Zwangsversteigerungsverfahren: Vorliegen einer mit den guten Sitten unvereinbaren Härte bei Verschlechterung des Gesundheitszustands des Schuldners
Leitsatz
Eine bei der Abwägung nach § 765a ZPO zu berücksichtigende mit den guten Sitten unvereinbare Härte liegt auch vor, wenn der Schuldner an einer Erkrankung leidet und die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands und als deren Folge eine Gefahr für sein Leben oder schwerwiegende gesundheitliche Risiken erwarten lässt. Dass eine solche Verschlechterung des Gesundheitszustands auch durch andere Umstände ausgelöst werden könnte, ändert daran nichts.
Gesetze: § 765a ZPO, § 83 Nr 6 ZVG, § 100 Abs 1 ZVG, § 100 Abs 3 ZVG
Instanzenzug: vorgehend LG Dortmund, , Az: 9 T 156/14vorgehend AG Kamen, , Az: 14 K 44/12
Gründe
I.
1Die Gläubigerin betreibt wegen dinglicher Ansprüche die Zwangsverwaltung und seit Juli 2012 auch die Zwangsversteigerung des Eingangs dieses Beschlusses bezeichneten Grundbesitzes der im Jahr 1929 geborenen Schuldnerin. Nach einem ersten Versteigerungstermin, in dem keine Gebote abgegeben wurden, führte das Vollstreckungsgericht am einen zweiten Versteigerungstermin durch, in dem die Ersteher mit einem Gebot von 229.000 € Meistbietende blieben. Das Vollstreckungsgericht bestimmte Termin zur Verkündung der Entscheidung über den Zuschlag auf den . In diesem Zeitraum beantragte die Schuldnerin mehrmals unter Berufung auf soziale Härten, ihr hohes Alter und von der Erteilung des Zuschlags ausgehende Gefahren für Leib und Leben Vollstreckungsschutz.
2Mit Beschluss vom hat das Vollstreckungsgericht unter Zurückweisung der Vollstreckungsschutzanträge den Erstehern den Zuschlag erteilt. Die Beschwerde der Schuldnerin hat das Beschwerdegericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte die Schuldnerin weiterhin die Aufhebung des Zuschlags und die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung erreichen.
II.
3Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist der Zuschlag nicht nach § 83 Nr. 6 ZVG zu versagen. Die Voraussetzungen des § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO für eine einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens lägen nicht vor. Der gerichtliche Sachverständige habe bei der Schuldnerin keine Suizidgefahr festgestellt. Diese leide nach dessen Gutachten an leichten bis mittelgradigen kognitiven Beeinträchtigungen und an einer mittelgradigen Depression. Auf Grund dieser Gesundheitsstörungen seien bei der Schuldnerin die Belastbarkeit, die Umstellungsfähigkeit und die Verarbeitungsfähigkeit von Konflikten und Belastungen derart beeinträchtigt, dass immer wieder und in wechselnder Frequenz unvorhersehbar dissoziative Zustände bis hin zum dissoziativen Stupor auftreten könnten. In solchen Phasen verliere die Schuldnerin ganz oder teilweise die Kontrolle über ihre Körperbewegungen; es bestehe dann die Gefahr von Stürzen und Selbstverletzungen. Dieses Risiko sei unabhängig von dem Rechtskräftigwerden des Zuschlagsbeschlusses gegeben. Der Eintritt von dessen Rechtskraft führe nicht zu einer Verstärkung der Erkrankung, sondern wäre nur mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weiterer Auslöser für das auch sonst jederzeit mögliche Auftreten eines dissoziativen Zustandes. Dementsprechend könne durch eine Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses nur das Risiko verringert werden, dass es zu einem dissoziativen Zustand komme. An der bestehenden Erkrankung ändere sich dagegen nichts. Auch wenn man von einer erheblichen Gesundheitsgefahr für die Schuldnerin ausgehe, sei das Zwangsversteigerungsverfahren nicht nach § 765a ZPO einzustellen, weil die Belange der Schuldnerin das Vollstreckungsinteresse der Gläubigerin nicht deutlich überwögen. Da sich die Störungen nicht behandeln ließen, komme eine einstweilige Einstellung nicht in Betracht. Die Gläubigerin habe keine Aussicht, durch Einnahmen aus der Vermietung des Objekts innerhalb eines zumutbaren Zeitraums Erfüllung ihrer Forderung zu erlangen. Ein Einstellungsgrund ergebe sich auch nicht aus der Erklärung eines Nachbarn, er wolle das Anwesen zu einem Preis von maximal 250.000 € erwerben und der Schuldnerin einen Mietvertrag anbieten. Unklar sei schon, ob er nur den versteigerten Grundbesitz oder noch andere Grundstücke erwerben wolle. Jedenfalls habe er nicht mitgeboten.
