Rechtsschutzversicherung: Straf-Rechtsschutz für die Verteidigung gegen den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung
Gesetze: § 2 Buchst i DBuchst bb ARB 2000, § 224 StGB
Instanzenzug: Az: 20 S 14/15vorgehend Az: 116 C 454/14
Gründe
1I. Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung, die unter anderem den Straf-Rechtsschutz umfasst. Dem Versicherungsvertrag liegen Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2000/2) zugrunde, deren § 2 auszugsweise wie folgt lautet:
"§ 2 Leistungsarten
Der Umfang des Versicherungsschutzes kann in den Formen des § 21 bis § 29 vereinbart werden. Je nach Vereinbarung umfaßt der Versicherungsschutz
...
i) Straf-Rechtsschutz
für die Verteidigung wegen des Vorwurfs
...
bb) eines sonstigen Vergehens, dessen vorsätzliche wie auch fahrlässige Begehung strafbar ist, solange dem Versicherungsnehmer ein fahrlässiges Verhalten vorgeworfen wird. Wird dem Versicherungsnehmer dagegen vorgeworfen, ein solches Vergehen vorsätzlich begangen zu haben, besteht rückwirkend Versicherungsschutz, wenn nicht rechtskräftig festgestellt wird, dass er vorsätzlich gehandelt hat.
Es besteht also bei dem Vorwurf eines Verbrechens kein Versicherungsschutz; ebenso wenig bei dem Vorwurf eines Vergehens, das nur vorsätzlich begangen werden kann (z. B. Beleidigung, Diebstahl, Betrug). Dabei kommt es weder auf die Berechtigung des Vorwurfes noch auf den Ausgang des Strafverfahrens an.
..."
2Die Staatsanwaltschaft Köln leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger ein. Grund dafür war ein Vorfall vor einer Diskothek, bei dem der Kläger in eine körperliche Auseinandersetzung verwickelt gewesen sein und seinem Kontrahenten mit einem spitzen Gegenstand eine Stichverletzung zugefügt haben soll. In der Strafanzeige trug der Polizeibeamte im Formularfeld "Straftat(en)/Verletzte Bestimmung(en)" ein: "Gefährliche Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen (Par. 224 StGB)".
3Der Kläger beauftragte einen Rechtsanwalt mit seiner Verteidigung. Später stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 153 Abs. 1 StPO ein. In dem Schreiben, mit dem sie den Kläger von der Einstellung in Kenntnis setzte, gab die Staatsanwaltschaft als Tatvorwurf "Gefährliche Körperverletzung" an.
4Die Beklagte verweigerte die Erstattung der Verteidigerkosten unter Berufung auf § 2 i) bb) ARB 2000/2. Gegen den Kläger sei der Vorwurf eines Vergehens, das nur vorsätzlich begangen werden könne, erhoben worden.
5II. In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Versicherungsschutz sei gemäß § 2 i) bb) UAbs. 2 ARB 2000/2 ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft habe dem Kläger eine gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorgeworfen. Die missverständliche Bezeichnung in der Strafanzeige sei für die Einordnung des Tatvorwurfs unschädlich. Die Ermittlung wegen gefährlicher und nicht einfacher Körperverletzung sei naheliegend gewesen, zumal der Kläger seinem Kontrahenten laut Strafanzeige mit einem spitzen Gegenstand eine Stichverletzung zugefügt haben solle. Die Frage, ob die gefährliche Körperverletzung im Sinne der ARB ein Vergehen sei, das nur vorsätzlich begangen werden könne, sei zwar in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Dies könne aber dahinstehen, da der durchschnittliche Versicherungsnehmer durchaus zwischen fahrlässiger, vorsätzlicher und gefährlicher Körperverletzung, bei der besondere Mittel zur Körperverletzung bewusst zum Einsatz kommen müssten, zu differenzieren wisse und letztere ohne weiteres als Vorsatztat qualifizieren werde.
6Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter.
7III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor, und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
81. Das Berufungsgericht hat die Revision zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, da die Frage, ob die gefährliche Körperverletzung im Sinne der ARB ein Vergehen sei, das nur vorsätzlich begangen werden könne, in Literatur und Rechtsprechung umstritten sei und eine obergerichtliche Entscheidung dazu nicht existiere. Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision indes nicht, da sie nach der Begründung des Berufungsgerichts nicht entscheidungserheblich ist. Nach der eigenen Lösung des Berufungsgerichts kam es auf die Auseinandersetzung mit den sich widersprechenden Ansichten nicht an und der Fall war zu entscheiden, ohne die Streitfrage zu beantworten.
92. Das Berufungsurteil hält rechtlicher Prüfung auch stand. Zu Recht hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Deckungsschutz nach § 2 i) bb) ARB 2000/2 abgelehnt.
10a) Verteidigt sich der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung in einem Strafverfahren, richtet sich der Anspruch auf Deckungsschutz danach, welches Delikt die Strafverfolgungsbehörden ihm vorwerfen, ohne dass es auf die Berechtigung dieses Vorwurfs ankommt.
