von Abs. 1 der Vorschrift abweichenden Beginn der Festsetzungsfrist bewirkt, wenn sie zwar nach Ablauf des dritten auf das Kalenderjahr der Steuerentstehung folgenden Kalenderjahres, aber noch innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist ergeht.
Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 i.d.F. des Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung des Steuerrechts (StMBG) vom (BGBl I, 2310) beginnt die Festsetzungsfrist —soweit hier maßgebend— dann, wenn eine Steuererklärung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten auf die Steuerentstehung folgenden Kalenderjahres. Im Streitfall ist bereits diese Fassung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 anzuwenden, weil sie nach Art. 97 § 10 Abs. 5 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung für alle bei In-Kraft- Treten des StMBG noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfristen gilt.
Im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer ergibt sich die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht unmittelbar aufgrund gesetzlicher Vorschrift. Sie hängt vielmehr davon ab, dass das FA den Steuerpflichtigen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) zur Abgabe einer Erklärung auffordert. Eine Frist für diese Aufforderung ist weder in dieser Vorschrift noch in § 149 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 oder in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 vorgesehen. Aus dem in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 für die Anlaufhemmung vorgesehenen Zeitraum von längstens drei Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres der Steuerentstehung lässt sich keine Frist für die Aufforderung ableiten. Die Anlaufhemmung von längstens drei Jahren stellt die Rechtsfolge des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 dar, deren Eintritt sich bei bestehender Erklärungs- oder Anzeigepflicht danach richtet, ob bzw. wann der Steuerpflichtige die Steuererklärung abgibt oder die Anzeige erstattet. Eine Frist für die dem Tatbestand der Vorschrift zuzurechnende Aufforderung zur Erklärungsabgabe, deren Voraussetzungen sich aus § 31 Abs. 1 ErbStG ergeben, kann daraus nicht abgeleitet werden. Eine zeitliche Grenze für die Aufforderung als das die Erklärungspflicht konkretisierende (vgl. , BFH/NV 1999, 1341, m.w.N.) und damit den Beginn der Festsetzungsfrist beeinflussende Ereignis ergibt sich lediglich aus § 169 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 AO 1977. Ergeht die Aufforderung erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist, so kann sie —weil der Steueranspruch bereits durch Verjährung erloschen ist (§ 47 AO 1977)— keine anlaufhemmende Wirkung mehr entfalten (, BFHE 188, 440, BStBl II 1999, 529).
Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird bei dieser Auslegung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 nicht weiter hinausgeschoben als bei einer sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärung. Auch bei einer Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung, die erst im letzten Jahr der Festsetzungsfrist ergeht, beträgt die Anlaufhemmung nicht mehr als drei Jahre, so dass sie in den Fällen des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 —vorbehaltlich anderweitiger An- oder Ablaufhemmung— spätestens nach sieben Jahren endet. Die Anlaufhemmung tritt damit zwar zu einem Zeitpunkt ein, in dem die Festsetzungsfrist bereits läuft. Dies ist jedoch stets der Fall, wenn die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung der Konkretisierung durch eine Aufforderung des FA bedarf, und damit nicht nur bei einer Aufforderung, die erst innerhalb des vierten Jahres der Festsetzungsfrist ergeht.
Diese Auslegung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 bedeutet keine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu den Steuerpflichtigen, die unmittelbar kraft Gesetzes zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sind und widerspricht damit nicht dem mit der Änderung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 durch das StMBG verfolgten Ziel des Gesetzgebers, beide Gruppen von Steuerpflichtigen gleich zu stellen (vgl. BTDrucks 12/5630, 99). Denn ein Steuerpflichtiger, dessen Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung von einer entsprechenden Aufforderung des FA abhängt, kann einem unmittelbar kraft Gesetzes zu deren Abgabe verpflichteten Steuerpflichtigen erst mit der Bekanntgabe der Aufforderung gleichgestellt werden. Auch Gründe des Vertrauensschutzes stehen der Anwendung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 in Fällen wie dem Streitfall nicht entgegen. Gibt der Steuerpflichtige nicht von sich aus eine Erbschaftsteuer- bzw. Schenkungsteuererklärung ab, muss er damit rechnen, dass das FA sie bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist anfordert.