III.
4Die nach § 96 ZVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Schuldnerin gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens und gegen den erteilten Zuschlag ist begründet. Der Schuldnerin kann der beantragte Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO nicht mit der von dem Beschwerdegericht gegebenen Begründung versagt werden.
51. Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts. Die Gefährdung des unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stehenden Rechts des Schuldners auf Leben und körperliche Unversehrtheit durch die Versteigerung oder die Fortsetzung des Verfahrens ist ein im Zuschlagsbeschwerdeverfahren nach § 100 Abs. 1 u. 3 i.V.m. § 83 Nr. 6 ZVG von Amts wegen zu berücksichtigender Umstand (Senat, Beschlüsse vom - V ZB 99/05, NJW 2006, 505, 507, vom - V ZB 319/10, ZfIR 2011, 727 Rn. 8 und vom - V ZB 115/15, NJW-RR 2016, 336 Rn. 5). Das bedeutet zwar nicht, dass die Zwangsversteigerung ohne Weiteres einstweilen einzustellen oder aufzuheben wäre, wenn die Fortführung des Verfahrens mit einer konkreten Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist (Senat, Beschluss vom - V ZB 1/10, NJW-RR 2010, 1649 Rn. 11 f.; , BGHZ 163, 66, 73). Vielmehr ist zur Wahrung der ebenfalls grundrechtlich geschützten Interessen des Vollstreckungsgläubigers und des Erstehers (Senat, Beschluss vom - V ZB 115/15, NJW-RR 2016, 336 Rn. 6) zu prüfen, ob der Lebens- oder Gesundheitsgefährdung auch anders als durch eine Einstellung oder Aufhebung der Zwangsversteigerung wirksam begegnet werden kann (Senat, Beschlüsse vom - V ZB 82/10, NJW-RR 2011, 421 Rn. 29 und vom - V ZB 319/10, aaO). Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verpflichtet die Vollstreckungsgerichte aber dazu, das Verfahren so durchzuführen, dass den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten Genüge getan wird. Kann das Leben des Schuldners durch eine Vollstreckungsmaßnahme in Gefahr geraten, weil dieser unfähig ist, aus eigener Kraft oder mit zumutbarer fremder Hilfe die Konfliktsituation situationsangemessen zu bewältigen, muss das Vollstreckungsgericht diesen Umstand beachten und ihm bei der Durchführung des Verfahrens Rechnung tragen (Senat, Beschlüsse vom - V ZB 82/10, NJW-RR 2011, 421 Rn. 26 und vom - V ZB 48/10, ZfIR 2011, 886 Rn. 7).
62. Nicht beigetreten werden kann dem Beschwerdegericht indessen in seiner Annahme, die festgestellte Erkrankung der Schuldnerin sei kein Umstand, dem im Zuschlagsbeschwerdeverfahren Rechnung zu tragen sei.
