BSG Urteil v. - B 12 AL 1/02 R

Instanzenzug:

Gründe:

I

Streitig ist die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit (BA).

Die 1949 geborene Klägerin war zunächst ganztags als Verkäuferin beschäftigt. Nach der Geburt eines Kindes im Januar 1977 arbeitete sie nur noch 15 Stunden in der Woche, sodass sie nach § 169a Abs 1 Satz 1 iVm § 102 Abs 1 Satz 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der bis zum geltenden Fassung beitragsfrei war. Da dieses nicht bemerkt wurde, entrichtete die Arbeitgeberin der Klägerin gleichwohl Beiträge zur BA und machte den Arbeitnehmerbeitrag im Lohnabzugsverfahren geltend. Im Juli 1997 meldete sich die Klägerin nach längerem Krankengeldbezug beim Arbeitsamt (ArbA) arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Das ArbA lehnte dies mit Bescheid vom ab. Die Klägerin erfülle nicht die erforderliche Anwartschaftszeit, denn sie sei nicht beitragspflichtig beschäftigt gewesen; sie könne sich jedoch die unrechtmäßig abgeführten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erstatten lassen. Widerspruch und Klage gegen die Ablehnung des Alg blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts >SG< vom - S 26 AL 76/98).

Im November 1997 beantragte die Klägerin, ihr die von 1977 bis 1997 gezahlten Arbeitnehmerbeiträge zur BA in Höhe von 6.523,33 DM zu erstatten. Die Beklagte erstattete ihr hiervon die von 1993 bis 1997 gezahlten Beiträge in Höhe von 2.256,59 DM. Im Übrigen erhob sie die Einrede der Verjährung und lehnte eine Erstattung der vor 1993 entrichteten Beiträge mit Bescheid vom ab. Den Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom zurück. Sie sei nicht verpflichtet, im Wege einer Ermessensentscheidung auf die Einrede der Verjährung zu verzichten; die Beitragsabführung sei nicht auf Grund eines fehlerhaften Verwaltungshandelns erfolgt. Zwar habe die Kaufmännische Krankenkasse als Einzugsstelle im Jahre 1991 bei der Arbeitgeberin der Klägerin eine Betriebsprüfung durchgeführt, bei der es keine Beanstandungen gegeben habe. Unterlagen darüber lägen nicht mehr vor. Betriebsprüfungen erfolgten nur als Stichprobenprüfungen; es werde dabei nicht für jeden Arbeitnehmer geprüft, ob für diesen zu Recht Beiträge abgeführt worden sind.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom abgewiesen. Die Beklagte habe über die Erhebung der Einrede der Verjährung ermessensfehlerfrei entschieden. Ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln der Beklagten sei nicht feststellbar.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) den Gerichtsbescheid mit Urteil vom geändert und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin auch die "für die Zeit von Januar 1987 bis Dezember 1992" entrichteten Beiträge zu erstatten. Im Übringen hat es die Berufung zurückgewiesen. Bei der Arbeitgeberin der Klägerin habe 1991 eine Arbeitgeberprüfung stattgefunden. Bei ordnungsgemäßer, umfassender Prüfung wäre die Beitragsfreiheit der Klägerin festgestellt worden. Tatsächlich sei jedoch keine Beanstandung erfolgt. Es liege somit ein fehlerhaftes Verhalten der Einzugsstelle vor, sodass die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen gehalten gewesen sei, für die von 1987 bis 1992 entrichteten Beiträge von der Verjährungseinrede abzusehen. Vor 1991 habe bei der Arbeitgeberin der Klägerin hingegen keine Betriebsprüfung stattgefunden und damit keine Möglichkeit der Kontrolle der Beitragsentrichtung bestanden. Insoweit sei kein fehlerhaftes Verwaltungshandeln ersichtlich. Für die vor 1987 entrichteten Beiträge habe die Beklagte daher die Einrede der Verjährung zu Recht erhoben.

Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte haben Revision eingelegt. Sie wollen jeweils ein volles Obsiegen erreichen. Die Klägerin hat sinngemäß vorgetragen, bei ihr habe 1977 wegen Rückkehr aus dem Mutterschutz im Hinblick auf Art 6 Abs 1 und Art 20 des Grundgesetzes (GG) besonderer Anlass bestanden, hinsichtlich der Versicherungs- und Beitragspflicht "genauer hinzusehen".

Die Klägerin beantragt,

1. das zu ändern, den aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die von September 1977 bis Dezember 1986 entrichteten Beiträge zu erstatten,

2. die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

1. das zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen den in vollem Umfang zurückzuweisen,

2. die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 185a AFG iVm § 26 Abs 2 Satz 1, § 28p Abs 1 Sätze 2 und 6 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV). Sie habe für die vor 1993 entrichteten Beiträge zu Recht die Einrede der Verjährung erhoben. Nach ihren Verwaltungsanweisungen zu § 27 SGB IV werde die Einrede der Verjährung nur in Fällen besonderer Härte nicht erhoben, wenn die Beitragsentrichtung zu Unrecht erfolgt ist, weil sie auf einem fehlerhaften Verwaltungshandeln der BA oder der Einzugsstelle beruht. Eine derartige Pflichtverletzung liege nicht bereits dann vor, wenn bei einer Arbeitgeberprüfung die fehlende Beitragspflicht eines Arbeitnehmers nicht aufgedeckt werde. Betriebsprüfungen hätten insoweit unabhängig von der Größe der Betriebe keine Außenwirkungen.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat auf die Berufung der Klägerin den Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen zu Unrecht teilweise aufgehoben und die Beklagte zu Unrecht verurteilt, der Klägerin auch die von 1987 bis 1992 entrichteten Arbeitnehmerbeiträge zur BA zu erstatten. Die Klägerin kann die Erfüllung des bestehenden Anspruchs auf Erstattung nicht verlangen. Die Beklagte hat die Leistung zu Recht verweigert. Die von ihr getroffene Entscheidung, hinsichtlich der in den Jahren 1977 bis 1992 entrichteten Beiträge die Einrede der Verjährung zu erheben, ist rechtlich für den gesamten Zeitraum nicht zu beanstanden. Das SG hat die hiergegen erhobene Klage zu Recht in vollem Umfang abgewiesen. Hingegen ist die Revision der Klägerin unbegründet. Das LSG hat die Berufung der Klägerin hinsichtlich der bis 1986 entrichteten Beiträge zutreffend zurückgewiesen.

1. Auf den vorliegenden Rechtsstreit finden die Vorschriften des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) und des SGB IV jeweils in der am in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung Anwendung (Art 83 Abs 1 Arbeitsförderungsreformgesetz - AFRG - vom , BGBl I 594). Die Beklagte hat erstmals nach diesem Zeitpunkt über den Erstattungsantrag der Klägerin eine Entscheidung getroffen. Eine übergangsrechtliche Differenzierung nach dem Zeitpunkt der Beitragsentrichtung bzw dem Zeitraum, für den Beiträge jeweils entrichtet wurden, findet dagegen nicht statt. Nach dem damit (in gemäß § 1 Abs 1 Satz 2 SGB IV nunmehr unmittelbarer Anwendung) maßgeblichen § 26 Abs 2 Satz 1, Abs 3 Satz 1 SGB IV kann derjenige, der die Beiträge getragen hat, grundsätzlich die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge verlangen. Das geltende Recht entspricht insofern weitgehend dem vor Inkrafttreten des AFRG geltenden, das mit § 186 Abs 1 AFG in der Fassung des am in Kraft getretenen SGB IV vom (BGBl I 3845) in Verbindung mit dem (damals noch entsprechend anzuwendenden) § 26 Abs 2 SGB IV bei anderer Textgrundlage eine praktisch identische Regelung enthalten hatte.