11aa) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht (Senatsurteil vom - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85; st. Rspr.). Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an.
12bb) Ein solcher Versicherungsnehmer wird dem Wortlaut von § 2 i) bb) ARB 2000/2 zunächst entnehmen, dass der Rechtsschutzfall durch den "Vorwurf" eines Vergehens, gegen den er sich verteidigen muss, ausgelöst wird. Im Gegensatz zur Ansicht der Revision kann für den Inhalt dieses Vorwurfs nicht die Bewertung eines Gerichts maßgeblich sein. Auch ohne spezielle strafprozessuale Kenntnisse wird der Versicherungsnehmer erkennen, dass der Vorwurf den Beginn eines Strafverfahrens markiert und von den Strafverfolgungsbehörden, nicht aber von einem Gericht erhoben wird.
13cc) Zutreffend hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft gegen den Kläger den Vorwurf einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erhoben hat.
14Die rechtliche Bewertung der Tat als gefährliche Körperverletzung durch die Staatsanwaltschaft kam für den Kläger erkennbar in der Bezeichnung des Tatvorwurfs in deren Einstellungsverfügung zum Ausdruck. Wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren wie im vorliegenden Fall unter der zunächst im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen formulierten Bezeichnung der Straftat fortführt, erhebt sie damit den entsprechenden Vorwurf gegen den Versicherungsnehmer. Die ersten Ermittlungsmaßnahmen, gegen die sich der Versicherungsnehmer unter Inanspruchnahme des Versicherungsschutzes zu verteidigen hat, werden regelmäßig von der Polizei, die nach § 163 Abs. 1 Satz 1 StPO Straftaten selbständig zu erforschen hat, ohne unmittelbare Beteiligung der Staatsanwaltschaft durchgeführt. Doch auch wenn die Polizei ohne vorherige Weisung der Staatsanwaltschaft tätig wird, handelt sie als deren "verlängerter Arm" (, NJW 2003, 3142 unter II 1). Die Staatsanwaltschaft hat als Herrin des Ermittlungsverfahrens schließlich den Sachverhalt rechtlich zu bewerten; dabei muss sich ein Prüfungsergebnis, das die polizeilichen Ermittlungsergebnisse bestätigt, jedoch nicht in den Akten niederschlagen (vgl. , JR 2006, 297 unter 1 [juris Rn. 4]). Es ist daher entgegen der Ansicht der Revision ohne Bedeutung, ob der verletzte Straftatbestand zuerst von der Polizei oder - ungewöhnlicherweise - vom Anzeigeerstatter selbst so benannt wurde; dasselbe gilt für die Bezeichnung der Tat in der Strafanzeige als "Gefährliche Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen", die ersichtlich der Erfassung des Verfahrens in der Polizeilichen Kriminalstatistik dient (unter Schlüssel-Nummer 222100, vgl. Bundeskriminalamt, Polizeiliche Kriminalstatistik: Bundesrepublik Deutschland Jahrbuch 2014, S. 178).
15dd) Ohne Erfolg rügt die Revision, dass die dem Kläger angelasteten Tatsachen nicht als gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 StGB qualifiziert werden könnten. Ob der Vorwurf eines bestimmten Vergehens aufgrund der aktenkundigen Tatsachen zutreffend oder zumindest naheliegend war, wovon das Berufungsgericht ausgeht, ist für den Anspruch auf Versicherungsschutz ohne Bedeutung und daher auch im Deckungsprozess nicht zu prüfen. Bereits der Begriff des Vorwurfs unter § 2 i) ARB 2000/2 führt dem Versicherungsnehmer vor Augen, dass es allein auf dessen Erhebung ankommt; ein Vorwurf enthält noch keine Feststellung seiner Richtigkeit. Der Deckungsanspruch hängt daher nicht davon ab, ob die rechtliche Bewertung der Tatsachen durch die Strafverfolgungsbehörden als Erfüllung eines bestimmten Straftatbestandes zutrifft (vgl. Looschelders in Looschelders/Paffenholz, § 2 ARB 2010 Rn. 120; Bultmann in Terbille/Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht 3. Aufl. § 27 Rn. 172; Böhme, ARB-Kommentar 12. Aufl. § 4 ARB 1975 Rn. 58; Mathy, VersR 2007, 899, 900; OLG Oldenburg NJW-RR 2005, 1548, 1549). § 2 i) bb) UAbs. 2 ARB 2000/2 wiederholt damit nur, was sich bereits aus dem Wortlaut der Klausel im Übrigen ergibt.