7a) Das Beschwerdegericht gelangt auf Grund des Sachverständigengutachtens zu der Feststellung, die Mitteilung über die Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses würde bei der Schuldnerin nicht zu einer Verstärkung der Erkrankung führen, sondern wäre nur mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weiterer Auslöser für das auch sonst jederzeit mögliche Auftreten eines dissoziativen Zustandes. Demgemäß könnte durch die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses nur das Risiko verringert werden, dass es bei der Schuldnerin zu einem dissoziativen Zustand komme. Daraus zieht das Beschwerdegericht den Schluss, der Möglichkeit des Eintritts solcher Zustände müsse im Zwangsversteigerungsverfahren nicht Rechnung getragen werden. Es hat offenbar die Vorstellung, im Zwangsversteigerungsverfahren sei nur die durch das Verfahren ausgelöste Gefahr eines Suizids oder ähnlicher extremer Reaktionen des Schuldners oder eine besonders außergewöhnliche Zuspitzung einer vorhandenen Erkrankung zu berücksichtigen, nicht aber die Verschlechterung des durch eine vorhandene Erkrankung angegriffenen Gesundheitszustands, die schwerwiegende gesundheitliche Risiken erwarten lässt. Diese Vorstellung trifft nicht zu.
8b) Die Gefährdung des unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG stehenden Rechts des Schuldners auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist im Zuschlagsbeschwerdeverfahren nach § 100 Abs. 1 u. 3 i.V.m. § 83 Nr. 6 ZVG nicht nur bei der konkreten Gefahr eines Suizids zu berücksichtigen, sondern auch, wenn die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens aus anderen Gründen eine konkrete Gefahr für das Leben des Schuldners begründet (Senat, Beschluss vom - V ZB 48/10, ZfIR 2011, 886 Rn. 7) oder wegen schwerwiegender gesundheitlicher Risiken eine mit den guten Sitten unvereinbare Härte im Sinne von § 765a ZPO darstellt (BVerfG, WM 2014, 565 Rn. 13; , WM 2009, 2228 Rn. 12). Diese Voraussetzungen können einerseits nicht schon angenommen werden, wenn die Fortsetzung des Verfahrens zu physischen oder psychischen Belastungen des Schuldners oder einer seiner Angehörigen führt. Auch das Bestehen einer lebensbedrohlichen Erkrankung wie einer Krebserkrankung würde, für sich genommen, nicht genügen (Senat, Beschluss vom - V ZB 124/10, NJW-RR 2011, 419 Rn. 7). Eine mit den guten Sitten unvereinbare Härte im Sinne von § 765a ZPO liegt andererseits aber etwa vor, wenn die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens den Erfolg der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung des Schuldners gefährdet (Senat, Beschluss vom - V ZB 48/10, ZfIR 2011, 886 Rn. 7 aE). Nichts Anderes gilt, wenn der Schuldner an einer Erkrankung leidet und die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands und als deren Folge eine Gefahr für das Leben des Schuldners oder schwerwiegende gesundheitliche Risiken erwarten lässt (BVerfG, WM 2014, 1725, 1726; , WM 2009, 2228 Rn. 12). Dass eine solche Verschlechterung des Gesundheitszustands auch durch andere Umstände ausgelöst werden könnte, ändert daran nichts und ist deshalb ohne Bedeutung.
9c) Eine Verschlechterung des Gesundheitszustands, der danach im Zwangsversteigerungsverfahren Rechnung zu tragen ist, liegt hier nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts vor. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses bei der Schuldnerin mit hoher Wahrscheinlichkeit dissoziative Zustände auslöst. Dissoziative Zustände können nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts bei der Schuldnerin bis hin zu einem dissoziativen Stupor führen. Der Sachverständige hat bei der Untersuchung der Schuldnerin allein durch die Erwähnung des Themas Zwangsversteigerung einen spontanen, nach seiner Einschätzung nicht simulierten Stupor ausgelöst. Bei einem Stupor verliert die Schuldnerin ganz oder teilweise die Kontrolle ihrer Körperbewegungen; es besteht dann die Gefahr von unkontrollierten Stürzen und schweren Selbstverletzungen. Damit steht fest, dass die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens durch die Mitteilung der Zurückweisung der Zuschlagsbeschwerde der Schuldnerin mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefahr schwerwiegender gesundheitlicher Schäden begründet. Dass sich diese Gefahr auch aus anderem Anlass ergeben kann, ändert daran, wie ausgeführt, nichts.