Für die Erstattung zuständig ist gemäß § 351 Abs 2 Nr 1 SGB III, der den früheren § 185a Abs 3 Nr 1 AFG wortgleich fortführt, das Arbeitsamt, in dessen Bezirk die Stelle ihren Sitz hat, an welche die Beiträge entrichtet worden sind. Dagegen scheidet im vorliegenden Zusammenhang eine Zuständigkeit der Einzugsstelle nach Nr 3 aaO (§ 185a Abs 3 Nr 3 AFG) schon deshalb aus, weil diese nach Nr 3.3.2 Buchst d) der Gemeinsamen Grundsätze für die Verrechnung und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung vom (ANBA 1998, 163) im Fall der Verjährung ausgeschlossen ist.

Die für die Klägerin gezahlten Beiträge zur BA sind iS von § 26 Abs 2 Satz 1 SGB IV zu Unrecht entrichtet worden, denn die Klägerin war seit September 1977 weniger als 18 Stunden in der Woche beschäftigt und somit gemäß § 169a Abs 1 Satz 1 iVm § 102 Abs 1 Satz 1 AFG aF in der bis zum geltenden Fassung im Bereich der Arbeitsförderung beitragsfrei (jetzt versicherungsfrei). Die Klägerin hat ihren Beitragserstattungsanspruch im November 1997 geltend gemacht. Die Beklagte hat diesen für die von 1993 bis 1997 entrichteten Beiträge erfüllt.

2. Die Beklagte macht jedoch zu Recht die Einrede der Verjährung geltend und ist daher zur Leistungsverweigerung berechtigt, soweit die Klägerin die Erstattung der vor 1993 entrichteten Beiträge begehrt. Nach § 185a Abs 1 Satz 1 AFG iVm § 27 Abs 2 Satz 1 SGB IV verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind. § 27 Abs 2 Satz 2 SGB IV, wonach die Verjährung erst mit Ablauf des Kalenderjahres einer Beitragsbeanstandung beginnt, findet in der Arbeitslosenversicherung keine Anwendung (so nunmehr ausdrücklich § 351 Abs 1 Satz 2 SGB III). Der Erstattungsanspruch der bis 1992 entrichteten Beiträge war demgemäß Ende 1996 verjährt.

Die Verjährungsvorschriften bedürfen für den besonderen Zusammenhang des Beitragsrechts im AFG keiner Modifikation. Ihr Zweck ist es im Allgemeinen, dem Schuldner die Abwehr unbegründeter Ansprüche zu erleichtern (vgl Materialien zum BGB, Bd I, S 512 zu § 291: "verdunkelnde Macht der Zeit"; BGH BB 1993, 1395 f; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl, Überbl vor § 194 RdNr 4, 4a), zumal die Aufklärung der tatsächlichen Umstände im Laufe der Zeit erfahrungsgemäß immer schwieriger wird. Die Verjährung konkretisiert Maximen von Treu und Glauben in Gestalt der allgemeinen Rücksichtnahmepflichten und erspart zugleich Beweiserhebungen. Darüber hinaus dient sie der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden: Der Rechtsverkehr benötigt klare Verhältnisse und soll deshalb vor einer Verdunklung der Rechtslage bewahrt bleiben, wie sie bei späterer Geltendmachung von Rechtsansprüchen auf Grund längst vergangener Tatsachen zu befürchten wäre (BGH NJW 1986, 1608 f; Münchner Komm, BGB/Grothe, 4. Aufl 2001, § 194 RdNr 6 mwN). - Diese Erwägungen treffen auch auf die Beitragserstattungsansprüche Beschäftigter zu. Diese setzen voraus, dass die tatsächlichen Umstände einer Beschäftigung gegen Entgelt für den gesamten Erstattungszeitraum ermittelt werden. Derartige Umstände lassen sich für die Vergangenheit jedoch erfahrungsgemäß nur noch unter erheblichen Schwierigkeiten nachweisen.