2. Die Sache ist nicht spruchreif.
Das FG hat angenommen, dass es sich bei der Übertragung des Gesellschaftsanteils von M auf den Kläger um eine freigebige Zuwendung i.S. von § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG handele, weil die Übertragung weder der Erfüllung einer Verbindlichkeit gedient noch in einem rechtlichen Zusammenhang mit einer Gegenleistung gestanden habe. Die in § 15 Nr. 1 Satz 1 des Vertrages für M vorgesehene Abfindung sei Gegenleistung für eine andere Zuwendung von M an den Kläger. Eine freigebige Zuwendung sei selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn M den Gesellschaftsanteil im Rahmen einer Erbauseinandersetzung hinsichtlich des Nachlasses des V bzw. im Wege vorweggenommener Erbfolge auf den Kläger übertragen hätte.
Dieser rechtlichen Würdigung kann nach den vom FG bislang getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht gefolgt werden. Durch den Vertrag vom sollte zum einen die gesellschaftsrechtliche Verbindung von M und O in der OHG gelöst werden, indem beide Gesellschafter ihre Anteile auf den Kläger übertrugen. Zum anderen sollte die gesamthänderische Verbundenheit von M, O, B und dem Kläger in der GbR dadurch beendet werden, dass das Grundstück der GbR in zwei neue Grundstücke geteilt und der mit dem Wohngebäude bebaute Teil in Wohnungseigentum aufgeteilt wurde, wobei der Kläger den größeren Teil des Grundstücks erhielt, B und O dagegen je eine der beiden Eigentumswohnungen. Zugleich sollte dadurch der noch ungeteilte Nachlass des V auseinander gesetzt werden. Da der Anteil des V an der OHG der M bereits unmittelbar nach dem Tod des V aufgrund der qualifizierten Nachfolgeklausel im Zusatz zum Gesellschaftsvertrag vom sowie der testamentarischen Bestimmung der M als alleiniger Nachfolgerin bezüglich dieses Anteils außerhalb des Nachlasses zugefallen war, konnte er nicht mehr Gegenstand der Auseinandersetzung der Erben sein. Seine Übertragung auf den Kläger stellt daher ein neues, vom Erbfall unabhängiges Rechtsgeschäft dar.
Daraus allein folgt jedoch noch nicht, dass es sich dabei —in vollem Umfang oder auch nur teilweise— um eine freigebige Zuwendung i.S. von § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gehandelt haben musste. Da der Gesellschaftsanteil ungeachtet der dinglichen Sondernachfolge wertmäßig zum Nachlass gehörte (vgl. , BFHE 137, 500, BStBl II 1983, 329), war er insoweit auch bei der Auseinandersetzung (dem Werte nach) zu berücksichtigen. Sofern der Kläger für die Übertragung des Anteils auf etwaige Ausgleichsansprüche gegen M verzichtet hätte, die ihm aufgrund der letztwilligen Verfügung des V zustanden, läge insoweit eine Gegenleistung vor. Ob und in welcher Höhe der Kläger Ausgleichsansprüche gegen M hatte, lässt sich ohne Kenntnis des Testaments nicht beurteilen. Beides ist u.a. auch davon abhängig, ob hinsichtlich des sonstigen Vermögens des V Vorausvermächtnisse zugunsten des Klägers bestanden oder ob die Erben an einem nicht durch Vorausvermächtnisse geschmälerten Nachlass entsprechend ihren Erbquoten beteiligt waren (vgl. , BFHE 167, 562, BStBl II 1992, 669).
Das FG hat im zweiten Rechtsgang aufzuklären, welchen Inhalt die letztwillige Verfügung des V hatte und ob der Kläger, falls sich daraus Ausgleichsansprüche für ihn gegen M ergaben, auf diese verzichtet hat. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Leistungen, die der Kläger gegenüber O für die Aufgabe seines Gesellschaftsanteils an der OHG sowie seiner wertmäßigen Beteiligung an der größeren Teilfläche des Grundstücks X-Straße…erbracht hat, bei einer etwaigen Zuwendung von Seiten der M außer acht bleiben müssen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 574 Nr. 5
AAAAA-66830