BAG Urteil v. - 5 AZR 52/16

Auslegung eines Unternehmenstarifvertrags - Anpassung der Vergütung an das Tarifniveau

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 10 Ca 5100/14 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 6 Sa 747/15 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über weitere Vergütung.

2Die Klägerin ist seit dem bei der Beklagten, einem bundesweit tätigen Einzelhandelsunternehmen, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der von der Beklagten und der Gewerkschaft ver.di geschlossene Unternehmenstarifvertrag vom (UTV) Anwendung, der ua. bestimmt:

3In der Anlage zum UTV ist für das Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen ua. der Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel vom (im Folgenden GTV), gültig ab und kündbar zum , genannt. Zu diesem Termin hatte ver.di den GTV bereits mit Schreiben vom gekündigt. Am vereinbarten die Tarifvertragsparteien im Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen eine Erhöhung der Tarifentgelte rückwirkend zum um 3 % sowie um weitere 2,1 % zum .

4Die Beklagte zahlte der Klägerin gemäß § 7 Nr. 2 UTV ab 84 % des zu diesem Zeitpunkt gültigen Tarifentgelts, lehnte jedoch die nachträgliche Berücksichtigung der rückwirkenden Tariferhöhung und eine entsprechende Nachzahlung ab.

5Die Klägerin hat - nach erfolglosem außergerichtlichen Verlangen - mit ihrer Klage geltend gemacht, die Beklagte sei nach § 7 Nr. 2 UTV verpflichtet, bei der schrittweisen Anpassung an das Tarifentgelt auch rückwirkende Tariferhöhungen ab dem Anpassungsstichtag zu berücksichtigen und entsprechende Nachzahlungen zu leisten.

6Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Belang - sinngemäß beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, § 7 Nr. 2 UTV verpflichte sie nicht zur Berücksichtigung rückwirkender Tariferhöhungen. Maßgeblich sei das jeweils am Anpassungsstichtag zu zahlende Tarifentgelt.

8Das Arbeitsgericht hat - soweit die Klage in die Revisionsinstanz gelangt ist - der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Gründe

9Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht stattgegeben.

10I. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass ihr Gehalt zum entsprechend der rückwirkenden Erhöhung der Tarifentgelte im Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen nochmals angepasst wird. Das ergibt die Auslegung des § 7 Nr. 2 UTV (zum Tarifgebiet Rheinland-Pfalz im Ergebnis ebenso  -).

111. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr., vgl. nur  - Rn. 15 mwN).

122. Danach ergibt die Auslegung, dass § 7 Nr. 2 UTV bei der Heranführung der Vergütung der Beschäftigten der Beklagten an das Tarifniveau im jeweiligen Tarifgebiet die Berücksichtigung nachträglicher, rückwirkender Tariferhöhungen nicht vorsieht.

13a) Gegen die Auffassung der Klägerin spricht schon der Wortlaut der Tarifnorm. Die vorgesehenen fünf Anpassungen erfolgen jeweils zu einem bestimmten Datum („zum “ usw.) auf einen bestimmten Prozentsatz des „zu diesem Zeitpunkt“ - also am jeweiligen Datum - „gültigen“ Bruttotarifentgelts. Das kann, soll die Anpassung zeitgerecht erfolgen, nur dasjenige Tarifentgelt sein, das ein tarifgebundener Arbeitgeber am Anpassungsstichtag schuldet.

14Angesichts dessen ist die Möglichkeit, mit der Formulierung „zu diesem Zeitpunkt gültigen brutto Tarifentgelts“ sei das „für“ den Anpassungsstichtag gültige gemeint, nur eine fernliegende.

15b) Dieses Verständnis wird bestätigt durch den tariflichen Gesamtzusammenhang.

16aa) Wegen „aktuell schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen“ (§ 4 UTV) sollte - nach der Einführung von Bruttomindeststundenlöhnen ab dem als erstem Anpassungsschritt (§ 5 UTV) und einer gleichzeitig beginnenden sechsmonatigen Eingruppierungsphase (§ 7 Nr. 1 UTV) - die Vergütung der Beschäftigten im Unternehmen der Beklagten ab dem gemäß § 7 Nr. 2 UTV in fünf zeitlich exakt fixierten Schritten an die tarifliche Vergütung herangeführt werden. Die Berücksichtigung nach den Anpassungsstichtagen erfolgender Tariferhöhungen fließt danach zwingend erst bei der nächsten Stufe der Anpassung mit ein.

17bb) Mangels einer anderweitigen Regelung gilt dies auch, wenn die Tariferhöhung nach einem Anpassungsstichtag rückwirkend zu einem vor dem Anpassungsstichtag liegenden Zeitpunkt erfolgt. Anderenfalls wäre die Beklagte zu einer in § 7 Nr. 2 UTV nicht vorgesehenen nachträglichen Korrektur der tariflich festgelegten Anpassungen gezwungen. Gerade weil bei Abschluss des UTV absehbar war, dass eine Reihe von Gehaltstarifverträgen, ua. der im Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen, vor dem ersten der fünf Anpassungsschritte des § 7 Nr. 2 UTV auslaufen und es über kurz oder lang zu Tariferhöhungen kommen würde, hätte - wäre dies der Wille der Tarifvertragsparteien gewesen - im UTV mit der erforderlichen Deutlichkeit (vgl. hierzu  - Rn. 32, BAGE 124, 110) geregelt werden müssen, dass bei rückwirkenden Tariferhöhungen die fünf in § 7 Nr. 2 UTV vorgesehenen Anpassungen nachträglich zu korrigieren sind.

18c) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wird damit der Sinn und Zweck des UTV, ab dem die Vergütung der Beschäftigten der Beklagten bundesweit auf 100 % der Tarifentgelte anzuheben, nicht verfehlt. Wäre nach dem letzten Anpassungsschritt rückwirkend zu diesem Zeitpunkt eine Tariferhöhung erfolgt, wäre diese zwar nicht nach § 7 Nr. 2 letzter Spiegelstrich UTV zu berücksichtigen gewesen, wohl aber nach § 2 Nr. 1 in Verb. mit § 3 Nr. 1 UTV. Denn ab dem galten im Unternehmen der Beklagten alle in der Anlage zum UTV aufgelisteten Gehaltstarifverträge, also auch der GTV für das Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen, in ihrer jeweiligen Fassung.

19II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:240816.U.5AZR52.16.0

Fundstelle(n):
OAAAF-87189