Aber auch dort, wo wie vorliegend über die tatsächlichen Verhältnisse keine Zweifel bestehen und die Verjährung (offensichtlich) begründete Ansprüche betrifft, ist das Rechtsinstitut der Verjährung durch die Gedanken des Schuldnerschutzes und des Rechtsfriedens (vgl BGHZ 128, 74, 82; Palandt/Heinrichs, aaO, Überbl vor § 194 RdNr 4a), hier der Freiheit der Versichertengemeinschaft von unvorhergesehenen Belastungen, gerechtfertigt. Tatsächliche Umstände, die lange Zeit unangefochten bestanden haben, sollen im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit als bestehend anerkannt werden (BGH NJW-RR 1993, 1059, 1060). Die Unkenntnis des Berechtigten von seinem Anspruch und damit die Möglichkeit, diesen (rechtzeitig) geltend zu machen, ist auch im Bereich der Beitragserstattung ohne Bedeutung (vgl auch bereits Großer Senat des BSG in BSGE 34, 1, 13: = SozR Nr 24 zu § 29 RVO S Aa 21 "Denn es ist nun einmal ein fundamentaler Grundsatz des Verjährungsrechts, dass eine solche Unkenntnis, die auch in vielen anderen Bereichen unseres Rechtslebens zu beobachten ist, bei der Verjährung grundsätzlich unbeachtet bleiben muß."). Zwar hat das Verjährungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) insoweit mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom (BGBl I 3138) für nach dem begründete Schuldverhältnisse (vgl Art 229 § 5 des Einführungsgesetzes zum BGB) eine grundsätzliche Rechtsänderung vollzogen, indem § 199 Abs 1 BGB nunmehr neben der Entstehung des Anspruchs im Grundsatz (Ausnahmen vgl insbesondere Abs 3 aaO) verlangt, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (dazu vgl Palandt/Heinrichs, BGB, Ergänzungsband zur 61. Aufl, § 199 RdNr 26). Auf die gerade hinsichtlich des Beginns spezialgesetzlich geregelte Verjährung von Beitragserstattungsansprüchen (§ 27 Abs 3 Satz 1 SGB IV) sind diese Grundsätze indessen nicht übertragbar.

Der Verjährungseinrede kann schließlich nicht entgegengehalten werden, Beiträge müssten entweder insgesamt erstattet oder aber leistungsrechtlich so behandelt werden, als wären sie zu Recht entrichtet worden. Letzteres liefe im Ergebnis auf eine Formalversicherung hinaus, die in der Anfangszeit in der Arbeitslosenversicherung vorgesehen war (vgl § 115 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung >AVAVG< vom , RGBl I 187), vom Gesetzgeber aber bereits durch die Novelle zum AVAVG vom (RGBl I 162) wieder außer Kraft gesetzt und bis heute nicht wieder eingeführt worden ist (zum Ganzen vgl BSGE 58, 154 = SozR 2100 § 27 Nr 4 S 13 f). Indessen kommt es für den Erwerb eines Anspruchs auf Alg nur darauf an, dass der Versicherte/Arbeitslose innerhalb der Rahmenfrist die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Die Rahmenfrist beträgt drei Jahre und beginnt mit dem Tag vor Erfüllung "aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg" (vgl § 124 Abs 1 SGB III). Vor der Rahmenfrist liegende Beitragsleistungen haben vom System der Arbeitslosenversicherung her "ihren Wert verloren" (vgl Gagel/Kreitner in Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd 35, 1998, S 33, 65). Wird bei der Prüfung eines Anspruchs auf Alg das Bestehen der Versicherungs- bzw Beitragspflicht des Arbeitslosen verneint, besteht für den Zeitraum der Rahmenfrist in aller Regel ein noch nicht verjährter Erstattungsanspruch nach § 185a AFG, § 345 SGB III. Soweit Zeiten beitragspflichtiger Beschäftigung für den Leistungserwerb beachtlich sind, besteht damit auch ein durchsetzbarer Erstattungsanspruch (vgl zu dieser weit gehenden "Übereinstimmung" zwischen maßgeblicher Rahmenfrist und Beitragserstattungsanspruch auch , Die Beiträge 1987, 78 ff). Lediglich für Zeiten, die leistungsrechtlich außerhalb der Rahmenfrist liegen und damit für den Leistungserwerb unbeachtlich sind, kann der Erstattungsanspruch bereits verjährt sein.

