BGH Beschluss v. - III ZB 43/16

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Fehler bei der Briefbeförderung durch die Post; gerichtliches Verfahren bei Zweifeln an einer eidesstattlichen Versicherung

Gesetze: § 233 ZPO

Instanzenzug: OLG Dresden Az: 5 U 511/16vorgehend LG Görlitz Az: 5 O 3/15

Gründe

I.

1Die Beklagte zu 2 (im Folgenden nur: Beklagte) wendet sich gegen die unter Versagung der Wiedereinsetzung erfolgte Verwerfung ihrer Berufung wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist.

2Das ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zusammen mit zwei Urteilen in Parallelverfahren am zugestellt worden. In dem Verfahren 5 U 225/16 ist die Berufungsschrift vom rechtzeitig beim Oberlandesgericht eingegangen. Im hiesigen Verfahren (5 U 511/16) und im Rechtsstreit 5 U 512/16 (III ZB 44/16) hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zugleich Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Wiedereinsetzung hat er im Wesentlichen darauf verwiesen, dass er am insgesamt drei Berufungsschriften in den drei Parallelverfahren verfasst und alle drei Schriftsätze durch eine Mitarbeiterin per Post an das Oberlandesgericht versandt habe. Dort sei aber nur eine Berufung eingegangen. Die Beklagte habe sich auf die Zuverlässigkeit der Post verlassen dürfen.

3Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht - unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung - die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

4Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Oberlandesgericht.

51. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, nach § 233 Satz 1 ZPO komme eine Wiedereinsetzung nur in Betracht, wenn die Partei ohne ihr Verschulden gehindert gewesen sei, die versäumte Frist einzuhalten. Diese Voraussetzung liege jedoch nicht vor. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Versäumung auf einem Organisationsverschulden - unzureichende Ausgangskontrolle - des Prozessbevollmächtigten der Beklagten beruhe, das sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Die Kausalität dieses Verschuldens könne nicht deswegen verneint werden, weil der Prozessbevollmächtigte vorgetragen habe, alle drei Berufungen seien durch eine Mitarbeiterin in den Briefkasten eingeworfen worden. Die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen seien ungeeignet, einen tatsächlichen Einwurf glaubhaft zu machen. Die Mitarbeiterin habe in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom erklärt, sie habe die drei Berufungsschriften am nach Unterzeichnung durch den Prozessbevollmächtigten in Kuverts verpackt, ausreichend frankiert und persönlich in den Briefkasten eingeworfen. Hieran könne sie sich noch erinnern, da sie an diesem Tag für den Postdienst eingeteilt gewesen sei. Diese Angaben stünden jedoch in Widerspruch zur eidesstattlichen Versicherung vom . Denn dort habe die Mitarbeiterin erklärt, nicht mehr genau sagen zu können, ob für den Versand ein einheitlicher großer Briefumschlag oder drei getrennte Briefumschläge verwendet worden seien. Wenn die Mitarbeiterin aber tatsächlich eine so spezifische Erinnerung an den Einwurf der Berufungsschriften in den Briefkasten hätte, müsste sie auch wissen, ob diese in einem einheitlichen, großen Umschlag oder drei getrennten Umschlägen von ihr persönlich in den Briefkasten eingeworfen worden seien.

62. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

7Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Kausalität des anwaltlichen Organisationsverschuldens beruhen auf einem Verfahrensfehler und verletzen die Beklagte in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG). Das Rechtsmittel ist auch begründet.

8a) Zu Unrecht beanstandet die Beklagte allerdings, dass das Oberlandesgericht von der Versäumung der Berufungsfrist ausgegangen ist und in verfassungswidriger Weise "die naheliegende Möglichkeit, dass die Berufungsschrift abgesandt und beim Berufungsgericht eingegangen ist, nicht ernsthaft erwogen hat, obwohl der unterbreitete Prozessstoff dazu jeden Anlass bot". Insoweit kommt es nicht darauf an, dass - siehe die Ausführungen zu b) - dem Oberlandesgericht, das den Einwurf der Berufungsschrift in den Briefkasten als nicht glaubhaft gemacht angesehen hat, bei der diesbezüglichen Würdigung ein Verfahrensfehler unterlaufen ist. Denn es konnte, selbst wenn man den Vortrag der Beklagten als wahr unterstellen würde, rechtsfehlerfrei davon ausgehen, dass die Berufungsfrist nicht gewahrt worden ist.

