BFH Beschluss v. - XI B 110/01

Gründe

I. Der Antragsteller erhob mit Schriftsatz vom Klage wegen Einkommensteuer 1994 (festgesetzt zuletzt mit Bescheid vom auf 364 DM). Er beantragte zugleich das Ruhen des Klageverfahrens wegen Verhandlungen mit dem Beklagten und Antragsgegner (Finanzamt —FA—).

Am erging ein Einkommensteueränderungsbescheid für 1994, wonach die Einkommensteuer auf 136 DM, die Zinsen zur Einkommensteuer auf -1 802 DM und die Sparzulage auf -94 DM festgesetzt wurden. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass er den Änderungsbescheid zum Gegenstand des Klageverfahrens machen könne. Dieser legte jedoch Einspruch gegen den Änderungsbescheid ein, den das FA mit Einspruchsentscheidung vom als verspätet verwarf.

Am entschied das Finanzgericht (FG) ohne mündliche Verhandlung nach § 94a der Finanzgerichtsordnung (FGO) und wies die Klage als unzulässig ab. Der Antragsteller sei durch den ursprünglich angefochtenen Bescheid seit Ergehen des Änderungsbescheides vom nicht mehr beschwert. Gegen den Änderungsbescheid sei weder Klage erhoben noch Antrag nach § 68 FGO gestellt worden. Das Urteil wurde am durch Niederlegung zugestellt.

Mit Schreiben vom , eingegangen beim Bundesfinanzhof (BFH) am , beantragte der Antragsteller ”Wiedereinsetzung in den vorigen Stand infolge Abwesenheit”. Er habe —wegen einer längeren Abwesenheit bei seiner erkrankten Mutter— das Urteil erst am bei der Post in Empfang nehmen können. Er habe sofort versucht, über die ”Gelben Seiten” des Telefonbuchs einen Prozessbevollmächtigten zu finden. In Anbetracht des baldigen Ablaufs der Rechtsmittelfrist habe sich jedoch niemand zur Übernahme des Mandats bereit erklärt. Der Antragsteller habe sich dann in seiner Not an die zuständige Steuerberaterkammer gewandt, die ihm Adressen von sechs Rechtsanwälten benannt habe, die jedoch sämtlich die Übernahme des Mandats abgelehnt hätten, da nur noch drei Tage für die Bearbeitung zur Verfügung gestanden hätten. Zwei Anwälte hätten ihm den Rat erteilt, wegen des bevorstehenden Ablaufs der Rechtsmittelfrist vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, da ihm wegen des vor dem BFH bestehenden Vertretungszwangs weitere Verfahrenshandlungen nicht möglich seien. Seine Rechtsschutzversicherung habe ihm Deckungszusage erteilt.

II. Im Interesse einer möglichst umfassenden Rechtsschutzgewährung versteht der erkennende Senat den Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) als Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts (§ 155 FGO i.V.m. § 78b der Zivilprozeßordnung —ZPO—).

1. Nach § 62a FGO muss sich jeder Beteiligte vor dem BFH durch eine Person i.S. des § 3 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG), ggf. durch Gesellschaften i.S. des § 3 Nrn. 2 und 3 StBerG vertreten lassen. Für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fehlt dem Antragsteller daher die Postulationsfähigkeit (vgl. z.B. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 62 Rdnr. 78, m.w.N.). Für einen Antrag auf Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten besteht hingegen kein Vertretungszwang (vgl. z.B. , BFH/NV 2000, 1134).

2. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Beiordnung eines Notanwalts liegen jedoch nicht vor, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil des FG keine Aussicht auf Erfolg hat.

Nach § 78b ZPO hat das Prozessgericht einer Partei auf ihren Antrag für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen, soweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, wenn sie einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Diese Vorschrift ist im finanzgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden (§ 155 FGO).

Der Senat kann dahingestellt lassen, ob der Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass zumindest sechs von der Steuerberaterkammer benannte Rechtsanwälte die kurzfristige Übernahme des Mandats abgelehnt haben (vgl. hierzu z.B. , BFH/NV 2000, 1133) und ob in Anbetracht der Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich wäre (vgl. z.B. , BFH/NV 1996, 157). Da das FG nach § 94a FGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, keine Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit des Antragstellers vorlagen und die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des FG nicht in Frage steht, könnte ein Rechtsmittel gegen das Urteil keinen Erfolg haben:

a) Nach § 94a FGO kann das Gericht sein Verfahren nach billigem Ermessen bestimmen, wenn der Streitwert bei einer Klage, die eine Geldleistung betrifft, 1 000 DM nicht übersteigt. Unter den bezeichneten Voraussetzungen kann daher ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, wenn der Antragsteller —wie hier— weder ausdrücklich noch konkludent Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat (vgl. z.B. , BFH/NV 2000, 864). Eine vorherige Ankündigung, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, ist nicht geboten (vgl. z.B. , BFH/NV 1996, 696).

Der Streitwert lag offensichtlich unter 1 000 DM. Die streitgegenständliche Einkommensteuer 1994 war zunächst zwar auf 5 057 DM festgesetzt worden. Sie wurde jedoch mit Bescheid vom bereits auf 346 DM herabgesetzt. Während des Klageverfahrens erging ein weiterer Einkommensteueränderungsbescheid am , in dem die Einkommensteuer noch niedriger festgesetzt wurde. Auch wenn der Senat davon ausgeht, dass mangels fristgerechter Antragstellung nach § 68 FGO der Änderungsbescheid vom nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist, lag der Streitwert aufgrund des Bescheides vom unter 1 000 DM. Die Frage, ob ggf. die nach den Steuerbescheiden vom und zu erstattenden Beträge tatsächlich erstattet wurden oder noch zu erstatten sind, ist nicht Gegenstand des hier anhängigen Steuerfestsetzungsverfahrens.

b) Der Vortrag des Antragstellers, er sei vom Vorsitzenden des 2. Senats des FG, einen anderen Veranlagungszeitraum betreffend, wegen ”Medikamentenabhängigkeit” als prozessunfähig ”anerkannt” worden, und er sei damit sinngemäß nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen (§ 119 Nr. 4 FGO), ist unschlüssig, denn der 2. Senat des FG hat unter Mitwirkung seines Vorsitzenden das hier vom Antragsteller beanstandete Urteil gefällt.

Der Senat hat im Übrigen nach Aktenlage, insbesondere unter Berücksichtigung des Vortrags des Antragstellers in diesem Verfahren keine Anhaltspunkte dafür, von dessen Prozessunfähigkeit auszugehen. Der Antragsteller hat, abgesehen von seiner Medikamentenabhängigkeit, nichts vorgetragen, was den Schluss zuließe, dass er sich nicht durch Verträge verpflichten könnte (vgl. § 52 ZPO).

c) Zu Recht hat das FG die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Änderungsbescheid vom nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist.

Gerichtskosten sind keine entstanden, da es sich bei dem Verfahren zur Beiordnung eines Rechtsanwalts um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt (, BFH/NV 1992, 623).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2002 S. 62 Nr. 1
MAAAA-66518