BVerwG Beschluss v. - 1 WB 17.16 (1 WB 25.14)

Leitsatz

Leitsatz:

Die Vorschrift des § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach die Klage als zurückgenommen gilt, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt, ist auf Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach der Wehrbeschwerdeordnung entsprechend anwendbar.

Gesetze: WBO § 23a Abs. 2; VwGO § 92 Abs. 2

Gründe

I

1Der ... geborene Antragsteller war Soldat auf Zeit. Seine Dienstzeit war bei einer Verpflichtungsdauer von 13 Jahren zuletzt auf zwei Jahre und sieben Monate, endend mit dem ..., festgesetzt. Mit Bescheid des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr vom wurde der Antragsteller mit Ablauf des gemäß § 55 Abs. 4 Satz 2 SG wegen mangelnder Eignung aus dem Dienstverhältnis entlassen.

2Der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom und den Wechsel von der für ihn vorgesehenen Verwendungsreihe ... . in die Verwendungsreihe 61 (Stabsdienst) oder 63 (Materialbewirtschaftung) der Marine. Mit Schreiben vom erhob er Untätigkeitsbeschwerde, weil über seine Anträge auf Wechsel der Verwendungsreihe noch nicht entschieden worden sei. Mit Bescheid vom wies das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - die Beschwerde zurück und lehnte die Anträge ab.

3Hiergegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - hat den Antrag zusammen mit seiner Stellungnahme vom dem Senat vorgelegt.

4Der Senat hat mit Beschluss vom - 1 WB 25.14 - das Verfahren bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in den vom Antragsteller gegen seine Entlassung aus dem Dienstverhältnis und gegen die Feststellung des endgültigen Nichtbestehens des Laufbahnlehrgangs betriebenen Rechtsbehelfsverfahren ausgesetzt.

5Mit Schreiben vom teilte das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - mit, dass der Antragsteller aufgrund eines Beschlusses des Truppendienstgerichts Nord vom - N 1 ... - unter dem ein geändertes Lehrgangszeugnis erhalten habe, das bestandskräftig geworden sei; auch nach der Änderung habe der Antragsteller den erforderlichen fachlichen Laufbahnlehrgang endgültig nicht bestanden. Mit Schreiben vom teilte das Bundesministerium der Verteidigung - R II 2 - ferner mit, dass der Antragsteller gegen den Beschwerdebescheid vom , mit dem seine Beschwerde gegen seine Entlassung aus dem Dienstverhältnis zurückgewiesen wurde, keine Klage erhoben hat.

6Der Senat hat daraufhin am das vorliegende Wehrbeschwerdeverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 1 WB 17.16 wieder aufgenommen.

7Mit Verfügung vom , zugestellt am , wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass der anhängige Rechtsstreit um einen Wechsel der Verwendungsreihe im Hinblick darauf, dass ein aktives Wehrdienstverhältnis nicht mehr bestehe, bedeutungslos geworden sei. Der Antragsteller wurde um eine Stellungnahme und ggf. um eine verfahrensbeendende Erklärung gebeten.

8Mit weiterer Verfügung vom , zugestellt am , wurde der Antragsteller an die Erledigung der Verfügung vom erinnert. Er wurde ferner darauf hingewiesen, dass sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung als zurückgenommen gelte, wenn er das Verfahren nach Zugang dieser Aufforderung länger als zwei Monate nicht betreibe. Bis zum ist keine Reaktion des Antragstellers erfolgt.

9Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II

10Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gilt gemäß § 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 92 Abs. 2 VwGO als zurückgenommen. Das Verfahren wird eingestellt (§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 92 Abs. 3 VwGO). Der Senat entscheidet hierbei - wie generell bei Entscheidungen über die Einstellung des Verfahrens (vgl. 1 WB 35.12 - Buchholz 450.1 § 20 WBO Nr. 4 Rn. 12 ff.) - in der Besetzung ohne ehrenamtliche Richter.

111. Nach § 92 Abs. 2 Satz 1 VwGO gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Diese Vorschrift ist auf Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach der Wehrbeschwerdeordnung (§ 17 Abs. 1, § 21 Abs. 1, § 22 WBO) entsprechend anwendbar.

12Gemäß § 23a Abs. 2 WBO sind in den gerichtlichen Antragsverfahren - ergänzend zu den Vorschriften der Wehrbeschwerdeordnung - die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Eigenart des Beschwerdeverfahrens entgegensteht.

13Das gerichtliche Verfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung ist - anders als das Klageverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung - als reines Antragsverfahren und nicht als kontradiktorischer Parteiprozess ausgestaltet (vgl. hierzu bereits BDH, Beschluss vom - WB 9.61 - BDHE 6, 185 <187>; ferner 1 WB 35.68 - BVerwGE 33, 337 <338> sowie zuletzt insb. Beschlüsse vom - 1 WB 18.08 - BVerwGE 134, 228 Rn. 20 und vom - 1 WB 59.10 - BVerwGE 139, 11 Rn. 7 f.). Einziger formeller Verfahrensbeteiligter ist nach der gesetzlichen Konstruktion der Beschwerdeführer bzw. Antragsteller. Die Wehrbeschwerdeordnung sieht dagegen nicht die Beteiligtenstellung eines Beschwerde- bzw. Antragsgegners oder eines Beklagten im Sinne von § 63 Nr. 2 VwGO vor (zur Zulassung der notwendigen Beiladung in Konkurrentenstreitigkeiten um höherwertige militärische Dienstposten vgl. 1 WB 59.10 - BVerwGE 139, 11 Rn. 10 ff., 16 ff.). Im Hinblick darauf, dass die Wehrbeschwerdeordnung das gerichtliche Verfahren nur in groben Zügen regelt, hat der Senat daher zwar seit jeher einzelne Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung - insbesondere soweit solche Ausdruck allgemeiner öffentlich-rechtlicher Prozessgrundsätze sind - ergänzend herangezogen; er hat jedoch zugleich die Anwendung aller Vorschriften für ausgeschlossen gehalten, die verfahrensrechtlich an die Rechtsnatur des Parteiprozesses anknüpfen.