16b) Zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verteidigung gegen den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 StGB nicht vom Versicherungsschutz umfasst ist. Die gefährliche Körperverletzung ist im Sinne von § 2 i) bb) ARB 2000/2 kein Vergehen, dessen vorsätzliche wie auch fahrlässige Begehung strafbar ist (so auch Harbauer/Stahl, Rechtsschutzversicherung 8. Aufl. § 2 ARB 2000 Rn. 271; Obarowski in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 37 Rn. 112; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 2 ARB 2010 Rn. 52; Hering in Buschbell/Hering, Handbuch Rechtsschutzversicherung 6. Aufl. § 20 Rn. 46; Looschelders in Looschelders/Paffenholz, § 2 ARB 2010 Rn. 124; Bultmann in Terbille/Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht 3. Aufl. § 27 Rn. 175; Mathy, VersR 2007, 899; ebenso zum vergleichbaren § 4 Abs. 3 a) ARB 1975: AG Düren r+s 1998, 380; AG Duisburg r+s 1994, 223; AG Kassel ZfS 1990, 13; AG Osnabrück ZfS 1990, 309, 31; AG Bad Mergentheim ZfS 1990, 161; LG Freiburg ZfS 1989, 129; LG Düsseldorf ZfS 1990, 271; AG Mannheim ZfS 1987, 367; LG Oldenburg ZfS 1982, 145, 146; AG Dortmund ZfS 1983, 368; AG Stuttgart ZfS 1983, 368; AG Köln ZfS 1983, 368; AG Krefeld ZfS 1983, 369; AG Geldern ZfS 1981, 50; a.A. Schneider in van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht 6. Aufl. § 13 Rn. 157; Hermanns/Lube, VersR 2007, 163, 166; AG Saarbrücken ZfS 1995, 351; AG Mainz r+s 1991, 170, 171; AG Köln ZfS 1987, 274). Einer Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB bedarf es entgegen der Ansicht der Revision nicht.
17aa) Der Grundsatz, dass es für die Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen auf die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ankommt, erfährt eine Ausnahme, wenn die Rechtssprache mit dem verwendeten Ausdruck einen fest umrissenen Begriff verbindet. In diesen Fällen ist anzunehmen, dass auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen (Senatsurteil vom - IV ZR 245/15, VersR 2016, 1184 Rn. 22). Mit dem Begriff des "Vergehens, dessen vorsätzliche wie auch fahrlässige Begehung strafbar ist", verweist die Klausel auf die Vorschriften des Strafrechts, deren Verletzung dem Versicherungsnehmer vorgeworfen wird. Maßgeblich ist damit der von den Strafverfolgungsbehörden angegebene Straftatbestand, aus dem sich ergeben muss, ob dieser eine vorsätzliche und eine fahrlässige Begehung vorsieht. Die Klausel geht damit erkennbar von dem Grundfall aus, dass "ein Vergehen" auch nur in einem Straftatbestand geregelt ist, der innerhalb eines Paragrafen sowohl die vorsätzliche wie die fahrlässige Begehungsform enthält. Dies ist bei den Fahrlässigkeitsdelikten des Strafgesetzbuches die Regel und lässt erkennen, dass für diesen Fall der Versicherungsschutz eindeutig eingreift. Damit ergibt sich aber auch, dass darüber hinaus "ein Vergehen", das vorsätzlich wie fahrlässig begangen werden kann, nur eines sein kann, bei dem ein solcher einheitlicher Tatbestand rein formal auf zwei Paragrafen für die Vorsatz- und die Fahrlässigkeitsform aufgeteilt wird. Ein Vergehen, das sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig begangen werden kann, setzt daher die aus einem Vergleich des Gesetzestextes ersichtliche volle Tatbestandsidentität voraus (vgl. Harbauer/Stahl, Rechtsschutzversicherung 8. Aufl. § 2 ARB 2000 Rn. 270; Looschelders in Looschelders/Paffenholz, § 2 ARB 2010 Rn. 123; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 29. Aufl. § 2 ARB 2010 Rn. 52; Obarowski in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 37 Rn. 534; Hering in Buschbell/Hering, Handbuch Rechtsschutzversicherung 6. Aufl. § 20 Rn. 46).
18bb) Die gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB ist mangels voller Tatbestandsidentität mit der fahrlässigen Körperverletzung nach § 229 StGB kein Vergehen, dessen vorsätzliche wie auch fahrlässige Begehung strafbar ist. Der Tatbestand enthält Merkmale - im Fall des Klägers: die Tatbegehung "mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs" -, welche § 229 StGB nicht vorsieht. Es gibt keinen Fahrlässigkeitstatbestand, der den Wortlaut des § 224 StGB entsprechend abbildet. Daher kommt es nicht darauf an, dass auch eine fahrlässige Körperverletzung denkbar ist, die durch den sorgfaltswidrigen Umgang des Täters mit einem gefährlichen Werkzeug verursacht wird.
19Nicht maßgeblich ist entgegen der Auffassung der Revision, ob die gefährliche Körperverletzung, unabhängig von ihrer Häufigkeit, unter den drei Beispielen reiner Vorsatzdelikte in Unterabsatz 2 der Klausel genannt ist. Diese Aufzählung ist - auch für den Versicherungsnehmer erkennbar - nicht abschließend gemeint.
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:141216BIVZR497.15.0
Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 2037 Nr. 28
MAAAG-44779