3. Die Beklagte hat, soweit es um die vor 1993 entrichteten Beiträge geht, ohne Rechtsfehler die Einrede der Verjährung erhoben.

a) Ein Verstoß gegen früheres eigenes bzw zuzurechnendes Verhalten der Einzugsstelle, welchem die Verjährungseinrede entgegenstehen könnte, liegt der Sache nach nicht vor. Es bedarf daher im vorliegenden Zusammenhang keiner weiteren Erörterung, ob der Gesichtspunkt des so genannten venire contra factum proprium als Unterfall des auch im öffentlichen Recht maßgeblichen und von Amts wegen zu beachtenden § 242 BGB bereits tatbestandsmäßig der Berufung auf den Verjährungseintritt entgegensteht (so etwa das noch zu § 29 Abs 3 RVO ergangene Urteil des Senats vom , SozR Nr 16 zu § 79 SGG = Breithaupt 1969, 813, 815; dahingestellt in BSGE 40, 279 ff mwN = SozR 2200 § 29 Nr 4) oder erst im Zusammenhang des dem Schuldner gemäß § 27 Abs 3 Satz 1 SGB IV iVm § 222 Abs 1 BGB aF zustehenden Ermessens zu beachten ist.

Auch für den letztgenannten Fall lässt die Begründung der angefochtenen Bescheide nämlich in einem § 35 Abs 1 Satz 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) genügenden Umfang erkennen, dass die Beklagte ihre Pflicht, eine Ermessensentscheidung über die Erhebung der Verjährungseinrede zu erheben (vgl BSG in SozR 3-1200 § 45 Nr 2 und Urteil vom - 11a RLw 2/87, HV-INFO 1988, 586 = USK 87164 sowie Urteil des erkennenden Senats in Breithaupt 1969, 813, 816), erkannt und eine Ermessensentscheidung getroffen hat. Hierbei hat sie sich an ihre Verwaltungsanweisungen gehalten, die vorsehen, in Fällen einer "unbilligen Härte" von der Verjährungseinrede abzusehen. Hierzu heißt es in der Durchführungsanweisung der Beklagten zu § 27 SGB IV: "Eine besondere Härte ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn die Beitragszahlung deshalb zu Unrecht erfolgt ist, weil sie auf einem fehlerhaften Verwaltungshandeln der BA, der Einzugsstelle oder eines Trägers der Rentenversicherung (letztere als Prüfinstitution) beruht, dh die fehlerhafte Beitragszahlung muss von einer dieser Stellen nachweislich verursacht worden sein". Dies hat die Beklagte für den vorliegenden Zusammenhang zutreffend verneint. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat sie daher auch nicht etwa ein in der Selbstbindung der Verwaltung (BSGE 29, 246, 248 = SozR Nr 1 zu § 1307 RVO; Ossenbühl in Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl 1995, § 6 V 4 RdNr 48 mwN) wurzelndes Recht der Klägerin auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der einschlägigen Verwaltungsvorschriften (Art 3 Abs 1 GG) missachtet. Sonstige ermessensrelevante Gesichtspunkte im Sinne einer groben Unbilligkeit oder besonderen Härte, die ausnahmsweise hätten Anlass geben können, das Interesse der Versichertengemeinschaft an der Freiheit von unvorhergesehenen Belastungen hintanzustellen (vgl BSGE 40, 279, 280 = SozR 2200 § 29 Nr 4), hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.