9Die Beklagte hat in ihren Schriftsätzen vom 8. und durchgängig vorgetragen, die Berufungsschrift sei nicht beim Oberlandesgericht eingegangen. Sie hat insoweit eine eidesstattliche Versicherung einer anwaltlichen Mitarbeiterin vorgelegt, in der diese erklärt hat, sie habe am beim Berufungsgericht angerufen. Sowohl die Geschäftsstelle des 5. Zivilsenats als auch die Registratur des Oberlandesgerichts hätten ihr bestätigt, dass lediglich in einem der drei Verfahren eine Berufungsschrift eingegangen sei. In der Akte 5 U 225/16 befände sich auch nur die Berufungsschrift zu diesem Verfahren, nicht etwa seien versehentlich die fehlenden Berufungen in 5 U 511/16 und 512/16 zu dieser Akte gelangt. Mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat die Beklagte insoweit geltend gemacht, sie habe sich auf die Zuverlässigkeit der Post verlassen dürfen.

10Vor diesem Hintergrund hatte das Berufungsgericht, auch wenn die Zulässigkeit einer Berufung von Amts wegen zu prüfen ist und die Parteien insoweit keine Dispositionsbefugnis haben, keine Veranlassung, die Versäumung der Berufungsfrist in Frage zu stellen. Insbesondere musste das Oberlandesgericht nicht weiter prüfen, ob entgegen der Auskunft der Geschäftsstelle und der Registratur der Schriftsatz eventuell doch beim Oberlandesgericht eingegangen und dort verloren gegangen ist. Die Beklagte trägt die Beweislast dafür, dass sie rechtzeitig Berufung eingelegt hat (vgl. nur , NJW-RR 2014, 179 Rn. 10 mwN). Nach ihrem eigenen Vortrag bleibt aber die Möglichkeit, dass der Schriftsatz auf dem Postweg verloren gegangen ist. Das geht im Rahmen der Prüfung der Rechtzeitigkeit der Berufung zu ihren Lasten.

11b) Das Oberlandesgericht hat jedoch, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, den Wiedereinsetzungsantrag verfahrensfehlerhaft zurückgewiesen.

12Der Beklagten wäre Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die anwaltliche Mitarbeiterin die drei Berufungsschriften in den Briefkasten eingeworfen hätte. Denn einem Rechtsmittelführer können Fehler bei der Briefbeförderung durch die Post nicht als Verschulden zugerechnet werden (vgl. nur , FamRZ 2010, 726 Rn. 8 mwN). Im Verantwortungsbereich der Partei liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Bei rechtzeitigem Einwurf käme es deshalb nicht auf die Organisation der Ausgangskontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten der Beklagten und insoweit darauf an, dass es hierzu nach der - von der Rechtsbeschwerde zu Recht nicht in Frage gestellten - Auffassung des Berufungsgerichts an ausreichendem Vortrag fehlt. Denn etwaige Mängel bei der Ausgangskontrolle wären dann nicht kausal (vgl. dazu auch Senat, Beschluss vom - III ZB 56/14, NJW 2015, 3517 Rn. 17).

13Wenn ein Gericht einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenken will, muss es die Partei zuvor darauf hinweisen und ihr Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten (vgl. , FamRZ 2010, 726 Rn. 10; siehe auch Beschluss vom - VIII ZB 42/11, WuM 2012, 157 Rn. 8; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 236 Rn. 8). Ein Hinweis auf die für das Oberlandesgericht nach dem angefochtenen Beschluss insoweit maßgeblichen Umstände ist jedoch nicht erfolgt. Unabhängig davon hätte das Berufungsgericht prüfen müssen, ob in der Vorlage der eidesstattlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung der Mitarbeiterin als Zeugin liegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom aaO Rn. 11 und vom aaO; siehe auch Beschluss vom - XII ZB 174/08, FamRZ 2010, 122 Rn. 9). Dann liefe die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus (vgl. aaO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:300317BIIIZB43.16.0

Fundstelle(n):
OAAAG-48993