BSG Beschluss v. - B 10 ÜG 24/16 B

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - überlanges Gerichtsverfahren - Entschädigungshöhe - Anhebung bei struktureller Überlastung der Justiz - Tatsachenfeststellung - Abschlag bei juristischen Personen - bindende Feststellungen bei Zurückverweisung - Divergenz - verdeckter Rechtssatz - Erforderlichkeit einer deduktiven Ableitung - besondere Darlegungsanforderungen

Gesetze: § 198 Abs 2 S 3 GVG, § 198 Abs 2 S 4 GVG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 170 Abs 5 SGG

Instanzenzug: SG Magdeburg Az: S 12 P 27/00 Urteilvorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Az: L 4 P 1/07 Urteilvorgehend Az: 1 BvR 404/10 Beschlussvorgehend Az: B 3 P 4/10 R Urteilvorgehend Az: B 10 ÜG 1/13 R Urteilvorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Az: L 10 SF 5/15 EK Urteil

Gründe

1I. Die Klägerin und das beklagte Land streiten um die Höhe der Entschädigung für die überlange Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens.

2Die Klägerin ist eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die ua ein Seniorenheim betreibt. Das von ihr angestrengte Streitverfahren um Zustimmung zur gesonderten Inrechnungstellung höherer Investitionsaufwendungen dauerte vor SG und LSG von Mai 2000 bis Juli 2010. Wegen der Dauer dieses Verfahrens erhob die Klägerin anschließend Entschädigungsklage. Das LSG als Entschädigungsgericht verurteilte das beklagte Land, der Klägerin 2400 Euro Entschädigung für die unangemessene Verfahrensdauer zu zahlen und wies die Klage im Übrigen ab (Urteil vom ). Auf die Revision beider Beteiligten hat der erkennende Senat das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (Urteil vom - B 10 ÜG 1/13 R).

3Im wieder eröffneten Berufungsverfahren hat das LSG den Beklagten antragsgemäß verurteilt, an die Klägerin für jeden der von ihm festgestellten 35 Monate der Verzögerung eine Entschädigung von 120 Euro, insgesamt 4200 Euro, zu zahlen. Ausnahmsweise sei eine Entschädigung oberhalb des Regelbetrags des § 198 Abs 2 S 3 GVG angemessen. Die Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit der Klägerin beruhe auf einer strukturellen Überlastung der Justiz des beklagten Landes, weshalb der resultierende Grundrechtsverstoß besonders schwer wiege (Urteil vom ).

4Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Beklagte Beschwerde zum BSG eingelegt. Er macht geltend, das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt und sei von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.

5II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behauptete grundsätzliche Bedeutung (1.) noch die angebliche Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

61. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hat die Beschwerde nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

7Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

8An diesen Darlegungen fehlt es hier.

112. Ebenso wenig hat die Beschwerde die Voraussetzungen einer Divergenz hinreichend substantiiert dargetan.

12Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB - RdNr 4; - RdNr 4; - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).

13Insoweit hat die Beschwerde bereits nicht hinreichend substantiiert einen abweichenden Rechtssatz des LSG dargelegt. Die Beschwerde meint, ein solcher abweichender Rechtssatz liege in der Bestimmung der Verfahrensdauer durch das LSG mit der Zeitspanne von Klageerhebung am bis zur Zustellung des LSG Urteils am . Einen ausdrücklichen Rechtssatz des LSG hat die Beschwerde damit aber nicht dargelegt. Soweit sie einen konkludent, dh verdeckt aufgestellten Rechtssatz behaupten wollte, hätte sie darlegen müssen, dass dieser Rechtssatz sich nicht erst nachträglich logisch induktiv aus dem Entscheidungsergebnis herleiten lässt, sondern dass dieses Ergebnis deduktiv aus dem Rechtssatz folgt, der in der Entscheidung zweifellos enthalten ist (vgl - Juris; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26). Diese Darlegung enthält die Beschwerde nicht. Unabhängig davon ist das LSG mit einer Bestimmung der Verfahrensdauer exakt den Vorgaben des Senats in seinem zurückverweisenden Urteil gefolgt ( B 10 ÜG 1/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 7). Warum das LSG damit gleichwohl von der Rechtsprechung des Senats abgewichen sein sollte, legt die Beschwerde nicht dar.

14Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

15Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

163. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

174. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 52 Abs 3 S 1, § 47 Abs 1 S 2, Abs 3 GKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:251016BB10UEG2416B0

Fundstelle(n):
OAAAF-90072