b) Die Prüfbehörden sind bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV auch in kleinen Betrieben zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten nicht verpflichtet. Der gegenteiligen Ansicht des LSG, eine nur auf Stichproben beschränkte Betriebsprüfung stelle ein der Beklagten zurechenbares fehlerhaftes Verwaltungshandeln iS der Ermessensrichtlinie zu § 27 SGB IV dar, ist nicht zu folgen.

Das LSG hat insoweit ausgeführt, die Klägerin habe in einem Betrieb mit etwa zehn bis 15 Arbeitnehmern gearbeitet. Jedenfalls in solchen Kleinbetrieben sei es unter Berücksichtigung des grundsätzlich zulässigen Stichprobenverfahrens bei Arbeitgeberprüfungen geboten, dass angesichts der geringen Arbeitnehmerzahl und des nur vierjährigen Prüfungsturnus alle Lohnunterlagen geprüft werden, um auf dieser Grundlage auch die versicherungsfreien und versicherungspflichtigen Beschäftigten zu erfassen. In solchen Betrieben komme es nicht zu einer für den Prüfer unzumutbaren Arbeitsbelastung, die durch bloße Stichproben vermieden werden solle. Der Arbeitnehmerschutz habe in solchen Fällen Vorrang vor der Arbeitserleichterung bei Betriebsprüfungen. Vorliegend habe es sich bei einer entsprechenden Prüfung aufdrängen müssen, dass bei der Klägerin keine Beitragpflicht zur BA bestanden habe. Die Beklagte habe dieses Versäumnis der Einzugsstelle bei ihrer Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt. Sie sei daher gehalten, ausgehend von der Betriebsprüfung im November 1991 für weitere vier Jahre ab 1987 auf die Einrede der Verjährung zu verzichten.

Der Senat hält dies für unzutreffend. Gemäß § 28p Abs 1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bzw bis zum die Einzugsstellen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen alle vier Jahre. Die Prüfstellen erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (aaO Satz 5). Das Nähere über ua die Durchführung der Prüfung sowie die Behebung von Mängeln, die bei der Prüfung festgestellt werden, wird durch die Beitragsüberwachungsverordnung (BÜVO) geregelt. Danach hat die Prüfstelle Umfang und Ergebnis der Prüfung in einem Bericht festzuhalten (§ 1 Abs 3 Satz 1 BÜVO). In ihm sind auch die Gründe für die fehlerhafte Berechnung von Beiträgen und die Personen im Einzelfall namentlich zu benennen, für die Beiträge nachberechnet oder zu Unrecht gezahlt und daher zu beanstanden sind (§ 1 Abs 3 Satz 2 BÜVO). Die Prüfung der Aufzeichnungen des Arbeitgebers einschließlich der Beitragsnachweise kann auf Stichproben beschränkt werden (§ 6 Abs 1 BÜVO).

Das BSG hat sich bereits mehrfach mit den Rechtsfolgen von Betriebsprüfungen beschäftigt, bei denen es zunächst keine Beanstandungen gab, sich jedoch später herausstellte, dass die Versicherungs- und Beitragspflicht von Beschäftigten vom geprüften Arbeitgeber bereits im Prüfzeitraum unzutreffend beurteilt wurden, dies im Rahmen der Betriebsprüfung aber nicht aufgefallen war. Arbeitnehmer können ebenso wie Arbeitgeber aus solchen Betriebsprüfungen keine weiter gehenden Rechte herleiten. Betriebsprüfungen haben unmittelbar im Interesse der Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen einerseits Beitragsausfälle verhindern helfen, andererseits die Versicherungsträger in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu; sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm etwa "Entlastung" zu erteilen (BSGE 47, 194, 198 = SozR 2200 § 1399 Nr 11). Diese Schlussfolgerung verbietet sich schon deshalb, weil die Betriebsprüfung nicht umfassend oder erschöpfend sein kann und sich auf bestimmte Einzelfälle oder Stichproben beschränken darf (vgl BSG SozR 3-2400 § 26 Nr 7 S 37; 3/12 RK 15/74, Breith 1976, 303, 305; BSGE 50, 25, 28 = SozR 2200 § 172 Nr 14: kein Schutz des Beitragsschuldners in die Nichtbeanstandung der unterbliebenen Beitragsentrichtung bei Betriebsprüfungen).