103. Das Beschwerdegericht ist ferner den Anforderungen an die bei Vorliegen einer solchen Gefahr von schweren Gesundheitsgefährdungen anzustellende Abwägung nicht hinreichend gerecht geworden. Es durfte diese Gefahr nicht unterstellen und ohne nähere Aufklärung die Gefahren für die Gesundheit der Schuldnerin gegen die Interessen der Gläubigerin abwägen. Seine Feststellungen bieten weder für die Abwägung als solche noch für die Auswahl der gegebenenfalls zu ergreifenden begleitenden Maßnahmen eine ausreichende Tatsachengrundlage.
11a) Wenn eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners mit der Zwangsvollstreckung verbunden ist, ist der Zuschlag weder ohne weiteres zu versagen und die Zwangsversteigerung (einstweilen) einzustellen noch ohne weiteres unter Ablehnung des beantragten Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO zu erteilen. Erforderlich ist vielmehr, das in solchen Fällen ganz besonders gewichtige Interesse der von der Vollstreckung Betroffenen (Lebens- bzw. hier: Gesundheitsschutz, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) gegen das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers (Gläubigerschutz, Art. 14 GG; wirksamer Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG) abzuwägen. Es ist daher sorgfältig zu prüfen, ob der Gefahr schwerwiegender gesundheitlicher Risiken auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Mit Blick auf die Interessen des Erstehers gilt nichts anderes (zum Ganzen: Senat, Beschluss vom - V ZB 99/14, NJW-RR 2015, 393 Rn. 7).
12b) Das Beschwerdegericht durfte deshalb nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die Gläubigerin ihre Forderung auf unbestimmte Zeit nicht würde durchsetzen können. Es hätte vielmehr feststellen müssen, ob und gegebenenfalls durch welche Maßnahmen sich die der Schuldnerin durch die Fortsetzung des Verfahrens drohenden erheblichen Gesundheitsgefährdungen vermeiden oder auf ein zumutbares Maß reduzieren lassen und ob dem Vollstreckungsinteresse der Gläubigerin in anderer Weise befriedigend Rechnung getragen werden kann. Beides ist nicht, jedenfalls nicht in dem gebotenen Umfang geschehen.
13c) Das Beschwerdegericht hätte Art und Umfang der der Schuldnerin bei Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses drohenden erheblichen Gesundheitsgefährdung näher aufklären müssen.
14aa) Es nimmt an, der Zustand der Schuldnerin werde sich nicht verbessern, sondern eher verschlechtern. Dafür bietet das Gutachten des Sachverständigen zwar Anhaltspunkte. Ohne ergänzende Befragung oder Stellungnahme des Sachverständigen konnte das Beschwerdegericht aber nicht entscheiden, ob die Schuldnerin durch therapeutische Maßnahmen so stabilisiert werden kann, dass etwa auftretende dissoziative Zustände keine schwerwiegenden Gesundheitsgefährdungen mehr befürchten lassen.
15bb) Den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist zu entnehmen, dass bei der Schuldnerin im Falle eines Stupors die Gefahr von unkontrollierten Stürzen und - dadurch ausgelöst - von unter Umständen erheblichen Gesundheitsbeschädigungen besteht. Das Gutachten des Gerichtssachverständigen bietet jedoch Anhaltspunkte dafür, dass dieses Risiko schon jetzt oder in absehbarer Zeit beherrschbar ist. Der Sachverständige hat nämlich nicht nur von dem aufgetretenen spontanen Stupor, sondern auch davon berichtet, dass die Schuldnerin aus dem Stupor gewissermaßen hat zurückgerufen werden können. Das gab Veranlassung zur Prüfung, ob den von einem etwa durch die Mitteilung des Zuschlagsbeschlusses ausgelösten Stupor ausgehenden Gefahren durch die Anwesenheit von Fachpersonal wirksam begegnet werden kann, das sofort eingreifen und sonst vielleicht zu befürchtenden Gesundheitsbeeinträchtigungen vorbeugen kann. Für diese Prüfung kann bedeutsam sein, ob es sich bei einem durch den Eigentumsverlust ausgelösten Stupor um eine einmalige, im Zusammenhang mit dem Bekanntwerden der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses auftretende oder um eine Erscheinung handelt, die sich auch später noch wiederholen kann.
