Voraussetzungen einer auf § 133 Abs. 1 InsO gestützten Insolvenzanfechtung der mehr als ein halbes Jahr vor der Insolvenzeröffnung
häufig erfolgten Verrechnung von Lohnsteuerverbindlichkeiten mit Umsatzsteuerguthaben der Insolvenzschuldnerin
Leitsatz
1. Hat das FA in einem Zeitraum von über zwei Jahren bis zu einem halben Jahr vor der Insolvenzeröffnung häufig Umsatzsteuerguthaben
der nunmehrigen Insolvenzschuldnerin gegen deren Lohnsteuerverbindlichkeiten aufgerechnet und ficht der Insolvenzverwalter
diese Verrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 133 Abs. 1 InsO an, so trägt er die Darlegungs- und Beweislast dafür,
dass die Schuldnerin zu den einzelnen Zeitpunkten der Rechtshandlungen mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt und das FA positive
Kenntnis von diesem Vorsatz hatte. Hierzu genügt ein pauschaler Vortrag des Insolvenzverwalters insbesondere dann nicht, wenn
sich die Anfechtung auf einen längeren Zeitraum bezieht; es ist nicht Aufgabe von FA oder FG, diese Aufklärung selbst vorzunehmen.
2. Eine anfechtbare Rechtshandlung i. S. d. § 133 Abs. 1 S. 1 InsO liegt nicht vor, soweit es sich um reine Gläubigerhandlungen
handelt, etwa indem sich der Gläubiger den Vermögensvorteil auf Kosten des Schuldners im Wege der Zwangsvollstreckung verschafft
oder sich durch Aufrechnung befriedigt (Anschluss an ).
3. Die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte Abgabe von Umsatzsteuererklärungen durch den späteren Insolvenzschuldner
stellt keine Rechtshandlung i. S. d. § 133 Abs. 1 InsO dar. Aus der Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen
bzw. -voranmeldungen kann nicht auf das Vorliegen eines Benachteiligungsvorsatzes i. S. d. § 133 Abs. 1 S. 1 InsO geschlossen
werden.
4. Dass Steuerverbindlichkeiten mehrfach nicht pünktlich und erst nach einer Vollstreckungsankündigung und mit Hilfe von Verrechnungen
ausgeglichen werden konnten, kann für sich allein genommen nicht als Nachweis für die positive Kenntnis des FA von einer bestehenden
oder drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gewertet werden.
Fundstelle(n): AAAAG-42654
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FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 16.11.2016 - 11 K 7253/15
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