Auch den Prüfberichten kommt keine andere Bedeutung zu. Ihr Adressat ist nicht der Arbeitgeber. Sie halten das Ergebnis der Prüfung vielmehr nur für den zuständigen, die Betriebsprüfung durchführenden Versicherungsträger fest und haben nicht etwa die Funktion eines Entlastungsnachweises mit Außenwirkung (BSGE 47, 194, 198 = SozR 2200 § 1399 Nr 11; ähnlich 3/12 RK 15/74, Breith 1976, 303, 305: "Die Betriebsprüfung besagt nur, welches versicherungsrechtliche Ergebnis aus dem geprüften Sachverhalt hervorgeht."). Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben jedoch das Recht, in Zweifelsfällen gemäß § 28h Abs 2 Satz 1 SGB IV rechtzeitig eine Entscheidung der Beitragseinzugsstelle über die Versicherungs- und Beitragspflicht des Arbeitnehmers in Form eines Verwaltungsaktes herbeizuführen (vgl BSG SozR 3-2400 § 26 Nr 7). An diese Entscheidung sind die Versicherungsträger nach Maßgabe der §§ 44 ff SGB X gebunden (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes >SGG<). Auch soweit Beschäftigte aus den Ergebnissen früherer Betriebsprüfungen Rechte herleiten wollen, kann sich eine materielle Bindungswirkung nur dann und insoweit ergeben, als Versicherungspflicht und Beitragshöhe personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt worden sind.

Diese Grundsätze gelten - entgegen der Ansicht des LSG - auch, soweit es um Betriebsprüfungen in "kleineren Betrieben" geht. Eine Unterscheidung zwischen "kleinen" und "großen" Betrieben hinsichtlich Umfang und Schutzzweck von Betriebsprüfungen lässt sich dem SGB IV und der BÜVO nicht entnehmen. Im Übrigen ist es auch bei kleineren Betrieben mit wenigen Arbeitnehmern ausgeschlossen, eine vollständige Überprüfung der Lohnunterlagen vorzunehmen, da die Prüfzeiträume mehrere Jahre umfassen und sich eine Vollüberprüfung auf sämtliche Abrechnungszeiträume in allen Versicherungszweigen erstrecken müsste. - Der bloße Umstand, dass eine durchgeführte Arbeitgeberprüfung ohne Beanstandung blieb, später aber die Beitragsfreiheit der Klägerin festgestellt worden ist, ist nach alledem nicht als fehlerhaftes Verwaltungshandeln der Prüfbehörde zu werten.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ergab sich auch aus Art 6 Abs 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip keine gesteigerte Prüfungspflicht der Einzugsstelle oder Prüfbehörde. Nicht anders als im einfachen Recht wurzelnde subjektive Rechtspositionen sind auch Grundrechte der betroffenen Arbeitnehmer nicht geeignet, den trägerbezogenen Charakter der Betriebsprüfung zu verändern. Die Rückkehr der Klägerin aus dem Mutterschaftsurlaub und der Übergang zu einer Teilzeitbeschäftigung änderten daher den Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Beurteilung ihrer Versicherungs- und Beitragspflicht nicht; vielmehr sind insoweit vor dem Gesetz alle Beschäftigten gleich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff).

Fundstelle(n):
PAAAF-86224