16(1) Sollte es sich bei dem Stupor um eine einmalige Erscheinung handeln, wäre zu prüfen (gewesen), ob sich die Gefahr unkontrollierter Stürze im Sinne einer begleiteten Vollstreckung (dazu allgemein: Zschieschack/Brücher, ZMR 2015, 745, 748 f. für die Räumungsvollstreckung) durch Maßnahmen bei der Bekanntgabe der Entscheidung des Beschwerdegerichts beherrschen lässt. Zu denken wäre etwa daran, diese Entscheidung, statt auf dem üblichen Postweg hier „begleitet“ bekannt zu machen, etwa durch einen Justizbediensteten oder einen Gerichtsvollzieher in Begleitung von ärztlichen oder pflegerischen Fachkräften.
17(2) Sollte mit einem (wiederholten) Stupor dagegen auch nach der Bekanntgabe der Entscheidung des Beschwerdegerichts zu rechnen sein, wäre zu prüfen (gewesen), ob der Schutz der Schuldnerin durch eine - von den primär zuständigen Stellen oder etwaigen Vorsorgebevollmächtigten geplante oder auf Nachfrage in Betracht gezogene und von dem Beschwerdegericht abzufragende (zu diesem Aspekt: Senat, Beschluss vom - V ZB 319/10, ZfIR 2011, 727 Rn. 14 f.; J. Schmidt-Räntsch, ZfIR 2011, 849, 855 mwN) - Veränderung ihrer Betreuungssituation gewährleistet werden kann. Zu erwägen wären dabei eine entsprechende Anleitung von Personen, die etwa im Rahmen einer häuslichen Pflege eingesetzt sind oder bei einer Intensivierung einer solchen Pflege eingesetzt werden sollen, zu Maßnahmen, die bei einem Stupor zu ergreifen sind, ein in absehbarer Zeit anstehender Wechsel etwa in eine Pflegeeinrichtung oder in betreutes Wohnen, in der ein Schutz der Schuldnerin gewährleistet ist, oder vergleichbare Maßnahmen.
18c) Bei der Abwägung wäre hier schließlich auch zu berücksichtigen, ob dem Vollstreckungsinteresse der Gläubigerin durch einen freihändigen Verkauf angemessen Rechnung getragen werden könnte. Mit dem hier vorgelegten Kaufangebot eines Nachbarn hat sich das Beschwerdegericht zwar befasst. Es durfte seine Prüfung aber nicht schon mit der Erwägung abbrechen, der Nachbar wolle außer den versteigerten noch andere Teile des Anwesens erwerben und habe nicht mitgeboten. Daraus allein folgt nicht, dass dieses Angebot keine den Interessen nicht nur der Schuldnerin, sondern auch der Gläubigerin gerecht werdende Lösung verspricht. Denn dieser Nachbar hat angeboten, mit der Schuldnerin einen Mietvertrag abzuschließen und ihr zu ermöglichen, weiterhin auf dem Anwesen zu wohnen. Vielmehr war zu prüfen, ob das Angebot eine Befriedigung der Gläubigerin erwarten lässt und der Gläubigerin eine Prüfung und Nutzung dieser Befriedigungsmöglichkeit auch unter Berücksichtigung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Schuldnerin zugemutet werden kann.
IV.
191. Die Beschwerdeentscheidung kann danach keinen Bestand haben. Die Sache ist deshalb zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
202. Da aus dem Zuschlagsbeschluss schon vor dem Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden kann und die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt, ist die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts gemäß § 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO auszusetzen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 115/15, NJW-RR 2016, 336 Rn. 20).
213. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Vertretung der Schuldnerin beruht auf § 26 Nr. 2 RVG, wonach der Wert des Gegenstands der Versteigerung, mithin der festgestellte Verkehrswert, maßgeblich ist. Gerichtskosten sind in dem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht angefallen.
Stresemann Schmidt-Räntsch Kazele
Göbel Hamdorf
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:131016BVZB138.15.0
Fundstelle(n):
WM 2017 S. 44 Nr. 1
MAAAF-89741