14Die Vorschrift des § 92 Abs. 2 VwGO basiert auf der Prozessvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses bzw. Rechtsschutzinteresses. Sie knüpft die Fiktion der Klagerücknahme an die sich aus dem passiven Verhalten des Klägers ergebende - durch "Betreiben" des Verfahrens widerlegbare - Vermutung, sein Interesse an der Aufrechterhaltung der Klage sei entfallen (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 92 Rn. 13; Decker, BayVBl. 1997, 673 <674>). § 92 Abs. 2 VwGO eröffnet die Möglichkeit, die Untätigkeit des Klägers zu sanktionieren, wenn dieser sich - insbesondere auch mit Blick auf die knappen Ressourcen der Justizgewährung - nicht zu einer gemessen an Art. 19 Abs. 4 GG zumutbaren Mitwirkung an dem von ihm angestrengten Verfahren bewegen lässt (zur Verfassungsmäßigkeit siehe - BVerfGK 20, 43 Rn. 28; ebenso zur ähnlichen Regelung des § 33 Satz 1 AsylVfG a.F. BVerfG <Vorprüfungsausschuss>, Beschluss vom - 2 BvR 187/84 - NVwZ 1985, 33). Die Vorschrift des § 92 Abs. 2 VwGO wendet sich allein an den Kläger; sie ist kein Instrument, das ein kontradiktorisches Verfahren mit einem Gegenüber von Prozessparteien voraussetzt. Die Eigenart des Wehrbeschwerdeverfahrens als eines nicht-kontradiktorischen Verfahrens steht damit nicht entgegen, die verwaltungsprozessuale Regelung über die Rücknahmefiktion auf einen Antragsteller entsprechend anzuwenden, der das von ihm anhängig gemachte gerichtliche Antragsverfahren nach der Wehrbeschwerdeordnung nicht angemessen betreibt.

152. Die Voraussetzungen des § 92 Abs. 2 VwGO liegen hier vor.

16a) Der Antragsteller hat das Verfahren von Beginn an nicht betrieben.

17Bereits sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom besteht lediglich aus der (formal ausreichenden) Erklärung, dass er die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantrage, mit dem einzigen Zusatz: "Die Begründung folgt". Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antragsteller - vor der Vorlage des Antrags an den Senat (§ 21 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 WBO) - mit Schreiben vom und an die von ihm angekündigte Antragsbegründung erinnert; der Antragsteller hat darauf nicht geantwortet. Ebenfalls ohne jede Reaktion des Antragstellers blieben die Erstzustellung (am ) durch den Senat (mit der Stellungnahme des Bundesministeriums der Verteidigung vom ) sowie die Anhörung des Antragstellers zur Aussetzung des Verfahrens (Zustellung am ). Der Beschluss vom - 1 WB 25.14 - über die Aussetzung des Verfahrens wurde dem Antragsteller nach zwei erfolglosen Zustellversuchen (am 3. Februar und ) durch einen Beamten der Polizeistation ... am persönlich ausgehändigt. Keine Äußerung des Antragstellers erfolgte ferner auf die am zugestellte Mitteilung der Wiederaufnahme des Verfahrens, mit dem ihm zugleich in einem Hinweisschreiben vom die prozessuale Lage erläutert und er um eine Erklärung zur Beendigung (oder ggf. zum Fortgang) des Verfahrens gebeten wurde.

18Da sämtliche Zustellungen (mit Ausnahme der genannten persönlichen Aushändigung) durch Niederlegung in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten erfolgten, hat sich das Gericht zusätzlich mehrfach durch Auskünfte der Stadt ... (vom 16. Februar, 26. Februar, 19. März und sowie vom ) vergewissert, dass der Antragsteller seine Wohnung unter der Adresse hat, unter der der Schriftverkehr geführt wurde.

19Im Ergebnis hat der Antragsteller also mit Ausnahme der einleitenden prozessualen Antragstellung vom keine einzige Erklärung zur Sache oder zum Verfahren abgegeben und weder seinen Antrag begründet noch irgendeine Anfrage erledigt.

20b) Mit Verfügung vom , zugestellt am , wurde der Antragsteller aufgefordert, das Hinweisschreiben vom umgehend zu beantworten oder das Verfahren auf sonstige Weise zu betreiben. Der Antragsteller wurde dabei darüber belehrt, dass sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung als zurückgenommen gilt, wenn er das Verfahren nach Zugang dieser Aufforderung länger als zwei Monate nicht betreibt. Außerdem wurden ihm die weiteren Rechtsfolgen (Einstellung des Verfahrens, Kostenfolgen) erläutert.

21c) Bis zum Ablauf der Zweimonatsfrist am ist keine Reaktion des Antragstellers erfolgt.

223. Durch Beschluss war daher festzustellen, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als zurückgenommen gilt (§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 92 Abs. 2 Satz 4 VwGO). Als Folge dieser Feststellung war das Verfahren einzustellen (§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

23Kosten des ohnehin gerichtsgebührenfreien (§ 20 Abs. 4 WBO i.V.m. § 137 Abs. 1 WDO) Verfahrens werden dem Antragsteller - ebenso wie bei einer erklärten Antragsrücknahme - nicht auferlegt, weil dies in der insoweit abschließenden Kostenvorschrift des § 20 WBO nicht vorgesehen ist.

Fundstelle(n):
BAAAF-88926